Pinke Haare und lackierte Fingernägel, gepaart mit einer offensichtlichen „fuck you” Attitüde – das vermittelt Lostboi Lino auf den ersten Blick. Aber es ist nicht alles so einfach, wie es zu sein scheint. Auch wenn er durch und durch ein Rebell ist, strebe er nicht danach, grundlos gegen etwas zu sein. Der Newcomer möchte mit seiner Musik Leute vor allem zum Nachdenken anregen, Gefühle sichtbar machen und im besten Fall sogar einen Diskurs anstoßen. In ein bestimmtes Genre will er sich dabei nicht einordnen lassen. Seine Musik ist wie er selbst wandelbar und vielfältig, vereint Rap mit Grunge-Riffs und gesungenen Parts. Dieser Leidenschaft, die ihn schon fast sein ganzes Leben begleitet, widmet er sich jetzt voll und ganz. Auch als professioneller Künstler will er seiner Individualität treu bleiben, was ihn bei der Suche nach einem passenden Label durchaus vor eine Aufgabe gestellt hat. Nach einem langen Sommer voller Studio-Sessions feiert er am 7. Mai das Release seines Debütalbums „Lost Tape”, das bereits veröffentlichte Songs und neue Werke vereint. Neben den Einblicken in die besondere Zeit dieser Entstehungsphase haben wir im Interview mit ihm über seinen bisherigen Werdegang und prägende Momente seiner Vergangenheit gesprochen. Darüber hinaus hat er uns verraten, was er über Künstler*innen denkt, die einem Trend hinterherlaufen und was es für ihn wirklich bedeutet, ein Rebell zu sein.
Am 7. Mai veröffentlichst du mit „Lost Tape” dein Debütalbum. Wie fühlt sich dieser Schritt für dich an?
Natürlich fühlt es sich gut an und so, als könnte ich nach langer Zeit einen Haken an das Projekt setzen. Allerdings nicht nach dem Motto, ich mach jetzt erstmal Urlaub. Im Gegenteil, es geht direkt mit dem nächsten Projekt weiter.
Die Farbe Pink ist in deinem Leben durchaus präsent. Woher kommt das und was verbindest du mit der Farbe?
Ganz ehrlich, das würde mich auch interessieren. Die Frage kann ich selbst nicht zu 100 Prozent beantworten. Meiner Meinung nach wirkt Pink durchaus rebellisch, was zu mir passt. Mit Pink lassen sich auch schöne Kontraste zaubern. Dafür muss man wissen, dass ich früher viel gemalt habe. Damals habe ich mir öfters alte Bilder auf Flohmärkten gekauft und ich bin einfach mit einem pinken Stift als Gegensatz über diese Bilder gegangen. Ich mag es, alt und neu miteinander zu verbinden. Auch rebellisch aufzufallen, fand ich generell schon immer geil. Pink als starker Akzent in meinem Look war dann einfach logisch.
Du kommst aus dem Raum Stuttgart und bist in einer mittelständischen Familie aufgewachsen, was du auch in deinem Song „Danke Nein” beschreibst. Inwieweit hat das Einfluss auf deine Musik?
Ich bin zwar in Stuttgart geboren, aber in Rheinland-Pfalz aufgewachsen. Trotzdem habe ich in Stuttgart viel Familie, da mein Vater schon immer dort lebt. Diese familiäre Verwurzelung hat schon einen Einfluss auf mich. Meinem Vater war ein klassischer Werdegang wichtig. Ihm wäre am liebsten gewesen, wenn ich mich für eine kaufmännische Lehre oder ein BWL-Studium entschieden hätte. Sicherheit und eine Festanstellung standen für ihn ganz oben.
Welche Musik hat dich selbst geprägt und wer inspiriert dich?
