Ganze acht Jahre sind seit dem letzten Kollaboalbum „Nocebo” von Fatoni und Edgar Wasser vergangen. In der Zwischenzeit sind die beiden ganz unterschiedliche Wege gegangen. Edgar, der sowieso die Öffentlichkeit meidet, hat sich noch weiter zurückgezogen und experimentierfreudig an Sounds gebastelt, die so gar nichts mehr mit dem gewohnten Boombap-Stil zu tun hatten. Fatoni hingegen hat fleißig an seiner Diskografie gefeilt und diverse Mixtapes, EPs, eine gemeinsame LP zusammen mit seiner Partnerin Mine und sein zuletzt erschienenes Soloalbum „Andorra” veröffentlicht. Bedingt durch äußere Umstände, von denen uns einer bestens bekannt ist, gibt es allerdings nun eine weitere Auflage der lebensechten und vor allem schonungslos ehrlichen Zusammenkunft von zwei Musikern, die einfach mal wieder Rap machen wollten. Das zwölf Track starke Ergebnis trägt den treffenden Titel „Delirium”. Wir haben mit Fatoni im Interview darüber gesprochen, warum kein anderer Titel besser gepasst hätte, wie es sich angefühlt hat, nach so langer Zeit wieder gemeinsam mit Edgar im Studio gestanden zu haben und wie viel Kompromissbereitschaft es gebraucht hat. Zudem hat er uns einen Einblick gewährt, was es heißt, ein Subgenre zu bedienen und dass es nicht selbstverständlich ist, damit ein diverses Publikum anzusprechen.
Vor einigen Wochen erschien ein Post auf deinem Instagram-Kanal, in dem es hieß, dass das Album nicht veröffentlicht wird, da Edgar Wasser und du einfach nicht mehr miteinander auskommt. Freitags drauf habt ihr den Track „Künstlerische Differenzen” releaset, auf dem ihr sehr ausführlich darlegt, was ihr nicht aneinander mögt. Gab es wirklich Differenzen in der Produktionszeit oder ist das nur fiktiv?
Im Song ist ja ein Break mit einem Streit aus dem Studio zu hören, der war schon echt. Aber es ist normal, dass es immer mal wieder Reibereien gibt, während man ein gemeinsames Album aufnimmt. Es wäre sogar irgendwie komisch, wenn man die ganz Zeit einer Meinung wäre. Edgar und ich hatten an gewissen Punkten schon sehr unterschiedliche Ansichten. Als die eigentlichen Aufnahmen abgeschlossen waren, hatten wir abweichende Vorstellungen davon, wie es weitergehen soll mit der Veröffentlichung der Platte und den nächsten Schritten. Da muss man teilweise in saure Äpfel beißen und Kompromisse finden. Ich glaube, ich kann für uns beide sagen, dass wir dann letztlich einiges anders als gewohnt gemacht haben. Wer das nicht kann oder will, der muss weiter Soloalben machen. Das plane ich jetzt im Anschluss auch wieder und das wird Edgar hoffentlich auch mal wieder angehen.
Der auf dem Track „Ratatatatatatatatat” beschreibt ihr den gemeinsamen Werdegang und eure Freundschaft. Hat sich diese durch die intensive Zusammenarbeit der letzten Monaten verändert?
Unsere Freundschaft haben wir auf jeden Fall wieder aufgewärmt. Tatsächlich hingen wir in der Zeit, als wir das erste Album produziert haben, viel miteinander ab. Dann bin ich nach Berlin gezogen, Edgar ist auch woanders hingezogen und teilweise hatten wir ganz lange keinen Kontakt. Wahrscheinlich auch, weil Edgar eigentlich gar kein Interesse am Rap-Game hat. Viele Freunde aus dem Business trifft man sonst automatisch und ständig auf irgendwelchen Veranstaltungen. Selbst da hat er keinen Bock drauf und deswegen haben wir uns auch lange nicht gesehen. Trotzdem haben wir uns nie ganz aus den Augen verloren. Es hat voll Bock gemacht, wieder gemeinsam Zeit zu verbringen und zu sehen, dass eine alte Freundschaft wieder auflebt. Es fühlt sich nicht anders als früher an. Zu wissen, dass eine Pause der Freundschaft zukünftig nicht schadet, ist schön.
