Review: Disarstar – Minus x Minus = Plus

Am vergangenen Freitag erschien mit „Minus x Minus = Plus“ das zweite Album des Hamburgers Disarstar. Das Release als „zweites Album“ zu betiteln fühlt sich jedoch irgendwie falsch an, lässt diese Rechnung doch die stattliche Anzahl an Output in Form von Mixtapes, EPs und One-Take-Clips außer Acht, die Disarstar über die letzten Jahre verteilt neben seinem Debüt-Album „Kontraste“ von 2015 gedroppt hat.

Die Messlatte der Erwartungen für „Minus x Minus = Plus“ war hoch angesetzt, nicht zuletzt, weil das Nordlicht pünktlich zum neuen Projekt und zur großen Verblüffung vieler seiner Hörerinnen und Hörer sein Signing beim „bösen Major“, der Warner Music Group Germany, bekannt gegeben hatte. Wen allerdings die Sorge plagte, dass der 23-Jährige durch den Deal nun mit kitschig gesungenen Hooks, melodischen Beats und angepassten Inhalten eine hohe Chartplatzierung erzwingen will, kann jetzt schon erleichtert aufatmen.

Disarstar macht nämlich an genau dem Punkt weiter, an dem er mit dem Freetape „Sturm und Drang“ vor etwa einem Jahr aufgehört hatte. Seine in unvergleichbar rollendem Flow verpackten Texte auf monotonen, oft düsteren Beats, der glasklare Sound und der Fokus auf meist trübe und gedrückte Inhalte sind die selben geblieben, wenn auch spürbar präzisiert und perfektioniert.

Allerdings spricht „Minus x Minus = Plus“ eine noch politischere und kämpferischere Sprache, als „Sturm und Drang“ und alle anderen seiner Vorgänger. Was früher häppchenweise serviert wurde, ist nun an vielen Stellen zur Hauptspeise geworden. Disarstar legt im Vergleich zum Vorgänger noch eine Schippe meist gesellschaftskritische Meinung, Angriffslust und Selbstbewusstsein drauf, schon der Startschuss-Track „Frischer Wind“ liefert ein unmissverständliches Beweisstück dafür.

Parallel kramt der Hansestädter allerdings auch wieder mehr persönliche Geschichten aus seiner eigenen Vergangenheit hervor, was wiederum eher an die „Kontraste“-Zeit erinnert. „Minus x Minus = Plus“ ist auch dadurch in sich unheimlich schlüssig und rund, weil sich die magische mathematische Formel aus dem Albumtitel in vielerlei Zusammenhängen konsequent und folgerichtig durch das gesamte Werk zieht.

Der Titeltrack ist der wohl persönlichste auf der Scheibe, weil er grundehrlich die Abgründe, Strapazen und Niederlagen aus dem zwar noch jungen, aber dennoch sehr ereignisreichen Leben der Privatperson Disarstar resümiert: Leben im Heim, zerbrochene Freundschaften, Ritalin und Panikattacken, Alkohol und Kokain, Todesfälle, Gewalt, Bewährungsstrafe, Psychiatrie.

Auch wenn am Ende des Liedes die letztendliche positive Kehrwende durch Musik, Sport, Entzug, Durchhaltevermögen und Kampfgeist betont wird, ist er doch zu ehrlich, um zu behaupten, dass der Himmel deshalb völlig wolkenlos sei. In den letzten Zeilen heißt es, dass „[…] die Narben bleiben, Mucke meine Art zu zeigen, sollen die Anderen mal von ihrer Seifenblase schreiben. Immer wenn mich alte Geister quälen: Minus mal Minus ist Plus, kein Problem …“

„Wir zwei“ mit Feature-Gast Credibil erklärt die Prämisse des Albums dann schon etwas allumfassender, projiziert sie durch die Formel „geteiltes Leid ist halbes Leid“ auf zwischenmenschliche Solidarität und wechselt damit mehr und mehr die Dimension vom Privaten ins Politische. „Ares und Area“ wiederum kehrt vollständig in den privaten Rahmen zurück und beschreibt die zermürbende Beziehung zu einer Frau, deren Beziehungsstatus, ausgedrückt durch Facebook-Floskeln „kompliziert“ zu sein scheint.

