Gut Ding will Weile haben. Diesem Sprichwort scheint sich OG Keemo verschrieben zu haben. Nachdem das neue Album „Mann beisst Hund” ursprünglich für Ende 2020 angekündigt war, dauerte es dann doch bis Anfang 2022 bis der Longplayer endlich veröffentlicht werden konnte. Doch das Warten hat sich gelohnt. Auf 17 Tracks erzählt der Ausnahmerapper die Geschichte von Malik, Yasha und Keemo, drei Jungs vom Block, die es so zwar nicht, so ähnlich aber tatsächlich gegeben hat. Ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass es so ein Album im Deutschrap noch nicht gegeben hat. Wie kommt so ein Konzeptalbum, das sogar die letzte Platte „Geist” qualitativ nochmal überboten hat, zustande? Welche Inspirationen spielen eine Rolle? Wie arbeitet der Rapper mit seinem Producer Funkvater Frank an den Instrumentals? Das und einiges mehr haben wir mit OG Keemo im Interview in Berlin besprochen. Welche Umstände zur Verschiebung des Release-Dates geführt haben, welche Rolle der Block für Keemo spielt und wie er ihn bis heute prägt, lest ihr im folgenden Textinterview.
Zuallererst muss ich dir die Frage stellen, die dir vermutlich alle stellen werden: Wieso hat die Veröffentlichung des Albums so lange gedauert?
Das ist eine Summe aus ganz vielen verschiedenen Faktoren. Privat ging bei uns einiges ab. Natürlich gab es auch durch die Pandemie ein paar Durchhänger, in denen wir in einem Loch waren und nicht wirklich motiviert waren, irgendwelche Sachen zu machen. 2020 ist bei uns gefühlt nichts abgegangen, es gab keine neuen Eindrücke, gar nichts. Wenn wir Musik machen, ist es wichtig, dass um uns herum etwas passiert. Am Anfang hatte ich mir eine Schreibblockade eingefahren.
Im Outrotrack „Ende” sprichst du den September 2020 als Datum für die Fertigstellung des Albums an. Wieso hat es ab dann noch über ein Jahr gedauert, bis das Album rauskam?
Ich muss das aufrollen. Ursprünglich hatten wir geplant, das Album letztes Jahr (2020, A.d.Red.) im November oder Dezember rauszubringen. Da hatten wir aber einfach getrödelt. Dann wollten wir es vor März rausbringen, weil ich da Vater geworden bin. Das haben wir dann aber auch nicht hinbekommen. Dadurch, dass ich dann privat viel zu tun hatte, war ich erstmal drei, vier Monate raus.
Das Album erzählt die Geschichte von Malik, Yasha und Keemo. Sind das echte Menschen oder worauf basieren die Charaktere?
So wie ich sie beschreibe, gibt es sie nicht. Sie sind aber quasi Summen aus verschiedenen Leuten. Malik sind bestimmt zwei bis vier Leute, die ich im Kopf hatte, während ich das Album geschrieben hab. Yasha genauso. In den Charakteren sind bestimmt auch Teile von mir selbst mit drin. So wie ich die Geschichte erzähle, gab es die Personen nicht, die Storys aber schon.
Wie viel Wahrheit steckt in der Geschichte, die du auf dem Album erzählst?
Lass mich überlegen. 100 Prozent, würd ich sagen. Wie gesagt, das Einzige, was nicht wahr ist, ist dass sich die Geschichten auf drei Leute beschränken. Die Storys, die ich erzähle, sind aber alle echt.
Das ganze Album ist sehr filmisch aufgebaut. Haben euch bestimmte Filme zu der Geschichte inspiriert?
Bestimmt. Franky und ich sind beide große Filmfans. Vielleicht hat uns das unterbewusst beeinflusst, wir haben aber nicht aktiv darüber nachgedacht. Ich hab auch ein, zwei Lines auf dem Album, die sich auf Filme beziehen. „Mann beisst Hund” ist ja auch ein Film. Der hat aber nicht wirklich was mit dem Album zu tun.
Die nächste Frage wäre eigentlich für Franky gewesen.
Ich versuch, sie zu beantworten (schmunzelt).
Sehr gut. Ich hatte nämlich das Gefühl, dass sich auch manche Instrumentals an Filmmusik-Mustern orientieren. Hat Filmmusik bei der Entwicklung der Beats eine Rolle gespielt?
Ich weiß nicht. Ich kann Franky jetzt keine Worte in den Mund legen, aber mag sein (schmunzelt). Im Studio haben wir uns immer wieder Filme gegeben. Wir wollten uns sogar „Mann beisst Hund” geben. Dann ist aber eingepennt und der andere ist rausgegangen, das war eine von diesen Geschichten.
