Rap und Literatur #5 mit Fatoni

In unserer Interviewreihe “Rap und Literatur” geht es um das Verhältnis von HipHop-Künstlern zu Literatur und Sprache. In der fünften Folge verrät Fatoni, dass er selbst Kurzgeschichten geschrieben hat. Es geht auch um rassistische Urbayern, das schlechteste Buch der Welt und Bertolt Brecht.

Als ich meiner Mutter erzählte, dass ich mich mit Fatoni treffe, fragte sie mich, ob du Albaner seist.

(lacht) Geil, ne? Ich hatte das ganz vergessen, aber du hast das ja gestern getwittert und dadurch hast du es mir ins Gedächtnis gerufen. Stimmt ja, das passiert manchmal. Was noch viel absurder ist: Es ist nicht nur ein albanischer Name, Fatoni ist anscheinend auch in Indonesien krass verbreitet. Auf Facebook werde ich ständig markiert. Das sind meistens Fotos von Kindern. Ich werde dann gerne auf Fotos von Siebenjährigen, die eingeschult werden, markiert. Das nimmt mir schon Zeit in Anspruch diese Markierungen zu entfernen. Also, das ist nicht auf meinem privaten Account, sondern auf der Fatoni-Seite.

Hast du schon herausgefunden, was Fatoni in Indonesien heißt?

Nein, das habe ich noch nicht herausgefunden. Soweit habe ich noch gar nicht gedacht.

Du hast mal in einem Interview gesagt, dass „Amerika“ von Franz Kafka das letzte Buch war, das du gelesen hattest.

Ja, stimmt. Gut, dass du das sagst, denn vorhin hab ich mir noch panisch gedacht: „Oh Gott, du musst jetzt irgendwelche Bücher nennen.“ Auf dieses Buch bin ich da gar nicht mehr gekommen. „Der Prozess“ von Kafka habe ich auch gelesen.

Ich finde, dass „Amerika“ das beste Buch von Kafka ist. „Wenn du dein ganzes Leben lang als Hund behandelt wirst, glaubst du irgendwann, dass du einer bist.“ Dieser Satz, den Kafka in „Amerika“ schrieb, ist mir nie mehr aus dem Kopf gegangen.

Ja, das kann sein. Ich habe nicht alle Bücher von Kafka gelesen, daher fällt es mir nicht so leicht zu sagen, welches das Beste von ihm ist. Ich muss es auch an dieser Stelle sagen: Ich bin nicht der belesenste Dude, der hier sitzt. Ich lese weniger, als ich lesen wollen würde. Ich arbeite auch als Schauspieler. Das heißt, dass ich beruflich schon recht viele Bücher und Theaterstücke lese. Ich bin aber nicht der Typ, der im Zug oder auf dem Nachttisch immer ein Buch hat.

Bist du Rapper oder Schauspieler?

Das ist eine richtig krasse Frage. Im Moment ist es mehr Rap, weil ich auch meine Festanstellung im Theater aufgebe. Ein festes Engagement im Theater ist sehr zeitintensiv. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass sich das Theaterspielen mit einer ansatzweise ernst gemeinten Rapkarriere krass in die Quere kommt. Auf jeden Fall will ich Schauspieler bleiben, aber ich will Rap und Schauspielerei mehr zusammenführen. Um noch mal auf die Anfangsfrage zurückzukommen: Ich bin Rapper und Schauspieler und ich will beides verbinden. In den USA gibt es ja Leute, die beides sehr gut machen.

Wie genau willst du Schauspiel und Rap verbinden?

In Deutschland und wahrscheinlich auf der ganzen Welt gibt es viele Rapper, die eine Rolle durchziehen. Das ist schon eine Art von Schauspielrap. Alligatoah sagt ja auch zum Beispiel, dass er Schauspielrap macht. Man muss ja auch nicht so viele Namen nennen. Fakt ist: Es spielen viele ein Rolle und das meine ich nicht wertend. Im Gegenteil: Ich finde es eher geil. Ich finde, dass ich sehr verschiedene Songs mache. Auf meiner neuen CD, die jetzt kommt, sind sehr verschiedene Tracks zu hören. Deshalb gibt es da auch verschiedene Rollen zu spielen.

Bleiben wir bei der Schauspielerei: Was sind denn Sätze, die du für die Bühne lernen musstest und die sich in dein Gedächtnis gebrannt haben?

