Die legendäre „JBG“-Trilogie findet ihren Abschluss. Irgendwie wurde das auch Zeit: „Jung“ sind die beiden Protagonisten nicht mehr unbedingt. Seit dem Erstling sind nunmehr acht Jahre ins Land gezogen. Ob die beiden „Brutal“ sind oder es jemals waren, darüber kann ich glücklicherweise keine Auskunft geben. Und ob das Duo „Gutaussehend“ ist, das ist wohl eine Frage des subjektiven Geschmacks – die eingeölten Adoniskörper lassen aber standesgemäß ihre Muskeln spielen.
Glücklicherweise geht es bei „JBG“ aber traditionell nicht um Realness oder Authentizität. Eigentlich geht es nur um eines: Wahnwitzig überzeichnete Disses in alle denkbaren Himmelsrichtungen. Dabei stehen ganz klar die verkopften Texte im Vordergrund. „Verkopft“ natürlich nicht, weil sich hier inhaltlich über irgendetwas Gedanken gemacht wurde – „JBG“ bleibt primitiv wie eh und je. Doch auf rhetorischer Ebene bleibt hier kaum eine Zeile ohne Hintergedanken. Das Gewirr aus Wie-Vergleichen und Wortspielen wurde von A bis Z durchkonstruiert, wie man es eben von Kollegah und Farid Bang gewohnt ist.
Ist doch geil! Ein unterhaltsames, durchdachtes Punchline-Massaker!
Nicht wirklich. Es mag auf eine Art erfrischend sein, dass der Fokus vollständig auf den Texten liegt. Insbesondere 2017 ist das fast schon ungewöhnlich, herrschte dieses Jahr doch ein klarer Fokus auf wohlklingende Melodien vor. Lyrische Finesse verkam zum Nebendarsteller. Kolle und Farid stellen sich entschieden gegen den Trend. Klingt erstmal löblich, ist aber einfach zu viel des Guten. Die Zeilen klingen umständlich aneinandergereiht, es läuft alles nur auf den nächsten mehrsilbigen Reim, die nächste Punchline hinaus, die irgendwie in diesen Reim eingewoben werden muss. Dadurch entsteht nicht das Gefühl eines zusammenhängenden Songs, stattdessen erweckt alles auf „JBG3“ den Eindruck einer Lustige-Lines-Compilation. Dass auch der Flow und das Gefühl für den Rap selbst dabei zum Nebendarsteller avanciert, liegt in der Natur der Sache.
Es geht halt um den Entertainment-Faktor…
Das ist ja auch in Ordnung. Der Witz ist aber dann halt nach einmal Anhören erzählt. Die Genius-Leaks reichen da fast schon aus. Gerade die zahlreichen Flowfehler sind ein Symptom dieser zweckmäßigen Herangehensweise. Hier wird eine Silbe zu viel in die Zeile gezwängt, da eine zu lange Pause gelassen – das sollte nicht passieren, wenn ein Album dermaßen clean anmuten will wie es „JBG“ tut. Ansonsten wird halt monoton und statisch das Versmaß eingehalten. Am besten klingen da noch die Songs und Passagen, in denen Kollegah und Farid sich geschickt die Bälle zuspielen und sich während der Parts oder sogar innerhalb einzelner Zeilen abwechseln. Das kaschiert die Kontextlosigkeit der einzelnen Zeilen sowie raptechnische Unzulänglichkeiten ausreichend, zeigt aber auch darüber hinaus, wie eine dynamische Kollabo aufgebaut sein sollte. Ansonsten plätschert das Ganze aus musikalischer Sicht aber recht öde und unbeholfen vor sich hin.
Die Beats sind doch krass!
Gut produziert sind sie auf jeden Fall, keine Frage! Die zahlreichen Produzenten verstehen ihr Handwerk allesamt und für sich genommen ist jeder Beat absolut solide. Aber seien wir mal ehrlich: Bleibt irgendein Beat so richtig im Kopf? Bis auf das überraschend handzahme „Massephase“-Instrumental und das druckvoll treibende Drum-Arrangement, das Gee Futuristic auf „Rap wieder Rap“ gezaubert hat, ist das Mischmasch aus cineastischen Violinen und epischen Engelschören trotz seiner orchestralen Inszenierung auf Albumlänge eher ein belangloser Unterbau, der halt irgendwie berappt werden will. Selbst die Beats sind hier eben nur Mittel zum Zweck: Zu viel Raum dürfen sie sich nicht nehmen, sonst geraten die Punchlines in den Hintergrund – und die sind der einzig relevante Programmpunkt auf „JBG3“.
