Prinz Pi – Im Westen nix Neues [Review]

Im globalen Westen spielt sich für jeden dieselbe Leier ab: Schule, Ausbildung, Arbeit, Familie, Rente, Tod. Das hat auch Prinz Pi erkannt, auf seinem neuen Album „Im Westen nix Neues“ bricht er das selbstverständlich nicht so plump auf eine Handvoll Stichworte herunter – im Gegenteil. Es handelt sich um das vielleicht komplexeste Album in Pis beeindruckend umfangreicher Diskographie. Nach eigener Aussage soll „IWNN“ eine Brücke zwischen „Kompass ohne Norden“ und „Rebell ohne Grund“ schlagen – was es aber eher bedingt tut. Wenn man das Album auf einen Satz herunterbrechen möchte, dann eher darauf, dass es die konsequente Weiterentwicklung von „KON“ darstellt. Weniger kitschig, weniger nichtssagend, ausgereifterer Sound. Leider nur „weniger“ statt „gar nicht“ .

Der logische Schritt nach vorne äußert sich in zweierlei Hinsicht: Einerseits sind die Produktionen deutlich ausgereifter. „IWNN“ klingt gewissermaßen einzigartig. Der bei „KON“ eingeschlagene Pfad wird nicht verlassen, allerdings viel stringenter umgesetzt und um einige Nuancen bereichert – der Trademark-Sound nimmt greifbar Gestalt an. Das mag zum einen der Tatsache geschuldet sein, dass Pis langjähriger Wegbegleiter Biztram das gesamte Album produziert hat, zum anderen daran, dass Prinz Pi mit „Im Westen nix Neues“ einfach weniger auf easy-Listening setzt und dementsprechend zotige E-Gitarren, statt glasklarer Pianos (die es dennoch weiterhin gibt), zum Leitelement auserkoren hat. Die sind teilweise arg aufdringlich, etwa auf „Weisse Tapete“ , in anderen Songs, insbesondere dem Titelsong und dem skelettalen „Werte“ kommen die analog verzerrten und eher dezent eingesetzten, vereinzelten Strings aber hervorragend zur Geltung.

Überhaupt ist „Im Westen nix Neues“ ein verdammt musikalisches Album, das vollständig ohne Samples auskommt – was leider schnell in Langeweile umschlägt. Während einige Beats, etwa „Im jetzt ist das Chaos“ das in seiner Skizzenhaftigkeit durchgehend fesselt, es schaffen durch den gezielten Einsatz einzelner Elemente interessant zu bleiben, plätschert ein beträchtlicher Teil der Instrumentale ereignis- und belanglos vor sich hin. Nichts, aber auch wirklich überhaupt nichts, gibt den Instrumentalen von „Ballade für Jojo“ , „Familienalbum Seite 19“ oder „Die Füllung vom Kissen“ eine besondere Würze. Man kann sich durchaus harmlos berieseln lassen, aber mehr als 3-4 Akkorde, ein glattes Gesangssample und dezente Drums bleibt nicht hängen – obwohl so viel mehr passiert und hörbar viel Arbeit in der Produktion steckt. Da fügt sich zwar alles nahtlos zusammen, es sticht aber eben nichts heraus – keines der eingesetzten Elemente catcht, kann den Beat gar alleine tragen oder zumindest irgendwie herausragen.

Trotz der Kluft zwischen fesselnden, einzigartigen Sounds und uninteressantem Gedudel klingt „Im Westen nix Neues“ wie aus einem Guss  und hinterlässt den Eindruck, ein rundes, sogar etwas zu abgeschliffenes Album gehört zu haben. Nicht nur bei der musikalischen Untermalung wurde sehr verkopft und detailverliebt vorgegangen – die Lyrics des selbsternannten Prinzen sind bis ins letzte Detail ausgeklügelt. Das Album steht bis auf vereinzelte Anspielstationen durchgängig unter eingangs erwähntem Stern des westlichen Lebensmodell, das oft auf Alltäglichkeiten heruntergebrochen wird. Pi gibt sich als scharfsinniger Beobachter, der durchdacht vom Kleinen ins Große schließt.

