Um ehrlich zu sein: Als Anfang letzten Jahres Massiv mit der Nachricht über die Gründung seines eigenen Labels Qualität’er Music an die Öffentlichkeit ging, löste dies in mir weder große Euphorie noch besondere Skepsis aus. Einzig der Name des Labels löste bei mir ein Gefühl in Form von Schmunzeln aus, da ich beim Lesen sofort die markante Stimme von Massiv im Ohr hatte, wie er in seiner unverkennbaren massiv’schen Phonetik „Qualität’er“ betont. Alle anderen Details der Meldung hatte ich allerdings am Ende des Tages – vielleicht geschuldet durch die tägliche Informationsüberflutung auf den Sozialen Netzwerken oder aber auch aufgrund meiner Aufmerksamkeitsspanne à la Generation Goldfisch – bereits wieder vergessen.
Meine anfängliche Gleichgültigkeit sollte sich aber bereits binnen einer Woche in Neugierde verwandeln, als Massiv das erste Signing bei Qualität’er verkündete: Ramo, dieser Name weckte irgendwas in mir. Nach kurzer Recherche erinnerte ich mich wieder an den jungen Offenbacher, der bereits vor seinem Deal bei Qualität’er mit seinem Kollegen Hemşo ordentlich Welle gemacht hatte.
Aufgewachsen in den Offenbacher Blocks, eine Stimme wie ein Reibeisen gepaart mit einem eigensinnigen Flow und Vokabular mit Wiedererkennungswert: Das sind alles Attribute, die dafür sorgen, dass gewisse Parallelen zum wohl bekanntesten Offenbacher, Haftbefehl, unumgänglich sind. Gewagte These: Der hungrige Ramo stellt sich an, um in die Fußstapfen des Azzlackz-Oberhauptes zu treten. Kein Wunder also, dass Massiv nicht lange zögerte und den 26-Jährigen, der auch prominente Vertreter des Rapgames wie Sido und Bushido unter seinen Fans hat, bei sich unter Vertrag nahm. Massivs erster Geniestreich und der zweite sollte alsbald folgen.
Nachdem Ramo mit seinen Releases „Sag Mir Wie“, „Silberzahn“ und „Nicht Registriert“ schon ein starkes Ausrufezeichen für sein Label setzen konnte, gibt sein Labelboss im Mai 2019 bereits das nächste Signing bekannt. Mit Marlo nimmt Massiv einen zu diesen Zeitpunkt erst 15-Jährigen unter Vertrag. Massiv – ein Mann ein Wort – bleibt seiner Ankündigung treu und gibt vor allem jungen Künstlern eine Plattform bei Qualität’er. Über die Authentizität in Marlos Texten lässt sich natürlich streiten, aber mit den jungen Berliner hat sich Massiv einen wahren Rohdiamanten ins Haus geholt. Marlo ist ein Allroundtalent und passt mit seinem Skillset perfekt in das aktuelle Zeitgeschehen – Massivs zweiter Geniestreich.
Ab Mai 2019 werden die Weichen Richtung Qualität’er-Übernahme gestellt. Ramo und Marlo veröffentlichen im gefühlten Zweiwochenrhythmus Output wie am Fließband. Egal ob solo oder gemeinsam auf Tracks. Bei Qualität’er wird (bisher) keine Zeit mit langen Promophasen für individuelle Alben der gesignten Künstler verschwendet (die Solo-Debüts von sowohl Ramo als auch Marlo stehen noch aus), der Fokus liegt klar auf kontinuierlichen Single-Veröffentlichungen. Zugegeben keine bahnbrechende Strategie im Streaming-Zeitalter, aber Massivs Künstler heben sich qualitativ aus der Masse ihrer Konkurrenten ab.
Anfang 2020 teast Wasim Taha das dritte Signing bei Qualität’er an: Kilomatik. War ich bisher positiv von Massivs Gespür für seine Künstlerauswahl überrascht, machten sich hier erstmals Zweifel breit. Alleinstellungsmerkmale Sturmmakse und Zahnlücke? Könnte eher cringy werden, optische Merkmale derart in den Vordergrund zu stellen. Dann droppt das Video zu „Vollgas“ und alle Zweifel erübrigen sich von selbst. Was für eine Ansage an Deutschrap! Das Tag-Team Ramo und Marlo erhält durch den hungrigen und aggressiven Kilomatik die perfekte Ergänzung. Das Trio Infernale für innovativen Straßenrap ist perfekt. „Vollgas“ kann, wenn man so will, als Gesamtkunstwerk der einzelnen Mosaiksteine gesehen werden, die Massiv bei Qualität’er Music vereint hat.
Mit Qualität’er Music beweist Massiv eindrucksvoll sein gutes Gespür für talentierte Nachwuchskünstler und seine Qualitäten als Labelboss. Er verfolgt eine präzise Geschäftsstrategie, die auf die Schnelllebigkeit des heutigen Musikmarktes angepasst ist. Doch anstatt derzeitigen Trends zu folgen, setzt Wasim Taha auf das langfristige Potential seiner Künstler und hat mit Ramo, Marlo und Kilomatik drei individuelle, authentische Künstler, die er mit viel Bedacht und Umsicht für sein Label ausgewählt hat. Qualität’er ist gekommen um zu bleiben und Massiv erweitert sein Geschäfts-Portfolio stetig. Mit Purple Juice Records hat er bereits das nächste Label gegründet, auf dem er vor allem Künstlern ein Zuhause geben möchte, die den lila-trappigen-autotune Sound aus Amerika nach Deutschland importieren. Nebenbei hat der gute Mann auch noch Zeit selbst Musik an die Frau und an den Mann zu bringen. Am 21. Februar erscheint sein 14. Solo-Album Lativ, benannt nach dem Charakter, den Massiv in der Serie 4 Blocks verkörpert. Ein wahrer Macher dieser Wasim Taha, Hut ab!
- Audio-CD – Hörbuch
- Al Massiva (Soulfood) (Herausgeber)