Review: Zugezogen Maskulin – Alle gegen Alle

Wir schreiben das Jahr 2017 und diese Welt scheint vor ihrem unabänderlichen Armageddon zu stehen. Wo die Liebe „begraben unter Instagram-Fassaden“ liegt und der Otto Normalverbraucher ohne Skrupel eine offen rassistische Partei zur Vertreterin seiner Interessen kürt, ist eine kritische Frage am Rande alles andere als unberechtigt: „Was“, in Herrgotts Namen, ist das „für eine Zeit, um am Leben zu sein“? Und das ist hier, anders als beim Originalzitat von Drake und Future, auf die man sich hier ironisch bezieht, nicht positiv gemeint.

Zugezogen Maskulin hatten die Apokalypse bereits 2015 prophezeit. Das in der Zwischenzeit alles nur noch schlimmer werden würde, war damals noch nicht abzusehen. Seit „Alles brennt“ haben sich die Fronten auf dem sich gruppierenden Schlachtfeld, so viel ist sicher, noch einmal wesentlich verhärtet. Höchste Zeit also für eine zeitgerechtere Analyse aus dem Hause ZM.

„Alle gegen Alle“ erzählt kess die Gruselgeschichte einer Welt, in der am Ende jedes Märchens ein blutiger Schlagabtausch steht. Mächtiger und dynamischer den je und, diesen Seitenhieb müssen sich grim104 und Testo gefallen lassen, zweifellos auch massentauglicher als sein Vorgänger.

Ein düsterer Anschein von Endzeit im Großen trifft hier auf eine skurrile Form der Nostalgie und zermürbende Heimatlosigkeit im persönlichen Bereich. In diesem Rahmen werden vom AfD-Politiker bis zum Möchtegern-Unterschichtler, vom Modeblogger bis zum pseudoalternativen Philosophie-Studenten, vom Supreme-Vergötzer bis zum Hinterwäldler mit eingeschränktem Sichtfeld alle fies geohrfeigt, die auch nur den winzigsten Steilpass dafür liefern und diese Welt noch ein kleines bisschen beschissener macht.

Zugezogen Maskulin kotzen immer noch ab, prangern beharrlich an. Für den Geschmack mancher vielleicht zu vernichtend, aber nie ohne triftigen Grund, und, das muss selbst wohl ihr härtester Kritiker eingestehen, stets mithilfe der treffenden Metapher.

Was ihre Analyse von den Ausführungen beinahe aller anderen Verfechter ihrer Spezies unterscheidet, ist der kalte Blick hinter die Zäune der Kleingärten „Dunkeldeutschlands“, in die angestaubten Wohnzimmer der „Uwe(s) und Heiko(s)“, die Bastionen der alten Welt. Testo und grim gelingt es, trotz scheinbarer Allwissenheit, sich nicht im Klugscheißertum zu verlieren. Stattdessen glückt es ihnen hingegen, Missstände jeglicher Couleur in aberwitzigen Fiktionen zu versinnbildlichen. Ihr Einfallsreichtum macht somit weder vor pathologischen Dystrophien Computer-programmierender Schimpansen noch vor der Personifizierung des „müden Todes“ halt.

An der Art und Weise der Darbietung dieser Absurditäten hat sich seit dem letzten Release wenig verändert: grim agiert immer noch, den frenetisch anmutenden Wahnsinn in den Augen, als energiegeladenes und unaufhörlich fluchendes Rumpelstielzchen, während Testo in der Funktion des Ruhepols einigen Hooks eine angenehme melodische Note verpasst und so manchen Stimmungsbogen gekonnt und selbstironisch abrundet.

„Alle gegen Alle“ ist, obwohl erneut eine wenig optimistische Auseinandersetzung mit der gesamtgesellschaftlichen Situation seiner Zeit, nicht „Alles brennt 2.0“. Wir können allerdings nur hoffen, dass die neue Platte kein derartig präzise Vision bevorstehenden Übels ist wie ihr Vorgänger.