Review: JaILL – Mehr Hungrig Als Satt

Auch wenn er kein unbeschriebenes Blatt mehr ist, bahnt sich JaILL in letzter Zeit immer mehr seinen Weg in den Deutschrap Kosmos und verschafft sich dabei gleichermaßen Respekt wie Gehör. Gerade veröffentlichte er sein zweites Album „Mehr Hungrig Als Satt”, das die legitime Nachfolge zu seinem Debütalbum „GossenEloquenz” darstellt. Auf 15 Tracks erzählt es aus dem Leben eines Hamburger Straßenjungen. Der Vibe ist erfrischend, dreckig und echt, und im Vergleich zu „GossenEloquenz” macht JaILL hiermit einen ganz klaren Schritt nach vorne.

Hamburger Sound

Was bereits auf „GossenEloquenz zu hören war, kristallisiert sich nun noch deutlicher heraus. JaILL verkörpert den Sound des hohen Nordens und lebt die Stadt Hamburg mit jeder Zelle seines Körpers. Es ist ein Phänomen, dass sich im Deutschrap in den jeweiligen Rap-Metropolen eigene Stile entwickeln. Man spricht inzwischen vom Berliner, Frankfurter oder Hamburger Sound und jeder weiß genau, was damit gemeint ist – ganz im Stile von East und West Coast. Hamburg ist in den letzten Jahren zum Hotspot für authentischen, deutschen Gangsterrap geworden. Die 187 Straßenbande ist mit diesem Hype unumgänglich verknüpft ist.

Es ist unschwer zu erkennen, dass sich der Sound von JaILL stark an Hamburger Größen wie 187 oder Steuerfrei Money orientiert, allerdings ohne, wie ein billiger Abklatsch zu klingen. Sein Sound ist mehr ein Beweis dafür, dass die Gegend, die einen umgibt, maßgeblichen Einfluss auf den künstlerischen Output hat. Ein weiterer Beleg für den traditionellen Hamburger Sound auf der zweiten LP des Rappers ist die Zusammenarbeit mit Producer-Legende Jambeatz. Man sollte auch nicht außer Acht lassen, dass bei JaILLs Label Hamburg Crhyme einst ein gewisser Bonez MC gesignt war. Bereits das Cover von „Mehr Hungrig Als Satt erweckt alte „High & HungrigVibes, musikalisch liegen dazwischen doch erhebliche Unterschiede.

Zwar sind die Texte von JaILL geprägt von den Geschichten der Straßen von St. Pauli und Co, doch das Maß an Eskapismus hält sich bei ihm deutlich in Grenzen. JaILL liefert eine reflektierte Studie seines Lebens und Umfelds und nutzt die Musik als Ventil für den Struggle und die daraus resultierenden Probleme – Drogen, Knast und Gewalt. Nichtsdestotrotz behandelt der Hamburger in seinen Texten durchaus auch positive Facetten, wie die Liebe zu seinem Hund und natürlich Hamburger Lokalpatriotismus.

JaILLs Rapstil ist an manchen Stellen noch ausbaufähig. Das Wording sitzt einige Male noch nicht ganz perfekt, dennoch sind seine Skills und die Reimtechniken bereits auf einem hohen Niveau. Vor allem Aussprache und Betonung, die er im Vergleich zu „GossenEloquenz noch weiter verfeinert hat, sind seine große Stärke. Seine echte, unüberhebliche Attitude macht ihn extrem sympathisch und sorgt dafür, dass man ihm gerne zuhört. Diese authentische Aura gibt ihm auch ein gewisses Standing in Hamburg, denn der 25-Jährige ist mit nahezu jedem aus der hiesigen Szene connected.

Features

Der gesellige Umgang mit anderen Künstlern zeigt sich anhand der großen Anzahl an Features auf seinem Album. JaILL hat sich dafür entschieden, verhältnismäßig viele Leute mit auf seine LP zu packen. Gerade die Songs mit Estikay, Disarstar und Sinok bilden die vielen Facetten des Hamburger Rap ab. Estikay bringt Laidback-Kiffer-Flair im charmanten Stil. Mit Disarstar hat der Ex-Sträfling einen ernsteren, gesellschaftskritischen Song kreiert, während der Track mit Sinok die reine Straßenromantik thematisiert. Gemeinsam mit Alita liefern die drei mit „Schenk Ein eine Hymne für den Hamburger-Sommer.

