Amewu im Interview: „Du bist ein Produkt, ob du es willst oder nicht”

Credit: V.Raeter

Nach fast zehn Jahren ohne Veröffentlichungen ist Amewu mit einem neuen Album zurück. Auf dem Longplayer „Haben oder Sein” bewegt sich der Live-MC soundmäßig zwischen Trap und Grime und widmet sich in seinen Songs dem Wettlauf nach Mehr. Mit einer Gegenrede zum Materialismus voller bildhafter und interpretationsreicher Texte gibt er seinen Hörer:innen dabei nicht nur den Impuls zum aktiven Nachdenken, sondern ebenso zum kritischen Hinterfragen. Denn in einer von Problematiken geprägten Welt lediglich stillschweigend zuzusehen, ist für Amewu keine Option. Wir haben mit dem Berliner über Veränderungen in der Rap-Branche, gesellschaftliche Probleme und die ewige Frage nach ‘Haben oder Sein?’ gesprochen.

„Haben oder Sein” ist dein erstes Album seit fast zehn Jahren. Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit wieder mit einem Release zurück zu sein?

Ziemlich gut, weil alle sehr nett sind und ich positives Feedback bekomme. Aber die Sachen, die mich früher genervt haben, sind immer noch dieselben – obwohl manche nerviger geworden sind, wie das ganze Drumherum mit Social-Media und Streaming. Ansonsten frage ich mich eher, warum ich nicht schon früher etwas rausgebracht habe.

Stellst du durch die sozialen Medien auch Veränderungen im Hip-Hop-Business fest?

Ja. Alles ist sehr viel krasser durch Zahlen und Aufmerksamkeit beeinflusst. Natürlich war es das vorher auch, aber Social Media hat diesen Aspekt der Präsenz reingebracht. Vieles hat überhaupt nichts mit Musik zu tun, sondern ob du lustige Videos drehst oder Einblicke in dein Privatleben gibst – das ist gar nicht mein Film. Es wäre etwas anderes, wenn ich dieses Influencer-Ding in mir hätte und das feiern würde. Aber eigentlich will ich nur rappen und Musik rausbringen.

Also distanzierst du dich eher von Plattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram?

Distanzieren wäre jetzt zu hart gesagt. Ich habe da Profile und liefere auch sporadisch Content, manchmal auch über Wochen oder Monate nicht. Aber würde ich keine Musik machen, bin ich mir nicht sicher, ob ich manche Accounts noch hätte.

Credit: V.Raeter

Auf dem Song „Kenne meine Fehler” thematisierst du unter anderem die unaufrichtige „woke”-Bubble. Existiert diese Scheinwelt deiner Meinung nach nur online oder auch offline?

Ein Teil davon existiert natürlich überwiegend online, aber hinterlässt auch reale Spuren. Die Zeile auf dem Track ist keine Positionierung gegen die Wokeness im Allgemeinen. Es ist eigentlich ein Diss an alles und jeden, ich kritisiere unter anderem ja auch mich selbst. Eigentlich soll der Song auch eher das Denken und kritische Hinterfragen am Leben erhalten. Aber selbst das kritische Hinterfragen kann man kritisch hinterfragen.

Du sprichst ja viele aktuelle – auch politische – Themen an­. Welche Probleme der heutigen Gesellschaft möchtest du in deinem Album konkretisieren?

Der größte rote Faden ist die Kritik am Kapitalismus und individueller Profitmaximierung und der Versuch, Ideen von einem solidarischeren Zusammenleben dagegenzusetzen, aber das ist sehr schwierig. In unseren Gesellschaften wird schon sehr früh klar gemacht, dass man sich am besten so viele Ressourcen wie möglich sichert, weil man sonst als Verlierer dastehen könnte. Besonders im Rap gibt es viele Geschichten von Menschen, die wenig haben und auf mehr hinarbeiten. Das Phänomen nenne ich gerne den „amerikanischen Albtraum”. Die Tatsache, dass so viele Menschen wenig haben, ist ja eine Voraussetzung dafür, dass Leute viel haben können und sich an diesem System bereichern. Deswegen sehe ich wenig Nutzen darin, diese Idee in meinen Raps zu proklamieren. Es ist interessant, weil es einerseits dieses „fake it till you make it”-Phänomen gibt und manche andererseits ein krasseres oder schlimmeres Leben vortäuschen.

„Haben oder Sein” ist auch der Titel eines Werks von Erich Fromm. Inwiefern hat dich diese gesellschaftskritische Arbeit inspiriert?

Der Titel ist auf jeden Fall an das Buch angelehnt, aber ich habe mich nicht wie bei einem Konzeptalbum komplett daran abgearbeitet. Es ist auch bestimmt schon zehn Jahre her, dass ich das Buch gelesen habe. Man wird diverse Parallelen erkennen, aber das Album ist an sich eigenständig.

Ich gehe mal davon aus, dass du dich eher auf der Seite des Seins befindest.