Um jetzt keine Standardantwort zu geben, verrate ich einfach mal eine musikalische Jugendsünde (lacht). Das ist mir erst neulich wieder eingefallen. Es gab eine Single von Aaron Carter, die hab ich tagelang rauf und runter gehört, solange bis meine Mutter mir die CD abgenommen hat, weil sie echt genervt davon war. Ob Aaron Carter mich jetzt nachhaltig geprägt hat, sei mal dahingestellt. Aber die Toten Hosen, vor allem das Album „Opium fürs Volk”, dagegen schon. Auch die Ärzte, Nirvana und natürlich Eminem haben mich beeinflusst. Es gab eine rockige Zeit, auf die dann eine Rap- und Hip-Hop-Zeit folgte. Zuerst hab ich viel amerikanischen Hip-Hop gehört. Durch den Song „LMS” von Kool Savas bin ich dann auf Deutschrap aufmerksam geworden und ich feire ihn bis heute.
Machst du deshalb selbst Rap?
Ja, mit Rap habe ich schon früh angefangen. Heute finde ich, dass sich selbst die Texte der Toten Hosen, die mich ja auch inspiriert haben, ganz einfach rappen ließen. Aber meinen ersten Text habe ich geschrieben, als ich Deichkind gehört habe. Die CD haben mein Bruder und ich per Zufall gefunden. Den Track haben wir dann mit einem Fisher Price aufgenommen, das sind solche Spielzeug-Kassettenrecorder mit einem Mikrofon. Im Hintergrund liefen allerdings Instrumentals von Eminem, die auf einer seiner Platten waren.
So ist mein erster Rap Song entstanden.
Das solltest du wahrscheinlich gut aufheben.
Die Aufnahme hab ich leider nicht mehr, aber das ist die Kassette, die auf meine Brust tätowiert ist.
In welches Genre würdest du deine Musik einordnen, wenn sie sich für dich überhaupt in einem bestimmten Framing unterbringen lässt?
Meine Musik passt nicht in eines der klassischen Genres rein und eigentlich will ich das auch gar nicht so spezifisch festhalten. Deshalb hab ich mir den Begriff Nu-Rap als Bezeichnung ausgedacht. Ich sehe meine Musik als Zusammenspiel von rebellischem Grunge und Rap also eine Art Gegenbewegung zu dem, was es sonst so gibt. Das Wort ist angelehnt an Nu-Metal, der in der Szene auch die Antwort auf den damaligen Standard-Metal war. Die Philosophie dahinter find ich cool und habe sie auf die heutige Situation im Rap übertragen.
Emotionale und tiefgründige Texte werden oft in die Strömung des Emo-Raps verbucht. Gehst du mit dieser Bezeichnung noch mit?
Auch wenn ich mich mit dem Wording noch nie so krass beschäftigt habe, würde ich jetzt erstmal sagen, dass ich meine Musik nicht als so dunkel empfinde. Nur weil eine Gitarre zu hören ist, ist das automatisch Emo-Rap? Aber natürliche spielen in meinen Songs vor allem emotionale Themen und Gefühle eine wichtige Rolle, das möchte ich nicht abstreiten. Von diesem Standpunkt aus würde ich es also nicht verneinen. Wenn es jemand so sehen will, ist das okay für mich.
Gab es einen bestimmten Punkt in deinem Leben, an dem dir klar wurde, dass du dich künftig voll und ganz auf die Musik konzentrieren und damit auch deinen Lebensunterhalt verdienen willst?
Als ich gemerkt habe, dass ein nine-to-five-Job absolut nicht mein Ding ist und ich mit Autoritäten auch so meine Schwierigkeiten habe, war ich erst mal ratlos. Ich mag es einfach nicht, nach irgendwelchen Vorschriften oder Regeln zu spielen, die mir irgendjemand auferlegt hat, ohne sie zu begründen, geschweige denn begründen zu können. Zu der Zeit habe ich überlegt, wie ich weitermachen soll. Ich habe mich oft gefragt, was ich eigentlich will. Darüber war ich mir absolut nicht im Klaren. Ich hatte vieles ausprobiert – ich habe Konzerte veranstaltet, im Einzelhandel gearbeitet, eine Ausbildung gemacht. Auch Versicherungen habe ich schon verkauft, also wirklich überall mal rein geschaut. Irgendwann hab ich ein Video von so einem Mental-Coach-Typen gesehen. Er hat gesagt, wenn man sich nicht sicher ist, was man machen will, sollte man zuerst in seine Kindheit schauen und sich fragen, was hab ich damals gerne gemacht? Fernab von einem Profit-Gedanken. Als ich das reflektiert habe, hat es ziemlich viel Sinn ergeben, mich ausschließlich der Musik zu widmen. Dieser Schlüsselmoment hat mir enorm geholfen.
