Deutschrap hält den Atem an, der Release-Freitag wird zur Nebensache. Gerade mal eine Woche ist es her, dass sich RAF Camora wie ein Phoenix aus der Asche erhoben – ach was, wie Jesus wieder auferstanden und zu seinen Jüngern zurückgekehrt ist. Seine Jünger, das sind alle Besitzer von JBL-Boxen, Club-Rempler und die Kommentarspalten-Bewohner, die mit ihren messerscharfen Analysen darüber entscheiden, was cool ist und was nicht, welche Künstler*innen überhaupt eine Daseinsberechtigung haben und vor allem, wer denn nun „echte” Musik macht.
Sie sind sich einig. RAF Camora, ihr Jesus, ist zurückgekommen, um aufzuräumen in der heidnischen Deutschrap-Szene, die nur noch so wenig mit dem zu tun hat, was sie einst ausmachte. Zwar hat auch die Musik des Österreichers auf den ersten Blick nicht so viele Gemeinsamkeiten mit dem, was sonst für real erklärt wird, aber immerhin stimmen die Lyrics mit diesen Vorstellungen überein („Chayas gucken mein Clip / Während sie sich Finger geben wie E.T.”). Macht halt Spaß, ist halt einfach geil. Nachdem Cashmo in den vergangenen Wochen die größten Feinde der Hip-Hop-Kultur (Feminist*innen und Menschen mit Verstand) gebändigt hat, kommt nun der Messias zurück und bringt Hoffnung, Freude und Dancehall-Beats mit.
Wenn Jesus einen kongenialen Partner, einen Dr. Watson oder einen Samwise Gamgee, gehabt hätte, dann hätte der mit Sicherheit Johann geheißen. So ist es jedenfalls bei RAF, der mit seinem ebenbürtigen Kollegen zwei Alben mit hundertfacher Platin-Auszeichnung produziert hat und die zusammen die wohl wichtigste RTL2-Legacy (danke Genetikk) der Deutschrap-Geschichte hinterlassen. Nun, nur eine Woche nach der Wiederauferstehung Jesu, sind sie wieder vereint. RAF Camora und Bonez MC veröffentlichen endlich eine neue gemeinsame Single!
„Blaues Licht” bedient sich thematisch an einem Klassiker aller Bad-Taste-Playlisten. „I’m Blue” von Eiffel 65 passt überraschend gut zur Musik der vermeintlichen Ausnahmekünstler. Kennt jeder, findet eigentlich jeder irgendwie blöd, aber mit drei Vodka-Bull im Kopp lässt sich das Ding trotzdem gut mitgröhlen. Vor allem gleicht sich die Musik aber in dem Punkt, dass man schnellstmöglich die Flucht ergreifen sollte, wenn sie auf irgendeiner Party gespielt wird.
Die besagten Jünger können es auf jeden Fall nicht fassen, was für eine musikalische Meisterleistung ihnen hier geboten wird. „Lass uns einfach mal alle dankbar sein, dass wir in der Zeit leben wo diese 2 Legenden existieren”, schreibt Emre. „Wie man einfach gemerkt hat das in diesem Business die beste Kunst gefehlt hatte […] übertrieben starke Arbeit von den zweien immer wieder”, stellt der User ItsReal treffend fest. Peter erkennt: „Bester MANN der RAF – nimmt die Branche auseinander! KEINER ist so wie ER!”
Manch ein User bemerkt, dass der Song gewisse Ähnlichkeiten mit „500PS”, einem weiteren Evergreen des Duos hat. Das scheint aber egal zu sein, immer her damit. Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht, sagt man. Die Leute wollen fette Beats, geile Texte und vor allem ihre zwei Superstars RAF Camora und Bonez MC. Dass die nicht mal darüber nachdenken, ein gewisses kreatives Risiko einzugehen, um so ihren Signature-Stil zumindest ein kleines Stück weiterzudenken, sondern ein bewusst kalkuliertes und berechenbares Produkt raushauen, ist nebensächlich.
„Palmen aus Plastik”, die mittlerweile wohl erfolgreichste Album-Reihe der Genre-Geschichte, wird vielleicht bald zur Trilogie erhoben. Geil, der dritte Teil von irgendwas ist ja eigentlich immer der Beste, weiß doch jedes Kind. Ich frage mich, wie sich die Platte wohl anhören würde. Ich glaube, ich kann es mir ganz gut vorstellen. Platz Eins in den Charts, zahlreiche Auszeichnungen und die Pole-Position auf jeder Playlist der Zwölf- bis Achtzehnjährigen in ganz Deutschland ist ihnen jedenfalls sicher.
Bevor das jemand falsch versteht – klar, ich bin nur neidisch auf den Erfolg der beiden, bin einfach zu blöd, um ihre Musik zu verstehen und bin sowieso ein zynischer Spielverderber. Die Jungs interessiert auch nicht, was ich zu sagen habe. Und im Zweifelsfall lesen das hier eh nur 100 Leute. Geschieht mir recht. Ich gönne RAF und Bonez auf jeden Fall jede Auszeichnung und jede weitere Million auf ihren prallgefüllten Kontos von Herzen. Raphael sagt es auf „Blaues Licht” schließlich selbst: „Mach Geld aus nix, ist mein Job.”