Die Klickkauf-Reportage ist ein Haufen Bullshit (Skinnys Abrechnung #37)

Oh Mann. Eigentlich hatte ich gehofft, dass das Thema schnell wieder vom Tisch ist. War es aber nicht. Statt dass die Allgemeinheit nach zwei Tagen wieder vergisst, was angeblich abgeht (Shoutouts an die Causa Gzuz), wird immer noch ununterbrochen über die Klickkauf-Reportage „Der Rap Hack: Kauf Dich in die Charts! Wie Klickzahlen manipuliert werden“ vom Y-Kollektiv geredet. Der Reporter tingelt sogar herum und gibt Interviews zu seinem vermeintlich großen Wurf. Dabei ist das komplette Projekt leider ziemlicher Müll. Aber keiner außer Xatar, der in erster Linie seine Künstler beschützen und dementsprechend finanzielle Interessen wahren will, spricht es an. Also spiele ich mal wieder den Buhmann: Die Klickkauf-Doku ist ein Haufen Bullshit.

[Edit: Auch Aria Nejati von HipHop.de hatte via Twitter Stellung bezogen]

Y-Kollektiv-Reporter Ilhan Coşkun ist eigentlich Kameramann. Für seine Reportage wähnt er sich aber etwas ganz Großem auf der Spur und springt vor die Linse. Der gute Ilhan ist ein sympathischer Typ und das Thema anzugehen ist nicht verkehrt – dass im Deutschrap Klicks gekauft werden, ist schließlich kein besonders gut gehütetes Geheimnis. Doch die konkreten Beweise fehlen. Das tun sie allerdings auch nach dem 22-minütigen Gestochere im Nichts.

Experiment krachend gescheitert

Der von Kopf bis Fuß vermummte Klick-Botter, der sich selbst Kai nennt und in seiner Montur aussieht wie die Hacker-Darstellung eines Stockfotos oder der Bösewicht in einem Anti-Raubkopierer-Werbespot, verspricht, Ilhans Dummy-Song im Handumdrehen in die Charts zu bringen. Gesagt, getan – unter dem Alter Ego Error281 recordet der frischgebackene Journalistenrapper den schmissigen Song „8k“ als Testballon.

Keine Ahnung, wofür die 281 stehen soll, ironischerweise behandelt entsprechender Paragraph im BGB allerdings Schadensersatz wegen nicht erbrachter Leistung – und genau das ist der Fall. Kai bringt Error nämlich nicht in die Charts. Nicht mal Platz 99 ist drin – diesen doch nicht ganz unwesentlichen Umstand verschweigt die Reportage aber komplett. Mit keiner Silbe erwähnt man, dass das Experiment gescheitert ist.

Kein Grundwissen, keine Branchenkenntnis

Dabei wollte Kai, der offenbar bloß eine Luftpumpe mit großem Mundwerk ist, das doch „genau auf den Tag ausrechnen“. Keine Ahnung, was genau das heißt oder was „Salz und Pfeffer“ sind, die Kai dazugeben will. Erfährt man auch nicht. Dafür stellt sich heraus, dass Ilhan Coşkun leider keinerlei Grundwissen oder Branchenkenntnisse zu besitzen scheint.

Das wird spätestens dann offensichtlich, wenn er Sero el Mero als „bisher unbekannten Künstler“ deklariert, der „auf magische Weise“ sehr erfolgreich werden solle – was er zum Release von „Ohne Sinn“ längst war. Die für ihn absolut durchschnittlichen Klickzahlen fährt er natürlich auch mit dem neuen Video ein, das Ilhan skeptisch beäugt.

„Zwei Minuten nach Veröffentlichung: Das Video hat komischerweise erst 89 Aufrufe, aber 3299 Daumen hoch und 435 Kommentare“ stellt er scharfsinnig fest. Eine vermeintliche Unregelmäßigkeit, die jedoch jedem, der YouTube regelmäßig nutzt nicht fremd sein sollte. Schließlich werden die angezeigten Klickzahlen nicht in Echtzeit aktualisiert, wie selbst zehnjährige Dagi-Bee-Fans wissen, sondern unregelmäßig auf den neusten Stand gebracht – im Gegensatz zu den Bewertungen und Kommentaren. Die stehen in Sero el Meros Fall übrigens stets in einer absolut unverdächtigen Relation zueinander.

