Review: Pilz – Kamikaze

Pilz ist eine Frau. Gut, dieser vieldiskutierte Punkt wäre hiermit abgehakt. Viel interessanter aber ist, dass diese Frau eines der härtesten und authentischsten Alben dieses Jahres zu verantworten hat. Auf der Habenseite von „Kamikaze“ stehen eine kantige, glaubwürdige Attitude der Marke Hollywood Hank, roughe Punchlines, ein Untergrund-Vibe für Kenner und kluge, unaufdringliche Gesellschaftskritik. Dafür muss man aber den ein oder anderen Fremdscham-Moment, einige lieblose Reime und ein anstrengendes Soundbild in Kauf nehmen.

Für den letzten Punkt ist vor allem Pilz‘ Stimme verantwortlich, die aber keineswegs schlecht ist – nur eben hin und wieder anstrengend. Die herrlich ekelhafte Schreistimme der Lübeckerin passt aber perfekt zur Musik, die sie macht, verhindert lediglich jegliches easy Listening. Im Vergleich zu ihrem Debüt „Beef“ ist das auch schon viel gefälliger geworden, sie setzt ihre Stimme kontrollierter ein, hat ihren Flow entschleunigt und sieht außerdem auch von überladen-synthetischen LoFi-Produktionen weitgehend ab. Hooks wie bei „Hurra, die Schule brennt“ tun aber einfach weh. Ob man sich das antun kann, ist eine reine Frage der Schmerzgrenze – gerade diese brutal laute und schiefe Hook ist mein absolutes Highlight des Albums, obwohl sie die Ohren halb vergewaltigt. Einschlafen ist da sicher nicht. Klassisch ästhetisch kann diese Stimme sowieso nicht klingen, also lieber die starken, wenn auch polarisierenden, Methoden ausspielen. Für Drake-Fans ist das nichts, Eminem-Fans werden ihre helle Freude haben.

Und nicht nur die Stimme, auch die Produktionen von Christian Neef, ehemals Psyk, und Loca sind harte Kost. Kantige, rohe Samplebeats rumpeln und scheppern skizzenhaft sturr umher, während Pilz dich in akzentuierten Stakkato-Flows schrill beleidigt – und das macht richtig Spaß, auch wenn es die Ohren halb vergewaltigt. Klingt zwar, als wäre es direkt aus Mitte der Zweitausendnullerjahre entsprungen (ein Tokio Hotel-Diss oder Ähnliches hätte nicht überrascht), aber genau das ist der zeitlose Underground-Vibe, den man im heutigen Cloud-Trap-Dschungel mit der Lupe suchen muss. Gelegentlich kackt da zwar ein auffällig schlechter Reim rein, der zwar zur Kein-Fick-Attitüde passt, aber klingt, als wäre er in wenigen Sekunden aufs Textblatt geschissen worden. Gerade zwischen den meist sauberen, aber nicht streberhaften Ryhmes fallen Dinge Zeilen, in denen „Welt nicht mehr“ auf „Stirn fässt yeeeah“ gereimt wird, unweigerlich negativ auf. Bei den gehaltvolleren Songs, die sich durch die zweite Hälfte des 15 Tracks starken Albums ziehen, kann man das verzeihen. Bei Battlerap-Punchlinern nicht.

Zwei Dinge durchziehen das gesamte Album: Die eigene Realness und die eigene finanzielle Situation (die offenbar nicht sehr rosig aussieht). Die Brokeness taucht auch als Leitmotiv für eigene Songs auf und wird dabei meist ziemlich smart angefasst, einige Lines sind dann aber noch ein wenig edgy. „Tu nicht so, als hätten wir ’ne Wahl in diesem Land“? Ihre Geschichten vom klauen gehen und gestrichenem Arbeitslosengeld sind da deutlich interessanter. Trotz Aussagen wie „Ich bin nicht gebildet, nicht politisch engagiert“ oder „Ich geh‘ ins Wahllokal, nur um da was aufs Blatt zu malen / Ich habe keine Ahnung, wer grad‘ was zu sagen hat“ sind die schonungslosen Aussagen intelligenter und besser verpackt, als auf den meisten Alben, die sich auf die Fahne schreiben, politisch zu sein. „Kaffee trinken ist kapitalistisch! Tabak rauchen ist kapitalistisch! Bananen essen ist kapitalistisch – das musst du wissen! Is‘ wichtig!“. Das Referat von Labelchef D-Bo ist aber doch ein bisschen zu viel, wenn auch inhaltlich wertvoll.

„Kamikaze“ ist ein verdammt treffender Albumtitel: Pilz nimmt keine Rücksicht auf Verluste, verkörpert Härte glaubwürdiger als die meisten ihrer männlichen Kollegen und treibt mit ihrem chaotischen, lauten Sound gestandenen Adrenalinjunkies den Puls in die Höhe. Sollte einem das zu anstrengend sein, ist das voll und ganz verständlich. Freunde von rumpeligen Produktionen mit Eastcoast-Garagen-Beigeschmack und deutschem Untergrund-Swagger kriegen aber ein starkes Album mit Ecken und Kanten, dem man Einflüsse á la JAW (der auch gesamplet wird), Morlockk Dilemma und Hollywood Hank sehr positiv anhört.