Schon, aber natürlich ist das auch einfach zu sagen. In den Songs geht es oft um den Konflikt, diese Einstellung zu haben und gleichzeitig zu realisieren, dass du in sehr vielen von diesen Mechanismen mit drin hängst. Deswegen ist es ein ständiger Struggle, die eigene Position darin zu finden, sie neu zu überdenken und sich zu überlegen, was ich mit mir vereinbaren kann und was nicht. Diese Fragen stellen sich auch speziell bei dem, was ich mache. Rap ist inzwischen sehr durchzogen von allen möglichen Firmen, wie Versand-Riesen oder Getränkemarken, die Teil der Kultur sein wollen. Da kommt man in einen Konflikt, mit wem man arbeiten kann. Ich kann sagen, dass ich bei dem und dem Format nicht mitmachen will, weil das von der und der Firma ist – aber wie weit gehst du da? Verkaufst du deine Alben dann auch nicht mehr über bestimmte Plattformen? Ich verkaufe zum Beispiel alles Physische nur über den eigenen Shop, aber digital wird es ja trotzdem überall vertrieben. Das ist alles nicht so einfach. Ich finde es dennoch wichtig, da nicht nach dem Standard zu reagieren – von wegen „wenn du eine Kritik an dem System hast, warum ziehst du dann nicht in den Wald?”. Das ist Quatsch. Ich möchte einfach aufzeigen, dass wir alle in diesen Konflikten sind und die Reaktion darauf vielleicht nicht sein sollte, dass man es einfach hinnimmt und sich nicht mehr traut, einen Alternativvorschlag zu machen.

Welche Erfahrungen hast du mit dem Kaufen und Verkauftwerden in der Musikindustrie gemacht?

Du bist ein Produkt, ob du es willst oder nicht. Das fängt nicht mal bei Musik an, das ist bei jedem Job so. Entweder verkaufst du deine Lebens- und Arbeitszeit an bestimmte Firmen oder bist selbstständig und hast eventuell mehr Einfluss darauf. Aber du bist trotzdem denselben Zwängen unterlegen, weil du Miete oder Essen bezahlen musst und dann brauchen wir ja alle auch unbedingt noch all diese schönen Produkte, weil man uns das seit Ewigkeiten erzählt (lacht). In gewisser Hinsicht bin ich auch ein Produkt und unterliege damit natürlich genau diesen Mechanismen – auch wenn ich über die Musik und den Merch hinaus nie ein anderes Produkt verkauft habe. Ich will nichts ausschließen, aber bei Eistee denke ich mir nicht „Wow, die Welt braucht unbedingt noch ein Getränk voller Zucker, das ich den Leuten andrehen kann” (lacht). Es ist auch random: Influencer bauen sich eine Plattform auf, fangen dann mit Rap an und haben durch ihr Kapital und die Follower-Zahl einen krassen Start. So ist es auch mit diesen Produkten.

Also ist dein Album auch eine Gegenrede zum Materialismus?

Ja, das ist sehr offensichtlich. Es ist einfach ein Denkanstoß oder eine alternative Perspektive auf alternativlose Darstellungen, weil viele sich denken „so ist das halt einfach”.

Letztes Jahr im November hast du deinen neuen Longplayer mit der Single „Amewuga” angekündigt. Warum fiel deine Wahl auf diesen Track?

Ich dachte, dass es wieder ein guter Einstieg ist, weil es einerseits um meinen Namen geht und die bei Rappern ja immer wichtig sind (lacht). Andererseits erklärt es auch etwas über meine Einstellungen und meinen Hintergrund; teilweise gehe ich auch auf meine Familiengeschichte ein. Der Song fasst einfach meine Attitude der letzten fünfzehn Jahre ganz gut zusammen.

Auf der Hook des Tracks spiegelt sich bei den Fragen „Liebst du Geld? / Bist du ein Mensch?” dann ebenso der Profit-Gedanke wieder. 

Genau, es ist sehr nah an die Bedeutung des Namens angelehnt. In der Kurzform heißt es „der Mensch ist wichtiger” und in der Form von Amewuga bedeutet es „der Mensch ist wichtiger als Geld” oder „der Mensch ist keine Ware”. Also liegt das ja sozusagen schon in meinem Namen.

In deinen Texten spielst du auch oft mit bildhafter Sprache – wie bei „Freier Himmel” oder „Verbranntes Meer”. Möchtest du dadurch einen gewissen Interpretationsspielraum ermöglichen?

Ja, den lasse ich auch gerne. Ich mag diese Art von Sprache und mit Naturbildern und bildlichen Eindrücken zu arbeiten. Das macht mir einfach Spaß und gleichzeitig gibt es mir die Möglichkeit, Dinge zu beschreiben, die man teilweise eher emotional verstehen kann. Vielleicht meine ich etwas komplett anderes, aber jemand fühlt sich trotzdem verstanden mit dem, was ihn oder sie gerade beschäftigt – obwohl ich das überhaupt nicht voraussehen konnte. Das ist eigentlich eine schöne Sache, dass die Emotionen und die Psyche der Menschen das daraus macht.

Mental Health ist momentan ein viel diskutiertes Thema. Gibt es deiner Meinung nach ehrliches Interesse oder ist es nur ein vorübergehender Hype?