Der Titel eures Albums ist „Delirium”. Ist das auch euer aktueller Gefühlszustand
An dieser Stelle vorweg: Es ist gar nicht so leicht, einen guten Albumtitel zu finden. Wenn wir zusammen im Studio sind, kommen wir manchmal in so ein kreatives Delirium. In diesem Zustand ist auch ungefähr die Hälfte der LP entstanden. Dann fangen wir einfach an, einen Song zu machen und es läuft. Mit manchen Leuten klappt das auch gar nicht, dann sitzt man da und es passiert nichts. Aber wir beide haben oft so eine überdrehte Stimmung, in der wir uns gegenseitig beflügeln. Dann entsteht aus dem Nichts in relativ kurzer Zeit ein guter Track. Das kennen viele wahrscheinlich noch aus der Schulzeit, wenn man zusammen mit seinen Freunden nur noch Schwachsinn redet und auch alles lustig findet, auch wenn es nicht lustig ist. Teilweise war es genau so und so klingen auch manche Songs. Weil eben genau aus diesem Delirium vieles entstanden ist, hat der Titel einfach gepasst.
Du hast seit dem letzten gemeinsamen Album viel Musik veröffentlicht. Insgesamt erschienen fünf Alben, zuletzt „Andorra” 2019. Wie kam es dazu, dass ihr wieder zusammen ein neues Projekt angegangen seid?
Wir hatten das immer im Hinterkopf und wollten es seit Jahren umsetzen. Edgar meinte, er hätte gerade nicht so Bock, alleine neue Sachen rauszubringen, aber mit mir würde er schon ein weiteres Album machen. Ich sollte mich melden, wenn ich ready bin. Generell ist es ihm auch nicht so wichtig, dass Dinge zeitnah passieren, er hat keinen Grund zur Eile. Ich war dann zwischenzeitlich super beschäftigt mit meinen Soloprojekten und vor allem mit meinen Touren. Danach hab ich zuerst das Album mit Mine aufgenommen und dann war klar, dass das nächste wieder solo sein musste. Ich kann ja nicht nur Kollaboalben machen. Jetzt hat es einfach auch durch Corona ganz gut gepasst, wir hatten viel mehr Zeit und in meine Diskografie hat es ebenfalls gepasst, nach vielen Jahren wieder was mit Edgar zu starten.
Wie hat sich eure Musik seit dem letzten Album entwickelt? Immerhin liegen über acht Jahre dazwischen.
Auf mich bezogen ist alles viel professioneller und auch besser geworden. Obwohl besser immer eine Geschmacksfrage ist, aber auf jeden Fall anspruchsvoller. Ich habe mehr ausprobiert und experimentiert. Edgar ist in der Zwischenzeit zwar von der öffentlichen Bildfläche verschwunden, war aber produktiv und sehr experimentierfreudig. Er hat viele andere Dinge gemacht, die vielleicht nicht alle Leute gehört haben, weil es eher in eine Autotune-Gesangsrichtung ging. Viele denken von ihm wahrscheinlich, dass alles was kommt Boom Bap mäßig sein muss, aber das trifft nicht zu. Unsere Platte ist von den Geschwindigkeiten ganz anders, das hat sich allerdings eher ergeben und war keine bewusste Entscheidung. Wobei für mich im Vorfeld schon feststand, dass ich zu zweit keine klassische Boom Bap Platte machen möchte. Das fände ich super langweilig. Auch wenn ich es eigentlich nicht mag, zu sagen, dass etwas viel moderner ist als sonst, trifft das auf die Tracks dieses Mal zu. Vor allem im Vergleich zu „Nocebo”, für das wir eher klassische Beats gewählt haben, weil wir damals auf die moderneren Sounds einfach keinen Bock hatten. Jetzt hatten wir Lust, ein bisschen in verschiedene Richtungen zu gehen.
