Review: Shindy – Dreams

Shindy, Deutschraps Mann für die schweren Jobs. Seine Mission: Deutschrap, diesem immer noch oft groben und schwerfälligem Typ, endlich die Eleganz, den Stil und die Lässigkeit beizubringen, die wir an Ami-Rappern so lieben. Ohne dabei den Fehler zu machen, den so viele andere teutonische Rapper machen: Statt einer glaubwürdigen Umsetzung mit genügend Eigenanteil aufs bloße Abkupfern zu setzen, umgangssprachlich auch Biten genannt. Mit dem unverbrauchten, stellenweise noch etwas unfertigen, aber frischen „NWA“ sowie dem schon deutlich ausproduzierteren, wenn auch teilweise sehr an US-Originale angelehnten, trotzdem sehr starken „FBGM“ hat er bereits verdienstvolles in dieser Richtung geleistet. Nicht, dass er das Rad neu erfunden hätte. Aber er hat mit seinem Stilbewusstsein, seiner geschmackvollen, geradezu aristokratischen Art, Reime zu setzen und seinem ebenso geschmackvollen Händchen fürs Soundbild eindeutig neue Reifen aufgezogen.

Und nun?

„Dreams“ soll die nächste Stufe erklimmen. Die Vorzeichen standen ja auch gut: Das Produzententeam wurde nochmal deutlich erweitert – und das allen voran um O.Z., der auch Beats auf Ami-Alben platziert, also weiß, wie die gewünschte Ästhetik erreicht wird. Neben dem Schweizer und Shindy selbst sind B-Case, Kellek Baldwin, Cubeatz, SpecNicos Santos und Jeremia Anetor Teil der Mannschaft. Und die hat in der Tat ganze Arbeit geleistet. Noch weit mehr als „FBGM“ hat „Dreams“ einen uniquen Soundentwurf zu bieten. Waren bei erstgenanntem noch hier und da starke Ähnlichkeiten zu bereits veröffentlichten US-Songs erkennbar, ist das dieses Mal nicht der Fall. Trotzdem oder gerade deshalb ist der Sound des Albums noch näher am State of the Art – den nach wie vor nun mal die Jungs und Mädels jenseits des Atlantiks definieren.

Und auch wenn Shindy selbst in „Statements“ von Sido-, Savas– und Bushido-Level spricht, ist klar, dass sein Maßstab die Amis sind. „Das hier hat mit Deutschrap nichts mehr zu tun“, heißt es dann auch im letzten Song „Eggs Benedict“.

Es ist schon bemerkenswert, wie gut das alles klingt. Seien es die cloud’esken Klänge auf dem Opener „Kudamm X Knesebeck“ oder das hervorragende „Halleluja“, seien es klassischere 2005-Entwürfe wie auf dem Titeltrack, seien es an die Bad Boy-Ära angelehnte Klänge wie auf „Playerhater“. Das sitzt alles, das klingt gut abgeschmeckt, das ist nicht der hohle, statische Nachbau, den man auf Deutschrap-Releases immer noch oft hört. Selbst die wahrlich großartigen Beats von „Vibe“ kommen da nicht ganz ran. Zudem folgt „Dreams“ einem stringenten Aufbau, zieht einen unaufdringlichen, dezenten, aber klar erkennbaren Spannungsbogen. Es gibt tatsächlich keine Produktion, die nach Lückenfüller klingt oder im Vergleich zum Rest deutlich abfällt. Muss man erstmal schaffen. Mir fallen nicht mal besonders viele Ami-Alben ein, auf die das zutrifft.

Sprache ist Luxus

Und auch am Mic hat Shindy sein Game weiter verfeinert. Besonders an seinem Stimmeinsatz hat er gearbeitet. Statt alles nur in gleichmäßiger demonstrativ zur Schau gestellter Langeweile vorzutragen, legt er bei vielen Parts eine forschere, rauchig krächzende, etwas agressivere Delivery an den Tag. Für seine Verhältnisse geht er geradezu aus sich heraus. Dadurch klingt der angeberische Inhalt noch einen Tick glaubhafter, seine Begeisterung über die aufgezählten Luxusgüter noch greifbarer, seine Arroganz und Ignoranz noch herablassender. Dazu experimentiert er des Öfteren mit dem guten, alten Autotune-Effekt – und hat zum Glück das richtige Gespür für einen sinnvollen Einsatz.