Es ist schwierig zu sagen. Die Frage lässt sich bei vielen Themen stellen, wie bei Statements gegen Diskriminierung und Rassismus oder politischen Statements. Ich will Trends an sich auch nicht kritisieren und als schlecht darstellen, weil ein bestimmter Teil da immer mit einer ehrlichen Intention rangeht. Aber wenn etwas trendy ist, springt ein Großteil immer darauf auf. Richtig ekelhaft wird es für mich, wenn Firmen sich das dann auf die Fahne schreiben. Das ist oft sehr lächerlich – eigentlich schlimmer als lächerlich, das ist sehr berechnend. Teilweise richten sie mehr Schaden als Nutzen an, weil sie oft nicht gut informiert sind. Es ist auch schwierig die mentale Gesundheit von der Kritik auf dem Album zu trennen, weil diese Zustände ja zu etwas führen. Das habe ich schon sehr viel auf dem letzten Album behandelt und durch das Feedback gemerkt, dass anscheinend viele nicht so offen darüber reden. Damals war es noch eine andere Zeit, inzwischen hört man das auch öfter in Rap-Kontexten. Aber klar gibt es gerade bestimmte Trends. Man merkt das auch daran, wie Menschen manchmal mit Diagnosen um sich schmeißen. Alle, die dich nicht leiden könne, sind Narzissten und jeder hat jetzt die krasseste Depression oder ADHS. Ich finde es wichtig, darüber zu sprechen und dafür nicht geshamed zu werden – da kommt man wieder in die Richtung des Songs „Kenne meine Fehler” in Kombination mit der Aufmerksamkeit im Netz.

Es gibt natürlich auch Rapper:innen, die nur ‘Fun-Songs’ ohne Message oder tiefere Bedeutung droppen. Hat diese Art von Hip-Hop für dich eine Daseinsberechtigung?

Das hat für mich alles eine Daseinsberechtigung. Ich würde nicht in einer Welt leben wollen, in der es nur noch Songs mit politischen Statements oder melancholische Rap-Tracks gibt, weil das Leben nicht nur daraus besteht. Mein Problem ist eher, dass es da kein wirkliches Gleichgewicht gibt und plötzlich Themen und Räume von Leuten besetzt werden, die damit eigentlich nicht viel am Hut haben. Das ist jetzt kein Diss an den Rapper an sich, aber zum Beispiel diese Milka-Werbung, in der es plötzlich nur noch um überdachte Texte und Songs ohne Beleidigungen ging – was ist das? Das ist einfach richtiger Quatsch, wenn man sich anguckt, was für Songs kurz davor und danach rauskamen. Dann denke ich mir, dass du doch dein Ding machst, versuch doch nicht noch jeden anderen Platz zu besetzen. Manche thematisieren diese Sachen auch, aber würden dann vielleicht einfach keine Milka-Werbung machen (lacht). Da bin ich auch weniger pissed auf den Artist als auf die Firma und die Magazine, die das teilen. Ich habe ja Familie in Ghana und was Milka da abzieht, das Thema brauchen wir gar nicht aufmachen.

Credit: V.Raeter

Du bist ein großer Verfechter von Live-Auftritten und Konzerten. Ist die direkte Übermittlung deiner Texte ein wichtiger Aspekt für dich?

Auf jeden Fall, das macht mir am meisten Spaß. Für mich sind die Releases Werbung für die Shows, auch wenn manche das andersherum sehen. Mittlerweile freunde ich mich auch damit an, im Studio zu sein, aber rappen ist für mich etwas Gemeinschaftliches. Deswegen ist die Zeit gerade auch so hart, weil ich mein ganzes Business darauf ausgelegt habe. Manche dachten auch, dass ich aufgehört habe. Okay, ich hab auch einfach dumme Jokes im Internet gebracht, die krass die Runde gemacht haben – da war rap.de auch gut dran beteiligt (lacht). Als ich immer voll viel Schwachsinn auf meiner Facebook-Seite geschrieben habe, waren das damals die Ersten, die den Joke, dass ich aufhöre, als News geteilt haben. Aber ich lebe ja seit über zehn Jahren von Rap und Live-Auftritten. Nur weil keine Veröffentlichungen kommen, heißt es ja nicht, dass keine Shows mehr stattfinden. Da musste erst Corona kommen.

Im Sommer 2021 hast du Theater an der Berliner Schaubühne gespielt und sogar die Neuinszenierung von „Rückkehr nach Reims” mitgeschrieben. Werden wir dich in Zukunft neben der Konzertbühne auch öfter auf der Theaterbühne sehen?

Im Februar sind die nächsten Vorstellungen, aber ich weiß nicht, was sich daraus jetzt entwickelt. Ich könnte mir schon vorstellen, schauspielermäßig noch etwas zu machen, aber ich weiß nicht, ob ich dann nur Theater spielen wollen würde. Serien oder Filme wären auch interessant, aber mal sehen. Es kommt ja auch immer auf die Angebote an. Wenn ich dann eins für irgendeine nebenbei drogendealende Rapper-Rolle bekomme, darf ich hoffentlich wenigstens noch etwas Kluges sagen (lacht).