Also heißt das, dass du auch schon früh angefangen hast, Instrumente zu lernen? Oder wie hat die Musik einen so hohen Stellenwert bekommen?
Wie schon gesagt, als Kind habe ich angefangen zu singen. Mit acht Jahren hatte ich meinen ersten Auftritt – natürlich vor meinen Eltern (lacht). Meine Geschwister haben Luftgitarre und Luftschlagzeug gespielt und ich hab einen Song von den Toten Hosen performt. Musik war eine Leidenschaft, die sich dann enorm weiterentwickelt hat. In der Schule hatte ich einen Klassenkameraden, der gesagt hat, dass er zu Hause ein Musikprogramm und ein professionelles Mikrofon hat. Zumindest war es für die damalige Zeit professionell. Das war ein viereckiges Mikrofon, was wir auf den Boden legen mussten und uns während der Aufnahme nicht bewegen durften, da es so empfindlich war und ständig übersteuert hat. Damit haben wir dann die ersten ernstzunehmenden Tracks aufgenommen. Damals war das für mich einfach geil. Da konnte ich mich ausprobieren und es war ein echt cooles Hobby. Ans Geldverdienen hab ich zu der Zeit ja noch gar nicht gedacht. Dass ich aber auf der Bühne stehen will, habe ich gemerkt, als ich angefangen habe, Konzerte mit zu veranstalten und ich gesehen habe, wie alle dort oben stehen. Da wurde mir immer klarer, dass ich das auch will.
Gerade die Battlerap-Szene ist für viele ein Sprungbrett hast du ebenfalls solche Erfahrungen gesammelt?
Ja, Auftritte hab ich schon einige gehabt. Ich durfte unter anderem ASD und die Orsons supporten. Mein letzter Auftritt, war als Voract von Cro. Das war eines der ersten Konzerte, die Cro bei Chimperator gegeben hat. Wahrscheinlich wissen Chimp und auch Cro das gar nicht, aber ich finde es immer noch cool, vor allem aus jetziger Sicht.
Wie hat sich deine Musik seit dem ersten Feature mit MOii auf „Alles Okay” entwickelt?
Das ist nicht so leicht zu beantworten, da es ganz viele Songs, die ich im Anschluss veröffentlicht habe, schon vor diesem Track gab. Zum Beispiel „Wenn du weinst”, den habe ich 2018 geschrieben. Das war somit einer der ersten Songs, die ich produziert habe, nachdem ich mich entschieden hatte, wieder mit der Musik anzufangen. Da die meisten Songs schon existierten, gibt es also hier keine richtige Entwicklung. Aber als ich Mr. Finch kennengelernt habe, der auch ganz viel auf der Platte produziert hat, haben wir zusammen viele Lieder noch einmal aufgerollt. Ohne seine Unterstützung würde das Album nicht so krass klingen. Ich hatte mir die Grundlagen des Produzierens selbst beigebracht, deshalb konnte ich ihm zeigen, wohin es gehen soll und was ich mir vorstelle. Das war die eigentliche Entwicklung.
Wie entstehen deine Songs? Oder machst du so wie viele andere erstmal nur eine Skizze und hast dabei immer eine Art Grundidee?
Das ist echt unterschiedlich. Es gibt Songs, die ich an einem Tag geschrieben habe, genauso gibt es welche, die freestyle entstanden sind. Manche Tracks habe ich auch mehrere Wochen vor mir hergeschoben und wollte sie einfach nicht fertig machen. Es gibt für mich keine Rezeptur, eigentlich gar keine Richtlinien, wie ein Song entsteht. Oft ist es der Moment selbst, der wirklich zählt.
Ehrlichkeit und auch ehrliche Gefühle spielen in deiner Musik eine große Rolle. Wie fühlt es sich an, in deinen Texten so viel von deinem eigenen Leben preiszugeben?
