Leipzig. Der Fokus der Stadt liegt heute – wieder einmal – auf dem Süden. Neonazis um Christian Worch haben für heute eine Demonstration durch Connewitz angemeldet, den linken Stadtteil Leipzigs. Nach dem Überfall im Januar 2016, bei dem rund 200 Nazis die halbe Wolfgang-Heinze-Straße entglast hatten, fasst man diese Anmeldung erst recht als Affront gegen sich und seine Idee des schönen Lebens auf. Aus Angst vor schweren Ausschreitungen, wie sie die letzte Nazidemo durch den Leipziger Süden im Dezember 2015 begleiteten, wird der Aufmarsch von den Behörden jedoch in den Südosten verlegt und von tausenden Polizisten abgesichert. Am Ende bleibt es weitestgehend ruhig, nur vereinzelt fliegen ein paar Böller und Steine, die Wasserwerfer sind bei dem starken Niederschlag fast schon obsolet. Am späten Nachmittag ist alles wieder vorbei, der ÖPNV verkehrt wieder normal und man bereitet sich auf das nächste Spektakel vor.
Denn auch abends liegt der Fokus – zumindest der eingefleischter HipHop-Fans – auf dem Süden der Stadt: Im UT Connewitz, dem ältesten Lichtspieltheater Leipzigs, trifft sich heute Rapleipzig zur Verleihung des zweiten Leipziger HipHop-Awards „Skillz“.
Das Konzept des Abends ist denkbar einfach: In zwölf Kategorien, von Artwork über Producer bis Künstler, konnte das Publikum zunächst online Kandidaten vorschlagen und später für diese votieren. Die fünfköpfige Jury, Frauen und Männer aus der lokalen Szene, kürte letztlich in jeder Kategorie aus den fünft Meistgewählten den entsprechenden Sieger, die heute Abend bekannt gegeben werden.
Die von den Wänden bröckelnde Farbe verleiht der Location eine wunderschön morbide Atmosphäre, hervorragend geeignet für so eine Untergrundgala. Und eine Gala ist es wirklich: Alles, was lokal Rang und Namen hat, ist heute zugegen, sogar Omik K ist dabei, und die lustig-locker durch den Abend führende Moderation trägt stilecht Sakko über dem „Skillz“-T-Shirt. Mehr als 150 Gäste haben sich im UT eingefunden, um zu erfahren, wer die Leipziger Szene 2016 am stärksten geprägt hat. Von der New Era Cap bis zum Fischerhut, vom Turnbeutel bis zum Brustbeutel ist alles zu sehen – eine Diversität, die sich auch in der Auswahl der Live-Acts und Nominierten widerspiegelt.
Divers ist die Leipziger Rapszene allemal: Von Concious- über Battlerap bis zu Trap – für jeden Geschmack ist etwas dabei, nur sind viele Künstler kaum bekannt. Mit Rap aus Leipzig verbinden die meisten noch immer hauptsächlich Morlockk, mittlerweile haben wohl auch alle mal von Trettmann und dem ein oder anderen Funkverteidiger gehört. Bei „Skillz“ setzt man aber nicht auf große Namen, sondern versteht sich als „ein Award von der Szene für die Szene“. Der Qualität tut das keinen Abbruch: Die Live-Acts, allen voran Gossenboss mit Zett sowie Älmächtig konnten mit ihren Auftritten überzeugen.
Und sowieso: Dem eigenen Anspruch nach geht es heute weniger um Gewinnen als um Vernetzen. Das mag zunächst einmal verwunderlich klingen, zumal in einer Szene mit ausgeprägter Battlekultur. Aber zumindest heute ist man bemüht, sich gegenseitig Props zu geben und sich selbst zu feiern. So ziemlich jeder der Nominierten hat seine Entourage dabei, gefeiert wird aber nicht nur der eigene Dunstkreis, sondern alles, was man eben dope findet. Das ist auch der große Gewinn des Abends: Dass man neue DJs, Producer und Rapper kennenlernt, die man vorher gar nicht auf dem Schirm hatte. Dicken Respekt auch an DJ dørbystarr, der den Abend nicht nur großartig an den Decks begleitete, sondern auch erwachsen genug war, in der Kategorie „DJ 2016“ der siegreichen Konkurrentin Yo-C zu gratulieren.
Was Untergrund in Leipzig bedeutet, bringt Defekto („Bester Producer 2016“) in seiner Dankesrede ganz gut auf den Punkt: „Ich dachte, ich kriege nur einen Award für Pfandflaschen aus dem Studio wegbringen.“ Wie es sich für einen echten HipHop-Abend gehört, werden natürlich auch wieder Mütter gefickt, zum Beispiel als der Preis für die „Beste Punchline 2016“ vergeben wird. Hier gewinnt, wie schon letztes Jahr, Defcon mit seinem lyrischen Meisterwerk: „Ich versuch‘ aus Spaß auf Lateinisch zu freestylen und beschwöre einen Dämon, der aus dem Boden kommt und deine Mutter fickt.“ Zwar sind nicht alle Jurymitglieder überzeugt von der Qualität der Punchline, aber Kontroversität und Diskussion gehören zu einer lebendigen Szene nunmal dazu. Und nach dem Spontanauftritt einer noch unbekannten Rapperin zum Abschluss des offiziellen Teils der Veranstaltung, die in Anbetracht der hohen Männerdichte unter Acts und Nominierten dafür plädierte, im nächsten Jahr dann mal ein paar mehr Female MCs auf der Bühne zu haben und gemeinsam „Väter zu ficken“, sollte endgültig jedes Anzeichen von Unmut verflogen sein.
Wer von Untergrund spricht, meint häufig eine sehr exklusive, fast schon inzestuöse Szene, die möglichst keinen Kontakt zur Außenwelt haben will. Vor allem in Leipzig, einer der derzeit wohl hipsten Städte Deutschlands, sind die Debatten um den starken Zuzug noch immer in vollem Gang und enden nicht selten in unreflektierter und identitärer Abgrenzung von den Zugezogenen. Bei „Skillz“ will man davon nichts wissen. Der „Zugezogene“ Gossenboss mit Zett, letztes Jahr noch Preisträger in der Kategorie „Props aus Leipzig“, gewinnt dieses Mal in der Kategorie „Bester Track“. Sein Song „Bitterfeld“ ist eine Hommage an die sachsen-anhaltinische Tristesse, den Preis widmet man folgerichtig auch „Juliane aus Bitterfeld“. Funfact: „Props aus Leipzig“ gehen dieses Mal an Morlockk Dilemma, der mittlerweile viel außerhalb Leipzigs verkehrt und schon aufgrund seiner Reichweite das Konzept der Untergrundgala konterkariert hätte. Mit dem Award dankt man dem lokalen HipHop-Urvater für das, was für die Leipziger Szene getan hat.
Der Abend endet standesgemäß mit einer kleinen Cypher, später geht es noch ein paar Häuser weiter zur Afterparty. Organisatoren, Künstler und Publikum zeigen sich auf jeden Fall sichtlich begeistert vom Verlauf des Abends. Um es mit den Worten der Moderation zu sagen: „Von 1 bis dope war das überfresh.“
Wer jetzt getriggered wurde, kann sich auf der „Skillz“-Homepage durch die Nominierten und Gewinner des Abends klicken und den ein oder anderen Rohdiamanten entdecken. Es lohnt sich!