West Coast Theory – Vom Beat Zum HipHop

Die Franzosen Maxime Giffard und Felix Tissier hatten sich Großes vorgenommen: Dem West-Coast Sound rund um Los Angeles auf den Grund zu gehen. Wer steckt wirklich hinter den Hit-Produktionen von Legenden wie Dr. Dre? Was unterscheidet die kalifornische Lowrider-Fraktion musikalisch von den Wegbereitern aus New York? Anstatt sich auf die üblichen Verdächtigen, sprich die Rapper zu konzentrieren, liegt der Focus bei der Dokumentation „West Coast Theory – Vom Beat Zum HipHop“ auf den Menschen hinter den Reglern. It’s all about the beats. Nichtsdestotrotz wirken neben den namentlich meist nicht bekannten Tontechnikern auch populäre Szenegrößen wie Snoop Dogg, Too Short, Xzibit, Alchemist, Evidence und Will I Am mit. Wir haben ein Interview mit den Machern der interessanten Doku geführt  und über die Rollenverteilung im Produktionsprozess, die Besonderheit des Westcoast-Sounds und die Liebe zur Musik, die einen durch die Jugend begleitet hat, gesprochen. Außerdem gewähren wir euch einen exklusiven Einblick in die DVD, die am Freitag den 26.02.2009 erscheint.


Euer Film gewährt tiefe Einblicke hinter die Kulissen. Wie lange habt ihr daran gearbeitet? Wie seid ihr so nah an die Künstler rangekommen und wie viel Gras musstet ihr dafür mit ihnen rauchen?

An dem Film haben wir eineinhalb Jahre gearbeitet. Es hat so lange gedauert, weil das Endergebnis ganz anders geworden ist, als wir es ursprünglich vorhatten. Eigentlich wollten wir eine Art Abmisch-Unterricht mit Segal an den Reglern machen. Als wir in Paris gelebt haben, mussten wir mehrmals nach Los Angeles und das waren echt teure Flugtickets! Außerdem haben wir beim ersten Dreh, der drei Wochen gedauert hat, nicht alle Protagonisten treffen können. Wir wollten wirklich Brian „Big Bass“ Gardner, Mike Elizondo und natürlich DJ Quik und Dre mit dabei haben, außerdem waren wir immer noch hinter Snoop her. Also sind wir noch mal für zwei Wochen zurückgeflogen, aber leider haben wir die letzten Beiden nicht gekriegt. Quik war gerade inhaftiert und ein Interview mit Dre führen zu wollen, klang für sein gesamtes Umfeld, mit dem wir in Kontakt kamen, total absurd.  Er arbeitete gerade an „Detox“ und jeder weiß, dass die Platte seit Jahren das bestgehütetste Geheimnis überhaupt ist. Deshalb darf ihm da auch niemand über die Schulter gucken. Außerdem hatte er zu dem Zeitpunkt familiäre Probleme.
Egal, zusammen mit Focus im Encore Studio B einen Beat für ihn zu basteln, ist fast so, als würde man bei Dre selbst hinter die Kulissen gucken. Das verdanken wir alles Segal, den wir ein Jahr vorher in Paris kennen gelernt haben und mit dem wir seitdem befreundet sind. Er war fünf Jahre lang Techniker bei Dre und saß auch bei „2001“ hinter den Reglern. Er kennt praktisch jeden und jeder kennt ihn und seine Arbeit. Er ist nicht nur der beste HipHop Tontechniker, sondern auch ein wunderbarer Mensch, der Begeisterung und gutes Essen zu seinen Studiosessions mitbringt. Die Leute haben uns also gerne die Türen geöffnet. Zu der Gras-Frage: Wir haben es vorgezogen, die Kamera noch gerade halten zu können und dazu fähig zu sein, zu sprechen und zu verstehen, was der andere sagt. Ganz ehrlich, wir haben richtig coole Leute getroffen, mit denen wir Zeit verbringen durften. Wir sind Franzosen und kamen von weit weg, um ihre Musik zu studieren und ihnen Fragen dazu zu stellen. Das wissen die zu schätzen.

Von wem stammt denn jetzt wirklich dieser Westcoast-Sound? Nach dem man den Film gesehen hat, denkt man, dass Leute wie Richard „Segal“ Huredia fast wichtiger sind als die Künstler selbst.

Gute Produzenten geben die Richtung an und die Künstler und Tontechniker tun ihr Bestes, um das umzusetzen. Brian Gardener wird „Big Bass“ genannt, weil Dre mehr Bass wollte. Also sind sie vielleicht nicht die Urheber, aber sie steuern Kreativität und Wissen bei. Mit dem Film wollen wir auch zeigen, wie wichtig Tontechniker sind, weil immer mehr Leute so tun, als bräuchten sie sie nicht mehr. Wir denken, dass sie falsch liegen.

Auf den ersten Blick wirkt es immer so, als wäre der Westcoast-Sound durch die Gangster Images und die komplett andere Attitüde groß geworden. In eurem Film unterstützt ihr aber die Theorie, dass es einfach an einer anderen Art des Musik machens liegt. Was ist wichtiger: Das Image und die Attitüde, oder der Sound?