Generell geht es in der Musik für mich viel um Emotionen und Gefühle. Ich mag es, mich meinen Ängsten zu stellen und über meinen Schatten zu springen. Schreiben ist auch ein Stück weit Therapie für mich. Oft kommen währenddessen, sei es beim Schreiben oder Freestylen, einfach Gefühle hoch, bei denen ich mir denke, wow krass, wo kommt das jetzt her. Da ich Musik mit sehr deutschen Texten mache, habe ich auch definitiv den Anspruch, Gefühle zu transportieren. Ich benutze bewusst wenig Anglizismen, weil ich mich treffend im Deutschen ausdrücken möchte. Auch wenn es im Moment eigentlich gang und gäbe ist, so viele englische Wörter zu benutzen wie möglich, versuche ich es anders auf den Punkt zu bringen. Ob es bei anderen so ankommt, kriege ich natürlich erst mit, wenn der Song veröffentlicht wurde und die ersten Reaktionen folgen. Mir schreiben dann oft Leute über Instagram. Bei der Single „Ich bin da” haben mir beispielsweise viele geschrieben, dass sie weinen mussten. Dann weiß ich, dass ich was richtig gemacht habe. Es bedeutet mir auch viel, Menschen so zu berühren.
Welcher Song ist für dich am bedeutendsten, wenn du das überhaupt teilen möchtest?
Der ehrlichste Song ist „Schuhe”, wahrscheinlich in erster Linie auch, weil er eine wahre Geschichte erzählt. Ich beschreibe das Gefühl in dem Moment, als ich das erste Mal die Wohnung meines Bruders verlassen habe, nachdem er sich das Leben genommen hat.
Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, dass seine Schuhe am Ausgang standen, so als würden sie darauf warten, dass er sie jederzeit wieder anziehen kann.
Dann mal was ganz anderes. Wenn du dir für einen Song ein Feature aussuchen könntest, sowohl lebende als auch verstorbene Künstler*innen, wer wäre das?
Es ist nicht einfach, die Frage so ad hoc zu beantworten. Eminem wäre schon krass (grinst). Mit Dr. Dre würde ich auch gerne mal zusammenarbeiten und mit David Bowie würde ich auch was machen wollen. Mit Kurt Cobain selbstverständlich auch. Kendrick Lamar fände ich auch interessant. Wenn alles möglich ist, schaut man natürlich nach den Großen. Aber auf Deutschland bezogen würde ich gern mit Schmyt und Rin zusammenarbeiten. Ganz ehrlich, ab jetzt müsste ich Spotify aufmachen, um nachzuschauen, wer noch infrage kommt (lacht). Aber das sind auf jeden Fall die wichtigsten Künstler, die mir im Moment einfallen.
In den Lyrics des Songs „50er” heißt es: „Meine Lehrer haben damals schon gesagt, Junge, du bist faul, aber nicht dumm. Mir war das damals schon egal, denn Rebellen brauchen keinen Grund.” Der Song klingt ebenfalls ziemlich autobiografisch, als würdest du auf deinen Werdegang zurückblicken. Heißt das, du definierst dich als Rebell?
Mein Umfeld nimmt mich als „anders” wahr und um das zu beschreiben, haben viele den Ausdruck Rebell gewählt. Das habe ich mir also nicht unbedingt selbst ausgesucht. In dem Song beschreibe ich ja quasi, warum ein Rebell keinen Grund braucht, um einfach nur dagegen zu sein. Ob das Sinn macht oder nicht, spielt erstmal keine Rolle. Es fragt sich ja auch niemand, ob es Sinn macht, irgendeiner Norm zu entsprechen, nur um der Norm zu entsprechen. Zum Rebellen wird der, der nicht reinpasst. Schon während meiner Schulzeit habe ich dieses Gefühl vermittelt bekommen. Auch als ich anschließend meine Ausbildung gemacht habe. Überall, wo man reinpassen konnte, habe ich nie wirklich reingepasst. Außer in das Musikding. In „Danke Nein” sind sehr viele Sprüche drin, die so wirklich gefallen sind, genau wie in „50er” auch.
Es liegt momentan ja durchaus im Trend zu sagen, ich möchte ganz bewusst nirgends reinpassen. Das will ich dir natürlich nicht unterstellen. Durch die Songs hatte ich eher das Gefühl, es geht dir darum zu zeigen, dass es okay ist, anders zu sein.