Hast du an denen etwa auch etwas auszusetzen?
Ja, habe ich leider. Sogar einiges. Aber nicht nur: Lines wie „Ich hab ein großes Herz dank Anabolika-Missbrauch“ funktionieren hervorragend. Hier wurde eine unvorhersehbare Pointe platziert, die auf smarte und wortverspielte Art zündet, ohne den Hörfluss auszubremsen. „JBG heißt Kampfanzüge statt Anglerhüte und Schwammkostüme“ – auch das macht richtig Spaß, in diesem Falle tragen die locker aus dem Handgelenk geschossenen Reime die dezente Pointe. In den meisten Fällen sieht das aber leider so aus: „Ramm das Butterfly in Laas, wenn ich Hass-Attacken hab / Wie Sido, wenn er wieder mal daheim den Abwasch machen darf“. Oder so: „Ich dacht‘ es gibt kein Schweinefleisch bei Papa Ari, yeah / Doch als ich rein ging, dacht‘ ich ‚Was macht dann Ali hier?'“. Oder halt so: „Schreibt man Laas in die Suchfunktion / Dann fragt Google bloß, ‚Meinten Sie Hurensohn?'“
Du hast jetzt extra die schlechtesten Zeilen rausgesucht. Das sind halt Füller-Lines. Die hat doch jedes Album.
Sorry, aber stimmt nicht. „Baller‘ mit MGs Blei, mach den Weg frei / Oder alle deine Leute beißen in den Gehsteig, JBG 3“ oder „Schieß ruhig Bullets auf mich, ich schlag‘ sie per Baseballbat zurück auf dich / Bis dein Face komplett zerstückelt ist und du reglos in ’ner Pfütze sitzt“ – so sehen hier die Filler aus. Genau wie einsilbige Schimpfworte, etwa „Spast“ oder „Bitch“, die gerne mal kontextlos ans Zeilenende gehängt werden, um einen passenden Reim zu erschaffen („Mission, Spast / Großstadt“ usw.).
Neben diesem Füllmaterial machen Lines wie die oben zitierten einen Großteil des Albums aus. Dass Ali Bumaye fett ist, hat der schon selbst auf seinem 2015er Album „Fette Unterhaltung“ erkannt und zu haufenweise Punchlines verwurstet. Dass die beiden jungen, brutalen, gutaussehenden Herren das jetzt noch mal in 1000 Wie-Vergleichen aufwärmen müssen, ist so wenig spektakulär, wie dass Bushido leidenschaftlicher WoW-Zocker und Shindy eitel ist. Die EGJ-Fronts klingen eher wie eine Mikrowellen-Version von Kay Ones „Tag des Jüngsten Gerichts“. Dafür, dass die Rivalen hier nicht ernsthaft getroffen, sondern eher durch den Kakao gezogen werden sollen, sind die Kalauer einfach nicht unterhaltsam genug. Die paar wirklich guten Lines, die es ja durchaus gibt, reichen bei weitem nicht, um ein Album, das sich komplett auf seine Texte beruft, zu tragen. Wie-Vergleiche, wahllose Disses und Tabubrüche ziehen 2017 einfach nicht mehr.
Genau das ist doch das geile an „JBG“: Boss und Banger scheißen auf Trends und bleiben ihrer Schiene treu!
Ja, theoretisch könnte das wirklich erfrischend sein. Praktisch hat das aber weder einen Retro-Charme, noch wird sich auf irgendwelche Stärken besonnen, die man heute vermisst. Das Steckenpferd dieser Trilogie ist einfach nur noch fad. „JBG3“ ist ein Kaugummi, der keinen Geschmack mehr hat. Die Kiefer mahlen aber immer noch energisch. Braucht wirklich noch jemand einen Doubletime-Part? Wir wissen doch, dass ihr schnell rappen könnt. So geil klingt das nicht und wenn dann auch noch „Ballermänner“ und eine „Billige Bitch“, quasi die Pendants zu den Freestyle-Fillern „Ich weiß genau“ und „Ich komme rein“, erwähnt werden, dann ist das dermaßen überholt, dass man den Part vielleicht lieber einem Archäologen übergeben sollte. Selbiges gilt für Relikte wie Silbenzähler-Reime und dreist kalkulierte Tabubrüche.
