Kollege Hartmann im Interview + Vinyl-Verlosung von „Modus Mindestlohn”

Credit: Christin Nitzsche (alle Fotos)

Tagsüber ist er ein selbstbewusster Repräsentant der Arbeiterschicht, am Wochenende wächst er bei Liveauftritten über sich selbst hinaus. Diese Ambivalenz beschreibt den Lebensstil von Kollege Hartmann wohl am besten. Seine Tourerfahrungen sammelte er an der Seite von Gossenboss mit Zett, der Antilopen Gang und Danger Dan. Zwischen den Konzerten arbeitete er immer an seinen Soloprojekten. Noch als Hartmann entschloss er sich zu einer längeren musikalischen Pause. Jetzt meldet er sich mit neuer Energie, einem deutlich anderen Sound und einem neuen Album zurück. Der zwölf Track starke Longplayer trägt den Titel „Modus Mindestlohn” und erscheint am 23. Juli. Wie er selbst sagt, präsentiert er sich in den Songs persönlicher und nahbarer als je zuvor. Was ihn dazu bewogen hat, doch nicht das Handtuch zu werfen, was er von einigen Kollegen innerhalb der Szene erwartet und wie er heute zu seinem letzten Album steht, hat er uns im Interview verraten. Zudem hat er noch einen denkwürdigen Ratschlag an alle, die manchmal eher mühsam ihren Arbeitsalltag bestreiten.

Du kommst ursprünglich aus Dresden. Inwiefern hat dich Umgebung und das Aufwachsen dort geprägt?

Ich bin zwischen Leipzig und Dresden aufgewachsen und hab dort die ersten 21 Jahre meines Lebens verbracht, das hat meine Persönlichkeit sicherlich gefärbt. Vor allem, weil meine Großeltern viel auf mich aufgepasst haben und versucht haben, mir alles, was an der DDR gut war, mit auf dem Weg zu geben. Daher kommt auch, dass ich arbeiten gehen als Berufung und etwas Positives empfinde. Irgendwann in der Jugend hab ich angefangen, Mucke auf dem Dorf zu machen, in dem ich aufgewachsen bin. Zu der Zeit habe ich noch versucht, mich anzupassen. Vieles von dem, was ich so produziert hab, hat allerdings gar nicht meinen eigenen Interessen entsprochen. Als ich nach Dresden umgezogen bin, bin ich zufälligerweise in einen Kiez gezogen, in dem Leute Musik gemacht haben. Die entsprachen alle eher meinem Gusto. Da habe ich dann gelernt, dass es gar nicht erforderlich ist, mit seinem Rap zu demonstrieren, wie krass männlich, wohlhabend und hart man ist.

Du hast schon lange Verbindungen zu Berliner Kollegen. Wie sind diese Kontakte entstanden?

Auf ganz unterschiedlichen Wegen. Zum einen natürlich durch die Zeit in Dresden. Da gab es die Gang um Stupidozid, zu deren Dunstkreis ich auch gehört habe. Wir haben alle zusammen Musik gemacht. Daraus ist auch die Verbindung zu Gossenboss mit Zett entstanden, seitdem stehen wir zusammen auf der Bühne. Eigentlich ist er ein Solokünstler und bräuchte mich nicht für seine Kunst, aber live sind wir mehr wie eine Band. Das erste Mal, dass wir dann aus unserem regionalen Raum raus gekommen sind, war als wir die Antilopen Gang in Dresden und Jena supporten durften. Da habe ich dann auch noch mal einige Beziehungen geknüpft. Gossi und ich sind beide auch große Fans der Band Lulu und die Einhornfarm und natürlich pflege ich aus persönlichen Gründen auch engen Kontakt zu den Toten Crackhuren im Kofferraum. Luise Fuckface hat auch auf dem kommenden Album gesungen, was mich wirklich sehr gefreut hat.

Deine Karriere begann vor fast zehn Jahren. In der Anfangszeit hast du auch regelmäßig neue Musik releast, darunter eine EP und 2016 das Album „Alltag Life”. Danach kamen vereinzelt Singles. Was hat dich dazu bewegt, jetzt wieder ein Album zu machen?

Ich hab ein Doppelsingle rausgebracht, das war „Die Maschine / Uhrensohn”. Das war fast wie eine Technoplatte gedacht, auf der nur der Song, das Instrumental und das Acapella drauf sind. Damit wollte ich meine musikalische Karriere beenden. Damals ist mir alles zu stressig gewesen, weil ich auch in einer sehr anstrengenden Beziehung gelandet bin und die Arbeit extrem schlauchend war. Am Ende habe ich an der Musik auch keinen Spaß mehr gefunden, weil es nur noch mit Anstrengung verbunden war. Die Leichtigkeit war zu dem Augenblick völlig weg. Was ich damals allerdings nicht ahnen konnte, war, dass Danger Dan sich dazu entscheiden würde, mich als Support mit auf seine Tour zu nehmen. Die Tour war dann wieder ein Wendepunkt. Ich hab während der Konzerte zum ersten Mal gemerkt, dass es Leute gibt, die ich mit meiner Musik wirklich ansprechen kann. Nach den positiven Erfahrungen, und weil es live mega Spaß gemacht hat, kam auch mein Selbstvertrauen zurück.

