Der Beat-Veteran DJ Vadim tourt ohne Pause, veröffentlicht Alben solo und in Kollabos im Jahrestakt und wird deshalb zu Recht “the busiest man in HipHop“ genannt. Zur Veröffentlichung seines neuen Albums “Don’t Be Scared“ (BBE Records, bereits erschienen) besuchte er nun Berlin, bevor die nächste ausgedehnte Clubtour losging. Das neue Album trägt Vadims unverwechselbare Handschrift und bringt seinen souligen, samplelastigen Sound mit neuen Stilen wie Dubstep, UK Bass und tropischen Beats zusammen. Wir sprachen mit ihm über das Produzieren, Technologien, Einflüsse und Pläne für die Zukunft. Außerdem spendierte er uns noch einen exklusiven Song, den es nirgendwo anders zu hören gibt.
DJ Vadim – Diamonds 2012 (rap.de-Exclusive) by rap.de-Redaktion
rap.de: Erst das Kooperationsproject The Electric, jetzt das sechste Soloalbum, ständige Touren – wie findest Du noch Zeit, um deine kreative Energie auszuleben?
DJ Vadim: Ehrlich gesagt finde ich, dass ich nicht genug Zeit habe um alles umzusetzen, was mir im Kopf rumschwirrt. Ich habe so viele Ideen, ich fühle mich jetzt gerade so kreativ, gleichzeitig habe ich noch so viele Songs, die ich noch fertigstellen will. Dauernd kommen mir neue Einfälle, aber ich habe einfach nicht die Zeit, um alle umzusetzen. Ich glaube, dass liegt zum Teil daran, dass ich einfach so viel reise. Andererseits treffe ich dadurch auch viele neue Leute und bleibe dadurch auf dem Laufenden.
rap.de: Wie informierst Du dich über neue Musik? Liest Du viele Musikblogs?
DJ Vadim: Einfach dadurch, dass ich andauernd Menschen kennenlerne, habe ich viel Zugang. Journalisten, aber auch Freunde fragen mich nach bestimmten Bands oder schicken mir Tracks. Über manches stolpert man auch einfach im Plattenladen oder im Netz, manchmal finde ich Zeug, von dem ich noch nie gehört habe. In London war ich letztens auf dem iTunes Festival, da spielen neue DJs und Bands. Da waren einige dabei, da hat das ganze Publikum abgefeiert und ich hatte von denen noch nie vorher gehört. Ich stehe dann da und denke mir: Wie konntest Du das verpassen? Andererseits ist heute so viel verfügbar, dass man einfach nicht alles kennen kann.
rap.de: Wie wichtig ist es dir, mit der Szene in Kontakt zu bleiben?
DJ Vadim: Ich lege großen Wert darauf, auf dem Laufenden zu bleiben. Das war schon immer so, ich komme ja vom klassischen HipHop und in den 90er Jahren habe ich jedes wichtige Konzert in London gesehen. Ich habe Biggie Smalls gesehen, 2Pac, Wu-Tang, alle. Und wenn jetzt Leute ankommen und sagen, dass die 90er besser gewesen wären und man wieder dahin zurück muss vom Sound her, dann habe ich zu dieser Einstellung eine Hassliebe. Weißt Du, ich war ja damals wirklich dabei, ich habe das alles gehört und gesehen. Und ich will nicht zurück, weil ich das alles schon erlebt habe. Man kann vielleicht einzelne Elemente aus der damaligen Zeit heute wieder aufnehmen oder in den Sound einbauen, aber ich will mich nicht zurückentwickeln. Ich will vorwärts gehen, ich muss mich weiterentwickeln. Das ist ungefähr so, als ob du auf einem Piratenschiff bist und du läufst über die Planke und hinter dir ist einer, der dir das Schwert in den Rücken presst: Wenn Du nicht weiter gehst, dann bringt dich das um. Dann musst du dich eben trauen, in das Wasser zu springen, das voller Haie ist. Ich kann nicht zurück. Und alle Produzenten, die sagen, dass die 90er besser waren, sitzen heute eben auch nur auf ihren Ärschen und beschweren sich. Die haben einen Vollzeitjob und kriegen sonst gar nichts hin – man muss sich eben weiterentwickeln und bestimmte Dinge einfach hinter sich lassen.
rap.de: Wenn man sich dein neues Album anhört, dann hat man auch den Eindruck, dass du viele neue Entwicklungen aufgreifst. Songs wie „Lemon Haze“ und „Bally Umar“ erinnern mit ihren vielen flächigen Samplelayern, klaren Höhen und drückenden Bässen an neue Produktion von jungen Produzenten, die auf einmal langsame, verträumte Beats mit harten Beat-Pattern aus der Roland 808 kombinieren, sie choppen und runterpitchen. Was hältst Du von der Future Bass Szene?