Und dann gibt‘s richtig auf‘s Maul. Mit „Für dich“ liefert Disarstar eine schlagfertige und praktische Kampfansage an Wutbürger-Gesindel, AfD-Schmocks und Alltagsrassisten, entkräftet deren Argumentation durch persönliche Erfahrungen straigth outta Sankt Pauli und tritt im Anschluss, zumindest in seiner Phantasie, die Türen ihrer Eigenheime ein. Dabei malt er auf einen epischen Beat starke Bilder wie „Für dich ist schwarzes Haar ne‘ weiße Leinwand“ und schafft es imposant, unheimlich viel Wut in knappe dreieinhalb Minuten Beatschlag zu quetschen.

Es folgen die bereits mit Videos ausgekoppelten Songs „Konsum“ und „Death Metal“. Ersterer vermittelt durch seine Gefängnis-Atmosphäre zwar eindrucksvoll die unumgänglichen Zwänge einer an Wirtschaft orientierten Welt und beinhaltet neben einer gehörigen Portion Selbstkritik mit Tuas Zeilen auch den besten Feature-Part des Albums. Dennoch ist der Track für meinen Geschmack einen Deut zu platt und irgendwie zu vorhersehbar. „Death Metal“ hingegen ist einfach ein stabiler Representer.

„Glücksrad“ und „Kapitalismus“ liefern im Gegenzug präzise Analysen zu komplizierten Themen. Ob Glück und Pech innerhalb der Klassengesellschaft, der Zwang, in schlechten Lohnarbeitsverhältnissen funktionieren zu müssen, Verwertungslogik und ihre Gesichter oder die Schere zwischen arm und reich: Disarstar schafft es hier besser als so mancher Politik-Dozent, soziale Ungerechtigkeiten und deren Auswüchse exakt und zudem emotional berührend zu skizzieren.

Daran schließt „Geteiltes Leid“ logisch an, die durch die von Gast Liedfett eingesungene Hook ein bisschen zu pathetisch und schwermütig wirkt. „Beat, Stift und Blatt“ weiß dann wieder, den Hörer aus dem Loch der Resignation und Nachdenklichkeit zu befreien, erzählt voller Leichtigkeit und teilweise witzig vom Glück und der Chance, ehrliche Musik machen zu können und keinem etwas schuldig zu sein. Ein guter Track, um durch den Park zu laufen und gleichzeitig ein gelungener Ausgleich zur sonst ziemlich düsteren Marschrichtung der LP.

„Himmel und Hölle“ erzählt packend von traumatischen Erlebnissen, Schicksalsschlägen und Grenzerfahrungen, schließt dieses schwierige Kapital in der Hook dann aber mit dem erfrischend einfachen Resultat „auch wenn du verdrängst, du bist leider nur ein Mensch und es kommt meistens alles anders als du denkst“ ab. Der letzte Track „Bewegungen“ liefert schließlich einen runden und  optimistischen Abschluss von „Minus x Minus = Plus“. Disarstar erzählt hier in drei Strophen von den positiven Entwicklungen dreier seiner Wegbegleiter und entlässt uns mit den Worten „nicht stehen und in Bewegung bleiben, darum geht‘s“. Vielleicht ist „Bewegungen“ das heimliche Meisterwerk der Platte, schafft es der Song doch mindestens wie kein Zweiter, die Härchen zur Gänsehaut aufzurichten.

„Minus x Minus = Plus“ bietet insgesamt eine gute stilistische Mischung aus den vorausgegangenen Releases „Kontraste“ und „Sturm und Drang“, allerdings auf einem jeweils höheren Niveau. Disarstar hat mit diesem Album endgültig des Status des ewigen Talents abgelegt und ist glorreich auf die nächste Stufe geklettert. Tolles Album.

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