Spätsommer 2017. Rapdeutschland wartet gespannt auf das Debütalbum „Eros“ von RIN, dessen Hype sich gerade auf dem Höhepunkt befindet. Das kann den hohen Erwartungen leider nicht gerecht werden, empört stattdessen mit frauenverachtenden Zeilen, die nicht hätten sein müssen. Einen Klassiker hatte man sich erhofft, kein halbgares Mixtape voller Lückenfüller, wie sich „Eros“ anfühlte. Auch das darauffolgende tatsächliche Mixtape „Planet Megatron“ konnte nicht das liefern, was man sich seit 2015 von RIN erwartet hatte.
„Nimmerland“ ändert diesen Umstand endlich. RINs zweites Album ist das, was schon „Eros“ 2017 hätte sein sollen. Naja, lieber spät als nie. Zwar liefert auch „Nimmerland“ keine besonders tiefschürfenden Texte und Inhalte, spielt aber ansonsten jedes von RINs Talenten effektvoll aus, hat einen roten Faden und dermaßen spannende und durchdachte Produktionen, dass selbst die uninspirierten Lyrics der Vorgänger hier nicht so schwer ins Gewicht fallen würden.
Doch auch an dieser Front hat sich bei RIN einiges getan. Denn auch wenn die Cobain-Referenz „Wir hör’n ‚Rape me‘ / Rape me durch die Nacht“ eine offensichtliche Provokation in Richtung der Kritiker ist, wegen denen der Skandalsong „Arrêté“ von YouTube und sämtlichen Streamingdiensten verbannt wurde – festnageln kann man ihn darauf nicht. Bis auf den merkwürdigen Song „Keine Liebe“ mit Bausa, dessen Inhalt ich ehrlich gesagt nicht so richtig zu deuten vermag, kommt „Nimmerland“ inhaltlich ansonsten recht handzahm daher.
RIN hat allerdings hörbar an seinen Texten gefeilt. Wo bei „Eros“ noch skizzenhafte Ansammlungen von Lines und Hooks waren, sind heute zusammenhängende Songs. Zwar thematisiert RIN noch immer keine wirklich tiefgehenden Themen, sein Songwriting hat sich aber spürbar verbessert und an Stringenz gewonnen. Jeder Song folgt einem Thema oder einem anderweitig sinnvollen roten Faden, was nicht nur die einzeln Songs deutlich spannender gestaltet, sondern auch dem Albumcharakter zugute kommt, der sich erstmals auf einem RIN-Release deutlich abzeichnet.
Das liegt auch an den Produktionen, die ein wahnsinnig dicht zusammenhängendes Gesamtbild ergeben. Wo die Einflüsse des Produzententeams rund um RIN selbst und den federführenden Minhtendo liegen, wird schnell offensichtlich und auch nicht zum Geheimnis gemacht: Unverhohlen droppt RIN Namen wie Travis Scott und Drake, verkündet direkt zu Beginn sogar, nach Amerika zu wollen.
Doch nicht nur Rapper namedroppt RIN. „Nimmerland“ ist eine große Hommage an die popkulturellen Einflüsse des Kleinstädters. Von Lagerfeld bis Bam Margera zeichnet RIN immer wieder ein klares Bild seines eigenen Nimmerlandes, das dem Charakter des rothaarigen Rappers trotz fehlenden Tiefgangs eine gewisse Mehrdimensionalität und Greifbarkeit einhaucht. Diese Einflüsse schlagen auch gerne mal eine Brücke zwischen Lyrics und Beats, die meistens so dermaßen kreativ und edel produziert sind, dass auch ein Travis sicherlich gerne mal den Beatpool beäugt hätte, aus dem „Nimmerland“ schöpft. Jeder Beat wird von einer Idee, einem Element, getragen, das ihm Leben einhaucht und von jedem der anderen Instrumentale abhebt, ohne aus der Stringenz des Soundbildes auszubrechen oder seine Wurzeln zu verhehlen.
„Nimmerland“ ist das Album geworden, das RIN bisher nicht gelungen ist. Der Grund fürs plötzliche Gelingen liegt nicht unbedingt darin, dass RIN seine Schwächen und Probleme vollends ausgemerzt hätte – in Sachen Songwriting hat er lediglich einen Weg gefunden, diese charmant zu umfahren. Stattdessen wurden die bereits vorhandenen Stärken weiter ausgefeilt und verfeinert. RINs Gespür für Melodien, der bewusste Umgang mit seiner angenehmen Stimme und die hochwertigen, eingängigen Produktionen machen „Nimmerland“ zu einem Album voller Hits, das keine hörbaren Füller oder anderen Ballast mit sich rumschleppt und zeigt, dass der Bietigheimer Rapper sein Potential doch noch nicht ausgeschöpft hat.
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