KDM Shey hörte ich mir auf Empfehlung von Crystal F hin an. Den Disclaimer „Ist halt echt gewöhnungsbedürftig, aber gib ihm ne Chance“ kann ich an dieser Stelle nur bestätigen. Wären mir nicht Lines wie „Man kann auf Frauen schießen, man sollte nur keine Frau schlagen“ und „Gott erschuf Eva aus Adam, Kenny macht Steine aus Powder“ angepriesen worden, wären mir vielleicht auch schon die ersten Töne zu wild und chaotisch gewesen. Shey rappt dermaßen überdreht, dass es zuweilen überfordert. Aber genau deshalb ist seine Musik so großartig. Kein uninspirierter Deutsch-Trap, weil man das halt gerade so macht. Eine musikalische Vision, die eigensinnig und stilsicher umgesetzt wird.
Die KDM Gang, was für Kalash Dadash Musik steht, wurde von Shey und seinem Partner in Crime Karat gegründet, ist aber betont kein Label: „Es gibt Dadashs, die nicht rappen, aber Family sind und helfen, wo sie können.“ oder in anderen Worten „Ein Dadash ist ein Dadash, wenn er schießt und wenn er schweigt“. „Dadash“ ist übrigens Farsi und etwa mit „Bro“ oder „Digger“ gleichzusetzen. Allerdings muss man sagen, dass weder Karat, noch die Kollegen, die sich auf den zahlreichen Parts die Ehre geben, auch nur ansatzweise an Sheys Klasse herankommen. Die Solo-Songs sind mit Abstand die stärksten – und durchweg Hits! Der vielschichte, Autotune-überladene Sound setzt die Stimme sowohl in den Rap- als auch in gesungenen Background-Spuren als Instrument in Szene, wie es sonst vielleicht höchstens bei einem T-Pain, Young Thug oder Future der Fall ist. Das mag gelegentlich unharmonisch wirken, ist aber stets melodiös und eingängig. Der Dadash weiß was er tut: „Da können die Leute noch so viel haten. Versucht mir nix zu erzählen von wegen es sei ‚musikalisch minderwertig‘. Ich habe zehn Jahre lang Violine gespielt und bin mit klassischer Musik aufgewachsen. Melodien waren mir immer wichtig und mich hat es immer geärgert, dass es keinen harten, melodischen Straßenrap geben kann, bis zu den Trap- und Drill-Movements kam.“
Die Beats, die Shey hauptsächlich von Trap-Produzenten aus den USA least, sind zwar nie besonders ausgefallen, untermalen das ganze aber stimmig – und stehen ohnehin nie im Vordergrund, wenn des Dadashs Kalash erstmal los schießt. Gerade das ist interessant: Während bei Genre-Kollegen ein Großteil des Reizes auf den Beat zurückzuführen ist, dem man in diesen musikalischen Gefilnden meist etwa 70% des Songs zuschreiben kann, stehen die Instrumentals hier nie zur Debatte. Sie sind halt da, aber der Protagonist dominiert stets, der Beat ist Mittel zum Zweck statt Teilhaber des Songs – trotz der hochkarätigen US-Produktionen.
Warum aus den USA? KDM Shey lebt in New Jersey seit er 16 Jahre alt ist. Er „hatte zu der Zeit viele gesetzliche Probleme in Deutschland und war mehr oder weniger gezwungen wegzugehen, bis sich die Lage beruhigt.“ Nachdem MC Basstard den jungen Shey über den großen Teich hinweg beim hauseigenen Label Horrorkore unter seine Fittiche nahm, besuchte der heute 26-Jährige die alte Heimat aus musikalischer Ambition wieder einige Male, bis er 2008 in den Staaten verhaftet wurde – eine Woche, bevor sein geplanter, einjähriger Berlin-Aufenthalt beginnen sollte. Nach einer Hausdurchsung und juristischem Trubel inklusive gesiebter Luft wurde ihm ein Ausreiseverbot bis ins Jahr 2014 erteilt, wodurch die Musik erstmal weitgehend auf Eis lag. Auf dem „Rrrrah!“ Mixtape – neben „Aaah, schlau!“ eines der charakteristischen Adlibs – findet sich auch der großartige Song „Wieder in Deutschland“.
Den hautnahen US-Einfluss hört man KDM Shey deutlich an. Nicht nur im mutigen Sound, der Deutschen Standards weit voraus ist, auch in den Texten. Statt Messerstechereien und Green-Verkauf wird stets geschossen – bevorzugt mit absurd großen extended Clips – und gekocht. „Meine Fäuste sind im Ruhestand seitdem ich weiß, was eine Semiauto Ruger kann.“ Die meisten Zeilen sind herrlich over the top ohne je den faden Beigeschmack von Satire, kollegahesker Übertreibung oder albernem Humor zu bekommen. Trocken pointierte Zeilen wie „Achte nicht auf Augen in Pyramiden / Schau, dass sie nicht treffen, wenn sie auf mich schießen“ oder „Wofür brauch ich einen Jagdschein? Ich schieße doch nur auf Menschen, Dadash!“ reihen sich an völlig überzogene Zeilen wie „Magazin hängt bis zum Boden, du denkst es wär ein Besen / Mein Dadash kann schießen doch nicht schreiben oder lesen“ bringt Shey genau so rüber, dass sie perfekt zünden. Das klingt dann alles noch viel feierbarer als es sich hier liest.
Dieser völlige Wahnsinn zieht sich durch jeden Song und ist unfassbar unterhaltsam. „Für mich puncht es, wenn ich ein simples real life Szenario lustig verbildlichen kann. zB findet mein Dadash dein Haus an Weihnachten: ‚So idyllisch, denn im Garten hängen Lichterketten / lässt er keinen am leben, dann muss er nicht sein Gesicht verstecken'“ äußert Shey selbst sich treffend zu seinen Lyrics. Da werden dann halt auch mal Kinder erschossen und Racheakte an der Familie verübt. „Man muss auch bedenken, dass ich seit mehr als zehn Jahren in Amerika lebe und eine ganz andere Hemmschwelle habe, was meine Akzeptanz für Gewalt angeht“.
Zu passend, dass er bis vor zwei Jahren noch geschrienen Horrorcore fabrizierte. „heute komme ich mit Engelsstimme und weniger 666 dafür mehr .223 und .45“ sagt er dazu. Wer nicht zu verklemmt ist, sich auf mit Fingerspitzengefühl vollgeladene, undeutsche Soundbilder einzulassen und den brillante Humor versteht, sollte KDM Shey auf jeden Fall eine Chance geben. Je mehr ich ihn selber höre, desto begeisterter bin ich. Nachdem ich einen Zugang dazu gefunden hatte, hatte ich so viel Spaß an der Musik wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Den 10. Februar sehne ich schon herbei, denn dann droppt Sheys erstes Solo-Album „DADASH MIT VERLÄNGERUNG (Aus Liebe zur Gewalt und Autotune)“. Und „in der Zukunft wird noch viel mehr kommen, solange Munition in der Verlängerung ist und bekanntlich hat alles ein Ende, die Wurst sogar Zwei, doch meine Verlängerung hat keins“. In dem Sinne: „Ist halt echt gewöhnungsbedürftig, aber gib ihm ne Chance“ – du wirst es nicht bereuen!