Identifikationspotential
Im Straßenrap werden Geschichten erzählt, mit denen sich die einen tatsächlich identifizieren können und viele andere auf eine gewisse Art identifizieren möchten.
Warum alle ihn hören, tut hier gar nicht unbedingt zur Sache. Es steht fest, dass Straßenrap aktuell kein Randgruppen-Phänomen mehr, sondern eigentlich schon seit vielen Jahren im Mainstream angekommen ist. Spätestens jetzt sollte also die Betrachtung seitens des Feuilletons und Bildungsbürgertums differenzierter gestaltet werden. Die Rapper schildern reelle Erfahrungen eines nicht unbeträchtlichen Teils der deutschen Gesellschaft.
„Norden, Osten, Süden, Westen: Sound für International. Wir haben euch nicht vergessen.“ (International – SugarMMFK)
Die Rapper spiegeln eine Realität wider, die für viele Menschen Alltag ist – auch wenn andere sich das nicht vorstellen können. Texte über Gewalt, Drogen und Hustle kommen nicht von ungefähr. Sie sind ein Spiegel der Realität – auch wenn es eine ist, die Spiegel-Protagonist Moritz und dessen Kombi-fahrender Vater nur aus eben diesen Songs kennen.
Themen, zu denen der gesellschaftlichen Gruppe, die den öffentlichen Diskurs bestimmt, jeglicher Bezug fehlt. Die Armut, in der einige Rapper aufwuchsen und die auf einem Level präsent ist, das vermutlich keiner des 13-köpfigen Teams, das den Spiegel-Artikel verfasst hat, so in Deutschland vermuten würde.
„Kuck, alle meine Jungs machen Kunst in der Vier-Sieben, das nich‘ Dahlem, wir malen unsere Perspektiven“ (Luvre47 – Auf Krise)
„Auf die Frage, ob ich Deutscher bin, kann ich nur sagen, dass ich gerne in Deutschland bin.“ (Diaspora – Celo & Abdi)
Differenziertes Betrachten
Auch Texte, die auf den ersten Blick nur wie eine Bestandsaufnahme, vielleicht sogar verherrlichend, wirken mögen, üben Kritik an Parallelgesellschaften, Ausgrenzung von Minderheiten und Drogenkonsum. Wenn ein Straßenrapper übers Ticken rappt, hängt da ein Rattenschwanz an gesellschaftlichen Problemen dran – vielleicht nicht (mehr) die Probleme des Künstlers, doch wenn junge Männer ohne Arbeitserlaubnis in der Kälte stehen und schlechtes Gras verkaufen, dann tun sie das nicht, weil sie zu viel 187 gehört haben.
So sehr Straßenrap also für seine toxische Männlichkeit und Misogynie, seine neoliberalen Tendenzen und Gewaltverherrlichung in der bürgerlichen Mitte kritisiert wird, so sollte sich in der Konsequenz auch gefragt werden, woher das kommt und welche gesellschaftspolitisch relevanten Aussagen in den Texten getroffen werden.
„Drogenkonsum steigt, während der Mindestlohn sinkt. Kinder am Koksen, wohin mit der Jugend? Sie hat den Faden verloren.“ (Depressionen im Ghetto – Haftbefehl)
Straßenrap macht Identitätspolitik
Straßenrapper betreiben Identitätspolitik – und das eben mal mehr und mal weniger bewusst und offensichtlich.
Diese Identitätspolitik und Gesellschaftskritik kommt aus einer marginalisierten gesellschaftlichen Position. Die in vielen Texten stattfindenden Antisemitismen, Sexismen und Rassismen sind jedoch – leider scheine ich das betonen zu müssen – auch nur Dinge, die Ausdruck der allgemeinen politischen Lage in Deutschland sind. Straßenrap hat sie nicht erfunden. Das Bild, das die Mehrheitsgesellschaft vom deutschen Straßenrap hat, untergräbt leider oft auch die politische Dimension gesellschaftskritischer Texte.