Auf „Wankelmut” reflektierst du dein Leben und sprichst über Ziellosigkeit. Du scheinst dabei vor allem Danger Dan dankbar zu sein. Welche Beziehung habt ihr zueinander und was genau meinst du, wenn du sagst: „Hätte er dich nicht gefragt, wärst du nur Back-up bei Gosse?”

Es ist auf jeden Fall nicht als Diss gemeint. Ich hab mich auch bei Gossenboss mit Zett erkundigt, ob er das als Diss auffasst, was er verneint hat. Damit das niemand als Seitenhieb versteht, hab ich auch das Signature-Adlib „Yeah” von Gosse eingebaut. Wie ich vorhin angesprochen habe, hätte ich ohne die Tour mit Dan meinen Spaß an der Rolle als Supporter gefunden. So hätte ich aber nicht mehr aktiv an Solo-Tracks gearbeitet. Einfach nach dem Motto, bis hierher hat es Spaß gemacht, war schön, aber jetzt ist Schluss. Es gab absolut keinen Beef, obwohl das für die Promo vielleicht verkaufsförderlicher gewesen wäre (lacht).

Die LP bringt viele unterschiedliche Stimmungen zusammen. Von Verzweiflung über Resignation bis hin zum Genuss kleiner Momente. Waren das auch deine Stimmungen, die du in der Entstehungszeit des Albums so unterschiedlich wahrgenommen hast?

Das Album zeigt den Menschen, der ich wirklich bin. Ich habe alle diese Gefühle in mir, wenn auch nicht immer zum selben Zeitpunkt. Das heißt, ich kann eine Woche lang schwerst depressiv zu Hause hängen und vom Weltschmerz erdrückt werden – was allerdings nicht als professionelle Diagnose zu verstehen ist. Andersherum kann ich phasenweise auch einfach nur super gut drauf sein. Manchmal hängt sowas bei mir auch von banalen Sachen wie dem Wetter ab. Aber damit bin ich wahrscheinlich nicht alleine. Generell ist es mir wichtig, nicht mehr alles zwanghaft in einem Witz zu verpacken, wie ich es früher immer gemacht habe. Alle Emotionen lustig rüberzubringen, war für mich mit zu viel Aufwand verbunden. Genau das hat mir auch den Spaß an der Musik genommen. Durch verschiedene Einflüsse kann ich heute besser zu mir selber stehen und meine Gefühle runter schreiben. Der Hartmann von vor fünf Jahren hätte das aktuelle Album so auf keinen Fall machen können, weil es zu ernst und zu persönlich gewesen wäre. Diese Entwicklung ist eine Befreiung für mich. Je weniger ich eine Rolle spielen muss, umso mehr Spaß macht es mir. Das sage ich auch in der ersten Single „Hämatom” mit der Line: „Je mehr Kollege, desto realer”.

Soundtechnisch würde ich Tracks wie „Mexikaner” und „Bike Punk” als eher experimentell mit elektronischen- und basslastigen Beats beschreiben. Warum hast du dich dafür entscheiden und wie passt das für dich mit Rap zusammen?

Musikalisch bin ich auf jeden Fall genauso breit aufgestellt, wie wir es auf dem Album abgebildet haben. Manchmal kann ich mir auf der Arbeit acht Stunden lang Techno in einer unnormalen Lautstärke reinpumpen. Gleichzeitig begeistert mich aber auch Punk und Hardcoremusik. Deshalb passt das für mich einfach. Auf dem Song „Dünnes Eis” hab ich beispielsweise unter dem Pseudonym „25 y/o me” den Beat produziert und mit den Schnelligkeiten gespielt. Auch auf „Bikepunk” haben wir viel am Tempo getrickst. Der Beat im Rap-Part hat eine klassische Hip-Hop-Geschwindigkeit. In der Bridge verdoppelt sich das Ganze und dann gehen wir noch zu Drum’n’Bass über – was im Prinzip auch nur eine doppelte Hip-Hop-Geschwindigkeit ist. Der Track ist für mich das bunteste, was uns eingefallen ist und ich finde es abgefahren, dass es trotzdem funktioniert. Die Inspiration kam unter anderem auch von Dexter. Seine letzten Rapalben gingen eher in die Traprichtung, was auf mich ebenfalls wie ein Befreiungsschlag seinerseits wirkt.

Bereits der Albumtitel „Modus Mindestlohn” macht klar, dass es auch um gesellschaftliche Themen geht. Zudem scheint der Name auch eine kritische Anlehnung an die umstrittene Modus-Mio-Playlist zu sein. Vor allem in Singles wie „Trance” und „Hämatom” beschäftigst du dich mit dem Gefühl, im Loop zu stecken, mit enormer Unzufriedenheit und der Arbeiterschicht.

