Kommentar: Ein Fan erklärt, warum er jetzt einen Fukk auf Genetikk gibt

Vor einigen Tagen erschien das neue Album „Fukk Genetikk“ von Genetikk. Wir lassen in diesem Gastkommentar einen erklärten Fan der Crew zu Wort kommen, der erklärt, warum ihn das alles nicht mehr berühren kann. Natürlich rein subjektiv – ist schließlich ein Kommentar. 

Als ich vor etwa fünf Jahren zum ersten Mal von Genetikk hörte, hatten Karuzo und Sikk gerade ihr erstes Album „Foetus“ gedroppt. Es wurde und wird – völlig zurecht – von vielen als das beste Straßenrap-Album seiner Zeit angesehen. Mich überraschte es damals durch die erfrischende und gekonnte Mixtur aus persönlichen Geschichten aus Karuzos Lebenswelten, Saarbrückener Ghetto-Attitüde, unbeschwertem Große-Fresse-Rap, dämonischem Psycho-Clown-Habitus und einem schwer bis unmöglich einzuordnenden dauernden Wechsel aus knallhartem und destruktivem Realtalk und lockerer Ironie.

Endgültig zum Fan wurde ich dann durch das erste richtige Album „Voodoozirkus“, das kurze Zeit später erschien: die Jungs hatten ihre Handschrift von „Foetus“ zwar beibehalten, stellten sie jetzt lediglich technisch verfeinert und qualitativ hochwertiger zur Schau. Auch wenn man durch „Voodoozirkus“ dem Untergrundcharme Lebewohl sagen musste, war es gelungen, ein äußerst rundes Album auf den Markt zu bringen, dass durchaus dazu im Stande war, nun auch an die Tür der obersten deutschen Rap-Liga anzuklopfen. Nebenbei legten Genetikk nun zunehmend gesteigerten Wert auf den eigenen, aufwändig kreierten und immer weiter verfeinerten, visuellen Gesamtauftritt. Durch die zwischenzeitlich erschienenen Videoauskopplungen wurde der Versuch ihrerseits spürbar, das Projekt Genetikk, das bis dato zumindest für den einzelnen Konsumenten rein musikalischer Natur gewesen war, mehr und mehr als eine Art Gesamtprodukt aus Musik, Lifestyle, optischem Auftreten und einer Art eigenen Mentalität darzustellen und auszuweiten. Genetikk, das war psycho, das war unverkrampft, das war kriminell, das war schizophren, gleichzeitig aber war es auch enorm stylish und zudem auf seine Weise lustig.

2013 erschien dann „D.N.A.“ und bescherte dem Kollektiv endgültig den ganz großen Durchbruch. Bis heute sind sich fast alle Protagonisten in der deutschen Hip-Hop-Landschaft einig, dass dieses Album ein Meisterwerk ist. Seit „Voodozirkus“ hatte man die musikalische Ausbeute seiner Arbeit weiter perfektioniert und jetzt ein vielseitiges, wirklich schwer kritisierbares Werk vorgelegt, dass sogar stellenweise radiotauglich war und dem man dennoch keine Relativierung alter Maßstäbe oder gar den Verrat seiner Wurzeln vorwerfen konnte. Auch (oder gerade) in Sachen Lifestyle müssen in der Vorbereitung auf „D.N.A.“ Profis am Werk gewesen sein: Genetikk präsentierten sich nun als mehrköpfige Gang mit eigens angefertigten Masken so lässig wie nie zuvor und lieferten in Form noch beeindruckenderer Videos einprägsame Bilder, die einen wichtigen Anteil am gelungenen Gesamtbild der Platte darstellten. In meinen Augen haben Karuzo, Sikk und ihre Gang den Drahtseilakt zwischen Straßenrap und Popmusik, den Kompromiss zwischen Realness und gleichzeitiger Vermarktung hier das letzte Mal bewältigt, ohne dabei lächerlich oder aufgesetzt zu wirken.

