Fler – Neue Deutsche Welle 2 (Review)

Das alte Lied der Fortsetzung ist seit jeher eine schiefe Melodie. Meist auf dem wirtschaftlich und/oder künstlerischen Erfolg ihres Vorgängers basierend komponiert, sieht sich die Fortsetzung oft mit wiederkehrenden Vorurteilen konfrontiert: sie habe keine neuen Ideen, es fehle an Kreativität, sie ficke mit der Redundanz, verfolge wirtschaftsstrategisch motivierte Hintergedanken, und setze alles auf die Hoffnung, im Windschatten des ersten Teils summend, einem röchelnden Interpreten, kurz vor dem Karriere-Kollaps, doch noch den lebensnotwendigen Defibrillator auf die Brust setzen zu können. So steht die Fortsetzung Stirn an Stirn mit einer aus Skepsis geformten Terrakotta-Armee, die vermutlich selbst dem Original Qín Shǐhuángdìs und den Jungs von „300″ die Angstperlen auf den kriegsfarbenen Skalp treiben könnte. Ahuuh, Ahuuh, Ahuuh!

Um Mitternacht, irgendwo in Berlin-Lichterfelde: durch ein Loch im Boden einer Umkleide des örtlichen McFit, belauschen wir, die Handtuchpflicht ignorierend, eine Selbsthilfegruppe für Fortsetzungen. Im Kellergewölbe unter dem Muskelfaserkontraktionstempel wogt ein Nebel, einer Zigarettenverbrennungsanlage gleichkommend. In einer kreisförmigen Runde sitzen deprimierte, von den Narben der Zeit gezeichnete Gestalten. Wie jeden Donnerstag treffen sich „Blackout! 2“, „Matrix Reloaded“, „The Marshall Mathers LP 2“ und „Star Wars: Episode I“ um ihre Sorgen, Angst und Wut zu teilen.

Jemand neues, in Air Max und Hoodie, mit Titanen ähnlichem Emblem gekleidet, Kapuze tief ins Gesicht gezogen, betritt das von undichten Wasserrohren feuchte Areal.

Der Gruppenleiter: Ich grüße dich. Schön, dass du den Mut gefunden hast, dich zu uns zu gesellen. Stell dich doch bitte mal vor.

NDW2: Ähm ja, mein Name ist „NDW2“.

Die Gruppe: Hallo „NDW2″.

Der Gruppenleiter: Erzähl doch mal warum du hier bist, bitte.

NDW2: Okay. Vermutlich kennt ihr das ja. Wenn die Leute dir einfach keine Chance geben wollen. Alles, weil mein Schöpfer 24/7 mit jedem da draußen Beef hat, deswegen unter Schlafmangel von Klingelstreichen um 2 Uhr Nachts leidet, mich daher verschiebt und ich mich obendrein auch noch ständig für meine Herkunft rechtfertigen muss. Dabei hab ich doch so viel mehr zu bieten. Ich erzähl euch mal meine Geschichte.

Alles begann im Jahre 2013: noch weit weg davon irgendwann mal ein „Kugelsicherer Jugendlicher“ zu sein, und in einem Plattenregal oder Downloadwarenkorb zu stehen, spürte ich seit Tag Eins meiner Entstehung, dass ich für meinen Erschaffer mehr bin, als nur das nächste Album. Nie hatte er so viel Arbeit in eine Platte investiert. Nie hatte er für eines seiner Babies derart viel Zeit am Wickeltisch gestanden. Und ich habe neun Brüder. Ich wusste nicht warum, hatte keine konkreten Indizien, aber irgendein Gefühl redete mir ein, dass aus mir was großes werden würde. Vielleicht hat mich das überheblich werden lassen. Aber es gab mir das Gefühl etwas besonderes zu sein, während ich mehr und mehr den Blick für die Realität verlor. Mittlerweile frage ich mich z.B., ob es eine gute Idee war mich „Weißer Tupac“ zu nennen.

Speziell diese Fick-die-Szene-und-deine-Mutter-Attitüde hatte meinen Schöpfer, in einem Prozess des Selbstverteidigung, schon lange vor meiner Geburt erblinden lassen. Blind für angebrachte Kritik. Stur und dickköpfig. Auf dem Kiegspfad wandernd, um den bereits aus Jahren der Grenzliniendefensive abgestumpften Spieß umzudrehen, und mich auf die Jagd im Eifer seines „Hipster Hass“ zu schicken. Gerne hätte ich mich am Mikrophon weiterentwickelt. Um raptechnisch nicht in Reih und Glied mit meinen Brüdern zu stehen. Man will es den älteren ja eigentlich beweisen. Anstatt dessen musste ich Unterhaltungskünstler wie MC Fitti angreifen, mich in Kreuzberg an einen U-Bahnhof setzen, ständig vor dem Range Rover chillen und das Gefühl ertragen, dass dieser Zug doch eigentlich schon lange abgefahren war. Doch war ich loyal und immer auf meines Schöpfers Seite. Soldaten begehen keine Fahnenflucht. Ich wollte für meinen Erschaffer ein „Stabiler Deutscher“ sein. Derjenige, der den Kecks zeigt, dass sie mit Frank White nicht ficken können. Nur wurde mir immer deutlicher, das mein Verfasser in keiner seiner Schaffensperioden so derart allein gelassen wurde, im Gefühl des Verrats, der Illoyalität und des Wankelmuts früherer Verbündeter. Und ich musste erkennen, dass mir kein gesunder Nährboden für meine Entwicklung vom Schicksal zugedacht worden war.