Auf dem Album sind Producer wie Torky, Dexter, MRBX, Mine und Nico K.I.Z vertreten. Wie haben sich die unterschiedlichen Stile auf die Songs ausgewirkt? Wie seid ihr generell vorgegangen bei der Auswahl von Beats?
Wir waren ziemlich klassisch unterwegs und haben uns die Beats gepickt, anders als bei meinen Soloalben. Meistens saßen wir im Studio, haben mehrere Beats nebeneinander laufen lassen und drauf los geschrieben. Nur der Song „Das Leben ist dumm” ist anders entstanden. Den haben wir mit Mines Unterstützung selbst produziert. Ansonsten sind die meisten Beats von Enaka. Wir haben bei der Auswahl aber nicht auf Namen geschaut. Wir sind einfach in dem Umfeld unterwegs und haben uns dort bedient. Nico K.I.Z zum Beispiel ist zwar nicht direkt aus diesem Umfeld, produziert aber gelegentlich zusammen mit Torky und Drunken Masters. Die beiden kenne ich so gut, dass ich direkt fragen kann, ob sie uns Beats schicken können. Teilweise sind welche mit Nico dabei, ohne dass ich es weiß. Als ich es dann bei „Künstlerische Differenzen” erfahren habe, hat es voll Sinn gemacht, da der Sound recht typisch für ihn ist. Generell würde ich sagen, dass wir musikalisch nicht die Masterminds hinter vielen Songs waren. Sonst versuche ich schon, einen roten Faden vorzugeben und Edgar produziert ja sowieso alles selbst. Dieses Mal anders vorzugehen, war für uns ein Ausweg aus den Solo-Sachen und eine Lösung, um einfach Rap zu machen. Nachdem Juse Ju die Platte das erste Mal gehört hat, meinte er, sie erinnert ihn an „Blackout” von Method Man und Redman. Denen ging es darum, mit einer Mischung aus witzigen Inhalten, Punchlines und Themen-Songs, aber ohne großen Musterplan, einfach Rap zu machen. Das Ergebnis finde ich rund und bin total zufrieden, weil es in keiner Weise schwächer ist als komplett durchgeplante Projekte.
„Das Leben ist dumm” rechnet zwar sarkastisch, aber dennoch außerordentlich hart mit dem Sinn des Lebens ab. Ist das euer lyrisches Ich, das einen schlechten Tag hatte oder eher das autobiographische Ich, das ein Resümee zieht?
Der Inhalt ist durchaus Realtalk, aber ich finde, der Track nimmt eine sehr positive Wendung. Es ist ein lebensbejahender Song, in dem Melancholie mitschwingt. Wir sagen eben nicht, dass das Leben voll scheiße ist und keinen Sinn macht und dass du dich am besten umbringen sollst – im Gegenteil. Auch wenn niemand weiß, warum wir eigentlich hier sind und man am Ende einfach tot ist, sollte man stets optimistisch bleiben. Das blitzt zumindest in den letzten Zeilen der jeweiligen Parts durch. Da benutzen wir halt keinen Holzhammer, sondern sind eher subtil.
Im Text von „Homie du weißt” spielst du auf deine Fans an und sagst „Meine Fans sind alle gleich, keiner ein Rassist, aber alle weiß”. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass deine Musik eben nur genau diese Zielgruppe anspricht? Wie sieht dein „Wunsch”-Publikum aus?
