Kilez More – Alchemist (Review)

Kilez More ist ein Ende 20-jähriger Wiener Rapper, dessen Musikvideos teilweise mehrere hunderttausend Klicks haben und der in sozialen Netzwerken wie Facebook über eine relativ große Anhängerschaft verfügt. Man könnte sich also fragen, warum deutsche Rapmedien selten bis gar nicht über ihn berichten. Wir (OG Pressure und Frank Hemd) haben uns der Sache einmal angenommen und uns mit Kilez More und seinem neuen Album „Alchemist“ auseinandergesetzt, welches heute erschienen ist.

Für all die, denen der ambitionierte Österreicher bisher unbekannt geblieben ist: Kilez More macht Musik, die er selbst als „Wikileaks auf Beats“ oder eben „Truthrap“ bezeichnet. Außenstehende, die nicht gerade Fans seines Schaffens sind, beschreiben ihn hingegen eher als Verschwörungstheoretiker. Sein erklärtes Ziel: Durch seine Musik eine Revolution starten, die den Menschen hilft, die Wahrheit hinter den global verbreiteten Lügen der kapitalistischen Machthaber zu erkennen. Er meint es also gut.

Dieses Ziel verfolgt er, indem er in seiner Musik genau die Wahrheiten an- und aussprechen möchte, die uns angeblich vorenthalten werden. Auf seinem neuen Album „Alchemist“ entwirft er dafür einen Superhelden – den „Alchemisten“ – der über die Superkraft verfügt, alle Lügen zu enttarnen und die Menschen mit dem Wahrheits-Virus zu infizieren.

Doch zuerst: Was passiert auf diesem Album aus musikalischer Sicht? Kilez More bewegt sich auf synthetischen, teilweise orchestralen Beats, denen im Unterbau allerdings Textur fehlt. Es sind in etwa die Sorte Beats, für die man Kollegah jahrelang kritisiert hat – allerdings in (noch) weniger gut. Das Klangbild der Instrumentals ist steif, altbacken und kann in seiner unbeholfenen Machart auch nicht als gewolltes Retro-Stilmittel durchgehen.

Die Flows vom Alchemisten geben ein ähnlich archaisches Bild ab. Lange Reimketten werden in druckvoller Weise vorgetragen, wobei der Stimmeinsatz aber wenig ausgefeilt ist und die Stimme zu dünn und etwas penetrant klingt. In Gesangshooks, wie bei „Lasst die Kinder frei“, wird deutlich, dass er auch nicht der beste Sänger ist.

Alles in allem ist der „Alchemist“ ein Album, das auf musikalischer Ebene maximal solide, aber unter keinen Umstände mehr als etwas überholte Laienmusik ist. Aber natürlich gibt es noch die Texte – und damit kommen wir zum spannenderen Teil des Werkes.

Es geht um nicht weniger als Widerstand. Kilez More zeichnet eine durch und durch schlechte Welt: Das System ist von innen verseucht – Kinderarbeit, Lügenpresse, nationale Grenzziehungen, globale Superkonzerne und natürlich eine nicht näher definierte „Finanzelite“ sind Teil des Übels, um ein paar Beispiele zu nennen. Die Ottos und Annas Normalverbraucher funktionieren als Teil dieses repressiven Systems, das sie um die Wahrheit betrügt und Schein und Herrschaft durch ein Lügengeflecht aufrecht erhält. In dieser Dystopie kämpft der Alchimist für Frieden, Freiheit, Menschenrechte.

Dabei stellt er sich wenig glaubwürdig als Aufklärer da, während er bereits bekannte Tatsachen zu scheinbar sensationellen Enthüllungen emporhebt:
Es gibt korrupte Politiker! Die Wirtschaft ist auf Profit aus und handelt nicht ausschließlich nach humanen Werten! Im Krieg gibt es Kriegsverbrechen! McDonalds ist ungesund! Ja, das ist alles wahr, aber im Jahr 2017 keine Neuigkeit, sondern eher altbekannter Schnee von gestern. Der Alchemist überschätzt an dieser Stelle sowohl seine Funktion als auch die Exklusivität seiner „Wahrheiten“.