Ja, das stimmt, allerdings nur bedingt. Ich finde, dass viele das sagen und es am Ende dann aber nicht machen. Momentan halten sich alle an schönen Pop-Melodien fest, um zu gefallen. Ganz nach dem Motto, ich will erfolgreich sein und das klappt nur mit diesem Sound. Die sagen dann aber ebenfalls, ich bin ein Rebell. Gerade im Musikbusiness fällt mir das häufiger auf. Wenn wir ehrlich sind, gibt es keinen mehr, der sich traut, etwas auszuprobieren und einfach mal was anderes zu machen. Jeder will gefallen und Rebellen wollen nicht gefallen.
Wenn du sagst, dass dir das häufiger auffällt, was würdest du dir wünschen? Sollen die Leute mehr aus sich rauskommen und weniger gefallen wollen?
Einfach ein bisschen mehr Vielfältigkeit. So wie es ist, sollte es jedenfalls nicht bleiben. Jeder klingt gleich, alle machen andere nach und die Individualität geht flöten. Ich glaube vor allem auch, dass es noch nie eine Generation vor uns gab, die so brav war. Auch hier gilt wieder, wir wollen alle rebellieren und unsere Grenzen austesten – aber wirklich versuchen, will es dann doch niemand. Für mich reicht es einfach nicht aus, das nur so daher zu sagen.
Die folgende Frage knüpft an das Thema Eigen- und Fremdwahrnehmung an. Stört es dich, dass dein Look in den Vordergrund gerückt wird oder willst du vielleicht auch ein Vorbild für Menschen sein, die ebenfalls nicht unbedingt dem gewöhnlichen Bild entsprechen?
Ich glaub, ich mag es einfach zu provozieren.
Wenn das passiert und jemand darauf reagiert, suchst du dann den Diskurs? Oder lässt du das einfach so stehen?
Das kommt auf die Situation an. Wenn mir Leute sowas schreiben wie, „Hey Lil Peep, was geht”, dann schick ich ein Herzchen zurück. Da störe ich mich nicht sonderlich dran. Dann denke ich mir, danke für deine Zeit, du hast dich scheinbar mit meiner Musik beschäftigt. Obwohl die Person trotzdem nichts verstanden hat, wenn sie mich lediglich wegen meiner pinken Haare in die Lil-Peep-Ecke schiebt. Das ist jetzt auch nur ein Beispiel, es gibt noch einige andere. Oft schicken Leute auch ziemlich random Hate oder unbegründete Kritik. Wenn jemand wiederum seine Expertise begründet, würde ich auch mit der Person diskutieren. Da sehe ich aber oft einfach keinen Grund zu. Über Dinge zu diskutieren, die nicht diskutabel sind, finde ich unnötig. Ob die Musik, die ich mache jemandem gefällt oder nicht, ist letztlich ja auch nur eine individuelle Meinung.
Dein Song „Männer” beschäftigt sich kritisch mit dem klassischen Bild von Männlichkeit, das gerade auch im Deutschrap häufig verkörpert wird. Was ist deine Definition davon und welche Veränderung wünschst du dir für die Zukunft?
Ich würde nicht sagen, dass ich das männliche Bild kritisiere. Das ist schon ein bisschen komplexer. Bereits beim Schreiben habe ich mich intensiv damit auseinandergesetzt. Ich stelle erstmal nur die Frage, warum wir Dinge tun und wie wir sie tun. Der Text soll zum Nachdenken anregen. Männer haben oft das Gefühl, nicht vor anderen weinen zu dürfen. Sie wollen Gefühle nicht vor anderen zeigen und auch nicht drüber reden. Woher kommen diese Vorstellungen und warum existieren sie noch immer? Auch die Schlussfolgerung, dass jemand mit pinken Haaren direkt schwul sein muss und ob schwul in diesem Zusammenhang was Schlechtes ist, beschäftigt mich. Es geht mir darum, diese Normen aufzuzeigen. Es soll keine stumpfe Kritik sein. Grönemeyer hat ja bereits ’84 den Song „Männer” veröffentlicht und hat damals einfach einen echt krassen Text abgeliefert, der auch heut noch auf vieles zutrifft. Deshalb ist es mir auch extrem schwer gefallen, meine eigenen Worte zu finden. Ich denke aber, dass ich es trotzdem geschafft habe, einen guten Text zu zaubern. Er passt besser in die heutige Zeit, da ich versucht habe, einiges weiterzuentwickeln. Ob das jetzt gut geworden ist oder nicht, soll jeder selber entscheiden.