Ich glaube, es ist tatsächlich weniger Vorsatz, als man das annehmen mag. Als das Album fertig war, dachte ich ganz kurz, dass ich irgendwie „Alltag Life 2” gemacht habe – aber alle Facetten sind deutlich weiterentwickelter. Das liegt wohl daran, dass der scheinbar langweilige Alltag doch viele anregende Komponenten bietet. Das sieht man total an dem Track „Quality Time”, der im Prinzip eine Arbeiter*innen-Beziehung abbildet. Das ist nicht wirklich was Besonderes, aber in dem Augenblick trotzdem die Wahrheit, was schön ist. Genauso hat exzessives Feiern auf Techno Partys, was ja im Gegensatz dazu steht, seine Daseinsberechtigung und kann Erfüllung bringen. Ich finde es interessant, beides abzubilden, weil ich alle Menschen verstehen kann, die teilweise sehr gegensätzliche Lifestyles führen. Wenn es möglich ist, dass sowas koexistiert, ist es interessant genug, in einem Text verarbeitet zu werden. Der Track „Trance” ist eher persönlich, denn es geht um eine Firma, in der ich meine Jugend weggeschmissen habe. Ich hatte durch Schichtarbeit und wenig freie Wochenenden mein soziales Leben verloren. Eigentlich geht es fast nur um die finale Line: „Ich wach auf, aus der Matrix und stelle fest, die Welt hat mehr zu bieten, doch dass sie am Arsch ist”. Es ist also schon als klare Kritik an dem Aufopfern für die Arbeitswelt zu verstehen.

Dein Track „Schulterblick” rechnet mit Deutschrap und dem Image, dass viele Rapper mit Mühe aufrecht erhalten wollen, ab. Was muss sich deiner Meinung nach verändern?

Die Frage kann man nicht so simpel beantworten, da es vor allem auch ein gesellschaftliches Problem ist. Es wird zu viel zugelassen und es scheint, als hätten wir uns über die Jahre antrainiert, über gewisse frauenverachtende Zeilen hinweg zu hören. Ich selber bin mit Berliner Untergrund Rap der 2000er sozialisiert worden – Frauenarzt, King Orgasmus und so was. Auch wenn ich das als Person nie gelebt habe, habe ich das zu gewissen Teilen dennoch reproduziert. Dem Fakt will ich mich auch gar nicht entziehen. Umso wichtiger ist dabei aber, die eigene Lernkurve zu reflektieren. Ich finde es besonders schlimm, dass gerade die männlichen Protagonisten einfach nicht peilen, dass sie Dinge tun, mit denen die Hälfte der Menschheit einfach ein Problem hat. Es ist nicht richtig, dass weiblich gelesene Personen sich einen Lifestyle ausdenken müssen, der sie vor dieser Ungerechtigkeit bewahrt.

Was meinst du genau damit?

Sie müssen schlichtweg die ganze Zeit eine Ausweichposition einnehmen. Ironischerweise versuchen viele das wegzulachen oder akzeptieren, dass die Gesellschaft halt so ist. Das ist doch totale Scheiße. Wie kann es sein, dass man(n) ernsthaft will, dass sich Menschen des anderen Geschlechts vor Männergruppen fürchten. Das ist für mich ein großes Thema, weit über die Grenzen des Raps hinaus. Generell ist das auch mehr als eine persönliche Positionierung. Es spielt auch die Liebe zur Musik eine wichtige Rolle. Wenn man Rap hören möchte, wollen viele nicht nur frauenverachtende Lines hören. Es gibt so viel Mucke, die rein gar nichts von dem widerspiegelt. Klar ist es schwierig, eine saubere Trennlinie zu ziehen, aber wenn es in Texten heißt, dass Frauen das verdient haben, sind das Inhalte, die absolut nicht klar gehen. Da braucht nicht mehr weiter drüber diskutieren.

Was würdest du deinen Hörer*innen noch gerne mitgeben?

Ich habe mich entschieden, das Album „Alltag Life” offline zu nehmen, das haben vielleicht schon einige bemerkt. Obwohl es nicht meiner Person entspricht, habe ich darauf Sachen reproduziert, mit den ich heute nicht mehr konform bin. Deswegen sind die LP und auch mein meist geklicktes Video nicht mehr verfügbar. Mir ist klar geworden, dass jeder Künstler und jede Künstlerin aktiv entscheiden sollte, was gesagt wird und was nicht mehr so stehen bleiben kann. Gerade in so bewegten Zeiten sollte Musik grundsätzlich auf dem Prüfstand stehen. Es gibt keine Ausrede mehr, frauenfeindlichen, rassistischen oder anderweitig diskriminierenden Mist zu veröffentlichen. Alle haben die Wahl, sich dafür zu entscheiden, die eigene Musik auch wieder offline zu nehmen. Jeder steht selbst für seine Kunst gerade. Jetzt aber mein abschließender Appell: Macht doch mal wieder krank, sabotiert das System und habt kein schlechtes Gewissen dabei.

Wir verlosen ein Vinyl-Exemplar des neuen Albums „Modus Mindestlohn” von Kollege Hartmann. Um an dem Gewinnspiel teilzunehmen, könnt ihr uns bis zum 2. August eine Mail mit dem Betreff „Hartmann”, eurem vollständigen Namen und eurer Adresse an win@rap.de schicken.