Skinnys Abrechnung #7: Limited Deluxe Boxen

Limited Deluxe Boxen sind mir bereits seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge. Im Grunde ist ja gar nichts schlimmes daran – niemand wird gezwungen, diesen überteuerten Firlefanz zu kaufen. „Das ist doch nur ein tolles Angebot vom Künstler, um den Fans etwas ganz ganz besonderes bieten zu können“. Is gut, die Dinger fucken mich trotzdem ab. Und um das tolle Angebot für die Fans geht es eh nicht – sondern darum, sich in meinen heiß geliebten Charts nach oben zu schummeln. Im Internet ist wenig bis nichts über dieses rein deutsche Phänomen in Erfahrung zu bringen – und was ich vom Hörensagen weiß, reicht natürlich nicht aus, um wirklich fundiert gegen diese Ramschkisten zu wettern. Was macht man also als Skinny, der stets systematisch mit unwiderlegbaren Argumenten abzurechnen pflegt? Man sucht sich einen Whistleblower, der mit der Materie vertraut ist. Okay, das klingt jetzt viel spektakulärer als es ist. Eigentlich habe ich nur jemanden ausfindig gemacht, der in der Vertriebsbranche tätig ist, und mir einige harte Fakten nennen konnte. Anonym wollte meine Quelle dennoch bleiben.

Die Infos jedenfalls, waren sehr aufschlussreich. Vieles wurde mir bestätigt, vieles war neu. Interessant war zum Beispiel, dass die „streng limitierten“ Boxen insofern limitiert sind, dass sie halt in einer bestimmten Auflage hergestellt werden. An sich ist „limitiert“ aber nur eine belanglose Worthülse – denn die Auflage unterliegt weder einer tatsächlichen Limitierung, noch ist die Nachproduktion untersagt – sie muss nichtmal gekennzeichnet werden. De Facto sind diese Chart-Maschinen also keineswegs limitiert. Zwar bezeichnete mein Informant die nicht gekennzeichnete Nachproduktion als „Fan-Betrug“ und oft wird auch gekennzeichnet, dass es sich um keine Erstauflage handelt – etwa bei der „Blechbox Reloaded“ der 187 Strassenbande – aber das sind halt Ehrenmänner. Unorthodoxere Methoden sind keine Seltenheit.

Vom Etikettenschwindel mal abgesehen, habe ich die furchtbar streng limitierten Boxen gerade als Chart-Maschinen bezeichnet. Denn das und nichts anderes sind sie. Etwa 40 Euro kostet so ein prall mit Schnickschnack gefüllter Karton im Schnitt. Angabe ohne Gewähr. 40 Euro sind eine Menge Schotter – und das ist natürlich förderlich für die Chartplatzierung. Denn in Deutschland werden die Charts nicht anhand der verkauften Exemplare, sondern nach Umsatz ermessen. Damit sind wir die einzigen. Heißt Klartext: In den USA und auch sonst überall zählt jedes verkaufte Exemplar – jede Edition, völlig egal wie teuer – als eine Einheit. In Deutschland sind 14 Euro Umsatz eine verkaufte Einheit. Eine Limited Deluxe Box für 42 Euro zählt also als drei verkaufte Einheiten. Wenn der geneigte Fan sich eine Box zulegt, dann zählt das etwa so viel wie drei CDs.

Klingt erstmal, als ob es eine Menge Spielraum bietet. Ich lege meiner Skinnys Abrechnung Limited Deluxe Box einen Plasma-Fernseher und eine Playstation 4 bei – die Chartspitze ist sicher. Ganz so weit geht der Boxen-Trick dann aber doch nicht. Alles was einen Preis von 50 Euro überschreitet wird nämlich nicht mehr für die Charts gewertet. Nicht die ganze Box verliert dann ihre Gültigkeit, es wird einfach ab dem Höchstbetrag gekappt. Die geniale 300 Euro Jubiläums-Box von Schlager-„Star“ Matthias Reim, die durch ihr unfassbar behin… unglückliches Promo-Video zum viralen Phänomen wurde, brachte dem alten Haudegen also sicherlich ganz gut Kohle aufs Rentenkonto – die Charts wurden damit aber nicht gestürmt. Die euphorische Überraschung beim Auspacken seiner eigenen Box kann ihm jedenfalls keiner mehr nehmen. Ich würde mich an dieser Stelle gerne weiter über den „Verdammt ich lieb‘ mich„, pardon, „Verdammt ich lieb‘ dich„-Sänger und dessen Egozentrismus auslassen, aber das sprengt den Rahmen.