Diese Frage ist wie die Frage nach deinen zehn Lieblingsplatten. Diese Fragen finde ich immer am schlimmsten. Ich werde diese Frage während des Interviews im Hinterkopf behalten und später darauf antworten.

Was war die Rolle, die du im Theater am liebsten gespielt hast?

Auf der Schauspielschule hier in München habe ich „Der Kontrabass“ von Patrick Süskind gespielt. Das ist ein Monolog. Das fand ich ziemlich cool. Was mir noch sehr gut gefallen hat (überlegt): Was hat mir noch sehr gut gefallen? Gerade spiele ich – und das ist gleichzeitig der letzte Roman, den ich gelesen habe – „Kleiner Mann – was nun?“ von Hans Fallada. Da spiele ich den Jachmann; das ist eine ziemlich coole Rolle.

Ist die Misanthropie in deiner Musik von den menschenhassenden Schriftstellern inspiriert?

Michel Houellebecq hat sie so sehr gefördert, dass ich irgendwann seine Werke weggelegt habe, weil ich mich vor seinen Werken so geekelt habe. Es war ein Kampf für mich „Ausweitung der Kampfzone“ zu Ende zu lesen, obwohl es geil geschrieben ist. Das Buch ist einfach so ekelhaft.

Wieso war das Buch zu lesen, ein Kampf für dich?

Ich habe die Figuren einfach gehasst. Gleichzeitig habe ich mich etwas in den Figuren gesehen, aber halt ungern. Gerade in der Hauptfigur, dem namenlosen Loser, habe ich die ein oder andere Parallele zu mir gesehen.

Ja, Houellebecq löst in einem selbst oft einen kontroversen inneren Dialog aus. Wenn mich Gedanken, die er schreibt, fesseln, dann bestimmen sie total meine Sicht auf diese Dinge. Ein Mal hat er zum Beispiel kritisiert, dass heutzutage Beziehungen aus dem Optimierungsgedanken und dem daraus folgenden fehlenden Mut zur Entscheidung scheitern. Dieses „Hmm, ja, ich weiß nicht, ob du der Richtige bist.

Ja, das ist das Problem unserer Generation. Man sollte vielleicht einfach drauf scheißen und chillen (schmunzelt). Ich weiß, dümmster Satz des Interviews, aber irgendwie ist es so.

Auf „Best Time of My Life“ rappst du „Das hier ist die beste Zeit meines Lebens, doch ich werde es erst in zehn Jahren merken.“ Dieses Zitat passt doch ganz gut auf das, was ich sagte, oder?

Ich weiß nicht, ob das wirklich ein Problem unserer Generation ist, oder, ob das typisch Mensch ist – wahrscheinlich ist es eher etwas Menschliches. Ich habe in meinem eigenen Leben immer mal wieder gedacht: „Boah, mit Mitte 20 hatte ich das beste Leben.“ Das ist Bullshit. Vielleicht werde ich mit Ende 30 sagen: „Ende 20 war mega geil.“ Man muss versuchen – und das sage ich mir selbst auch; und auch wenn es kitschig klingt —, das Hier und Jetzt zur geilsten Zeit zu machen.

Spielt dann diese Zeile auf eine deiner persönlichen Erfahrungen an?

Ja, tut sie. In meinen Zwanzigern habe ich ganz lange gedacht: „Mit 17, 18, das war die geilste Zeit.“ Dann war ich mal auf einem Gig – ich war Mitte oder Ende 20 – und mir fielen postpubertäre Teenies auf. Und plötzlich dachte ich mir: „Ich bin so froh, dass das vorbei ist. Das ist ja so schlimm, wie unglaublich eklig betrunken die sind.“ Und auch der Umgang zwischen Mädchen und Jungs ist noch ganz merkwürdig, merkwürdig unerwachsen. In diesem Moment war ich total froh, dass ich diese Zeit hinter mich gebracht habe. Gleichzeitig war ich schockiert, dass ich so lange dachte, dass genau diese Phase die geilste meines Lebens gewesen sein soll.

Eine andere Zeile von dir, die mir super gut gefallen hat (auf „Nicht jetzt“ mit Edgar Wasser): „Ich mag die Attitüde von Widerstand, aber auch Apple-Produkte ziehen mich an„.

