Xatar – Nr. 415 (Review)

Lieber Xatar,

Als erstes möchte ich mich umfassend und in voller Ausführlichkeit für den ganzen Trubel bedanken, mit dem Du in den letzten Jahren für unzählige Stunden Gesprächsstoff gesorgt hast.

Die diversen Schießereien, Dein Mitwirken bei der „Der Bluff„, die Schlägerei auf der Playboyparty inklusive Deiner Flucht aus den USA und schließlich der legendäre Goldraub, wieder gefolgt von einer halsbrecherischen Flucht, aber diesmal um die halbe Welt. Zu guter Letzt haben sie Dich dann doch erwischt und verknackt, aber von der Beute fehlt weiterhin jede Spur. Also wenn das nicht der Stoff ist aus dem Hollywoodstreifen gemacht werden, dann weiß ich auch nicht.

Es gab Zeiten da hagelte es täglich neue abenteuerliche Meldungen über Dich und plötzlich wurde uns allen eins klar: Xatar ist offenbar wirklich Deutschlands erster richtiger Gangsterrapper. Wobei das Gangster bei Dir doch für wesentlich mehr Wirbel sorgte als das Rapper. Dabei war Dein Debütalbum „Alles Oder Nix“ aus dem Jahre 2008 eigentlich eine ziemlich runde Sache. Keine Genrerevolution, aber authentisch, musikalisch sehr eingängig und auf jeden Fall äußerst unterhaltsam.

Das alles toppst Du jetzt mit deinem zweiten Album „Nr. 415„, das du der Legende nach mittels Diktiergerät direkt in deiner Zelle eingerappt hast. Mal ganz ehrlich. Wie authentisch ist das denn? Im ersten Moment weckte die Vorstellung eines Knastalbums bei mir unangenehme und längst verdrängte Erinnerungen an die unterirdische Aufnahmequalität von C-Murders „The Truest Shit I Ever Said“, aber meine Bedenken sollten sich nach den ersten Anspielpunkten von „Nr. 415“ in Luft auflösen.

Denn ich als Laie höre dem Album seinen komplizierten Werdegang zu keinem Zeitpunkt an. Aber genug von dem technischen Firlefanz. Nachdem über Dich, Xatar, drei Jahre lang nur in den Medien berichtet wurde, sprichst du nun endlich Klartext mit uns. Der Prozess ist durch und Du musst kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Auf Deinem zweiten Album reagierst du erstmals öffentlich auf all die Anklagepunkte, die mehr Gangster sind, als die Lebensläufe deiner vereinigten Straßenrapkollegen zusammen.
Und was Du zu berichten hast ist spannend. Ich meine so spannend, dass ich Dein Album höchst konzentriert in einem Rutsch durch gehört habe, obwohl ich eigentlich wirklich andere Dinge zu tun gehabt hätte. Aber manchmal muss man eben Prioritäten setzen.

Deine Geschichten rund um zersiebte Babas, Drogen, Nutten und Waffen sind einfach ganz großes Kino. Es macht Spaß und ist aufregend, von seinem sicheren Gartenstuhl aus einen Trip in die deutsche Unterwelt zu unternehmen. Dabei klapperst Du akribisch genau die Taten ab, die schließlich zu Deiner Verhaftung geführt haben („Für Immer Yok„, „Interpol.com„), erzählst detailverliebte Geschichten aus dem Milieu („Ein Dieb Kann Kein Dieb Beklauen„, „Befeindete Freunde„) und erklärst mir absolut nachfühlbar, wie Du in dieses Leben hineingerutscht bist („Es Ist Wie Es Ist„). Dass sogar ein Typ wie Du mit Zweifeln bezüglich seiner Berufswahl zu kämpfen hat, machst Du mir auf Songs wie „Wieder Erreichbar (feat. Kalim & Ssio)“ eindringlich verständlich.

