Vega – Vincent

Wir schreiben das Jahr 2012. Alle im Deutschrap haben sich lieb. Wirklich alle? Nein. Ein Frankfurter Rapper leistet erbitterten Widerstand. Er hat keinen Bock auf Gruppenkuscheln. Und Röhrenjeans trägt er auch keine. Dann doch lieber eine schwarze Lederjacke, wie er gleich im Intro „Vincent ist da“ verkündet. Vega ist immer noch abgeturnt von der Szene und stellt dies gerne immer wieder klar. „Ich weiß, ihr Punks habt nicht das Herz wie ich„, bellt er in Richtung von Rappern, die „schwul mit der Popmusik“ ficken. Vega fickt ganz sicher nicht mit der Popmusik. Dann doch lieber mit brachialen, pathetischen Synthiebeats, auf denen er seine wütenden, ausdrucksstarken Raps bevorzugt spuckt.

Vega steht überhaupt auf Drama und Pathos, auf starke Worte und harte Ansagen. Die Soundästhetik auf „Vincent“ ist dementsprechend stringent. Geradezu bombastisch blasen die Beats aus den Boxen, gerne mit Streichern, gerne mit Chören, gerne düster und dramatisch. Dazu rappt Vega Zeilen wie „Sagt den Leuten, ich hab Meere durchschwommen/ nein, sagt ihnen, ich hab Berge erklommen (…) geht und sagt ihnen, ich bin durch Stürme gerannt, sagt ihnen keiner von euch führt diesen Mann“ („Dem Himmel so nah„). Seine Sprachbilder sind einfach, aber eingängig und erzeugen, gepaart mit den besagten Beats, ein stimmiges Gesamtbild – und immer wieder Gänsehaut-Atmosphäre. Wie ein roter Faden ziehen sich vier kürzere Songskits durch das Album, die nach den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft benannt sind und durch die Bank zu den Höhepunkten auf „Vincent“ zählen, weil sie Vegas Rezept in besonders verdichteter Form komprimieren. 

Konkrete, auserzählte Geschichten finden sich auf „Vincent“ eher nicht, aber Vegas Texte sind so angelegt, dass sie oft durch ein, zwei rasch hingeworfene Zeilen Bildergeschichten im Kopf des Hörers entstehen lassen. Obwohl kein klassisches Konzeptalbum, erzählt das Album ohnehin insgesamt eine Geschichte. Eine Geschichte von Enttäuschung und Schmerzen, aber auch von Unbeugsamkeit und Durchhaltewillen und von einem unbeirrbaren Stolz und Glauben an sich selbst und die eigenen Werte. Diese muss man übrigens nicht restlos teilen, um dem Album etwas abzugewinnen – lassen wir die Diskussion über vermeintlich oder tatsächlich homophobe Zeilen einfach mal beiseite und klären das lieber im Interview.

Denn: Das ist nun mal Vegas Welt. Sein Männlichkeitsbild ist klassisch und ohne ironische Brechung, es beinhaltet keine tränenreichen Geständnisse der eigenen Verletzlichkeit, kein Ausleben hypersensibler oder vermeintlich weiblicher Seiten und keine Kosmetiktipps für Herren. Vega ist vergleichbar mit dem trutzigen Held eines Actionsfilms, der unbeirrbar seinen Weg geht, hart, aber herzlich, roh und ungeschliffen, immer mit einem klaren Ziel vor Augen und dem Willen im Herzen, dieses um jeden Preis zu erreichen. Verzagtheit, Zögerlichkeit oder Selbstzweifel kommen zwar durchaus vor, werden aber nicht zelebriert, sondern bekämpft und überwunden. Vega setzt auf die ganz großen, ungebrochenen Gefühle. Klar weinen Männer auch mal, aber nur, wenn sie einen richtigen Grund dafür haben: „Vergesse nie die Tränen in der Nacht, in der ich dachte, du stirbst“ („Nur du„, eine Liebeserklärung an seine Frau).

Die Einsamkeit des Protagonisten ist nicht Außenseitertum, sondern selbstgewählt und entspringt einer unbestimmten Sehnsucht nach Erlösung von all dem Dreck, der ihm das Dasein oft vermiest. „Den letzten Abend im Herbst bin ich allein seitdem ich 13 bin/ und wenn der Regen draußen fällt werde ich ein kleines Kind„. Trotz des Labelnamens Freunde von Niemand gibt es in dieser Welt auch Freundschaft. Wie diese auszusehen hat, erklärt Vega in „Freund sein„: „Ob du echt oder nicht bist, ich seh’s im Gesicht„. Was immer wieder anklingt, ist auch ein gewisser Eskapismus, dieses Gefühl von Ich-muss-hier-raus und eine Sehnsucht nach der schroffen, aber ehrlichen Natur, was auch im Coverartwork Ausdruck findet. „Und wenn zuhause ist, wo sie mich verstehen, dann muss ich weg von hier/ Muss zurück zu den Wiesen und Wald“ (ebenfalls in „Freund sein„).

Mit „Vincent“ hat sich Vega endgültig sein eigenes Genre geschaffen, nennen wir es einfach mal Pathos-Rap. Seine Texte lassen vor dem geistigen Auge des Hörers eine eigene Welt entstehen, in der man gerne hin und wieder zu Besuch ist, auch, weil sie, verglichen mit der realen Welt, überschaubar und nachvollziehbar ist – aber vor allem, weil es dort nie langweilig wird.