Für mich geht es in dem Song sehr um das stetige Hin-und-her-gerissen-Sein. Der Refrain geht ja so: „Ich würde gerne die Welt verbessern, aber nicht jetzt“ Ich bin auf jeden Fall der hin und her gerissenste Mensch, die ganze Zeit, immer. Ich leide auch voll darunter und würde es gerne ändern, aber manchmal muss man einfach eine Entscheidung treffen und durchziehen. Wenn man zu lange wartet, ist das nicht gut. Vor allem als Solokünstler merke ich das: Man kann zu einem Song 100 Konzepte zum Video machen und drehen. Es wird aber immer eine bessere Idee geben. Wenn man nicht irgendwann sagt, das machen wir, passiert gar nichts. Es gibt einen Song von mir – „Come on, es geht auch klüger„, ein sehr dummer Song. Er ist mindestens ein halbes Jahr alt. Und weil ich immer wieder gesagt hab, „Nee, ist doch nicht geil„, gibt es immer noch kein Video dazu. Der Song ist im Übrigen auf meiner Nächsten EP, die „Come on“ heißt.

Zwischen was genau bist du hin und her gerissen?

Zwischen (überlegt) jeglicher Entscheidung: Ich habe jetzt, nach vielen Jahren, den Mut – und nicht weil ich sage: „Jetzt klappt es voll auf kommerzieller Ebene“ –, mich vor allem auf Rap zu konzentrieren. Ich werde jetzt nur noch Rap machen, aber ich will vor allem Musik machen. Die letzten Jahre waren eher so: „Das ist aber auch cool: Ich will Theater spielen, und das, und das, und das machen.“ Mittlerweile habe ich ja auch eine Radiosendung. Es gibt so viele Dinge, die man tun kann, aber – das habe ich lange nicht eingesehen – man kann nicht alles tun. Man hat halt nur ein Leben und einen Tag. Man kann viel versuchen. Mir wäre es zum Beispiel zu langweilig eine Schiene beim Rap zu fahren. Das kann und will ich nicht. „Come on, es geht auch klüger“ ist ein sehr dummer, lustiger Song. Dann gibt es einen anderen Song, über den viele sagen werden: „Woah, voll erwachsen, voll die krassen Gedanken, voll poetisch.“ Das behaupte ich jetzt einfach mal. Das stimmt auch. Und zu beiden Songs werde ich ein Video drehen. Um auf deine Frage zurückzukommen: Als Künstler bin ich zwischen Ernsthaftigkeit und Klamauk – oder um es anspruchsvoller zu formulieren: Satire – hin und her gerissen. Der einfachere Weg zum Erfolg – wie ihn die meisten Menschen definieren würden, also finanziell – ist, sich auf eine Sache festzulegen und die immer durchzuziehen. Das kann ich aber nicht.

Du legst darauf Wert, dass du bei deiner Selbstvermarktung keine gerade Linie verfolgst. Ist aber deine Nicht-Selbstvermarktung schon Selbstvermarktung?

Selbstvermarktung beginnt in dem Moment, an dem ich dich treffe und nicht wie Edgar Wasser sage: „Ich rede mit niemanden.“ Aber diese Haltung kann man wiederum auch als Selbstvermarktung sehen. In deiner Aussage war eine Unterstellung, die so nicht stimmt. Du sagtest, dass ich darauf Wert legen würde, aber ich achte gar nicht darauf. Auch wenn ich mir diese Frage wieder durch den Kopf gehen lasse, dann ist mir das ständig Wechselnde Image lieber. Anders wäre ich von mir gelangweilt.

Du denkst also, dass deine Kollegen von ihrer Inszenierung als Rapper gelangweilt sind.

Ich weiß nicht, ob die von sich gelangweilt sind. Ich bin aber von ihnen gelangweilt. Ich mag halt Überraschungen.

Wo ist dann die Grenze zwischen dir als Mensch und dir als Künstler? Rede ich gerade mit Anton Schneider oder mit Fatoni?

Die Grenze ist manchmal klarer zu sehen, manchmal auch nicht. Jetzt ist sie weniger ersichtlich. Auf jeden Fall zeige ich mich als Fatoni nicht von meinen schlechtesten Seiten. Als Mensch hat man ja noch viel mehr unperfektere Seiten. Auch diese Aussage war jetzt privat. Ich habe mich auch gar nicht showmäßig auf dieses Interview vorbereitet. Am liebsten würde ich nur Interviews geben, in denen ich den Interviewer aus der Reserve locke.

Du schreibst deine Texte langsam.