Wurde er doch in dieser Zeit Tag ein, Tag aus, von halb (Rap-)Deutschland attackiert. Musste sich mit verfeindeten Rappern, kahlköpfgien Pädagogen, einem angeblichen Rückenproblem auf Motorrädern und der NPD rumschlagen. In den Folgemonaten dachte ich, dass dieser äußere Druck, all die Schüsse, all der Hass, mich auf ein neues „Level“ bringen würde. Mir mitten „Im Auge des Sturm“ die Kraft geben könnte, zu zeigen, dass mein Urheber mehr am Mic ist, als der Deutsche, als derjenige, der symbiotisch „Vermischt mit dem Beton“ ein karges Dasein fristet. Und tatsächlich bekam meine Suche nach Hoffnung die erbittete Nahrung.

Der Tag an dem mein Verfasser die erste Strophe und Hook zu „Zurück aus Bonnys Ranch“ auf meine Haut tattowierte, lies mich endlich erkennen, wer der Junge unter all dem „Gangster Rap 2.0“ ist, den im Ghetto nicht jeder kennt. Ohne dabei peinlich oder gezwungen nachdenklich nach Ausdruck seiner kindlichen Erinnerungen zu ringen, berührte er mich und brach kurz die Fassade auf. Gab mir einen Einblick in den Abgrund. Ein kurzes Kippen, eine kurze Begegnung mit seiner Mutter, der Anstalt und dem Kampf gegen sich selbst.

Doch dann kam „Junge mit Charakter“. Und all die öffentlichen Fehden, die Abneigung, die Feindseligkeit und der wirtschaftliche Zwang sich zu behaupten, hatten sich wie Säure in meine Seele gefressen. Der kurze Ausblick, den mir „Zurück aus Bonnys Ranch“ gewährt hatte, verkümmerte. Der Versuch die Leere und Zweifel mit „Drogen, Nutten und Cash“ zu füllen, blieb so ertraglos, dass man mich letztlich sogar zwang, mich mit Sentence zusammenzutun. Alles auf der Suche nach Anerkennung, in deren Seitenspiegel zahlreiche Konkurrenten an mir vorbeizogen, die das Berliner Selbstverständnis zweifelsohne hätte klatschen müssen.

Mehr und mehr wurde mir die Bürde bewusst, die mir mit meiner Veröffentlichung obliegt. Und die Dämmerung einer Erkenntnis, dieser nicht gerecht werden zu können. Dann kam der Tag, an dem mein Schöpfer in einem Interview sagte:

Es war mir auch wichtig, dass wenn die Leute Geld für eine CD ausgeben, oder auch für eine Amazon-Box, dass die dann auch wissen, okay, wir werden noch mal komplett neu überrascht […] wenn im Vorfeld zu viel releast wird, manchmal ist man happy damit, dass man schon so viel Output hat vorher, manchmal denkt man sich, man scheiße, dass ist ein bisschen zu viel, ich will mich aufs Album freuen, das ist halt manchmal das Ding, und bei mir kriegen sie halt beides.“ (rap.de-TV)

Keine zwei Monate später, wurde ich dann in Scheiben geschnitten, und jeder Finger, beide Hände, mein Kopf, die Beine und alle Organe, wurden einzeln in ein Schaufenster gestellt. Ich kam mir vor wie bei Körperwelten. Und irgendwo verarscht.

Auf der Straße erzählten die Leute mir, dass der Track „Kugelsicherer Jugendlicher“ schon lange vor meiner Zeit als möglicher Album-Titel im Umlauf war. Ein kleine urbane Legende. Und ich wüsste nicht, wo ich heute ohne dieses tongewordene Statement stünde. Ob ich noch im wankenden Boot meines Schöpfer sitzen würde? Keine Ahnung. Aber dieser Track, verdammt dieser Track bringt all das zusammen wofür die Leute Frank White lieben können und müssen. Der Sound, die Ignoranz, die Pöbelei, die Überheblichkeit, der Druck und Bilder des Berliner Asphalts sind zugleich Zukunft und Vergangenkeit. Das gibt mir die Hoffnung, dass mein nächster Bruder, mein erster kleiner Bruder, es besser haben wird als ich.

Im Kellergewölbe unter dem Muskelfaserkontraktionstempel herrscht schweigen. Manche schauen auf den Boden, andere nicken, Sekunden fühlen sich wie Stunden an. Langsam beginnen die anderen Fortsetzungen zu applaudieren.

Der Gruppenleiter: Wow. Ich danke dir für diese ehrlichen Worte. Sowas bringt uns alle weiter. Danke.

NDW2: (eine Walther aus der Bauchtasche des Hoodies ziehend) Das hat gut getan, aber mit Losern wie euch chill ich trotzdem nicht: Südberlin Maskulin!!!

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