Es knistert wieder in den deutschen vier Wänden
Vor fast genau dreißig Jahren begann ihr Aussterben. Bereits Anfang der Neunziger hat sie kaum noch Geräusche von sich gegeben. Spätestens 1997 wurden in Deutschland die letzten Geräte abgestellt. Doch seit einigen Jahren dreht sie wieder ihre Runden. Ein Geist ist von den Toten auferstanden, dabei ist die Vinyl-Schallplatte das genau Gegenteil eines Geistes: sie ist physisch. Und damit der absolute Gegenpol in einer von Digitalität geprägten Zeit, in der Musik meist über Smartphones und Streams konsumiert wird, wie ich bereits in einem Kommentar vor einiger Zeit schrieb.
Der Siegeszug der Compact Disc besiegelte das Ende der Vinyl-Ära. Nun wird der Zwitter CD, der zwar auch ein physischer Träger ist, aber digital gelesen wird, selbst abgelöst, durch Streamingdienste und digitale Downloads, und auch wieder von der Schallplatte, die jedoch natürlich in einem viel kleineren Maßstab. Im ersten Halbjahr 2016 machte sie 4,3 Prozent des Gesamtumsatzes in Deutschland aus. Dennoch ist ihr Wachstum am Umsatz und in realen Verkäufen in den letzten Jahren konstant und deutlich spürbar. Saturn und Media Markt führen auch abseits der großen Städte Schallplatten und so gut wie jeder Rapper, der etwas auf sich hält, lässt heute sein Album wieder auf Vinyl pressen. Viele wie zum Beispiel Morlockk Dilemma und Hiob oder Audio88 und Yassin brachten ihre Werke schon immer auch oder nur auf Schallplatte heraus.
HipHop und die Vinyl-Schallplatte hatten sowieso vom Anbeginn an eine besondere Beziehung. Denn im Gegensatz zu den Musikgenres, die vorm HipHop entstanden, benötigte er kein Instrument oder Stimme, zumindest nicht im klassischen Sinne. Die DJs machten ihre Turntables zu ihrem Instrument, die Schallplatten wurden ihre Bandmitglieder. Ohne das Medium Vinyl-Schallplatte hätte Rap in dieser Form erst gar nicht entstehen können.
Ein analoges Medium in einer digitalen Zeit
Nachdem es möglich wurde Klang aufzuzeichnen, wurde nach einer Option der industriellen Vervielfältigung bzw. Verteilung gesucht. Im späten 19. Jahrhundert entstand so unter anderem die Schellack-Schallplatte, die sich schnell durchsetzte und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts das übliche Abspielmedium blieb. Erste Versuche mit Polyvinylchlorid gab es bereits in den 30ern. Der kommerzielle Erfolg der Vinyl stellte sich aber erst gut 15 Jahre später ein. Vorteile des neuen Materials waren unter anderem eine bessere Klangqualität und höhere Resistenz.
Diese war auch ein Grund, weshalb Vinyl-Schallplatten zuerst für Kinderlieder genutzt wurden. Doch auch bzw. vor allem beim Transport war die Widerstandsfähigkeit von großem Vorteil, denkt man an die Jugendlichen, die in den USA in der Nachkriegszeit als Konsumentengruppe erschlossen wurden. Die Halbstarken könnten ihre (Rock-)Musik so mit sich tragen, auf Kofferplattenspielern überall abspielen und ihren Freunden zeigen. Spotify-Playlisten anno 1955.
Über Resistenz und Transport müsste man sich heute Gedanken mehr machen, würde man lediglich digitale Medien nutzen. Und obwohl es so viele Vorteile auf der Seite der Streams und Downloads gibt, schwört man mancherorts auf den analogen Tonträger. Chefket rappt sogar in „Wir“: „Doch ohne Plattenspieler bist du keine Zielgruppe für mich„. Darin sieht man klar eine Art Elitegedanken, der weit verbreitet und für mich doch falsch ist, denn nach meiner Auffassung schlägt der Inhalt immer die Technik. Ganz abgesehen davon, dass ein guter Plattenspieler ordentlich ins Portmonee geht.
Was man aber tatsächlich leicht beobachten kann, ist, dass das Auflegen einer Schallplatten bei manchen einem zeremoniellen Akt gleicht und sie einer Platte bewusster zuhören. Dies ist zwar kulturell bedingt und keine natürliche Eigenschaft des Mediums, aber genauer Zuhören ist auf jeden Fall eine gute Sache.
Long live the Long Play
In dem Beitrag vor einigen Wochen schrieb ich auch, dass es vermehrt um einzelne Songs und Playlisten geht. Auch hier bietet die Vinyl (im HipHop ist die 7inch im Gegensatz zur 12inch heute doch sehr selten) einen Gegenentwurf. In den seltensten Fällen spult man auf einer Schallplatte vor, ganz zu Schweigen von einer shuffle-Funktion. Man muss sich auf jeden einzelnen Song einlassen, weshalb vielleicht eher die Liebhaber eine Vinyl kaufen. Dass man deswegen aber gleichzeitig mehr Ahnung von Musik hat, ist aber ein Trugschluss.
Auch die Rapper selbst legen immer noch viel Wert auf ein Gesamtkonzept und -sound, trotz des steigenden Mixtape-Trends. Wahrscheinlich auch um ihr „großes“ Album vom „nebenbei produzierten“ Mixtape klar zu trennen. Dafür wird bei Alben zum Beispiel immer häufiger nur mit einem Produzenten gearbeitet, um einen durchgängen Sound zu erschaffen.
Egal woher nun genau der Reiz der Vinyl-Schallplatte für den Einzelnen herkommt, sei es Nostalgie, ein bestimmter Sound oder einfach nur das große Cover, die Entwicklung des Vinyl-Umsatzes zeigt, dass zwei ganz verschiedene Strömungen nebeneinander koexestieren, während der Schritt zwischen Schallplatte und digital, die CD, eher früher als später nur noch eine Nebenrolle spielen wird. Es ist auf jeden Fall schön zu sehen, dass ein für HipHop so wichtiges Medium wie die Vinyl wieder auferstanden ist.