Fler dreht durch: Gewalt, Kopfgelder & Sexismus dürfen nicht ohne Konsequenzen bleiben!

Dieser Artikel könnte in (m)einer gebrochenen Nase gipfeln, denn Fler hat offenbar völlig die Kontrolle über sein Verhalten verloren. Was ist passiert?

Der durchaus umstrittene Verein Terre des Femmes rief kürzlich die Kampagne #unhatewomen ins Leben, die auf verbale Gewalt gegen Frauen in Raptexten aufmerksam machen soll. Einer der Rapper, deren Zeilen dort kritisiert werden, ist Fler. Der zeigte sich allerdings denkbar uneinsichtig: Es begann damit, dass Fler eine Aktivistin, die ihn unter entsprechendem Bild verlinkt hatte, via Privatnachricht beleidigte, verhöhnte und bedrohte. In ihrer Hilflosigkeit wandte sich die Aktivistin nun an jemanden, der ihrer Not Gehör verschaffen sollte – dabei entschied sie sich allerdings nicht für die vermeintlich naheliegendste Lösung, nämlich ein Szenemedium, sondern für den Komiker Shahak Shapira. Dieser hatte bereits das Vergnügen mit Flers Gebaren, entschied sich aber dennoch (oder gerade deswegen), Screenshots der unschönen Konversation öffentlich zu machen. Auf eine weitere Frau, die Fler mit seinem Verhalten konfrontierte, setzte der Rapper mit den Worten „Wer die Nutte ran bringt 2000€ [sic!]“ sogar ein Kopfgeld aus. Das! Geht! Gar! Nicht! Doch selbst dieses Verhalten sollte nur einen vorläufigen Höhepunkt des Irrsinns darstellen.

Edit: Im juristischen Sinne handelt es sich bei dieser Formulierung nicht um ein Kopfgeld.  

Was es für unseren Berufsstand bedeutet, dass das Opfer sich lieber an einen Witzemacher wendet, statt ein Rapmedium zu involvieren, sollten wir uns jedenfalls mal ausgiebig durch den Kopf gehen lassen. Einerseits haftet der Ruf, rückgratlose Speichellecker zu sein, der Branche teilweise zu Unrecht an, wie auch die Journalisten Juri Sternburg und Alex Barbian in der Debatte anbrachten. Andererseits hat diese Kritik, die auch Shapira immer wieder äußert, einen wahren Kern, zumal, wie Salwa Houmsi in einer Insta-Story festhielt, Fler unter Rapmedien eine Art Sonderstatus zu genießen scheint, durch den die Sittenwächter unserer Szene ihm Verhaltensweisen durchgehen lassen, die nicht nur unterbunden gehören, sondern bei anderen Rappern mit Sicherheit auf weniger Verständnis stoßen würden. Ich muss zugeben: Diesen „Ach, so ist der Flizzy halt“-Reflex kenne ich teilweise sogar von mir selbst. Spätestens ein paar Monate nach seiner letzten Verfehlung war ich ihm stets wieder wohlgesonnen. Das muss sich spätestens jetzt ändern!

Es geht um die Frauen!

Die Kollegen von 16Bars.de trugen allerdings nicht zur Klärung der Situation bei, als sie einen Artikel mit der Überschrift „Shahak Shapira: Wie sagen wir dir nett, dass du die Fresse halten sollst?“. Statt zurück zu rudern, war Fler nämlich direkt nach dessen Post auch Shapira in die DMs geslidet, um dem ebenfalls zu drohen. Mal wieder. Auch davon hatte Shapira Screenshots gepostet. Plötzlich sah sich nicht nur der Rapper Kritik ausgesetzt, sondern auch der Comedian steckte bis zum Hals in einem Shitstorm. Besonders der Vorwurf der Selbstdarstellung wurde laut. Shapira polarisiert seit jeher und auch wenn sein Gegenangriff auf Fler gezielt unter der Gürtellinie ging („Wenigstens hab ich eine Mama“) und es kaum etwas Unlustigeres gibt als sein Schundwerk namens „Holyge Bimbel“, eine Vong-Sprache-Parodie der Bibel, so war diese Diskursverschiebung doch ziemlich unangemessen. Dass Fler willkürlich Frauen bedroht, spielte nämlich ganz schnell keine Rolle mehr – das Hauptaugenmerk lag plötzlich auf dem reichweitenstarken Comedian, nicht mehr auf den Opfern, die sich eigentlich nur Gehör verschaffen wollten.

Shahak juckt

Ob Shahak Shapira ein Selbstdarsteller ist, soll hier also keine Rolle spielen. Dass er antisemitische Drohnachrichten von mutmaßlichen Fler-Fans erhält, muss allerdings unterbunden werden – Fehde hin oder her, hier steht auch Fler in der Pflicht, sich gerade zu machen und seine Anhänger zurück zu pfeifen. Tut er das nicht, toleriert er antisemitische Bedrohungen in seinem Namen und macht sich mit den Tätern gemein. Scheint ihm aber wohl ganz recht zu sein, wenn der jüdische Comedian um seine Unversehrtheit bangen muss, schließlich gedenkt er selbst, diesem bleibende Schäden zuzufügen. Seine Worte.

