Das Herz von Ulysse schlägt für Boom Bap. Für den jungen Rapper aus Karlsruhe bedeutet das Subgenre, das für viele als Synonym für klassischen Oldschool-Sound gilt, aber mehr als bloße Punchlines und die üblichen Bassdrum-Snare-Rhythmen. Er selbst lässt verschiedene Stile in seine Musik einfließen, um die unterschiedlichen Facetten von Kopfnicker-Hip-Hop aufzuzeigen. Lyrisch zeichnen sich seine Tracks vor allem dadurch aus, dass er seine eigene Geschichte erzählt und über das Leben auf der Straße spricht. Seine Tracks bringen jede Menge Realness mit sich, nichtsdestotrotz sollen sie auch Spaß machen. Genau diese Mischung ist auch auf Ulysse‘ neuer EP „Tout Ou Rien” klar hörbar. Dazu gehört auch ein Mix aus deutscher und französischer Sprache. Im Interview haben wir mit ihm über die Entstehung des Tapes, weitere geplante Releases und anstehende Features gesprochen. Zudem hat er uns verraten, wie er seinen Style gefunden hat, wo er technisch hin will und welche Werte er vermitteln möchte.
Deine EP ist jetzt seit Kurzem draußen. Bist du mit den bisherigen Reaktionen zufrieden?
Ich bin total zufrieden mit der positiven Resonanz, vor allem, weil es das erste Release seit meiner „Corner EP” vor neun Monaten war. Es ist super, wieder Feedback von meiner Community zu bekommen.
Konntest du den Sommer bislang genießen?
In diesem Jahr kommen noch weitere Projekte, insgesamt drei EPs. Mit der zweiten bin ich weitestgehend fertig, da fehlt nur noch der Feinschliff. Wenn das erledigt ist, leg ich mich aber direkt wieder für die dritte EP ins Zeug. Gegen Ende des Jahres erscheinen die drei EPs dann auch noch als Vinyl, auch dafür arbeiten wir schon vor. Sprich, der Sommer ist sehr arbeitsreich.
Wie kommt es, dass Felix Lobrecht auf deinem Intro spricht?
Ich bin gut mit ihm und seinem Bruder befreundet. Wir kennen uns schon länger, ich bin auch auf seine Show in Stuttgart eingeladen, wenn er mal wieder im Süden vorbeikommt. Der Support ist wirklich nice. Er hat letztens auch eine Story gepostet, als er meine Musik beim Autofahren gehört hat. Ich bin echt stolz, dass er auf dem Intro zu hören ist. Als ich ihm den Song geschickt habe, hat er direkt gesagt, er will es machen. Das hat mich wirklich sehr gefreut. Die Verbindung konnten viele nicht direkt nachvollziehen. Für einige war es eher überraschend, weil ich ja doch noch Underground bin. Falls er das Interview liest: Danke nochmal. Auch ein dickes Danke an seinen Bruder für den Support. Das werde ich den beiden nicht vergessen.
Du kommst ursprünglich aus der Boom-Bap-Szene, wenn man das so sagen darf. Auf deiner „Corner EP”, die im letzten Jahr erschien, präsentierst du diverse unterschiedliche Stile. Du selbst hast gesagt, dass du noch einer Findungsphase bist. Hast du deinen eigenen Stil jetzt gefunden?
Bis jetzt nicht, aber ich komme meinem Ziel immer näher. Ich sammel immer noch neue Erfahrungen und bin noch nicht fertig mit Lernen. Genau das beschreibe ich auch in der Single „Gelernt” mit Sugar MMFK. Mir ist es wichtig, nicht stehen zu bleiben, ich will meinen Flow immer erweitern und neue geile Reimketten finden. Natürlich gibt es eine Entwicklung, ich bin etwas weiter als letztes Jahr – aber eben noch nicht ganz angekommen. Mein Style hat sich bereits etabliert, aber die Technik will ich noch verbessern.
Woher kommt die Inspiration für deinen Sound?