In unserem Film geht es um Musik, ausgehend von der Produzentenseite. So viele Dokumentationen haben sich schon mit den Wurzeln von HipHop beschäftigt und, insbesondere in LA, mit dem sozialen Hintergrund und der Lyrik. Wir wollten den Fokus aber auf die Leute hinter den Reglern richten und haben die Rapper über ihre Beats und nicht über ihren Rap sprechen lassen. Bilder sind nur ein Transportmittel für die Musik. Wenn ich will, dass es mir gut geht, höre ich Musik und gucke keine Musikvideos. Mir bleibt ein Song im Gedächtnis, kein Outfit.

Manchmal wirkt euer Film wie ein Workshop über die Geheimnisse des Produzierens. Wie steht ihr zu Musik? Habt ihr Musikwissenschaften studiert? Warum seid ihr an dieser theoretischen Sache so interessiert?

Wir haben Musik nicht studiert, wir sind nur Teil der Generation, die sehr viel von Drum Machines und Plattentellern erwartet. Wir haben zusammen Beats gemacht. Nur zum Spaß, in unseren Zimmern. Als wir das erste Mal Segal getroffen haben, war er in Paris mit einem französischen Künstler im Studio, der ihn engagiert hat. Max und ich haben dann zusammen das Interview geführt, weil wir gemerkt haben, dass er uns Amateuren richtig viel beibringen kann. Wir haben hauptsächlich Company Flow mäßige Beats gemacht, als „2001“ von Dre raus kam. Da haben wir gemerkt, dass wir noch sehr viel zu lernen haben. Wir denken, dass unsere Generation genau so um ihre Kultur kümmern sollte, wie um die Umwelt. Es geht darum, anderen Leuten dabei zu helfen, bessere Musik zu machen und sein Wissen zu teilen.

Wie kamt ihr auf die Idee, einen Film über Musikproduktion zu machen, insbesondere bei so einer coolen und Image-überladenen Musik wie Westcoast-Rap?

Eben weil es so coole und Image-überladene Musik ist. Wir wollten zeigen, dass eine Menge Arbeit und Talent rein gesteckt werden muss, bevor ein Typ eine Strophe im Fernsehen rappt.

Es wirkt so, als würden hinter dem coolen Künstler der wahre Sound von Nerds geschaffen werden. Müssen Produzenten und Techniker diesen gewissen Nerd-Faktor haben?

Manche dieser Typen stecken wirklich sehr tief in der Materie. Manche gehen nie raus. Viele Studiosessions dauern von 3 Uhr nachmittags bis 3 Uhr morgens. Also hast du besser keine Angst davor, nie das Tageslicht zu sehen.

Es ist ein offenes Geheimnis, aber viele, die hinter den Kulissen produzieren, sind weiß. Ist das wichtig, was den Sound angeht, insbesondere weil es ja eigentlich „Black Music“ ist? Wurdet ihr bei euren Dreharbeiten mit der Rassenfrage konfrontiert?

Das ist etwas, was während der Dreharbeiten nie Thema war. Es gibt Schwarze, Weiße, Latinos, Philippiner oder sogar Palästinenser. Manche sind Produzenten, manche sind Rapper, manche sind DJs, manche sind Techniker – das ist sehr offen. Wir wurden mit diesem Rassen-Aspekt noch nicht konfrontiert. In Crenshaw und Compton war es etwas unangenehm, aber das hatte nichts mit Musik, sondern mit der Straße zu tun. Von Anfang an gab es auch weiße und lateinamerikanische Gruppen im HipHop. Die Frage ist viel eher: Warum nur Männer?

In eurem Film sprecht ihr auch über die Krise, in der sich HipHop gerade befindet. Was ist der größte Fehler, der im HipHop je gemacht wurde?

HipHop ist älter geworden und hat angefangen, Geld zu verdienen. Und dann wurde er dazu verdammt. Hätte es independent bleiben sollen, ohne Major Deals? Manche der besten Alben sind nicht independent raus gekommen, manche schon. Einige aktuelle Alben sind ok, aber wir sind zu alt, um sie so zu fühlen, wie wir es vor langer Zeit bei NWA, Gangstarr oder OGC getan haben. Das waren die High School Jahre. Die ersten Mädchen, die ersten Joints, die ersten verrückten Auftritte…

Was müsste passieren, damit HipHops Seele gerettet werden kann?

Wir sollten uns nicht an einem Teil der Musik festhalten und sagen, dass es so für ewig bleiben sollte. Das wird alles seinen Weg gehen. Es wird schwieriger, Dinge zu finden, die dir gefallen, weil so wahnsinnig viel passiert. Was wir vor 15, 20 Jahren so an HipHop geliebt haben, lässt sich auch heute noch in der Musik finden. Es ist nur nicht mehr so frisch wie damals. Wir haben es auch geliebt, weil wir damals 15, 20 Jahre jünger waren. Erwarten wir von Buckshot und Premier etwa, dass sie sich immer und immer wieder wiederholen? Wir hoffen, dass die Kinder etwas für sich finden, dass sie begeistert. So wie damals uns. Wenn nicht, haben sie 5000 Jahre Musikgeschichte und 100 Jahre Aufnahmen zu entdecken.