Auch der Song „Here We Go mit Haze passt wie die Faust aufs Auge. Der Old-School-Beat wird von den beiden geradezu zersägt und das Duett aus Hamburg Chryme und Karlsruher Schule harmoniert hervorragend. Das Feature „Wer Ich Bin mit S.H.O.K ist ein ruhiges, und dennoch sehr wirkungsstarkes Outro. Es rundet das Album ab und schlägt den Bogen zum eher frechen und lauten Anfangstrack „Guck Ma.

Auf das Omik-K-Feature hätte er gut und gerne verzichten können. Der Track ist sehr generisch und sowohl Text wie Beat sind austauschbar. Man würde den Track wohl kaum vermissen, wenn er nicht auf dem Album gelandet wäre. Für den Song „Real Shit mit Beka gilt Ähnliches. Es fehlt der besondere Wiedererkennungswert, der ihn im Gedächtnis bleiben lässt.

Gerade die Features mit den lokalen Künstlern stechen hervor und verleihen dem Album Abwechslungsreichtum und Farbe. Der ein oder andere Gast weniger hätte dennoch nicht geschadet, denn zu viele Köche verderben bekanntlich manchmal den Brei. Eine balanciertere und vorsichtigere Auswahl hätte dem Album etwas mehr Tiefe im Bezug auf JaILL als Künstlerfigur verliehen. Die persönliche Note der LP würde dadurch noch mehr zur Geltung kommen, denn hier hat er ohnehin seine Stärken.

Kiffen, Knast und Köter

Die Delivery bewegt sich fernab der aktuellen Normen. JaILL verzichtet auf Autotune und Singsang-Hooks und hält sich an die altbewährten Straßenrap Tools. Das mag für manche Zuhörer etwas altbacken wirken, entgegen der großen Masse an Einheitsbrei, ist es aber eine willkommene Abwechslung.

Die Themen, die JaILL in seinem Album behandelt sind nicht sonderlich innovativ, aber dennoch gut vorgetragen. Es stört nicht, die gleichen Dinge zum 100. Mal zu hören, wenn sie handwerklich sauber und kreativ performt werden. Diesen Balanceakt meistert JaILL und vermittelt uns dadurch ein Porträt seiner Selbst. Er liebt seinen Hund, raucht gerne ein paar Knollen und ist geprägt von seiner Zeit im Knast. Gepaart mit einer Momentaufnahme des aktuellen Zeitgeists, nutzt er seine Texte um in einer grauen Welt die Farbakzente zu setzen und sich selbst zu therapieren. Es ist seine Kredibilität, die ihn so stark macht.

Immer wieder, dass ich check‘, immer wieder renn‘ ich weg
Vor mir selbst und meinen Gedanken
Schreibe Lieder im Affekt oder schieß‘ mich wieder weg
Wegen Bau, Stress, Geld oder Schlampen
Therapie mich in Tracks oder deal‘ ich wieder Packs?
Hab‘ die Welt, in der ich leb‘, nie verstanden
Fick‘ auf Lila oder Schecks, ich hab‘ Krisen im Gepäck
Und das Schiff, auf dem ich leb‘, ist am wanken”

Die Hook von „Immer Wieder zeigt, wie deutlich er die genannten Inhalte miteinander verwebt. Wir leben in einer verrückten Zeit – die Kunst ist es, positiv zu bleiben und sein Ding durchzuziehen, all den Witterungen zum Trotz, die das Leben für uns bereit hält.

„Mehr Hungrig Als Satt ist stellenweise angenehm unbekümmert, wird dann aber an den richtigen Stellen deep und entschleunigt. Es versucht nicht mehr zu sein, als das, was es ist. Das spiegelt noch einmal wieder, wie sehr sich JaILL bereits jetzt seiner eigenen Musik bewusst ist. Die LP weist keine gravierenden Schwächen auf und mit etwas Feinschliff stehen dem Hamburger viele Türen offen. Durch welche er dann geht, bleibt abzuwarten. Seine große Stärke ist sein Charisma, das aus seiner ehrlichen Art heraus entsteht. JaILL ist mehr als nur ein weiterer beliebiger Copy-Paste Rapper. Wer etwas für realen Straßenrap aus Hamburg übrig hat, sollte diesen jungen Mann genaustens im Auge behalten. Es wird interessant zu sehen, in welche Richtung sich diese Karriere noch entwickelt.