Nach sechs Alben mit den Orsons, diversen Maeckes und Plan B Veröffentlichungen sowie vier eigenen EPs erscheint nun Barteks erste Solo-Platte „Knäul”. In den letzten zweieinhalb Jahren hat sich für den Nick Carter der Orsons einiges verändert und er stürzte sich in die Musik. Dabei führten ihn eine andere Arbeitsweise sowie ein geplatzter Knoten zu einem neuen Sound. Deshalb zeigt sich der Rapper auf seinem Solo-Album eher von einer nachdenklichen Seite, denn andere Zeiten erfordern andere Maßnahmen. In einem dunklen Studio sind zehn Songs voller Melancholie, aber auch Lebensbejahung und Freude entstanden, die aus einem Knäul an Gedanken ein Album aus dem Unterbewusstsein formen – mit weniger Rap, dafür aber umso mehr Gefühl und ohne seine ikonischen Wortspiele zu vergessen. Wir haben mit dem Stuttgarter über „Knäul”, die Kunst des Alleinseins und seine musikalische Diversität gesprochen.
„Knäul” ist dein erstes Solo-Album. Hast du dich unter Druck gesetzt gefühlt, weil du als einziger von den Orsons bisher noch kein Solo-Album veröffentlicht hast?
Über die vielen Jahre gab es auf jeden Fall Phasen, in denen der Druck da war. Aber irgendwann, nach zehn Jahren ohne Solo-Album, war es dann auch egal. Ich habe einfach länger gebraucht als jeder andere Orson, aber die Zeit hat es leider gedauert. In den letzten zweieinhalb Jahren ist ein Knoten geplatzt und ich habe eine neue Arbeitsweise für mich gefunden, die mich so viel Musik machen lässt wie noch nie. Ich wusste, dass diese Zusammenstellung an Songs mein erstes Album ist, weil es sich richtig anfühlt. Davor war das noch nicht der Fall. Es ist alles ohne Druck entstanden, deshalb sind die Songs auch nicht verkrampft und die Freude überwiegt einfach nur. Und jetzt, wo der Knoten geplatzt ist, geht es erst richtig los.
Also war dein Album auch kein geplantes Projekt, für das du einen roten Faden hattest?
Nein, es hat sich einfach ergeben. Plötzlich hatte ich circa 40 Songs und habe mich gefragt, was ich damit machen könnte, weil ich bis jetzt noch nie auf so vielen Liedern saß. Dann kam die Idee, dass wir die zehn besten Songs nehmen und daraus ein Album machen könnten. So wurde es immer gefestigter und ich meinte: „Hey dann machen wir es doch, bringen wir einfach ein Album!”.
2017 hast du in einem Interview gesagt, dass deine Sachen noch nicht gut genug für ein Album wären. Was hat sich in diesen vier Jahren verändert?
Es hat sich in dem Sinne etwas verändert, dass dieses Album komplett aus dem Bauch geschrieben wurde und sehr intuitiv ist. Ich habe mich in mein Studio vor das Mikrofon gesetzt, das Licht ausgemacht und mir davor nichts aufgeschrieben. Es ist einfach aus dem Unterbewusstsein heraus entstanden.
Dann sah dein Schreibprozess dieses Mal auch anders aus?
Voll, das ist auch das Spannende! Früher war ich noch ein Rapper, der hier und da einen 16er schreiben wollte. Das ist zwar auch cool, aber sehr temporär. Wann würde man sich so etwas dann nochmal wirklich anhören? Ich selbst höre auch wenig Rap und eher Musik, bei der ich das Album Jahre lang hören kann. Deswegen sind es auf „Knäul” eben Songs mit ziemlich wenig Rap geworden. So kam es einfach heraus und so hat es sich gut angefühlt. Mir wäre es immer zu wenig gewesen, wenn ich 2017 in meinem ‚ich schreib jetzt einen coolen 16er‘-Rap-Ding ein Album gemacht hätte.
Man könnte sagen, dass du musikalisch zwei Seiten hast: den spaßigen Bartek und den nachdenklichen Bartek. Warum hört man auf deiner neuen Platte besonders den nachdenklichen?
Ein großes Ding war, dass mein Dad gestorben ist. Ich habe mich zwangsläufig in das Musik machen gestürzt, um nicht verrückt zu werden. Natürlich kam dann eher so eine Seite heraus. Zum anderen hatte ich von Anfang an diese zwei Seiten in mir. Aber ein Initiationspunkt für diese neue Machart von meiner Musik und meinen Texten war mein Solo-Song „Das Geschenk” auf dem Album „Orsons Island” von den Orsons. Das war zum ersten Mal ein ernster Song – etwa wie eine Ballade, aber ohne meinen Humor zu verstecken. „Knäul” knüpft genau an diesem Soundbild an.
Könnte deine nachdenkliche Seite ohne den Spaß-Bartek nicht existieren?