Noch eine Regelung, die mich etwas beschwichtigt: Der Wert des beigelegten Scheißdrecks darf den der enthaltenen Musik nicht übersteigen. Der Fokus muss also gewissermaßen auf der Musik liegen, auch wenn das meistens dennoch nicht der Fall ist. Noch nie drüber nachgedacht, warum fast jeder Künstler seine Instrumentals oder Acapellas in seine Box schmeißt? Zusätzliche Musik in der Box heißt mehr Platz in der anderen Waagschale. Denn die Instrumentals heben den Wert der beigelegten Musik, also kann auch mehr anderes Zeug rein und der Wert der Box steigt. Wenn eine EP beiliegt, ist das wenigstens exklusive Zusatzmusik, damit bin ich cool. Aber diese halbherzige Scheiße ist zum kotzen.

Was die Box aber letztendlich wert ist, liegt im Ermessen der Chartkommission. Ein hypothetisches Szenario, das meine Quelle mir schilderte: Jemand packt eine Doppel-DVD in seine Box, deren Wert den der Musik übersteigt. Was dann passiert? Er landet mit seiner Box in den DVD-Charts. Wenn allerdings Xatars Goldzahn-Kette so viel wert gewesen wäre, wie einige missgünstige Kollegen, die bei der Chartkommission snitchten, annahmen, wäre die Box des AON-Oberhaupts von den Charts ausgeschlossen worden. Denn Goldzahn-Ketten-Charts gibt es nicht. Aber wenn die GfK so weiter macht, ist das wohl nur eine Frage der Zeit.

Für mich alten Chart-Hater ist das Problem einfach: Das ist ein verdammt billiger Trick. Der lebt von der enormen Fanbindung, die Rapper und die vorwiegend jungen Hörer haben – ich sag nur: #TeamXXX. Davon, dass sich angebiedert wird. Dass ganz dolle lustige Promoblogs mit der stetigen Erinnerung, die streng limitierte (ihr wisst Bescheid) Box vorzubestellen, veröffentlicht werden. Nicht etwa, von der Qualität lächerlichen Beilagen. Die können nämlich gar nicht so toll sein, da sie eben nicht viel wert sein dürfen. Die Weedcrusher sind dann aus billigem Hartplastik und die Flaggen unverschämt klein. Muss man sich denn wirklich eine Fan Box kaufen, wegen eines beschissenen Selfie-Sticks? Das war keine rhetorische Frage, die Antwort ist einfach: Nein!

Deutsche Rapper knacken fast jede Woche aufs neue die Chartspitze – nicht weil so viel mehr Leute ihre Musik kaufen, sondern weil es in anderen Genres nicht diese Boxen gibt. Vereinzelt vielleicht – und hier und da mal eine Jubiläumsbox für den Preis eines Gebrauchtwagens – aber nur im deutschen Rap sind diese Boxen Gang und Gäbe. Der finanzielle Profit ist dabei eher zweitrangig – so lohnt sich die Herstellung einer Box ohnehin nur ab einer gewissen Auflage, beziehungsweise einem gewissen Absatz. Dann ist sie aber auch nicht die Goldmine, die sie zu sein scheint – sonst wäre diese Perversion sicherlich auch in anderen Genres und Ländern verbreitet. Nein, offensichtlich geht es nur darum zu charten um im Chart-Schwanzvergleich, der im deutschen Rapgame leider mittlerweile fest verwurzelt ist, nicht den Kürzeren zu ziehen. Im Grunde sind Limited Deluxe Boxen nichts anderes, als ein Sympton der Krankheit, an der zeitgenössische Rapmusik leidet.