2013 ging ein Beben durch Deutschrap. SSIOs Debütalbum „BB.U.M.SS.N“ erschien und dürfte aus heutiger Sicht wohl das Konsensalbum des Jahrzehnts sein. Der unverbrauchte, gewitzte Humor und der markante, sympathische Charakter des SSIO, der druckvoll und technisch extrem versiert auf den druckvollen Golden-Era-Sound von Reaf freidrehte, waren so noch nie dagewesen.
SSIOs Feldzug von der Straße bis in die Hörsäle war unaufhaltsam. Der 2016er Nachfolger „Nullkommaneun“ konnte zwar qualitativ anknüpfen, der Überraschungseffekt, den das Debüt seinerzeit hatte, blieb aber aus und so verhallte das eigentlich sehr gute Nachfolgeralbum eher unspektakulär. Zu ähnlich waren die Beats und die gesamte Aufmachung, zu wenig Neues gab es zu sehen und zu hören.
Die logische Konsequenz
„Messios“ ist nun die logische Konsequenz, aber auch ein kleines Dilemma. SSIO verschloss sich immer konsequent dem Zeitgeist und wollte die Gegenthese zu allem darstellen, was sonst in den Deutschrapcharts hoch und runter lief. Aktuelle Soundtrends schienen also nicht in Frage zu kommen, der Klassikersound auch nicht und sich einfach retrospektiv bei längst verstaubten Trends zu bedienen, wie Shindy es zurzeit erfolgreich tut, kam offenbar auch nicht in Frage.
Die Lösung ist ein wuchtiger Sound, der besonders was Drums angeht an klassischen Boombap-Sound angelehnt ist, aber deutlich synthetischer, basslastiger und treibender klingt als es bei den Vorgängern der Fall war. Zwar hat Reaf besonders gegen Ende auch konventionellere und ruhigere Momente eingebaut, das prägende Bild ist aber klar von diesem durchaus fordernden Sound geprägt, der SSIOs druckvollen Flow aber hervorragend zur Geltung bringt. Auch wenn die leitende Melodie – etwa auf „Zizzis“ oder „Huli“ – zuweilen doch etwas arg stur gehalten wurde.
Das ändert aber nichts daran, dass es SSIO und Reaf auf „Messios“ gelungen ist, einen neuen Trademark-Sound zu kreieren, der ausgetretene Pfade verlässt und dem Bonner hörbar auf den Leib geschneidert wurde.
Weniger innovativ geht es an der inhaltlichen Front zu. Da bewegt SSIO sich nämlich noch immer in denselben Sphären wie schon vor über fünf Jahren. Das kann man finden wie man will. Einerseits ist es durchaus erfrischend, sich diesem Trommelfeuer von lustigen Punchlines hinzugeben, die meistens aus absurden Ticker-Flexes, Seitenhieben gegen die zeitgenössische Rap-Peripherie und sexistischen Männerfantasien bestehen. Andererseits ist eben insbesondere Letzteres absolut nicht mehr zeitgemäß.
„Schwul“ als Schimpfwort
Klar, der Charakter des SSIO ist derselbe geblieben, was in seinen besten Momenten zu absolut großartigen Lines und Reimen führt. In seinen weniger glanzvollen Passagen führt es aber eben zu Zeilen, in denen „schwul“ als Schimpfwort benutzt wird und Frauen aufs heftigste objektifiziert werden. „Messios“ hätte sicherlich auch hervorragend funktioniert, wenn SSIO seine pubertären Eskapaden auf weniger menschenverachtende Ebenen übertragen hätte. Das heißt nicht, dass SSIO konkrete Statements von sich gibt, die auf eine tatsächliche Überzeugung schließen lassen würden. Doch trotzdem ist manches Ende 2019 indiskutabel unangemessen.
Nichtsdestotrotz: Wenn der Bulle mit Bart wie Leonidas sich als Tobias vorstellt, Kunden SSIO wegen seiner Unpünktlichkeit die Ohren vollnörgeln oder endlich ein ganzer Song in der ikonischen Bi-Sprache vorgetragen wird, fällt einem schnell wieder ein, warum man SSIO-Fan ist. Denn an sich macht SSIO mit „Messios“ alles richtig: Die Beats ballern mit jeder Menge Wiedererkennungswert aus den Boxen, der Humor ist abgedreht und meistens on point. Außerdem rappt SSIO aus technischer Sicht absolut überragend und stilsicher. Über inhaltliche Eskapaden muss man deshalb zwar nicht hinwegsehen, schmälern tut es die schier grandiose Qualität des Albums in seinen anderen Aspekten aber auch nicht.