Ich bin der Meinung, dass fast alle auf irgendeine Weise ambivalent sind, aber beide Seiten vollkommen ihre Daseinsberechtigung haben. Man braucht eine gewisse Selbstreflexion und muss in sich hinein hören, damit sie Hand in Hand laufen können. Ansonsten würde man sich nur verrückt machen und wahnsinnig werden, wenn man immer der Starke bleiben muss und keine Traurigkeit zeigen dürfte. Deshalb können diese zwei Seiten gleichzeitig existieren und das ist nicht schlimm – im Gegenteil sogar. Es ist schön, dass man beide akzeptiert. Vielleicht sind sogar noch mehr Teile in mir drin, die dann bei den nächsten Alben kommen.
Also hältst du nichts von dem Klischee, dass Männer keine Gefühle zeigen dürfen und nicht weinen sollten.
Die müssen alle sofort weinen und ihre Gefühle zeigen dürfen!
Hat dir dein Album auch geholfen mit dem Gefühl der Trauer umzugehen?
Unbedingt.
Ein „Knäul“ steht ja theoretisch für Chaos. War dein Leben zu dieser Zeit sehr durcheinander und chaotisch?
Ja, es war ein Knäul an Ereignissen. Nachdem das passiert ist, wurde zweieinhalb Wochen später in Deutschland der Lockdown ausgerufen. Ich dachte, die Welt geht unter und fragte mich was hier passiert. Deshalb waren alle meine Gefühle und Gedanken wie zu einem Knäul zusammengerollt, das es zu entzerren galt.
Hast du mittlerweile geschafft, dieses Knäul zu entwirren?
Das weiß ich nicht. Aber allein herauszufinden, dass es ein Knäul geworden ist, hat geholfen. So kann man immer wieder dem Faden entlang folgen. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass ich ihn jetzt wirklich losgebunden habe. An so einem Knäul kann man sein Leben lang herumzerren. Ich glaube, das ist eine Aufgabe, die für immer da ist, die aber gleichzeitig auch schön ist und uns wachsen lässt.
Es geht in deinen neuen Songs auch um Themen wie Zeit oder Vergänglichkeit. Haben dich diese Themen – vielleicht auch während Corona – mehr beschäftigt?
Ja, natürlich beschäftigt man sich mit den Universums-Fragen, weil man in den Lockdowns so viel Zeit hatte. Ich flaniere sehr gerne herum, sauge alles Mögliche auf und beschäftige mich dann mit Themen wie Vergänglichkeit oder auch Liebe.
Ist in dieser Zeit auch dein Album entstanden?
Ja, ich habe insgesamt etwa ein Jahr daran gearbeitet. Seitdem habe ich auch die Arbeitsmethode, mich einmal in der Woche in das dunkle Studio zu setzen und nie damit aufgehört. Dann bin ich von Montag auf Dienstag 24 Stunden lang dort und mache die ganze Zeit nur Musik. Wenn es montags gut funktioniert hat, habe ich auch schon versucht, an den anderen Tagen ins Studio zu gehen, aber dann war ich leer und habe schon alles heraus gepfeffert. Deshalb mache ich mich da gar nicht verrückt, sondern gehe bewusst nur einmal. Den Rest der Woche live ich einfach ein normales Life: ich laufe herum, treffe Freunde oder mache irgendetwas anderes und sammle dabei die ganzen Erlebnisse. Ich musste mir bis jetzt auch bei jedem meiner Projekte oder den Orsons Alben zuerst eine andere Art suchen, um kreativ sein zu können. Einmal konnte ich nur schreiben, wenn ich durch den Wald spazieren ging. Aber das ist auch das Schöne an dem Beruf. Ich liebe, dass es immer lebendig bleibt und nicht langweilig wird, weil sich immer wieder eine neue Art findet, wie man zu seiner Kreativität kommt.
Also kommt ein ‚jeden Tag im Studio‘-Leben für dich nicht in Frage?
Im Moment nicht. Vielleicht kann das eine nächste Arbeitsweise werden, aber momentan brauche ich die Balance. Die Sachen finden woanders als nur im Studio statt. Du musst alles einholen und es dann im Studio rauslassen.
Hat sich zusammen mit dem Prozess in den letzten Jahren auch dein Stil verändert?
Ja. Dadurch, dass ich immer vor dem Mikrofon herum probiert und gesungen habe, bekam ich ein ganz anderes Gefühl und Bewusstsein für meine Stimme. Ich glaube, dass sich eine Art Wortwahl herausgebildet hat, die wie eine Stilrichtung sein könnte und an der man einen Bartek-Song erkennt. Aber natürlich ist es auch erstmal ein bisschen weg von Rap. Wobei ich jetzt auch schon wieder voll Bock habe, Rap-Sachen zu machen. Das wird bestimmt auch wieder kommen.
Deine Solo-Veröffentlichungen waren bis jetzt ja nur EPs – meist mit Rap-Tracks.