Ich habe das ja mal in einem älteren Interview mit rap.de gesagt, aber ich weiß gar nicht, ob das noch stimmt. Das hängt ja davon ab, woran man den Schaffensprozess misst. Ich bin natürlich langsamer als manche Rapper, aber auch schneller als andere. Meine letzte EP kam vor genau einem Jahr heraus. Die nächste kommt jetzt. Und das Album mit Dexter kommt auch noch dieses Jahr. Was ich damals meinte, ist, dass ich mich nicht hinsetze und in 20 Minuten 16 Bars schreibe. Das passiert sehr selten. Oft schreibe ich eine Woche lang an einer Strophe. Trotzdem würde ich sagen, dass ich im letzten Jahr so produktiv wie noch nie war. Für das Album haben wir jetzt schon mehr Songs als wir bräuchten. Ich mache aber weiterhin Songs, weil sich das Projekt für mich noch nicht abgeschlossen anfühlt. Manchmal muss ich mich auch zum Schreiben zwingen. Schreiben hat viel mit Fleiß zu tun. Es fällt mir nicht alles in den Schoß. Wenn ich mich mit Edgar Wasser vergleiche: Ich kenne niemanden, der so viel schreibt. Wenn der will, schreibt der einen Song an einem Tag. Der schreibt das dann auch wie so ein Autor. Ich schreibe immer so nebenbei, am leichtesten fällt es mir, wenn ich reise.

Hast du dir in deiner Art und Weise zu texten etwas von Schriftstellern abgeschaut?

Nein, das nicht. Ich habe aber einzelne Sätze aus Büchern in meinen Liedern zitiert. Einen Satz habe ich zum Beispiel von Rocko Schamoni geklaut. Auf meinem ersten Soloalbum habe ich gerappt: „Ich schmuggel‘ meiner Mutter die Pille danach in den Drink“ oder „Du schmuggelst deiner Mutter die Pille danach in den Drink“ und das ist aus Schamonis Buch „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ – wenn ich mich nicht täusche. Kennst du Rocko Schamoni? Das ist deutsche Popliteratur.

Nein, der Name sagt mir leider gar nichts.

Er ist ein krasser Typ: Musiker, Autor, alles Mögliche einfach.

Schreibst du eigentlich auch etwas anderes als Raps?

Ich habe schon öfters angefangen andere Dinge zu schreiben und schon beendet, aber noch nie veröffentlicht; Kurzgeschichten waren das. Die hat aber noch nie jemand gelesen und wird wahrscheinlich auch nie jemand lesen. Ich finde sie einfach nicht gut genug. Ich finde sie belanglos. Sie genügen nicht meinen Ansprüchen.

Reizt es dich Regisseur anstatt Schauspieler zu sein?

Nicht im Theater; bei meinen Videoclips bin ich gerne Co-Regisseur. Beim Video zu „Dicke Hipster“ war ich der alleinige Regisseur. Arvid Wünsch hat gefilmt und gecuttet. Bei Videoclips reizt mich das schon, ja.

Das Theater, an welchem du am meisten gespielt hast, befindet sich in Augsburg. Hast du etwas von Augsburgs bekanntestem Schriftsteller Bertolt Brecht gespielt oder gelesen?

Ich habe nur auf der Schauspielschule etwas von ihm gespielt. Gelesen habe ich viel von ihm: „Der gute Mensch von Sezuan„, „Mutter Courage und ihre Kinder„, „Puntila und sein Knecht Matti„. Ich finde ihn ziemlich super. Man muss aber sagen, dass er viel geklaut hat. „Puntila und sein Knecht Matti“ hat Brecht in seinem norwegischen Exil geschrieben, mit einer norwegischen Kollegin zusammen. Das Stück gab es davor schon, von der Norwegerin. Brechts Version ist nur eine Überarbeitung des schon bestehenden Textes. Außerdem hat er ihren Namen bei den Verfassern nicht erwähnt. Und solche Sachen hat er öfters gemacht. In dieser Hinsicht war Brecht also auch ein Bastard. Und um auf die Frage, die ich vorhin nicht beantwortete zu kommen: Brecht hat ein paar Zitate, die ich super finde. Aus der „Dreigroschenoper“ liebe ich den Satz: „Was ist schon das Ausrauben einer Bank gegenüber der Gründung einer Bank.“ Er hat auch schauspieltheoretische Texte verfasst, die ich super finde. In einem dieser Texte sagt er, dass es darum ginge zwei Künste zu üben: a) die Schauspielkunst und b) die Zuschauerkunst. Das, behaupte ich, ist wichtig bei jeder künstlerischen Tätigkeit. Sich nur nach der Zielgruppe zu richten und sich sozusagen der Diktatur der Zielgruppe zu unterwerfen, ist nicht mein Weg.