Der Klickrekord, den es nie gab

Darauf achtet das geübte Auge nämlich eigentlich – Ilhan aber nicht. Dafür gibt Kai ihm den wertvollen Ratschlag mit, dass man bei über 70 Millionen Aufrufen in kürzester Zeit skeptisch werden sollte. Ein wirklich wertvoller Ratschlag – nur gibt es kaum Deutschrap-Videos bzw. generell deutschsprachige YouTube-Uploads, die diese Marke je geknackt hätten. Zumindest nicht in kurzer Zeit. Sero el Mero jedenfalls kann noch keinen solchen Erfolg verzeichnen. „Wie sollen denn in 14 Tagen 80% der Deutschen einen Song hören?“ fragt Kai provokant. Gar nicht, Kai. So einen Klickrekord gab es nie.

Auch Error281 wird keinen aufstellen. YouTube-Klicks zu generieren, gelingt Kai quasi gar nicht. Die Spotify-Streams, die im Laufe des Experiments erzielt wurden, sind zwar meilenweit weg von dem, was der Vermummte versprochen hatte, aber immerhin knackt man die 100.000.

Schmeiß das Geld lieber direkt in den Müll

Xatar erklärt in seinem Antwortvideo auf die Klickkauf-Reportage allerdings, dass die GfK, also das Institut, das die offiziellen Charts erhebt, Unregelmäßigkeiten in den offenbar überaus laienhaft gebotteten Streams festgestellt habe. Daher wurden nur 6.000 Aufrufe für die Charts gewertet. Auf unsere Nachfrage hin bestätigte die GfK diesen Vorgang. Sage und schreibe 6.000 chartrelevante Streams, also etwa so viel wie 30 verkaufte Singles, konnte Kai für „8k“ generieren. Und darüber hat man eine ganze Reportage gedreht. „Würde ich Geld auf den Tisch legen, würde er weitermachen“ erklärt Ilhan ehrfürchtig. Zum Glück tust du das nicht. Kannste auch direkt zum Fenster rauswerfen.

Dass Kai sich weigert, irgendeine seiner Aussagen mit Beweisen zu belegen, erklärt er damit, dass sonst klar würde, wer er ist. Das wäre geschäftsgefährdend beteuert er. Komischerweise fürchtet er nicht um seine Anonymität, als er großspurig seine Beweggründe für die Teilnahme an der Klickkauf-Reportage erklärt: Er sei nicht fair bezahlt worden, außerdem habe man ihm seine Freundin ausgespannt. Es müssen schon verdammt viele Rapper (oder Manager?) verdammt vielen Klickbottern die Freundinnen ausgespannt haben, wenn Kai meint, dass seine Identität dadurch nicht auffliegen würde.

Nix bewiesen, viel gefloppt

Die komplette Reportage liefert also keinen einzigen Beleg für irgendeine der aufgestellten Thesen. Kai labert viel, erfüllt aber keines seiner Versprechen. Der Dummy-Song floppt und die GfK bemerkt den stümperhaften Manipulationssversuch, aber all das erwähnt Ilhan Coşkun in seinem Fazit lieber nicht. Das bedeutet nicht, dass im Deutschrap keine Aufrufe gekauft werden – aber Kai hat damit sicher nichts zu tun, der Typ ist offensichtlich ein Trittbrettfahrer. Wie wir wissen, haben selbst ein paar schadenfrohe 15-jährige Scriptkiddies da schon deutlich mehr erreicht – die haben aus ihren Kinderzimmern heraus nämlich viele Millionen Videoplays auf Instagram generiert. Kai hat das nicht.

Die komplette Klickkauf-Reportage ist also nichts anderes, als jemand der behauptet, er könne aus dem Stand zehn Meter weit springen. Wenn man ihn aber auffordert, das Kunststück vorzuführen, legt er sich jedes Mal hart auf die Fresse. Andere Beweise hat er nicht. Wir tun aber einfach so, als wäre der zehn-Meter-Sprung seine leichteste Übung und drehen eine Reportage über diesen Ausnahme-Athleten, in der natürlich auch kein zehn-Meter-Sprung stattfindet. Krasse Sache.