Und Deine Haltung! Während halb Gangsterrapdeutschland in Interviews rumheult, sobald es mal richtig zur Sache geht, bleibst Du einfach nur cool und hart. Schüsse auf Dich und Deine Jungs, Folterungen im Irak, mehrjährige Haftstrafen – gehört eben alles zum Geschäft. Da muss man einfach durch, jammern oder seine Werte verraten kommt natürlich nicht in Frage. So kündigst Du auf „Wenn Ich Rauskomm“ auch gleich an, nach Deiner Entlassung erstmal Schellen an die Verräter zu verteilen. Du bleibst eben Deinem Weg treu. Rappen kannst Du mittlerweile auch sehr ordentlich. Die teilweise sehr amtlichen Reimketten auf „Nr. 415“ sind Lichtjahre von den simplen Haus-Maus Nummern auf dem indizierten „Alles Oder Nix“ entfernt.

Mein großes Lob gilt auch Deinem Produzenten Maestro und seinen Mitstreitern. Die Instrumentals sind so eingängig und soulig, dass das Album aus eigener Erfahrung auch bei Leuten ankommt, die man mit deutschem Gangsterrap für gewöhnlich um den Block jagen kann.

Gäste hast Du auch einige am Start. Bero Bass, Nate57, Ssio und Farid Bang fügen sich hervorragend in das Gesamtkonzept ein. Dagegen wirkt Eko Fresh etwas deplatziert. Aber sag mal, wo hast Du eigentlich diese Schwesta Ewa aufgetrieben? Wenn die auf ihrem hoffentlich bald erscheinenden Debütalbum auch nur ansatzweise so die Beats zersägt wie auf eurem Song Beifall, dann erwarte ich nicht weniger als das erste Album eines deutschen Female Mcs, das ich abfeiern kann. Wo wir gerade bei Beifall sind. Was hat Kool Savas Dir eigentlich getan? Na ja, wird schon alles seine Gründe haben, wobei ich mit dem King of Rap in dieser Situation ungern tauschen würde.

Kommen wir zu dem absoluten Feature-Höhepunkt des Albums: Dem Possecut „Konnekt„. Wenn nacheinander Du, Celo, Abdi, Capo Azzlack und Haftbefehl ohne Hook über dieses Hammerinstrumental flowen, dann ergibt der sonst so konsequent ignorierte Repeatbutton an meinem MP3-Player endlich mal Sinn. Ich freue mich übertrieben auf „Hinterhofjargon„, frage mich aber, warum Hafti seine besten Parts immer über die Alben anderer Künstler verteilt.

Soviel zu „Nr. 415„. Kommen wir zu einem anderen Thema. Es soll ja allen Ernstes Leute geben, die Dir Deinen Lebensstil und die Verherrlichung des Gangsterdaseins übel nehmen. Zu diesem Thema wurde sogar eine einstündige Reportage gedreht. Aber was erwarten diese seltsamen Menschen denn von dir? Du bist Gangsterrapper. Ein Gangster, der rappt. Würdest du keine Gangstersachen mehr machen und dich moralisch und pädagogisch korrekt verhalten, wäre dass doch nicht mehr dasselbe. Die Argumente gegen dich sind doch reichlich hirnrissig.

Es sei denn sie richten sich gegen Gangsterrap im Allgemeinen. Aber mal ganz ehrlich. Wer will denn bitte eine Welt ohne Gangsterrap? Wie langweilig wäre das denn? Aber diese Jammerlappen, Hazaks würdest Du sie eventuell nennen, sind wahrscheinlich dieselben, die back in the days das erste Fumanschu-Album und die Westberlin Maskulin-Platten dem Genre Gangsterrap zugeordnet haben. Dank Dir kann ich heutzutage jedem Klugscheißer, der mir mal wieder erklären will, dass es echten Gangsterrap nur in den Staaten und in Frankreich gibt, endlich einen Namen entgegenschleudern. Und der lautet verdammt noch mal Xatar! Deutscher Gangsterrap wird in 2012 eben nicht länger ausschließlich von narzisstischen Sozialversagern mit Scarface-Fetisch und Marihuana-Problemen produziert. Diese Zeiten sind ein für alle mal vorbei!

Also halt die Ohren steif! Meinen Berechnungen zu Folge hast Du noch etwa sechs Jahre vor Dir. Vielleicht beehrst du uns ja zwischenzeitlich mit weiteren Alben aus dem Knast, wie es Maestro kürzlich in einem Interview durchsickern ließ.

Bis dahin alles Gute!

René