Ja, darum muss ich jetzt erstmal gucken, ob es überhaupt Hörer anspricht. Ich habe ja noch nie ein Solo-Album gemacht, aber es musste und wollte aus mir heraus. Dieser ganze Prozess, von der Entscheidungsfindung bis zu den Produzenten, die mir geholfen haben, hat auch einfach voll Spaß gemacht. Das ist wunderschön und öffnet ganz viele Perspektiven. Deshalb habe ich jetzt Blut geleckt und freu mich auf die nächsten Projekte, bei denen ich schon mittendrin bin.
Also kannst du dir vorstellen, auch demnächst mehr Solo-Bartek zu machen?
Unbedingt! Ich habe die ganze Zeit schon wieder so viel Musik gemacht. Das ist das Schönste und das wünsche ich jedem, dass er viel Musik macht (lacht).
Auf deinem Cover sind neben dir Katzen zu sehen, ein Song deines Albums heißt „Kätzle” und dein einziger Feature-Gast ist die Sängerin Mieze Katz – Absicht oder Zufall?
Das ist tatsächlich Zufall. Natürlich schwingt ein bisschen Schrödingers Katze mit, deshalb sieht man auch Katzen auf dem Cover, aber viel durchdachter war es dann nicht. Aber stimmt, es ist sehr Katzen-lastig. Diese ganzen Koinzidenzen sehe ich jetzt auch. Das passt eigentlich gut zu dem Knäul – wie ein Wollknäul, weil ich auf dem Cover auch zusammengerollt bin und die Katzen damit spielen. Also irgendwie macht es Sinn.
Was möchtest du denn mit deinem Album vermitteln?
Lebensbejahung, Melancholie, aber auch Freude und ein Okay mit sich sein. Ich würde jedem ans Herz legen zu lernen, mit euch allein sein zu können – falls ihr es nicht schon könnt. Viele können nicht einmal eine Stunde allein sein, aber mit sich selbst cool zu sein, ist ein sehr wichtiges Gut. Das wäre mein Tipp, weil es mir geholfen hat. Aber wer bin ich, Ratschläge zu geben.
Ist das Alleinsein etwas, das du schon immer konntest?
Das konnte ich eigentlich schon immer. Ich habe nur gelernt, es nochmal richtig als Tool für mich zu nutzen, weil ich es immer wieder als Ausgleich brauche. Wenn ich unter Freunden bin, muss ich auch einen Rückzugsort haben, um kurz wieder die Batterien aufladen zu können. Ich empfehle auch jedem, ein Notizbuch und alle Gedanken wie in einer Art Tagebuch niederzuschreiben, damit es erstmal aus dem Kopf heraus geht und man wieder Energie hat, um whatever zu machen.
Team analoge Notizen oder Notiz-App auf dem Handy?
Sowohl als auch. Ich arbeite mit beidem, aber ein kleines Büchlein, das zusammen mit einem Kugelschreiber in die Hosentasche passt, ist einfach wunderschön. Man sollte seine Handschrift auch nicht verlernen, weil es nochmal etwas anderes ist, wenn du deine eigene Schrift siehst. Und wenn dann zum Beispiel irgendjemand etwas in der Bahn sagt, schreibe ich es auf.
Dann kommen deine Inspirationen also oft von außen?
Ja klar. Meine dritte Single „Blues” habe ich quasi aus einem kompletten Urlaub, den ich mit Freuden hatte, zusammengefasst. Der Song „Boxauto“ ist auch eine Art Alleinsein im Urlaub. Meine Einflüsse habe ich also immer von allem Möglichen: Filme, Bücher, einfach alles.
Dürfen wir uns in Zukunft auf eine Tour freuen?
Ich weiß noch nicht, wie das nächste Jahr aussieht. Momentan sind ja alle Booker und Veranstalter drauf und dran, alles Mögliche zu planen. Mit einer Tour müssen wir aber wirklich erst im nächsten Jahr gucken, für dieses Jahr ist es auf jeden Fall zu. Wir mussten jetzt auch die Orsons Tour absagen, die im Dezember geplant war. Deshalb macht es vorne und hinten erstmal keinen Sinn. Ich glaube und hoffe aber, dass bei den Festivals nächstes Jahr ein bisschen was gehen wird.
Fehlen dir denn die Live-Auftritte?
Eine Zeit lang hat es mir voll gefehlt. Ich muss aber leider sagen, dass dieses Live-Gen durch die ganzen Lockdown-Monate in mir ein bisschen abgestorben ist (lacht). Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass dieser Muskel nicht mehr trainiert wurde. Ich will einfach Musik machen und muss nicht unbedingt nach vorne, aber vielleicht ist das auch nur eine Phase. Bestimmt wäre es nach zwei Auftritten mit den Orsons wieder das allerschönste und ich würde sagen, dass wir auf Tour müssen. Es ist auf jeden Fall eine spannende Zeit und interessant, was das mit Künstlern macht. Deshalb bin ich gespannt, was das nächste Jahr bringt.