Kilez More zeichnet also erst einmal ein Bild unserer Welt, das im Großen und Ganzen der Wahrheit entspricht – und für den kritischeren Teil des Bildungsdurchschnitts der Industrienationen mittlerweile eigentlich zum geistigen Allgemeingut gehört. Allerdings bleibt es nicht dabei, denn der Alchimist driftet inhaltlich immer wieder in angeblich obskure und okkulte Verstrickungen der „Machteliten“ ab.

Unter diese vermeintlich enttarnten Machenschaften mischt Kilez More dann immer wieder wie beiläufig Behauptungen, die gemeinhin als Verschwörungstheorien bezeichnet werden. So heißt es in „Hallo Welt“: „Ja, sie zelebrieren in den Tempeln ihre Riten, ist nicht weg zu diskutieren, […]“ Oder im Song „Intro“: „Meine Stimme […] lässt die Pyramide zittern“. Auch bei „Mediale Kugeln“ ein Song, der seine Kritik an den Medien zum Ausdruck bringen soll, entfernt er sich vom Boden der Tatsachen. Mit Aussagen wie „Sie wollen den Verstand verpesten, zwischen den normalen Menschen Hass und Kämpfe anzuzetteln“ schießt Kilez weit über das Ziel hinaus. Sein gut gemeinter Ansatz artet durch wüste Unterstellungen in Unglaubwürdigkeit aus.

Die Positionen des Alchemisten zeugen überdies oft von genau jenem Schwarz/Weiß-Denken, das er selbst den Medien vorwirft und das in fehlender Objektivität und Voreingenommenheit gipfelt. So dient der „Westen“, allen voran die USA, als Feindbild, welches brandschatzend und mordend durch die Weltgeschichte zieht, während Russland unter Putin zwar auch nicht ganz perfekt ist, sich aber lediglich in der Opferrolle widerfindet („Leben und Tod des Imperialismus“).

Ein weiteres Problem ist seine Doppelmoral. Auf der einen Seite zeigt er sich systemkritisch bis -feindlich; klagt die öffentlich-rechtlichen Medien an, ein Teil der „Natopresse“ zu sein und den Rezipienten ihre Meinung aufzuzwingen, während wichtige Wahrheiten verschleiert würden („Mediale Kugeln“). Auf der anderen Seite gibt ein RT Deutsch ein Interview – einem vom russischen Staat finanzierten Auslandssender, der sich nicht einmal groß die Mühe gibt, seine komplett einseitige Pro-Kreml-Propaganda zu kaschieren – womit der Sender eigentlich ein gefundenes Fressen für Kilez Mores Pressekritik wäre.

Kurzum: Kilez More ist ein gescheiter junger Mann mit durchaus guten Absichten. Er engagiert sich für die Verbesserung der Welt und hat mit einigen seiner Kritikpunkten absolut recht. Das Dilemma ist: Er verrennt sich in unbegründeten Übertreibungen und Vereinfachungen seiner Inhalte, die zu einer unrealistisch verkürzten Kapitalismuskritik mit einem Schuss Okkultismus-Geraune führen, und vergisst dabei leider konkret zu sagen, wie er sich jenen Wandel des Systems und die Verbesserung der Welt genau vorstellt. Der Alchemist will als Anführer in eine wahre, gute Welt führen, ohne dabei zu erklären, wie diese Welt eigentlich genau aussieht und vor Allem welcher Weg dahin führt.

Ein steter Nebel des Verschwörerischen, Geheimen, Übermächtigen und Übergroßen zieht sich durch sein Werk und überdeckt das ambitionierte und kritische Fundament. Kilez More kann in keine neue Welt führen – er lebt und denkt in einer, die eher einem Dan Brown-Roman als der Realität entspricht. Es gibt somit auch neben der wenig überzeugenden Musik gute Gründe dafür, dass er in den Rapmedien keine Aufmerksamkeit erfährt – ein dreimal verschlüsselter Geheimplan der Bilderberger/Illuminaten/Linkshänder steckt eher nicht dahinter…

OG Pressure und Frank Hemd

Alchemist (Limitierte Virusbox)
  • Audio-CD – Hörbuch
  • Digitale Dissidenz (Alive) (Herausgeber)