DJ Vadim: Ich bin wirklich begeistert von der Szene, ich stehe auf die ganze Bass Music und fühle mich ihr sehr nahe. Ich erinnere mich genau daran, wie ich mich 1999 mit Blu Rum 13 unterhalten habe, mit dem ich gemeinsam mit Yarah Bravo dann das Projekt One Self gemacht habe. Wir saßen zusammen und er meinte zu mir: „Vad, deiner Musik fehlt es an Bass.“ Ich habe sein Statement sehr ernst genommen und seitdem immer wieder darüber nachgedacht. Es hat bei allem, was ich seitdem gemacht habe, eine wichtige Rolle gespielt. Es geht nicht um exzessiven Bass, natürlich sind auch Melodien, Harmonien, Vocals wichtig. Auf meinem neuen Album habe ich deshalb ein paar neue Methoden ausprobiert, die ich so zuvor nie verwendet habe. Für die Tracks „Lemon Haze“, „Lost my Love“ und „Take my Time“ habe ich zum Beispiel die Baselines nur mit Roland 808 drum-machines gemacht. Wenn man mit 808s produziert, fühlt sich die Musik einfach etwas anders an – für mich hat es sich richtig angefühlt. Wenn Andere zurzeit ähnlich produzieren, spiegelt das für mich nur wider, dass jede Zeit und ihre technologischen Möglichkeiten auch die Musik prägen.
rap.de: Die neuen Technologien und die ständige Verfügbarkeit von Musik haben ja auch dazu geführt, dass Hörer heutzutage sehr schnell überzeugt werden müssen, damit sie nicht direkt zum nächsten Track weiter skippen. Andererseits haben Künstler wie The XX, James Blake oder Alt-J mit ihrer langsamen, reduzierten Musik Erfolg. Wie erklärst du dir dieses Phänomen?
DJ Vadim: Ich glaube, dass es zurzeit eine starke Gegenbewegung zu dem glatten Pop-Sound aus dem Radio gibt. Heute klingt vieles, was im Radio gespielt wird, sehr ähnlich – man muss die Leute eben heute sehr schnell erwischen und nach 15 Sekunden kommt dann schon immer ein Chorus rein. James Blake dagegen ist einfach sehr anders. Ich glaube, es gibt ein Potential für diese Art von subtiler Melancholie. Andererseits erinnert mich das manchmal an die Zeit, als wir auch langsamere Sounds hatten, in der Mitte der 90er. Viele sind heute zum Beispiel begeistert von der ganzen L.A.-Beat Szene. Klar gibt es da tolle Sachen, aber ich denke auch oft, hey, das haben Ninja Tunes und Mo‘ Wax schon vor fast 20 Jahren gemacht. Auch die neuen MCs wie Joey Badass oder A$AP Rocky erinnern mich stark an die 90er, sie bringen den Style nur für eine neue Generation. Genauso Tyler, the Creator: Alle sagen, dass er den unglaublichsten shit ever droppt – ich denke dann immer nur, ja, okay, aber wie unterscheidet er sich von ONYX? ONYX haben damals auch schon Skateboarding und Rap zusammengebracht, OFWGKTA ist deshalb nicht revolutionär, die sind nur jünger.
rap.de: Die neue Verfügbarkeit von Musik scheint aber auch dich zu beeinflussen – auf dem neuen Album kombinierst du eine Menge an verschiedenen Stilen, die aus allen Ecken der Welt kommen. Du hast ja auch schon vorher zum Beispiel mit Paco Mendoza ein Album aufgenommen, in dem die Beats oft Cumbia-Elemente aufgreifen. Was hältst du davon, dass diese sogenannte Global Bass Musik aufgekommen ist und immer neue Stile wie 3bal, Cumbia, Moombahton oder jetzt Juke und Trap gehypt werden?
