Hanybal – Weg von der Fahrbahn (Review)

Das Cover zeigt den Commerzbank Tower neben anderen beglasten Hochhäusern Frankfurts. Es ist Nacht: Die düsenden Autos sind nur noch durch weiße oder rote Striche erkennbar. Den Wolkenkratzern stehen rechts Wohnblöcke gegenüber. In der Mitte steht ein Mann, seine braunen Augen schauen den Betrachter nachdenklich an. Das Äußere von Hanybals Debütalbum „Weg von der Fahrbahn“ vermittelt einen passenden Eindruck seiner Musik.

Es ist ein klassisches Straßenrap-Album, auf welchem der Frankfurter zwar nicht viel wagt, aber durchaus überzeugt: Tracks über Gewalt und den allgegenwärtigen Cannabis-Konsum, Battle-Raps mit einem eigenständigen Flow, rührende Songs über schmerzvolle Phasen der Vergangenheit, ins Ohr gehende Party-Hymnen und sozialkritische Stücke, die aufhorchen lassen.

Hanybal nimmt ungern ein Blatt vor den Mund. Er scheut sich nicht davor, Abgründe des Menschen zu thematisieren – zum Beispiel auf „Was los“ mit Haftbefehl. Der Track schildert Mordphantasien an Kinderschändern und Verrätern. Die visuelle Illustration des Liedes macht den Song erst heikel: Von Verherrlichung der Selbstjustiz war die Rede. Der 32-Jährige ist aber zuerst mal Künstler. Und Kunst muss nicht zwangsläufig moralisch sein. In Interviews distanzierte er sich zudem von der Idee, Gerechtigkeit selbst mit der eigenen Faust oder Waffe zu regeln – trotzdem ein Song, über den man streiten kann, sogar sollte.

Die Zeile „Ha-Qaida: Ich kille Bush“ auf „Blaulicht“ mit Solo ist noch brenzliger; auch diese Zeile entstammt der Abgründigkeit des Menschenkopfes. „Ha-Qaida“ verstehe ich als Wortneuschöpfung aus Hanybal und Al-Qaida. Die Politik des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bushs finden viele nicht gut. Ihn lyrisch – im Battle-Rap-typischen Stilmittel der Übertreibung – umzubringen, wäre schon schockierend unsittlich, aber in Ordnung. Es ist ja wie gesagt Kunst und die muss nicht moralisch sein. Muss man das aber unbedingt im Namen einer Terrororganisation tun?

Mehr Stilsicherheit hat der Neu-Azzlack bei der Wahl von Instrumentals bewiesen. Das merkt man schon in den ersten Sekunden des Albums bei „Is’ mir egal“, produziert von KD Beatz. Die Mischung aus orientalischen Samples und sattem Bass findet sich oft auf „Weg von der Fahrbahn„. Und sie funktioniert prächtig. Ebenfalls erwähnenswert ist das unglaubliche Brett, das Farhot für „Frankfurt Brudi“ gesägt hat. Sascha-Ramy Nour, so des Rappers bürgerlicher Name, hat außerdem ein Talent für Ohrwürmer: etwa „Strassen am brennen“ mit Veysel. Die melodische Hook, aufgemotzt mit dem Autotune-Effekt, geht einem nicht mehr so schnell aus dem Kopf.

Auch gesellschaftlich bezieht Hanybal Stellung. In „Außer Kontrolle“ stichelt er gegen Thilo Sarrazin. Aus seinem eigenen Erfahrungswert schlussfolgert er, dass Kriminalität aus dem Elend heraus entsteht – und keiner „aus Freude zum Täter“ wird. Zur deutschen Integrationsdebatte steuert er trockene und pointierte Zeilen bei, ohne zu beschönigen: „Parallelgesellschaft in diesem Staat: Standard.

Der Höhepunkt des Albums aber ist „Überall Drama“. Bevor Hanybal das weltweite Massenmorden verurteilt, erzürnt er sich über die Widersprüche des menschlichen Lebens im Allgemeinen. Einfach, aber wirkungsvoll.

Wir leben hier auf dieser Erde,
wo Kinder geboren werden,
um in Kriegen dann zu sterben

Auch seine Songs über die Plagen in der Vergangenheit und das Überwinden dieser Phasen, die verächtlich als Kopf-Hoch-Songs abgetan werden, haben ihre Daseinsberechtigung. Sie berühren einen, weil seine emotionsgeladene Stimme durchlebte Schmerzen verdeutlicht. „Auch wenn es schwer ist zu verstehen, dass wir nicht für immer vereint sind“, rappt der Frankfurter in „Spiegel“. Sie könnten auf die Trennung seiner Eltern anspielen, die er mit den Kinderaugen eines Neunjährigen erlebte.

Hanybals Wiedererkennungswert als Rapper liegt vor allem in seinem Flow: oft langsam, und wohlüberlegt schneller werdend, melodisch und dann diese langgezogen Silben – sein „Jaaaaa Maaaan“ ist bekannt. Bei ihm hat man nicht den Eindruck, dass der Beat ihm diktiert, wie er zu flowen hat. Es wirkt eher so, als ob seine kräftige Stimme mit dem Instrumental, macht, was sie will.

Hanybals erste Platte zeigt vor allem, wie variabel er ist. Er hat das Zeug, um sich in der HipHop-Landschaft zu etablieren. Sein besagtes Talent für Ohrwürmer sollte er weiterhin nutzen. Außerdem schafft er es, den Hörer mit seiner Musik zu berühren und hat genug Mut und Verstand, um Kritik an Politik und Gesellschaft zu üben. „Weg von der Fahrbahn“ ist ein gutes Debütalbum. Der Rapper ist noch nicht am Ende seiner Entwicklung angelangt. Er muss sich mehr traut, um seine vorhandenen Stärken in einen noch eigeneren Sound umzumünzen: Sollte der Frankfurter das schaffen, könnte sein nächstes Album schon ein Klassiker sein. Sein unverkennbarer Flow bildet dazu eine gute Grundlage.

Weg von der Fahrbahn – HNY Block LTD Box
VÖ Datum: 2015-02-27
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