Ganz ehrlich, wenn ich zu Hause bin und chille, dann brauche ich einfach genau solche Musik. Klar höre ich auch neue Songs, die feier ich auch. Aber ich bin mit Oldschool groß geworden und deshalb habe ich immer diesen Flavour für Kopfnicker-Tracks. Aktuell geht schon vieles davon verloren, finde ich. Auch wenn es noch Künstler gibt, die das beibehalten und es gut machen, geht der Flow manchmal unter. Das sollte nicht sein. Ich will das aufrecht erhalten.
Da du in deiner Jugend in Frankreich zur Schule gegangen bist, sprichst du fließend Französisch und bringst viel davon in deiner Musik ein. Wieso ist es dir auch heute noch wichtig, den französischen Einfluss wiederzugeben?
Ansonsten wäre es nicht der Ulysse-Style, für den ich auch gefeiert werde. Mir ist anhand von Kommentaren unter meinen Videos aufgefallen, dass es viel mehr bilinguale Leute gibt, als man denkt. Unabhängig von der Herkunft reden viele Französisch und Deutsch zu Hause. Für diese Leute möchte ich was machen. Außerdem gefällt es mir einfach, zwischen den zwei Sprachen zu switchen. Aber ich halte es noch simpel. Ich benutze keine krass formelle Sprache, so ist es verständlicher. Mir ist es wichtig, meine Inhalte schlicht, aber gut zu verpacken.
Die Straße ist in vielen deiner Tracks ein wichtiges Thema. Zudem gibst du auch zu, dass nicht alles immer optimal gelaufen ist. Sollen deine Texte eine Art Warnung darstellen oder ist es für dich ein Weg, alles zu verarbeiten?
Klar, manche Zeilen schreibe ich, um Vergangenes zu verarbeiten. Man sagt ja grundsätzlich, lass Vergangenes vergangen sein. Ich sehe es aber ebenso als Warnung für etwas jüngere Hörer, die meine Musik konsumieren. Damals habe ich beispielsweise sehr viel auf eine Karte gesetzt und auf vieles geschissen. Das Leben draußen auf der Straße ist kurzweilig. Wenn es schlecht läuft, liegst du entweder 1,8 Meter unter der Erde oder du bist in der Zelle. Das ist halt so, deshalb geht es mir um die Vorsicht. Nicht, dass ich jetzt der krasseste Motherfucker war, aber ich habe durchaus negative und brutale Dinge gesehen. Im Gegensatz dazu habe ich aber auch immer wieder coole Erfahrungen gesammelt. Das alles sollte man aber differenziert betrachten. Ich habe bewusst solche Zeilen geschrieben – nicht nur, um Leute zu warnen, sondern um mich selbst zu offenbaren. Trotzdem soll man zu meiner Musik auch chillen und Spaß haben können.
Der Titel „Tout Ou Rien” bedeutet auf Deutsch so viel wie „Alles oder nichts”. Was verbindest du mit diesem Satz und wieso hast du ihn als Titel ausgewählt?
Anhand der Tracklist, angefangen bei „99 Cent”, „Quartier”, „Gelernte”, „Perfektioniert”, „Tout Ou Rien” und „Catch me if you can” kann man eine Entwicklung erkennen. Damals war es wirklich so: Wenn du was essen willst, musst du es machen, ganz nach dem Motto, entweder alles oder nichts, mein Freund. Der Satz hat mich geprägt. Dieses Mal habe ich es auf einer musikalischen Ebene gemeint. Ich liebe Rap über alles und habe viele Dinge wegen Rap sein gelassen. Es ging mir nur um die Musik. Die neue EP ist auch das erste Release über meine neuen Labels Walk this Way und Chapter One. Darauf bin ich sehr stolz. Ich bin froh, dass mich das Team entdeckt hat. Wir haben uns kennengelernt und uns auf Anhieb gut verstanden. Da war „Tout Ou Rien” einfach das Gefühl, was mich begleitet hat.
