Sie werden im Volksmund gerne rappende Youtuber-Lelleks genannt und sind momentan ein omnipräsentes Thema und eine nicht minder große Zielscheibe. Allen voran muss momentan ein Knabe namens Liont als Hassobjekt der Szene hinhalten. Ist der Hass wirklich gerechtfertigt? Ja. Mit „Löwenkind“ veröffentlichte der 22-Jährige ein, ähm, Rapalbum, auch wenn es laut Pressetext „frei und unbeeindruckt von jeglichen Genre-Barrieren“ ist und er selbst unermüdlich betont, kein Rapper zu sein. Warum rappt er dann? Doch von vorn.
Lionts Rapskills muss man wirklich nicht allzu viel Aufmerksamkeit widmen, denn das geflügelte Wort „wack“ ist hierfür einfach das treffendste. Nicht mal die Geschmackssache-Karte kann man hier zücken: Liont rappt, ganz allgemeingültig und unumstößlich, unfassbar wack. Kürzlich habe ich mich in einem Kommentar mit Reimtechnik und ihrem gezielten Einsatz bzw. Missbrauch befasst. Ich stellte in den Raum dass es zahlreiche Rapper gibt, die durch ihren Flow und vor allem ihre Delivery auch mit einsilbigen Reimen gut klingen und daher keine ausgefeilteren Reime benötigen. Liont gehört natürlich nicht dazu. Liont reimt (original Zitat, kein Spaß):
„Ich zeig dir meine Welt / Eine Welt die mir gefällt […] und nur du, ja nur du, du machst meine Welt perfekt / du bist klug und hast Mut und steckst all die anderen weg“ („Komm mit„)
Liont reimt auch „drauf“ auf „Klaus„, „perfekt“ auf „Track“ und „Zeit“ auf „rein„. Das sind keine böswillig herausgesuchten Negativbeispiele, sondern in wenigen Sekunden zufällig entnommene, Stichproben seiner Kunst. Ich bin absolut kein Technikfetischist, aber wenn der Junge dann seine Reime auch noch so betont, dass mindestens ein sauberer Doppelreim notwendig ist, um nicht zu klingen wie ein sturzbetrunkener Kumpel, den man dazu überredet hat, sich doch mal am Freestylen zu versuchen – dann ist das einfach grausam. Man hört Liont übrigens auch die mangelnde Routine, den unausgegorenen Stimmeinsatz und das dürftige Taktgefühl an. Und zwar in jedem Song.
Wirklich ins Gewicht fällt das natürlich ohnehin nicht, denn das Album ist ganz offensichtlich auf seine Zielgruppe zugeschnitten: Präpubertäre Youtube-Konsumenten. Ein Liont-Fan ist mit enorm hoher Wahrscheinlichkeit auch ein DieLochis, Kayef, Y-Titty, Dagi Bee, Herr Tutorial etc. pp. -Fan. Diese gerne das Bravo-Cover-zierende Riege hat einen gemeinsamen Nenner: Youtube Netzwerke. Ein großes Netzwerk ist vergleichbar mit einem Majorlabel in der Musikbranche. Dort untergebrachte, ähm, Künstler erhöhen gegenseitig ihre jeweilige Reichweite. Deals für Produktplatzierungen, Werbeeinblendungen, Partnerschaften und ähnliches werden vom Netzwerk übernommen, im Gegenzug steht diesem ein Anteil von unbekannter Größenordnung der Einnahmen zu. Über die Höhe der Werbeeinnahmen ist von Seiten Youtubes vertraglich festgelegt, dass keinerlei Auskunft gegeben werden darf. Mit knapp 1,5 Millionen Abonnenten und etwa 10 Millionen Videoaufrufen monatlich wird da auf jeden Fall ein hübsches Sümmchen zusammen kommen.
Soviel dazu. Zurück zu besagter Zielgruppe. Selbst wenn wir von Rap-Maßstäben ausgehen, ist Liont wohl der deutsche Rapper mit der jüngsten Hörerschaft. Und wie in seinen Youtube-Videos geht es eigentlich nur darum, sich das Geld von Grundschülern bzw. deren Eltern in die Tasche zu stecken. Der Mann ist 22 Jahre alt. Und hat eine Präsenz wie ein 13-Jähriger. Dementsprechende Themen behandelt er auch.
Ein paar seichte Liebeslieder für seine zuckersüße Freundin Dagi Bee (1,7 Mio. Abonnenten), die an Kitsch und Oberflächlichkeit kaum zu überbieten sind. Alltagsprobleme, mit denen sich jedes seiner Löwenkinder in der Überflussgesellschaft identifizieren kann. Zum durchdrehen, wenn die Freundin beim Shoppen „erst zu Gucci, dann zu Louis“ stratzt und sich einfach nicht für ein paar neue Fummel entscheiden kann. Bei Lionts Jüngern geht es natürlich eher zu H&M und Primark, aber das klingt halt nicht so cool. Und die süße Dagi kann sich’s ja leisten.
Natürlich dürfen haufenweise obligatorische Gute-Laune Songs, für die ein bisschen bei Cro gespickt wurde, nicht fehlen. Ein Song, in dem es darum geht, dass dein Lieblings-Youtuber Montage hasst (der heißt originellerweise übrigens „Montag„), ein anderer handelt dann davon, wie toll Wochenenden sind. Wiederholungen funktionieren. Wiederholungen funktionieren. Als wäre das alles nicht schon schlimm genug: Einen waschechten Representer, der Hatern befiehlt, die Schnauze zu halten, gibt es auch. Gemeinsam mit den Gebrüdern Lochmann, besser bekannt als DieLochis. Gegen Ende des Albums offenbart er dann zum krönenden Finale die Abgründe seiner gebeutelten Seelenwelt und versucht, „Löwenkind“ so etwas wie Tiefgang zu verleihen. Es reicht halt nicht für mehr als eine ganz normale Teenie-Depression. Vor allem die letzte Anspielstation, die den originellen Titel „Kopf gegen Herz“ trägt. Nochmal O-Ton, auch wenn es weh tut:
„Wie kann man behaupten, dass mein Job kein bisschen hart ist? / Alles zieht mich runter mir fehlt fast die Luft zum atmen! // Keiner kennt mich wirklich, meine Krisen, meine scheiß Gedanken / machmal bleibt mir nichts außer literweise Wein zu tanken // und dann hab ich wieder scheiße gebaut / lieg dann tage lang im Bett und stehe gar nicht mehr auf // schluck Tabletten und Tabletten in der Hoffnung endlich einzuschlafen / doch wie ich daraus komme kann mir wirklich keiner sagen // in meinem Kopf spielen sich üble Strorys ab / ich hab Angst vor mir selber und verliere meine macht // Das macht mich fertig und ich greif aus Frust zur Flasche / nur um einmal weg zu sein von all der Angst und all der Kacke“
Ich lasse das mal so stehen. Das erwartbare Fazit: Die 1,5-Sterne Bewertung bei Amazon ist voll verdient. Gehalt- und seelenlose Lyrics, die dreist auf eine Zielgruppe zugeschnitten sind, um sich an dieser zu bereichern. Produktionen, die klingen wie aus dem Magix Music Maker (und zwar der Testversion). Rapskills, mit denen selbst die erste Runde im VBT eine unüberwindbare Hürde darstellt. Und ein Kalkül, das es einem unmöglich macht, dieses Produkt auch nur ansatzweise wohlwollend zu sehen.