Hast du zu irgendeinem Zeitpunkt mal überlegt, die ganze Story auch visuell oder filmisch darzustellen?
Das ist momentan immer noch eine Idee, ja. Das steht aktuell im Raum und wir arbeiten ein bisschen an etwas. Wenn alles gut läuft, kommt eventuell noch im Dezember (2021, A.d.Red.) etwas.
Tiere sind auf wiederkehrendes Thema auf dem Album, sowohl Hunde als auch Vögel – aber in einem menschlichen Kontext. Beides sind auch potenzielle Beleidigungen. Was steckt dahinter?
Ich weiß nicht (lacht). Ich will nie zu viel dazu sagen, weil ich will, dass die Leute sich ihren eigenen Teil dazu denken können. Franky hat mal einen Beat gebaut, in dem so ein Hundebellen drin war. Das war der Grundbaustein, der etwas in meinem Kopf ausgelöst hat. Wir hatten dann 2019 oder 2020 einen Song gemacht, der jetzt irgendwo auf einer Festplatte oder so rumliegt, der „Welt voller Hunde” hieß. Darauf basierend habe ich gesagt, dass das bestimmt ein cooles Thema für ein Album wäre. Das hat also mit einer Demo angefangen, die es im Endeffekt nicht aufs Album geschafft hat und auch nichts damit zu tun hat.
Auf dem Album gibt es diverse Interludes, zu denen du die Texte geschrieben hast. Yasha und Malik äußern sich darin jeweils zur Welt. Wieso hast du auf diesem Album diesen Weg der Erzählung gewählt?
Franky könnte dazu noch viel mehr sagen, aber wir wollten damit eine Art Rahmen schaffen. Durch die Interludes und Skits wollten wir den Charakteren eine Stimme geben. Sowas öffnet die Charaktere, weißt du was ich meine. Das bietet einfach mehr Kontext. Bei „Geist” haben wir nicht mit Charakteren gearbeitet, außer mit einem Geist. Bei einem Album wie „Mann beisst Hund” ist es wichtig, Persönlichkeiten zu etablieren.
Zwei Tracks sind mir besonders im Ohr geblieben – zum einen „Töle” und zum anderen „Vögel”. Beide sind Songs, in denen du sehr ehrlich über dich selbst, auf „Töle” sogar mit dir selbst, sprichst. Ist das tatsächlich so oder sprichst du eher aus der Perspektive eines Charakters zu dir selbst?
Beides. Gerade bei „Töle” geht es auch um diese Überlebensschuld. Wenn du die Jungs siehst, mit denen du damals abgehangen hast, die seit zehn Jahren an den gleichen Ecken chillen und nicht weiterkommen, denkst du dir, dass du das auch hättest sein können. Da gab es auch ein, zwei Situationen, in denen ich deswegen mit ehemaligen Freunden aneinander geraten bin. Das war die Inspiration für den Song. Das ergibt sich aus meiner eigenen Perspektive sowie aus der von anderen Leuten.
Der Begriff „Überlebensschuld” ist interessant. Ist das etwas, das dich krass begleitet?
Eine Zeit lang auf jeden Fall. 2019 waren wir noch eine riesige Gruppe. Über den Zeitraum der Pandemie, was bestimmt auch was damit zu tun hat, hat sich unser alter Kreis krass dezimiert. In manchen Momenten denkst du dann auch, ob es genauso wäre, wenn etwas anders gelaufen wäre oder wenn ich was Anderes gemacht hätte. Da machst du dir natürlich auch selbst Vorwürfe.
Wenn du keine Musik gemacht hättest?
Ja genau. Vielleicht hätte ich ein paar Kontakte enger beibehalten können oder so.
Auf „Vögel” ist es ähnlich, nur setzt du dich hier eher introspektiv mit biografischen Umständen auseinander. Die beiden Tracks sind auch im Zusammenspiel interessant, beide haben Titel mit Tierreferenzen. Wieso sind beide Tracks auf dem Album?
Die spielen sich ja beide immer noch auf dem Spektrum der Charaktere ab. Bei „Vögel” haben wir immer gesagt, dass das eher ein Yasha Song ist. Da macht man sich selber für irgendetwas verantwortlich. Bei „Töle” wollte ich eher das catchen, was von außen kommt. Das ist der grundsätzliche Unterschied zwischen den beiden Tracks.
Du hast auf „Mann beisst Hund” mit Kwam.E, Gianni Suave und Sumpa zum ersten Mal Feature-Gäste am Start. Vorher gab es nie welche. Ihr habt das früher damit begründet, dass ihr sehr anspruchsvoll seid.