Fler verhält sich wie tollwütig, als wäre ihm sein letzter Funken Impulskontrolle abhanden gekommen – das musste ein Kamerateam von RTL am eigenen Leib erfahren. Das Gespann aus einer Reporterin, einem Kamera- und einem Tonmann hatte den Rapper mitten auf dem Kurfürstendamm abgefangen und mit seinem Verhalten konfrontiert. Dass Boulevard-Journalisten in solchen Situationen gerne mal über die Stränge schlagen und ebenso respektlos wie aufdringlich werden können, steht außer Frage. Dass Fler das Trio mehrfach aufgefordert haben soll, ihn und seine Begleitung nicht zu filmen oder weiterhin zu belästigen, hätte man respektieren müssen. Daraufhin den Kameramann krankenhausreif zu schlagen, ist allerdings keine angemessene Reaktion.

Aktuell macht Fler sich über die gesamte Situation lustig. Über die Frauen, Shapira und das RTL-Team. Problematisches Verhalten sieht er bei sich selbst also nicht. Auch Konsequenzen scheint er keine zu fürchten. Genau die müssen ihn nun aber mit aller Härte treffen, denn offensichtlich ist er gerade der Meinung, er könne sich alles erlauben. Bei Fler gibt es keine Kunstfigur. Wenn Fler sich angegriffen fühlt, steht Patrick Losensky vor deiner Haustür und andersherum. So authentisch und charmant das stellenweise sein mag, so gefährlich kann es eben auch werden.

Der neue „Savage Fler“ ist gefährlich!

Denn neuerdings ist Fler offenbar eine Version seiner selbst, die auf alles, was sie als Anfeindung empfindet, mit Gewalt reagiert. Der savage Flizzmaster, der Impulsive, der sich nichts gefallen lässt und weder Tod noch Teufel fürchtet – so will er scheinbar gesehen werden. Denn all das, so ernst es auch sein mag, ist letztlich wieder Promo für für ihn und sein kommendes Album – der Fanboy-Moment 2.0 quasi, der sogar seinen Ausraster bei der Polizeikontrolle in den Schatten stellt und seinen Namen durch sämtliche Boulevardblätter des Landes rotieren lässt. Bei allem, was gerade passiert, hat nämlich nur einer die Kontrolle über das Geschehen: Er selbst. „deutschland ist wenn man einen rapper provoziert und sich wundert wenn er wie ein rapper reagiert [sic!]“ lautet Flers Statement zur Gesamtsituation. Dabei benimmt er sich nicht wie ein Rapper, sondern wie ein frauenfeindlicher, gewalttätiger Psychopath und gefällt sich offenbar noch ziemlich gut in dieser Rolle. Ich bin übrigens heute im Home Office, eine Fahrt ins rap.de-Büro lohnt sich also nicht, aber du hast ja meine Nummer.

Das ist übrigens bereits das zweite Mal, dass Fler, der einstmals für leere Ansagen auf die keine Taten folgen bekannt war, auf dem Ku’damm jemanden zusammenschlägt. Dass Rapper wie Sido und Hengzt nun Partei für ihn ergreifen und seiner Argumentation folgen, dass man doch mit sowas rechnen müsse, wenn man Fler kenne, mag zwar stimmen, rechtfertigt sein Verhalten aber in keinster Weise. Ihr kennt auch meine Reviews und seid trotzdem am jammern, wenn ich eure beschissenen Alben verreiße. Auch erwartbares Unrecht bleibt Unrecht (und das beziehe ich auf Fler, meine Reviews sind natürlich immer super gerecht).

Fler schadet HipHop

Mit diesem Verhalten schadet Fler nicht nur seinen Opfern, sondern uns allen, die wir Teil dieser Szene sind. Er wirft ein schlechtes Bild auf andere Rapper, auf die Medienlandschaft und auf Rapmusik selbst. Fler muss die Konsequenzen seines Verhaltens spüren und tragen. Nicht nur juristisch: Wir, als HipHop-Szene, müssen eine Grenze ziehen. Fler muss begreifen, dass er kein Recht hat, sich so zu verhalten. Die RTL-Geschichte – geschenkt! Da wissen wir zu wenig und seine Version unterscheidet sich gravierend von der medialen Berichterstattung – zum Teil ist seine Reaktion vielleicht sogar nachvollziehbar.

Aber was soll das für eine Szene sein, in der einer der größten Protagonisten quasi grundlos Frauen, die nicht einmal in der Öffentlichkeit stehen, Gewalt androhen und sogar Kopfgelder aussetzen kann? Was soll das für eine Szene sein, in der man für Kritik an diesem Verhalten um seine eigene Sicherheit fürchten muss? Was soll das für eine Szene sein, in der Fler noch Zuspruch erntet, wenn er sich so aufführt?

Vielleicht verhält er sich doch einfach wie ein Rapper – aber das würde das Narrativ von BILD-Zeitung, Shahak Shapira und zahlreichen pseudoelitären „Rap ist nur yo yo yo isch fick dein Mudder“-Kommentatoren nur bestätigen und ihnen die Deutungshoheit über uns alle geben.

Das ist nicht das Bild, das HipHop 2020 abgeben darf. Das ist kein Verhalten, das geduldet werden darf. Wir beobachten die Sache weiter und werden dann Konsequenzen ziehen. Vorerst landet Fler auf unserer ~schwarzen Liste~, die mittlerweile so lang ist, dass es beinahe schon existenzgefährdend für rap.de wird. Eine bessere Lösung als der Boykott von Rappern wie Gzuz, Kollegah und zahlreichen weiteren scheint es zurzeit leider nicht zu geben. Uns schadet das wahrscheinlich mehr als denen, aber einfach zuzusehen, wie einige Rapper auf die moralischen Werte von HipHop spucken, ist keine Option. Wir müssen jetzt ein Zeichen setzen und den betroffenen Frauen den Rücken stärken.