Einige Zeit später wurde das nächste Projekt angekündigt und die Erwartungen waren hoch … vielleicht zu hoch, um am Ende nicht enttäuscht zu werden. Schon (oder gerade) in der Promo-Phase zu „Achter Tag“ wurde jedoch deutlich, dass man sich mehr denn je dem Ausschlachten des eigens geschaffenen Produkts Genetikk widmete und, gezielt oder nicht, vom eigentlichen Kern der Sache, nämlich der Rapmusik, ablenkte. Schon zu diesem Zeitpunkt war mir nicht mehr ganz klar, was dieses Genetikk nun eigentlich war oder besser, was dieses Genetikk zu sein versuchte. Ich empfand es als extrem störend, dass man jene verruchte und geheimnisvolle Attitüde früherer Tage, die damals so authentisch gewesen war, nun derartig berechnend in den Vordergrund rückte und auf peinliche Art und Weise ausschlachtete. Das Marketingkonzept rund um „Achter Tag“ war, jedenfalls für meinen Geschmack, völlig überfrachtet mit spiritueller Symbolik und möchtegern-metaphysischem Blödsinn, der schon auf den ersten Blick keine wirkliche Tiefe besaß. Karuzo sinnierte etwa in Interviews davon, „dass die Schöpfung der Menschen am achten Tag“ beginnen würde und dass „das der göttliche Funke“ sei, „der in jedem steckt“. Das wirkte irgendwie wenig schlüssig und zudem ungemein aufgesetzt.

Ich hatte den Eindruck, die Jungs hätten sich in einem nächtlichen Anfall von Größenwahn heftigsten Grades ein neues und extrem gekünsteltes Konstrukt ausgedacht, dem sie selbst nicht im Ansatz gerecht werden konnten. Auch Sikks Bekundung, die von ihm gebastelten Beats seien eigentlich Gebäude und er sehe sich eher als Architekt denn als Produzent, habe ich als ziemlich großkotzig und eher merkwürdig empfunden. Was die beiden da vor den Kameras von sich gaben, glich dem Herbeireden einer eigenen Glaubensgemeinschaft namens Genetikk, bediente sich einfachster Logik verschwörerischer Sekten und war voll von wirklich billigem Dogmatismus. Und der ganze Zirkus offenbar nur zum Zwecke der besseren Vermarktung.

Trotz alledem gab man sich im Gegenzug auf „Achter Tag“ selbst dann stellenweise sozialkritisch und im weitesten Sinne politisch links, wenn auch nur mittels sehr hohler Phrasen. Im Widerspruch dazu wurde gleichzeitig kein Geringerer als Red Bull Music gewissermaßen zum Hauptsponsor der Rap-Crew und bot den Jungs diverse Plattformen zur Promotion von „Achter Tag“.

Seit dieser Zeit habe ich Neuigkeiten im Genetikk-Kosmos für einige Zeit lediglich mit einem gelangweilten Schmunzeln hingenommen, meine anfängliche Sympathie für die Jungs und ihr künstlerisches Schaffen war weitgehend verflogen. Eventuelle Identifikationsflächen suchte ich vergebens. Die Partnerschaft mit der Sneakers- und Streetwear- (oder weiß der Geier-) Kette Snipes überraschte mich wenig bis gar nicht, auch wenn diese fragwürdige Collabo das Ganze im kommerziellen Sinne nochmal auf ein höheres Niveau des Ausverkaufs der Marke Genetikk hievte. Die Kombo hatte jetzt auch noch eine Art Trikot-Sponsor. Als ich vor ein paar Wochen in Köln am dort ansässigen Snipes-Store vorbei lief, prangte dort ein riesiges Banner am Hotspot auf der Shoppingmeile, Karuzo und Sikk in Überlebensgröße in der Mitte, ringsherum, in fancy Tagger-Schrift, vermeintliche Charakteristika der rotzcoolen Masken-Boys, wie „Realness“, „Truth“, „No Fake“ und „Straigth“. Im Internet las ich von sogenannten In-Store-Konzerten in verschiedenen Snipes-Filialen und war peinlich berührt (auch wenn es sich hierbei definitiv um Sternstunden der schöpferischen Einfälle in Sachen Vermarktung handelt).

Mit der ersten Videoauskopplung zur nun aktuellen Platte „Fukk Genetikk“ fühlte ich mich an viele Tracks aus der Sparte „rebellisch-geben-und-damit-Gold-gehen“ aus der nahen und fernen Vergangenheit erinnert. „Peng Peng“ folgt einem sehr einfachen Konzept, mit dem auf dem Markt eigentlich nicht viel schief gehen kann, musikalisch, wie auch inhaltlich: es nimmt einfach alle irgendwie mit. Genetikk verwenden den historischen Kontext der Unterwerfung der Ureinwohner Nordamerikas durch weiße Siedler, um eine ansprechende Atmosphäre zu schaffen und bedienen sich hierbei der klischeehaften Ästhetik jener sogenannten Indianerstämme. Gleichzeitig stellt das Lied (zumindest gefühlt) aber auch irgendwie eine Lobeshymne auf das weiße Amerika und dessen Leitbilder dar. Anhand vieler Phrasen, die, das unterstelle ich jetzt einfach mal, absichtlich unkonkret sind und kilometerweite Interpretationsspielräume bewusst offen lassen, werden der Kapitalismus (im Negativen meistens reduziert auf imperialistische Kriegsführung und die Ausbeutung der „Dritten Welt“) und unterschiedliche autoritäre Subjekte in ihm abwechselnd schein-hinterfragt und dann plötzlich wieder zelebriert.