DJ Vadim: Es ist einfach unglaublich, wie viele verschiedene Genres jetzt nebeneinander existieren und sich gegenseitig beeinflussen. Als ich in den 80ern aufgewachsen bin, hat man entweder HipHop, Punk oder New Romantic gehört und dann gab es vielleicht noch die Goth Kids. Heute hat man eine riesige Auswahl. Und andauernd werden neue Namen erfunden, jetzt ist es Trap, dann ist es Trill, letztens habe ich irgendwo J-House aufgeschnappt. Was zum Teufel ist J-House?
rap.de: Du hast für „Don’t be Scared“ in der ganzen Welt aufgenommen, von Neuseeland über Hawaii und die Karibik bis nach London, wo Du wohnst. Trotz des Stilmix kann man doch immer wieder den typischen UK-Sound auf dem Album heraushören. Wie wichtig waren die verschiedenen Orte für dich, als du am Album gearbeitet hast?
DJ Vadim: Für mich ist das Album eine Kombination aus UK Bass Music, was auch immer du darunter verstehen willst, und Tropical Tribal. So habe ich das Album aufgenommen, als eine Reise um die Welt, auf der ich Einflüsse gesammelt habe, die ich schließlich mit dem Sound von London zusammengeführt habe. UK Bass ist einfach aus der Mischung, die man in London findet, entstanden: wir haben eine riesige karibische Community, eine große Reggae-Szene und die Liebe für Bassmusik ist einfach in alle anderen Stile übergeschwappt. Damit bin ich aufgewachsen, ich liebe Reggae, und aus Reggae hat sich HipHop entwickelt, aus den Baselines des Reggaes haben sich die ganzen Dance Music Genres entwickelt, die wir heute haben. Mich hat das geprägt und heute nehme ich mir einfach Puzzleteile daraus, um meinen ganz eigenen Stil zu kreieren.
rap.de: Das hört man ja auch auf dem Album, auf dem du viele verschiedene Genres kombinierst. Wie bist du als Produzent vorgegangen? Nach welchen Kriterien hast du die Tracks ausgewählt?
DJ Vadim: Als Produzent mache ich einfach jeden Tag Musik. Nach einer Weile höre ich mir die Tracks nochmal an und denke darüber nach, welche Songs zusammenpassen könnten. Für mich ist das so, als ob ich mein Outfit für den Tag auswähle: Genauso wie ich darüber nachdenke, welches T-Shirt gut zu welcher Hose passt, welche Sneakers ich dazu tragen will und welche Jacke dazu passen könnte, wähle ich auch meine Tracks für ein Album aus. Manchmal muss man natürlich etwas experimentieren, denn ich will ja nicht immer wieder das Gleiche machen.
rap.de: Und wenn es darum geht, die einzelnen Songs zu produzieren, wie läuft das bei dir ab?
DJ Vadim: In den letzten ein, zwei Jahren, während ich am Album gearbeitet habe, habe ich mir immer wieder die Acappellas angehört. Ich mache ständig neue Beats und gucke einfach, wie sich die Beats entwickeln, aber die Vocals geben mir immer eine bestimmte Richtung, eine Stimmung vor. Der Track kann dann mehr in Richtung HipHop oder House oder Reggae gehen, aber die Richtung kommt von der Atmosphäre des Acappellas. Wenn du die einmal gefunden hast, ist es so, als ob du eine Suppe kochst: Du machst einfach immer weiter, nimmst hier mal was weg und fügst da noch etwas zu bis es sich dann richtig anfühlt. Also es fühlt sich dann für mich richtig an – und ich hoffe, auch für Andere.
rap.de: Das Album featured neue Stile, aber gleichzeitig schaffst du es, wieder deinen typischen warmen, analogen Sound hinzukriegen. Wenn man mit Künstlern spricht, die mit dir gearbeitet haben, erwähnen sie oft, wie viel altes analoges Equipment du zuhause hast. Jetzt habe ich gehört, dass du einiges davon verkaufen willst. Wie kam es dazu?
DJ Vadim: Ich habe einfach zu viel Kram über die Jahre angesammelt. Ich brauche einfach Platz, will einiges davon loswerden und auch ein paar neue Spielzeuge kaufen, um einen neuen Sound zu produzieren. Manchmal ist es einfach das Beste, neu zu starten und Ballast abzuwerfen.
rap.de: Welche Rolle spielt Equipment für deinen Sound?