Hat sich, seitdem du gesignt bist viel verändert oder machst du weiter dein Ding?
Mir fällt vieles leichter. Klar habe ich jetzt auch mehr Druck, aber das gehört dazu. Für mich ist das eher ein positiver Druck. Ich bin froh, wie sich alles entwickelt hat. Im Text von „Tout Ou Rien” sag ich in einer Line „6 von 10 schieben Filme, wenn die Sirene stöhnt, ihr seid zu verwöhnt”. Andere haben einen ganz anderen Stress als ich mittlerweile. Ich nehme diese Veränderung an. Die Zusammenarbeit ist strukturiert und es gibt viele gute Ideen, die dem Ganzen optimale Einflüsse geben. In meinen Anfangszeiten habe ich sehr viel alleine gemacht, aber jetzt bekomme ich viel Unterstützung. Ich muss eigentlich nur die Songs abliefern und für Interviews zur Verfügung stehen (lacht). Früher habe ich mich auch mit den jeweiligen Produzenten hingesetzt, um die Beats mit zu produzieren. Das war mehr wie ein organischer Prozess, in dem ich voll integriert war. Heute mach ich natürlich auch noch Sessions, es gibt aber direkt Beatpakete, an denen ich mich bedienen darf. Je mehr Leute man um sich hat, mit denen man gemeinsam an einem Projekt arbeitet, desto besser wird die Qualität dann auch.
Die aktuelle EP ist zwar das erste, aber nicht das einzige Projekt in diesem Jahr. Es folgen noch zwei weitere EPs. Worauf können sich deine Hörer*innen freuen?
Auf die Featuregäste bin ich auf jeden Fall total stolz. Es werden einige hochkarätige Rapper wie Sugar und Sylabil Spill dabei sein. Das waren meine Wunsch-Features, die beiden kamen aber beispielsweise auch auf mich zu. Darüber hinaus sind gute Künstler aus dem Boom-Bap-Bereich drauf, manches wird aber bestimmt mit einem etwas trappigerer Sound daher kommen. Alle drei EPs sind meiner Meinung nach stärker als die vorherigen Releases. Die Leute können sich drauf freuen.
Die Tapes kommen als eine Art Trio raus. Stehen sie in einer Beziehung zueinander?
Die EPs haben einen gemeinsamen Fluss und werden eventuell auch einen Nachfolger bekommen. Ich arbeite quasi darauf hin, dass alles einen Sinn hat. Es ist also schon eine Trilogie, die im Zusammenhang mit dem steht, was noch kommt.
Wieso hast du dich gegen ein Album entschieden?
Um ehrlich zu sein, hat es sich nicht nach dem richtigen Zeitpunkt für ein Album angefühlt. Nächstes Jahr vielleicht. Erstmal geht es mir um die Mixtapes. Das ist so ein bisschen historisch gewachsen – erst mal EPs machen, bis man den eigenen Style gefunden hat und sagen kann, jetzt bin ich bereit für eine Platte.
Was möchtest du deinen Hörer*innen noch mitgeben?
Den Fokus würde ich gerne auf die Kunst lenken. Für mich ist Boom Bap nicht gleich Boom Bap. Es gibt so viele Sparten und die Leute sollen sich durch meine Musik auf jeden Fall wohlfühlen. Das sieht man auch auch an einem Track wie „Catch me if you can”, der beispielsweise viel entspannter als „761” ist. Da kann man die verschiedenen Arten von Boom Bap hören und es hoffentlich beides genießen. Darauf achte ich sehr. Es ist mir wichtig, dass die Leute die unterschiedlichen Stile, wie etwa East- und Westside, wahrnehmen. Es ist nicht alles nur eins und wiederholt sich. Ich will die verschiedenen Richtungen aufrecht erhalten, genau wie einige andere krasse Künstler, die das auch machen. Ich werde weiterhin die Oldschool-Fahne hochhalten – weil ich es lebe, und natürlich auch, um einer dieser krassen Künstler zu werden (lacht).