Ich finde, „Peng Peng“ und das dazugehörige Video stehen exemplarisch für Genetikk im Jahr 2016, denn es bedient alle Attribute der Marketingstrategie dieses Produktes. Das neue Album hat so gesehen nur das perfektionierte Optimum eines klar berechneten Konzepts nachgereicht: Auf den ersten Blick wird Rebellion und Sozialkritik, teils auf irgendeiner vermeintlich höheren übersinnlichen Ebene, suggeriert, die sich ohne große Mühe als Werkzeug der Vermarktung und banale Phrasendrescherei enttarnen lässt. Abwechselnd sind dann Tracks enthalten, die plötzlich die genau gegenteilige Schiene fahren und sich, wie ich finde auf wenig innovative Art, zu einer Geisteshaltung à la „fuck bitches-get money“ bekennen. Parallel wird dem Ganzen (wieder) eine esoterische Verkleidung und eine gewisse Rockstar-Ästhetik verpasst.

Inhaltlich wirkt es fast so, als habe Karuzo beim Texten neuerdings sogar gesteigerten Wert darauf gelegt, möglichst ambivalent und in alle Richtungen interpretierbare Zeilen zu Papier zu bringen, ja, die inhaltlichen und formellen Widersprüche und die Intransparent der Marke Genetikk immer weiter auf die Spitze zu treiben. Hierbei geht die Kombo für meinen Geschmack ganz nebenbei immer häufiger zu weit, gerade auf „Fukk Genetikk“. Vielleicht sehe ich die Sache zu eng, aber ich empfinde die Betitelung der eigenen Musik als „Favela-Rap“ der Jungs in Promo-Interviews und die Abbildung schwerst bewaffneter Kinder aus den Slums Brasiliens auf dem Album-Cover als ziemlich anmaßend und geschmacklos. In meinem Augen steht es dieser Crew schlichtweg nicht zu, sich im Angesicht ihres abgekarteten Marketingkonzepts der Reize der wahren Ghettos, in denen jenen Kids keine andere Wahl bleibt, als richtige, reale Gangster zu sein, zu bedienen, um damit den rebellischen und alternativen Style ihres Kunstwerkes zu optimieren. Das mag altmodisch und meinetwegen auch verbissen klingen, aber ich finde, das lässt sich erst recht nicht mit In-Store-Konzerten in irgendwelchen Shopping-Tempeln und einem Red Bull-Sponsoring kombinieren. Sozialkritische Texte und flaches, spirituelles und kryptisches Verschwörungsgehabe zum Zweck der Konstruktion einer eigenen (Gruppen-)Identität in ein HipHop-Album einfließen zu lassen, ist in meinen Augen reaktionärer und weniger progressiv, als es gleich ganz sein zu lassen.

Die Vereinnahmung bestimmter, ich nenne sie mal „Kulissen“, wie der brasilianischen Favela oder dem „Wilden Westen“ und die (mehr oder weniger) emotional-romantische Verklärung dieser, das scheinheilige Heraufbeschwören angeblicher höherer, geheimnisumwitterter Ebenen und demgegenüber die hemmungslose Vermarktung ihrer selbst stehen für mich nur beispielhaft für die Hypokrisie von Genetikk, einer Rap-Kombo, die seit geraumer Zeit immer krampfhafter versucht hat, mehr zu sein, als einfach nur eine sehr gute (oder wirklich herausragende) Rap-Kombo. Und zu diesem Preis haben sie sich verkauft. Zum Preis von Straßenrap. Und wie ich finde, zum Preis ihrer Ästhetik früherer Alben, ihrer einstmaligen Unbeschwertheit und vor allem ihrer Seriosität. Was jetzt kommt, ist nur noch stupide Geldmacherei mit (fast) allen Mitteln. Ist das nicht traurig?

Genetikk sind natürlich bei weitem nicht die einzigen im weiten Deutschrap-Sternenzelt, die einen derartigen Weg eingeschlagen haben, das ist mir klar. Aber ich finde, sie taten und tun dies auf eine besonders im negativen Sinne kuriose und stillose Art und Weise. Und das finde ich, gerade in ihrem Fall umso bedauerlicher, weil ich die Musik von Genetikk (und gerade das neue Release) als großer Deutschrap-Fan technisch und rein musikalisch als sehr innovativ und gut erachte, ich sie aber, wegen dem ganzen Brimborium, nicht mehr wirklich feiern kann.