DJ Vadim: Heutzutage gibt uns die Technologie so viele Möglichkeiten, man kann Sachen machen, von denen man vor 15 Jahren noch nicht einmal geträumt hat. Ich habe mich letztens mit DJ Food unterhalten. Er meinte, dass er heute eher heraushört, welches Equipment und welche Programme für Produktionen verwendet wurden als dass er noch die Handschrift der einzelnen Produzenten erkennt. Da ist auf jeden Fall was dran – wenn man heute Radio hört oder auch Underground-Zeug, dann kann man hören, wer in Ableton Knöpfe dreht und wer eher mit drum-machines arbeitet. Man kann einen Musikstil anhand der Produktionsmethoden und identifizieren, diese definieren das Genre. Das Equipment bestimmt dich auf eine gewisse Art und Weise, selbst wenn du es nicht bemerkst, drückt es deiner Musik definitiv einen Stempel auf. Aber ich will aus diesen Grenzen ausbrechen, ich will mich und meinen Sound nicht davon bestimmen lassen, ob ich jetzt Ableton oder Cubase oder MPCs benutze, ich will darüber stehen. Ich will alles verwenden und zwar genau das Equipment, auf das Andere nie kommen.
rap.de: Was kommt als nächstes?
DJ Vadim: Ich habe das nächste Album sogar schon fertig, ich habe es gerade erst vor zwei Wochen abgemischt. Es ist ein Album mit Gregory Blackman, der auch auf „Don’t Be Scared“ gefeatured ist. Dazu arbeite ich gerade an einem weiteren Album, es wird wohl auf Remixe und Neuinterpretationen von altem Material hinauslaufen. Ich habe mich an vier Songs aus dem „Soundcatcher“-Album nochmal herangewagt und überarbeite gerade noch anderes Material. Mir macht es einfach Spaß, mit älteren Songs zu experimentier, so dass sie sich in andere Richtungen entwickeln können, ein anderes Feeling rüberbringen. Ich lasse traurige Lieder fröhlich klingen, beschleunige manche oder mache sie langsamer, ich spiele einfach mit dem Sound.
rap.de: Zum Abschluss: Dein neues Album heißt “Don’t Be Scared“. Wie schaffst Du es, keine Angst zu haben?
DJ Vadim: Ganz ehrlich – ich glaube, wir haben alle Angst, das gehört einfach zum Leben dazu. Der Grund dafür, dass ich diesen Titel gewählt habe und auch das Coverfoto, auf dem ich mich selbst erschieße, liegt einfach darin, dass ich glaube, dass wir uns alle immer wieder überwinden und neu erfinden müssen. Als Kind hat man keine Depressionen, keine Selbstmordgedanken, Kinder sind nicht negativ oder rassistisch, sie wollen einfach dauernd neue Sachen ausprobieren. Als Erwachsene lassen wir uns zu oft von dem, was wir gelernt haben, einschränken. Einiges davon ist sicher nützlich – man fasst nicht mehr auf die Herdplatte, weil man weiß, dass sie heiß ist. Aber oft setzen wir uns Grenzen: Dauernd hören wir “Ich will das nicht tun, das ist mir zu riskant“ oder „Da können wir nicht hin, dass ist zu gefährlich“. Wenn du den Fernseher anmachst, hörst du nur Al-Quaida dies und Vogelgrippe das, Wirtschaftskrise, Kriminalität, böse Immigranten – so viel negative Scheiße wird uns jeden Tag eingeflößt. Man kann kaum glauben, dass sich überhaupt noch irgendwer traut irgendetwas zu machen. Uns wird gesagt, dass wir in der tiefsten Scheiße ever stecken – und das zieht die Leute runter. Für mich steht das Album für den Versuch, aus dieser ganzen Negativität auszubrechen. Manchmal musst du die negativen Gedanken und die Angst in dir besiegen – du musst dein Gehirn re-booten, damit du wieder frei sein kannst. Darum geht es in dem Album, auch auf einer sozialen und einer politischen Ebene: Dass wir die Veränderung nutzen, dass wir keine Angst vor ihr haben, sondern herausfinden, wie wir leben wollen.