Manchmal erlebt man den Moment, in dem man voller Entgeisterung feststellt, dass man mit seinen oft als sonderbar und fragwürdig hingestellten Lebensmittelpunkten und, zugegeben, teils nerdigen Allüren nicht ganz so allein dasteht, wie man im tristen Alltag allzu oft befürchtet. Der Moment, an dem einem plötzlich klar wird, dass bestimmte Faibles der musikalischen Sorte gar nicht so abwegig sein können, wenn man sie doch mit so vielen, so grandiosen Menschen teilt.
Ungefähr so ein Moment war die Tapefabrik in Wiesbaden für mich. Und ich hatte das Gefühl, nicht der einzige zu sein, der sich ein bisschen so vorkommt, wie etwa der 80er Jahre-Dorfpunk aus Wiedenborstel in Schleswig-Holstein, der beim ersten London-Besuch seinen Augen nicht traut und, den Mund weit offen, bemerkt, dass er in seiner Rebellion, in seinem ach so schrägen Musikgeschmack und seiner no-future-Grundhaltung gar nicht so allein ist, wie lange angenommen. Diesen Moment gibt‘s ab und an mal, aber diesmal war er ganz besonders.
Endlich die Möglichkeit, stundenlange, nerdige Diskussionen über penible Details angeblich irrelevanter Untergrund-Releases aus lange vergangenen Tagen zu führen. Endlich die Gelegenheit, Künstlern wie Azudemsk oder Lux jenseits von tropfsteinhöhlenartigen Stages mit im wahrsten Sinne des Wortes unterirdischem Sound lauschen zu können. Endlich das vermutlich einmalige Glück, einen Bosca und einen Hiob innerhalb weniger Stunden auf ein und derselben Bühne bestaunen zu können. Endlich die Chance, über Mixtapes zu fachsimpeln, die man zu Tode feierte, obwohl sie lediglich auf Platz 377 charteten. Endlich ein Anlass, der Horde von Rap-Medien-Junkies face-to-face zu begegnen, die man bislang eher als Internet-Avatare wahrgenommen hatte. Endlich der passende Augenblick, sich seine Slowy-Platte vom Meister persönlich volltaggen zu lassen. Endlich mal wieder den ganzen Tag mit dem Arm wippen oder mindestens zum Beat nicken.
Und das alles in einem unheimlich entspannten, auch weil so überschaubaren, Rahmen im Wiesbadener Schlachhof, der am Nachmittag des 11. März eher einer Pilgerstätte für Rap-Fanatiker und HipHop-Aktivisten aller Art glich, als einer bloßen Konzerthalle, durch die sich eine unbestimmte Masse an zugleich besoffenen, wie blind konsumierenden Fans förmlich rein und wieder raus drückt. Vielmehr konnte man das Gefühl gewinnen, dass jeder, der da vor Ort war, irgendwie ein aktiver, fast elementarer Teil des Gesamtbilds war. Die Betitelung des Festivals als „Klassentreffen der deutschen HipHop Szene“ trifft es somit auch rückblickend unfehlbar auf den Punkt.
Wer die Dynamik dieser Feierlichkeit mir eigenen Augen gesehen hat, für den wird es schwer zu fassen sein, dass die Tapefabrik vor nicht allzu langer Zeit der Insolvenz und damit einem harschen Ende ihrer selbst noch gerade so von der Schippe gesprungen war. Auf der anderen Seite erklärt sich dieses Intermezzo gerade durch ihren offen zelebrierten Stil, der noch immer einen Fick auf Kommerz gibt, sich nicht davor scheut, seine Wurzeln im Untergrund zu benennen und die eigene Vermarktung erfrischend weit hinten anstellt.
Dass die Veranstalter der Tapefabrik im Laufe des Abends ihrer nunmehr siebten Auflage dann dennoch verkünden konnten, die Bude offiziell ausverkauft zu haben, haben sie sich nicht mit billigen Seelenstriptease, sondern mit einem hochklassigen Programm und viel Liebe zum Detail redlich verdient.
Auch wenn meine bisherigen Erfahrungen natürlich subjektiv sind und ich auch in Wiesbaden selbst selbstverständlich nicht jedes Konzert gleichermaßen intensiv begleitet habe und auch wenn ich sicherlich einen nicht ganz neutralen Sub-Genre-Geschmack innerhalb der Rap-Landschaft habe, steht für mich eines fest: mehr HipHop als auf der Tapefabrik geht im Jahre 2017 nicht.
Einfach, weil nirgendwo sonst der Vinyl-Stand mehr Raum einnimmt als der Print-Merch-Stand. Einfach, weil nirgendwo mehr grauweißer Rauch in der Luft liegt und zugleich so wenig testosteronbedingter Stress zu eskalieren droht. Einfach, weil man nirgendwo sonst die Wahl zwischen dem Konzert eines seiner Lieblings-MCs und einem hochkarätigen DILTILY-Battle hat. Einfach, weil man nirgendwo sonst von einem Damion Davis durch den Abend entertainet wird, der zwischendurch dazu auffordert, die Bühne zu stürmen. Und weil man wohl, wie eingangs erwähnt, nirgendwo sonst auf eine derart hohe Dichte gleichgesinnter Nerds trifft, wie bei der Tapefabrik, auf deren kommenden Auflagen ich mich schon jetzt freue.