Auch seine elegante Raptechnik kommt auf „Dreams“ besser als denn je zur Geltung. Shindy weiß genau, wo er Pausen setzen muss, er kann das Thema anziehen und im richtigen Moment wieder vom Gas gehen, er klingt trotz eines stets wieder gern betonten Desinteresses an allen Menschen außer ihm selbst nicht monoton. Klar, das war auch schon auf den Vorgängern zu hören, auf dem neuen Album setzt er seine Stärken allerdings noch selbstsicherer ein.

Einige schwächere Wie-Vergleiche fallen im Vergleich zum Rest zwar ab, „Große Klappe wie ein Schwertfisch“ etwa. Aber Shindy setzt meist sowieso eher auf andere lyrische Waffen. Seine Punchlines tragen weiße Handschuhe, treffen aber immer meistens direkt ins Schwarze:

„Und all ihr neuen Ralfs, fickt nicht mit ’nem Michael
Dreams ist ein Paniniheft, in dem kein Sticker fehlt“

„Mein Leben ist kein Ponyhof, das ist ’ne Pferdekoppel
Ich genieße nur die Zeit, ich bin ein Zeitgenosse“

Form und Inhalt

Angesichts dieser eleganten lyrischen Ästhetik ist es nur konsequent, dass der Inhalt weiterhin, wie schon beim Vorgänger, hauptsächlich aus Materialismus der überteuerten Sorte besteht. Aus hemmungslosem Geprahle mit dem eigenen Erfolg, mit oberflächlichen Sexualbeziehungen, mit Geld, mit luxuriösen Wertgegenständen und Fortbewegungsmitteln. Dabei fällt auf, dass Shindy dennoch geradezu schwäbisch bodenständig bleibt. Seine Schilderungen entsprechen (aller Wahrscheinlichkeit nach jedenfalls) exakt seinem Alltag. Und der spielt sich nun mal größtenteils im sündhaft teuren Waldorf Astoria-Hotel am Kudamm ab. Da ist es sehr schön, aber eben auch sehr schön ruhig. Angenehm langweilig, könnte man sagen. Er ist kein Typ, der auf Partys herumhängt oder morgens um 5 in eine Kneipe geht und dort die verrücktesten Menschen der Welt kennenlernt, sich prügelt oder eine Sekte gründet, sondern ein eher ruhiger Zeitgenosse. Vernünftig, ehrgeizig, fleißig. Was er hat, hat er sich erarbeitet, und über die Früchte des Erfolgs freut er sich wie ein kleines Kind.

Alles natürlich respektabel. Ich frage mich aber, was wäre, wenn ein kleiner Schuss Wahnsinn durchblitzen würde. Wenn Shindy einen tieferen Blick hinter die coole Fassade zulassen würde. Es müssen ja nicht gleich die berühmten trust issues seines angeblichen Vorbilds Drake sein. Aber ein wenig mehr echte, ungefilterte Gefühle, Angst, Hass, Wut, Zweifel – wie würde das wohl klingen?

Ein erster, vorsichtiger Schritt in diese Richtung ist der vorletzte Song „31. Dezember“:

„Wurde zu ’nem Diamanten unter Leistungsdruck
Noch immer das Gefühl, dass ich mei’m Vater was beweisen muss
Wahrscheinlich treibt mich das in den Perfektionismus
Für meine Sünden gibt’s kein’ Exorzismus“

Realest shit I ever wrote-Style. Davon hätte ich persönlich gerne noch mehr gehört, gerade auch, weil es mit der ansonsten wenig hinterfragten kapitalistischen Erfolgslogik bricht. Aber vielleicht hebt Shindy sich das ja für sein viertes Album auf. Irgendwie muss es ja weitergehen.

Epilog

Beim Durchstreifen des Internets stoße ich auf eine US-Rapseite, auf der Shindys „Dreams“ wie selbstverständlich zwischen Alben von B.o.B., Lil Yachty und A Tribe Called Quest gelistet ist. Ich würde sie verlinken, aber es handelt sich leider um eine illegale Downloadseite. Soviel jedenfalls zum Thema Ami-Level…