Seit letztem Jahr bist du bei Chimperator unter Vertrag. Wie ist die Zusammenarbeit entstanden und was schätzt du daran?
Ich bin ganz happy, dass ich bei Chimp bin, weil ich hier viele Freiheiten genieße, die ich bei einem Major nicht hätte. In der Zeit dieser Entscheidung hatte ich natürlich auch andere Angebote, deshalb habe ich zuvor mit vielen Major-Künstler*innen gesprochen, um genau solche Sachen zu erfahren. Nach einigen Gesprächen habe ich mich dann ganz bewusst für Chimperator entschieden. Dort ist es familiär und es gibt keine langen Entscheidungswege. Zudem hoffe ich auch, dass falls mein erstes Album nicht direkt zündet, es die Möglichkeit gibt, ein weiteres zu machen. Bei einem Major kommt man in einer solchen Situation ja eher auf die Wartebank. Das schönste ist, dass sie mich manchmal auch einfach Rebell sein lassen. Eigentlich ist ja freitags der Releasetag für alle, aber bei mir darf es auch mal Mittwoch werden.
Was hat sich seit dem Signing verändert?
Signing heißt ja eigentlich nur, dass man sein Geld jetzt teilt. Ganz einfach gesagt, verdient Chimperator schlichtweg mit (lacht). Natürlich profitiere ich auch von den Erfahrungen des Teams. Es ist cool, zusammen mit anderen an einem Strang zu ziehen. Meine Ziele standen aber schon davor fest. Seit ich wieder mit der Musik angefangen habe, will ich es absolut richtig und mit voller Hingabe machen. Das Wichtigste war für mich, meinen eigenen Style zu entwickeln. Damit bin ich rausgegangen und mir war klar, dass wenn jetzt keiner anbeißt, ich alleine weiter mache. Ich war bereit, alles zu investieren, damit es läuft und hab auch anfangs alles alleine gemacht.
Was sind die Pläne für dieses Jahr und für deine zukünftige musikalische Karriere?
Konzerte kann ich ja leider nicht spielen. Das heißt, ich werde, wie anfangs erwähnt, erst mal wieder ins Studio gehen und Musik aufnehmen. Vielleicht kommt eine EP oder ein Album, da habe ich mich noch nicht festgelegt. Aber ich habe für das nächste Projekt schon einige Leute zusammengetrommelt. Der Plan ist, einfach Musik zu machen und abzuwarten. Nach dem Album-Release versteht sich (lacht).
Welchen Stellenwert haben Konzerte und Live-Auftritte für dich? Ist eine Tour angedacht, sobald die Situation es wieder zulässt?
Einen hohen. Es ist nicht einfach, so ganz ohne echte Reaktionen. Natürlich gibt es Zahlen und auch Kommentare auf YouTube und Instagram. Aber Leute zu treffen, mit denen ich mich austauschen kann, fehlt mir ohne Konzerte am meisten.
Willst du abschließend noch was sagen?
Das Album kommt mit einem Booklet, in dem nicht meine Lyrics drin stehen, sondern eine Geschichte von meinem verstorbenen Bruder. Er hat immer viel Gedichte und Geschichten geschrieben, da er gerne Schriftsteller geworden wäre. Leider hat er aber bis auf ein paar wenige Texte nie etwas veröffentlicht. Aber ich weiß, er hätte es gerne. Deswegen hab ich mich entschieden, diese Geschichte für ihn zu veröffentlichen. Sie wird auch im Anschluss nicht online gestellt und existiert somit nur in Papierform auf dem Album. Wer die Geschichte liest, bekommt Antworten auf so manche Frage. Sie erklärt vielleicht auch, warum ich Dinge genauso mache, wie ich sie mache oder auch, warum ich so auftrete. Sie gibt ein paar Einblicke, um mich besser zu verstehen und um ein umfangreicheres Bild von mir zu bekommen.