Das Leben ist kein Wunschkonzert und es ist alles nicht so simpel, wie man es sich vorstellt. Das hat viel mit den Bubbles zu tun, in die unsere Gesellschaft aufgeteilt ist. Es gibt auch eine Zeile von Yassin, die diese Situation ganz gut beschreibt. Darin sagt er, dass er als Mensch mit Migrationshintergrund trotzdem oft nur vor einer weißen Mehrheitsgesellschaft spielt. Ich glaube, das hat viel mit dem Subgenre zu tun, in dem wir uns bewegen. Wahrscheinlich gibt es eine soziologische Erklärung, warum genau unser Subgenre ein migrantisches Milieu weniger anspricht. Da gibt es aber auch noch einen Punkt. Klar, dieses Publikum, in dem keiner ein Rassist ist, aber alle weiß sind, ist eine sehr heterogene Gruppe, die aber gefühlt wirklich alle einer Meinung sind, was ich wiederum sehr absurd finde. Es gibt wenig Diskurs, deshalb würde ich mir natürlich wünschen, dass sich Menschen, die eben nicht zur weißen Mehrheitsgesellschaft gehören, auf meinen Konzerten wohlfühlen und nicht das Gefühl haben, eine Minderheit zu sein. Wenn es in diese Richtung künftig positive Entwicklungen gibt, würde ich das sehr begrüßen.
Eure Musik dreht sich viel um zynische Gesellschaftskritik, so auch auf dem neuen Album. Themen wie Feminismus, Homophobie und AfD Politiker*innen, werden mit Punchlines aufgeworfen. Im Song „Realität” sprecht ihr über Polizeigewalt, Reichsbürger, Kollegen und den Fakt, dass es Satiriker nicht mehr einfach haben. Warum ist es wichtig, dass genau an diesen Stellen auch eine sarkastische Verarbeitung der Inhalte stattfindet?
Hier eine allgemeine Antwort zu geben, ist schwierig. Manchmal hat man keine andere Möglichkeit. Die Realität kann so überfordernd sein, dass es keinen anderen Umgang gibt, außer einen satirischen oder auch ironischen. Oft wirkt ein ernstgemeinter Umgang mit so großen Themen total trivial oder fast schon überflüssig. Die These im Song „Realität” ist sogar eine Steigerung davon, weil das Leben so absurd geworden ist, dass wir es gar nicht mehr übertreiben können. Genau wegen dieser Realsatire ist es schlichtweg nicht mehr möglich, satirisch zu sein. Natürlich ist das auch ein Stilmittel. Oft wäre es sonst zu langweilig und künstlerisch nicht interessant genug, die Fakten einfach nur zu benennen. Wer das will, kann genauso gut Aktivist werden.
Du bist Rapper, aber auch Schauspieler. Spielst du als Rapper also auch nur eine Rolle?
Bedingt spiele ich eine Rolle, klar. Weil ich auf der Bühne natürlich nicht der gleiche Mensch bin, der ich privat sein kann. Dennoch würde ich sagen, dass viel von meiner Privatperson in diese Rolle übergeht.
Ich habe das Gefühl, dass das Album vor allem lyrisch das anspruchsvollste ist, was ihr bis jetzt gemacht habt. Seht ihr das genauso?
Es ist definitiv viel besser als unser erstes gemeinsames Album, aber ich würde nicht sagen, dass es lyrisch besser ist als alle meine anderen Platten. Die unterschiedlichen Kategorien der Songs, die von lockerer bis ernster reichen, sind wohl der Hauptgrund für einen inhaltlichen Anspruch. Das heißt aber nicht, dass ein Track besser ist als der andere. Es gibt schon immer Luft nach oben, weil es immer möglich ist, sich weiter zu steigern.
Auf dem Cover ist ein Flugzeug zu sehen, das kreisförmige Kerosinstreifen hinterlässt, sowie drei Straßenlampen. Über der mittleren Laterne hängen zwei Paar Schuhe. In der Kunst heißt dieses Symbol Shoefiti und es gibt zahlreiche Theorien, was der tiefere Sinn ist. Was wollt ihr mir dem Cover darstellen?
Wir haben für das Cover eine Künstlerin engagiert. Sie hatte relativ viele künstlerische Freiheiten und wir hatten auch keine genaue Vorstellung. Sie durfte ihrer Kreativität freien Lauf lassen, deshalb kann ich die Frage nicht eins zu eins beantworten. Irgendwie finde ich es auch gut, dass es ein Mysterium bleiben.
Wird es ein weiteres gemeinsames Album geben?
Ja, 2029, also in acht Jahren wahrscheinlich.