Jetzt fang nicht damit an, du Mimimi-Moralapostel!
Keine Sorge, ich lasse hier nicht den SJW raushängen. Das Problem bei den Zeilen ist nicht der moralische Aspekt, sondern der künstlerische. Diese makaberen Zeilen, die irgendwo zwischen Vergewaltigungs-Witzen und Rassismus changieren, sind nämlich meistens nichts als ein stumpfer Schocker. Keine Pointe, kein doppelter Boden, kein schwarzer Humor – „Bitches nehmen sich nur was raus, wenn ich sie zur Abtreibung zwing“ ist ein absolut schwacher Wortwitz, aber Hauptsache das Triggerwort „Abtreibung“ kommt unter. Ebenso „Ficke deine Mutter heute Syrer-mäßig“.
Wenn die Tränen von „Sidos Scheiß-Flittchen“ dann „als Gleitmittel“ benutzt werden, ist spätestens klar: Hier will man um der Übertreibung willen übertreiben. Das Problem dabei: Wen schockiert das 2017 noch? Wen schockiert Kollegah, wenn er sich den Kosenamen Josef Stalin gibt, nachdem Hollywood Hank, Orgi, Favorite & co die „Ich bin Hitler“-Nummer schon anno dazumal durchgespielt haben?
Du hast doch mitgekriegt, dass sich wieder alle aufgeregt haben. Also klappt es!
Es klappt aber nicht, weil die Lines so schockierend sind. Nicht mal Farids geschmacklose Auschwitz-Line auf dem Bonustrack „0815“ ringt irgendwem mehr als ein müdes „oh“ ab. Niemand steht mit offenem Mund da und fragt sich, ob die das gerade wirklich gesagt haben. Es gibt einen Aufschrei, weil es einfach widerlich ist, solche Sprüche rauszuhauen, nur um sein fades Album aussehen zu lassen wie eine mutige, tabulose Grenzüberschreitung.
Wir haben 2017, da macht kein aufgeklärter Mensch mehr Judenwitze in der Öffentlichkeit. Dass es hier trotzdem passiert, zeigt nur, wie krampfhaft Kollegah und Farid Bang anecken wollen, um ihrem Ruf gerecht zu werden – dabei spielt die Grenze des guten Geschmacks genauso wenig eine Rolle, wie die Qualität der Lines. Die sind nur Mittel zum Zweck, um sich als respektlose Kerle mit losem Mundwerk und lässig-niedriger Hemmschwelle zu inszenieren. Das ist aber verdammt offensichtlich und berechenbar. Ich bin über keine der Lines bestürzt – alles schon tausend Mal gehört, damals sogar teilweise für lustig befunden – ich finde es nur peinlich, wie erzwungen und substanzlos hier Grenzen überschritten werden.
Ich finde „JBG3“ trotzdem geil. Kolle und Farid machen es genau wie damals und haben vor nichts und niemandem Respekt.
Darfst du auch. Und ich darf dir sagen, was ich daran scheiße finde: Mich stört einfach alles daran. „JBG3“ ist ein Anachronismus, den heutzutage keiner mehr braucht. Das Album baut auf lustige Wie-Vergleiche, Doubletime-Passagen, epische Chor-Beats, Tabubrüche und Rundum-Disses. Was davon ist bitte noch nicht durchgespielt? Außer dem kultigen Namen gibt es keinen Grund, sich dieses Album geben – die beiden rappen ja nicht mal ansatzweise gut. Klar, zuweilen sind die Zeilen unterhaltsam und beim ersten Anhören hatte ich auch stellenweise Spaß.
Aber von Mal zu Mal – und leider habe ich es wahrscheinlich öfter gehört als die meisten Fans – wurde es weniger. Der gesamte Witz ist nach dem ersten Durchgang erzählt, danach schnappt man ab und zu noch eine nette Line auf und versteht beispielsweise, was mit dem „schicke Emojis / ihm OGs“-Wortspiel gemeint war, aber dann ist auch gut. Der Beat-Einheitsbrei und die holprigen, steifen Flows halten definitiv nicht länger bei Stange. „Jung Brutal Gutaussehend 3“ macht schlichtweg nichts Neues – und fast nichts gut.