Das ist ein Grund. Aber es hat sich auch nie ergeben. Immer wenn wir ein Album gemacht haben, haben wir sehr für uns selbst gearbeitet. Bevor wir die Chance hatten, einen Platz für ein Feature freizumachen, waren wir schon fertig. Dann haben wir uns gedacht, dass ein Feature nicht sein muss. Es hat sich einfach nie ergeben. Diesmal sind wir so reingegangen, dass wir offener für Features sein wollten. Bei „Blanko” war es das erste Mal so, dass wir gesagt haben, hier ist was frei und da muss jemand Anderes drauf. Mein erster Part ist schon sehr monoton und wenn der zweite Part genauso gewesen wäre, hätte das nicht mehr gekickt. Wir brauchten jemanden, der mit viel Energie auf den Takt schreien kann. Dann ist uns natürlich Kwam in den Sinn gekommen. So ist das erste Feature entstanden.
Und die anderen beiden?
Gianni kommt aus Frankfurt, der ist während der Albumentstehung immer rübergekommen und war bei uns am Start. Wir haben zusammen an einer Hook gearbeitet, die er dann gemacht hat. Das ist einfach so passiert. Bei Sumpa haben wir nach einer Gesangsstimme gesucht. Und dann war er der Erste, an den wir gedacht haben.
Wie viel Zeit habt ihr für die Trackreihenfolge gebraucht? Bei einem Konzeptalbum mag man ja annehmen, dass die eigentlich wie von selbst entsteht.
Daran haben wir das ganze Album über gearbeitet. Wir versuchen, am Anfang ein Gerüst aufzubauen. Was willst du am Anfang sagen und wo soll es enden. Das Intro und das Outro stehen eigentlich immer direkt. Dann musst du überlegen, was du in der Geschichte sagen willst. Dann baust du dir verschiedene Baustellen auf und guckst, wie du die miteinander verbindest. Während dieses Prozesses machst du aber auch einfach Songs und guckst, wo die auf dem Album passen könnten. Über die ganze Entstehung des Albums hat sich das aber immer wieder verschoben. Wir haben Songs gekickt oder verrückt. Mir ist auch aufgefallen, dass wir kaum Wegwerfsongs haben. Wenn wir sagen, dass wir 17 Songs machen wollen, haben wir am Ende wahrscheinlich 19. Das heißt, dass wir gezielt arbeiten. Wir haben einen Plan. Wenn wir sagen, Track 7 soll so und so sein, dann machen wir den Song einfach. Und wenn es der dann nicht ist, machen wir einen anderen.
Ihr hattet nach diversen Verschiebungen den „Glakky Freestyle” veröffentlicht. Hattet ihr den zusätzlich aufgenommen?
Der war nicht für das Album geplant. Den haben wir rausgebracht, weil wir einfach mal wieder einen Song machen wollten, der mit nichts was zu tun hat und einfach Bock macht.
Du bringst zum Album 300 Keemo Actionfiguren raus. Was steckt dahinter?
Wir haben einfach gedacht, dass es geil wäre, eine Actionfigur zu machen (lacht). Oder was hast du gedacht?
Gibt es keine größere Geschichte dahinter? Ich hätte erwartet, dass du erzählst, früher eine He-Man-Figur gehabt zu haben und deshalb schon immer eine Actionfigur von dir selbst haben wolltest oder so.
Ich hatte ein paar Batman-Figuren. Die waren alle vom selben Hersteller, es waren aber verschiedene Batmans. Es gab einen Eis-Batman, der hatte einen weißen Anzug mit blauen Details. Die fand ich geil. Und ich hatte einen Batman, der lila war und den du verschieben konntest. Das hat aber nix mit der Figur jetzt zu tun (lacht). Der Anspruch war, einfach ein geiles Sammlerstück zu machen. Franky hat so ‘ne J Dilla Figur. Da haben wir gedacht, sowas könnten wir ja auch machen.
Du stellst dich in deinen Tracks ja eigentlich immer mehr als Villain dar. Wärst du in einem Superhelden-Universum eher ein Bösewicht oder eher ein Held?
Das ist schwer zu sagen. Niemand ist ja hundertprozentig böse oder hundertprozentig gut. Also wahrscheinlich irgendwas dazwischen.
Auf dem Karton der Actionfigur steht „Der Mobb ist tot, lang lebe der Mobb” – ein klarer bezug auf „Der König ist tot, lang lebe der König”. Was steckt dahinter?
Der Mobb ist die Gang von damals, die es jetzt nicht mehr gibt. Eigentlich ist alles cool, aber wie gesagt, das gibt es einfach nicht mehr. „Der Mobb ist tot, lang lebe der Mobb” erzählt quasi die Geschichte des Albums in einem simplen Satz.