Auf „Schornsteine“ berichtet er aus der Perspektive eines kleinen Fabrikarbeiter von dessen Alltag – allerdings handelt es sich um einen deutschen Waffenfabrikanten. Im zweiten Part nimmt er die Rolle eines Kampfpiloten ein, der frei nach dem Motto „Ich befolge nur Befehle“ handelt. Der drückt guten Gewissens immer denselben Knopf und ist in seinem alltäglichen Mikrokosmos völlig unbefangen – was ein paar tausend Kilometer weiter mit seinen hergestellten Tötungswerkzeugen passiert, betrifft ihn nicht. Aber nicht aus Boshaftigkeit, es ist einfach nicht Teil seiner Realität. Prinz Pi schafft es, das ganze unplakativ und neutral zu verpacken, ohne zu viel Interpretationsspielraum zu lassen.

Prinz Pi ist halt einfach verdammt gut mit Worten, was er besonders auf „Strahlen von Gold“ eindrucksvoll unter Beweis stellt – im Grunde die simple Beschreibung einer erwachenden Stadt. Ein ganz normaler Morgen. Allerdings tobt Pi sich in seiner Eloquenz derart aus, dass man jeder Zeile genau lauschen muss, um überhaupt zu verstehen, welche Banalität er da gerade so detailliert umschreibt. Im Grunde ist es ein Next-Level Pragmatismus, mit dem Pi die handelnden Personen akribisch entmenschlicht und aufs fast schon Wissenschaftliche herunterbricht. Aus einer Frau, die sich morgens schminkt, wird dann: „Cremes ebnen Falten aus dem uns versiegelnden Leder / Farben verstärken Konturen der sich bewegenden Lieder“ und der Start eines Autos „Funken entzünden Gemische gestorbener Echsen der Urzeit“ . Das beschriebene Szenario stellt im Endeffekt „die Stadt voll Verbrechen“ dar, in der sein noch ungeborener Sohn, dem der Song gewidmet ist, aufwachsen wird.

Eine exzellente Wortwahl ist leider nicht alles – so kann Pi bei Songs wie der Zuckerguss-Bombe „1,40 M“ noch so schöne Worte wählen, um sein kleines Bett zu besingen – an Kitsch ist der Song kaum zu überbieten, öde ist er obendrein. Balladen können ja durchaus etwas schönes und berührendes sein, auf „IWNN“ findet sich aber keine, die diese Attribute erfüllt. „Die Füllung vom Kissen“ und „Ballade für Jojo“ , die ich auch schon als Beispiele für ernüchternde Beats anführte, sind unfassbar langwierig und zäh. Die ein oder andere Zeile, etwa „Die meisten die du triffst werden lügen, mein Schatz / Menschen können das nicht von selbst, darum üben wir das“ zündet durchaus, es fehlt aber einfach der Drive, den andere Songs – und vor allem Pis Frühwerk – haben. Durch diese lauen Lüftchen, von denen es leider mindestens eine Handvoll gibt, wird „IWNN“ über die gesamte Spieldauer zu einer Geduldsprobe.

Während der Review-Vorbereitung zuckte der Skip-Finger des Öfteren nervös, schon um mir die erste Anspielstation zu ersparen, oder eben um von „1,40 M“ zum unmittelbar folgenden „Werte“ , das neben dem Titeltrack den wohl stärksten Song darstellt, zu springen. Hätte man „Im Westen nix Neues“ komprimiert und um die Ausflüge, die aus dem konzeptionellen Rahmen fallen, abgeschlackt, hätte man ein stringentes, interessantes und gehaltvolles Album. So ist es leider eine stellenweise schlichtweg langweilige Angelegenheit. Nichtsdestotrotz sind die starken Songs wirklich verdammt stark und Prinz Pi liefert viele interessante, intelligente und abwechslungsreiche Gedankengänge auf eigensinnigen Produktionen. Der eingeschlagene Pfad steht dem Prinzen verdammt gut zu Gesicht – nur sollte er ihn noch konsequenter verfolgen, statt immer mal wieder links und rechts im Gebüsch herumzuturnen. Ich werde nun ein halbes Dutzend Songs löschen und mir ein knackiges, funktionierendes „Im Westen nix Neues“ mit kurzer Spieldauer genehmigen.