Meint die Schauspielkunst, das auf der Bühne zur Schau gestellte und die Zuschauerkunst, die Gabe sein Publikum unter Kontrolle zu haben?

Bei der Zuschauerkunst geht es darum, die Sehgewohnheiten des Zuschauers zu schulen. Wenn zum Beispiel eine neue Theaterform kommt, gab und gibt es immer konservative Strömungen, die das Neue diffamieren. Brecht hat angefangen, die vierte Wand im Theater aufzubrechen. In seinem Verständis von Theater sprechen nicht zwei Schauspieler miteinander und zeigen eine Parallelwelt zur Realität auf, sondern sie zeigen dem Zuschauer auch, dass der Zuschauer Teil des Stücks ist.

Ist das nicht der Verfremdungseffekt?

Das ist eine Form des Verfremdungseffekts. Verfremdungseffekt ist auch auf einem Stuhl zu sitzen und zu sagen, dass ich in einem Auto sitze. Und bei der Zuschauerkunst geht es darum, so verstehe ich sie, Kunst zu schätzen, obwohl sie den Gewohnheiten nicht entsprechen, wie du die Kunst bis dato wahrgenommen hast. Trap ist da ein gutes Beispiel. Als es kam, fanden es ganz viele Leute whack, die es danach geil fanden. Oder ich kann über mich sagen, und da geht es vielen in meiner Generation so: Als Aggro Berlin kam, waren wir alle voll anti. Wenn Leute heute noch so wenig Verständnis für Aggro aufbringen, dann hasse ich sie und denke mir, was das nur für hängengebliebene Mittelstandswichser sind, die keinen Straßenrap verstehen können. Das Gegenteil von der Zuschauerkunst, von der Brecht sprach, ist immer das zu tun, was Erfolg hat.

Die Frage ist nur, wie man den Zuschauer „erzieht“, für mich klingt das etwas bevormundend.

Ja, das ist vielleicht etwas hochnäsig.

Zu sagen: „Ihr seid dumm, ihr checkt’s nicht. Jetzt muss ich euch mal erklären, wie krass das ist, was ich tue„.

Nee, so meine ich das nicht. Es ist halt so (unterbricht, denkt ein paar Sekunden nach). Die meisten Leute sind halt dumm und checken es nicht.

Kendrick Lamar ist da aber mit seinem neuen Album ein Gegenbeispiel.

Der Unterschied bei ihm ist, dass er auf Platz Eins in den Vereinigten Staaten chartet. Die CD ist so Avantgarde und so krass und so unglaublich neu und gleichzeitig alt. Dieses Album ist auf so einem hohen Niveau. Trotzdem wird es direkt von den Hörern angenommen. Das hat mich eher verwundert. Vielleicht liegt das daran, dass die amerikanische Gesellschaft anders ist. Vielleicht tickt deren Gesellschaft gerade im Umgang mit Rap anders als die deutsche.

Was ist das schlechteste Buch, das du gelesen hast?

Ganz ehrlich? Tommy Jaud, kennst du, oder?

Leider nicht.

Das spricht sehr für dich. Tommy Jaud ist, glaube ich, der erfolgreichste Autor Deutschlands. Das ist ein wenig der Mario Barth der Literatur. „Vollidiot“ hat er geschrieben. Und das ist das schlechteste Buch, das ich je gelesen habe. Ich weiß auch gar nicht, ob ich es fertig gelesen habe. (hat immer noch sein Handy draußen, weil er nach einem Buchtitel von Brecht schaut) Guck mal, wenn du Tommy googlest, ist der Vierte schon Tommy Jaud.

Was ist an „Vollidiot“ so scheiße?

Es ist ein ganz platter Humor. „Vollidiot“ wurde auch mit Oliver Pocher in der Hauptrolle verfilmt. Das Buch ist Oliver Pocher in Literatur. Das ist auch wieder asi von mir. Ich habe den Film gar nicht gesehen, aber ich kann es mir auch nicht vorstellen, dass Pocher eine geniale Rolle spielt.

Bist du politisch sehr links?

Es ist immer schwierig das generell so zu sagen, aber ich würde schon sagen ja. Es gibt ja so viele verschiedene Strömungen und dann gibt es innerhalb der selben Strömung Leute, von denen man sich lieber distanziert. Eigentlich poste ich als Rapper nie politisches; ich weiß auch gar nicht, warum ich das nicht mache. Auf meiner privaten Facebook-Seite poste ich fast nur Politisches.

Aus welchen Zeitungen beziehst du dann deine Informationen?

Ich lese die taz, den Freitag, die Süddeutsche Zeitung und natürlich auch Spiegel Online. Mit der taz habe ich ein Problem: Wenn ich bei einem Thema wirklich Bescheid weiß, dann finde ich relativ häufig, dass die Artikel schlecht recherchiert sind. Das ist mir zum Beispiel aufgefallen, als sie über die Gema geschrieben und sie als mafiösen Verband, der nichts gutes bringt, dargestellt haben.

Stößt du auf Probleme in München zu leben und nicht konservativ zu denken?

Für mich ist München ein ganz schwieriges Thema. Ich kann hier nur leben, weil ich sehr viel reise. Ich werde auch irgendwann irgendwo anders gelebt haben. Persönlich habe ich mit München das Problem, dass ich mein ganzes Leben lang hier lebe. Ich kenne die Stadt in- und auswendig. München ist besser als sein deutschlandweiter Ruf. Was ich an Restdeutschland hasse, ist ein extremes Vorurteil gegenüber München. Es soll Berliner Hipster geben, die ein Gespräch beenden, wenn sie hören, dass du aus München kommst. Ich habe auch mit dem Klischee-München nichts zu tun. Noch nie in meinem Leben war ich im P1. An München stört mich, dass es keine Weltstadt ist. München ist extrem „unalternativ“, sehr wenig alternative Szene.

Dieses Café (Café Kosmos) ist aber alternativ.

Ja, das ist eins von zwei, oder so.

Wo würdest du gern leben?

Im Moment zieht es mich sehr nach Berlin.

Erzähl mal ein wenig über deine Radiosendung!

Meine Sendung läuft auf dem Jugendsender von Bayern 3Puls„. Über die Radiosendung kann ich so viel noch gar nicht sagen, denn es liefen erst zwei Folgen. In der Sendung kann ich machen, was ich will: Musik spielen, die ich feiere; sehr viel Blödsinn reden und immer wieder Gäste haben, die ich interessant finde. Das letzte Mal waren Mine und Juse Ju da. Radio wollte ich immer schon machen. Ich bin auch ein großer Fan des Mediums Radio.

Wieso?

Ich höre gerne zu und ich bin großer Fan von Sprache, aber vor allem vom gesprochen Wort.

Welche Radiosender hörst du gerne?

Radio Eins aus Berlin ist sehr gut, FM4 aus Wien ebenfalls, Deutschlandfunk ist auch super. Die Radiosendung „Sanft und sorgfältig“ von Jan Böhmermann und Olli Schulz höre ich auch jede Woche – sehr unterhaltsam.

Wieso bist gerade Fan vom gesprochene und nicht geschriebenen Wort?

Es kann sein, dass es an meiner Faulheit liegt. Ein Sprecher kann aber einem Text Leben einhauchen. Ich stehe auch total auf gute Hörspielproduktionen.

Nenn doch mal gute Hörspiele!

Der WDR macht generell gute Hörspiele. Aus den 80gern feiere ich von Douglas AdamsPer Anhalter durch die Galaxis“ – alle Teile als Hörspiel bearbeitet, glaube ich auch wieder, vom WDR.

Vervollständige bitte diesen Satz, den mir ein Urbayer in einer Bar sagte, als wir über Ausländer in Deutschland redeten: „I mog Türk’n, die wo …“:

Das ist jetzt aber unfair. Ich mag diesen Satz nicht vervollständigen, weil egal, wie ich ihn vervollständige. Der Satz bleibt ein „Ich bin kein Rassist, aber“-Satz.

Ich habe auf der Fahrt hierher seit Langem „Schwererziehbar 2005“ von Fler gehört. Irgendwann rappt er: „Ich bin kein Nazi, doch frag sie, ich schrei‘ wie Hitler„. Damit sagt er in der Logik der „Ich bin kein Rassist, aber“-Sätze, dass er ein Nazi ist.

Fler ist ja auch (bricht den Satz ab), egal. Wir müssen jetzt nicht über Fler reden. Wie hat denn der Urbayer, den Satz vervollständigt?

I mog Türk’n, die wo anständig bleib’n, die wo kei Probleme mach’n, ned klau’n„, und so weiter und so fort.

So ein Spast.

Abschließend: Welches Buch möchtest du den Lesern empfehlen?

Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow.

Foto von Conny Mirbach.