Bahamadia

Die 90er Jahre wurden von einer überdurchschnittlich hohen Anzahl qualitativer hochwertiger Künstler geprägt, von denen viele Hiphop Fans der älteren Semester heute noch mit leuchtenden Augen schwärmen. Der Wu-Tang Clan war noch in Hochform, DJ Premier und Guru in aller Munde. Und mittendrin tauchte auf einmal ein weiblicher MC auf, mit einer butterweichen Stimme, die es schafft innerhalb weniger Minuten eine Art Trancezustand zu verursachen. Doch selbst wenn man noch etwas tiefer geht, bleibt es schön, denn die Powerfrau aus Philadelphia, die seither den Globus bereist und ihr Wort verbreitet, hat auch noch ein kritisches Auge und den Hang Dinge zu hinterfragen. Nebenbei hat sie noch zwei Söhne groß gezogen. Sie weiß was sie nicht will, und was sie unbedingt will, nur eben nicht um jeden Preis.


rap.de: Gleich zu Beginn möchte ich dir noch sagen, dass ich großen Respekt vor dir  und deiner Musik habe. Ich habe mich wirklich sehr auf dieses Interview gefreut.

Bahamadia: That’s What’s up! Nett euch zu treffen. Wie geht es denn?
rap.de: Danke, sehr gut, ein wenig nervös vielleicht.

Bahamadia: Nein, dafür gibt es doch keinen Grund! Lasst uns doch eine Gruppenumarmung machen bevor wir anfangen, ja?
(Gruppenumarmung und Gekicher)

Danke, dass ihr so lange gewartet habt, wir mussten noch proben, daher hat es alles ein wenig länger gedauert.

rap.de: Kein Problem. Wie gefällt dir denn Berlin, es ist ja nicht dein erstes Mal hier, oder?

Bahamadia: Ich war schon diverse Male in Berlin, und fliege sehr häufig in diese Region, es ist immer eine Ehre und Freude hier zu sein. Und natürlich ist es immer ein Segen kontinuierlich arbeiten zu können, besonders für einen Künstler wie mich, der schon so lange unterwegs ist. Es gibt so viele Übergänge von der einen Ära zur nächsten in der HipHop Kultur und ich bin immer noch da, so that’s the blessing within itself. Außerdem werde ich jedes Mal aufs Neue herzlich willkommen geheißen, das schätze ich sehr.
rap.de: Erinnerst du dich an ein bestimmtes Lied, oder eine Situation die dich dazu inspiriert hat tiefer in das ganze HipHop-Ding einzutauchen?

Bahamadia: Meine Einführung in die HipHop Kultur ging über die Cold Crush Tapes und Breakbeat-Mixtapes. Aber der erste Track den ich damals hörte war wohl “That’s The Joint“ von Funky Four Plus One More mit Sha Rock. Das war mein Erster, da es zu dieser Zeit kaum Frauen gab die Platten gemacht haben. Und “To The Beat Yall“ von Lady B, die damals mit dem Track der erste weibliche Solo-MC auf Vinyl war, und eine Legende in Philadelphia war. Diese beiden Lieder waren damals also ausschlaggebend für meine Entscheidung  ein MC zu werden.


rap.de: Ich habe gelesen, dass du über das DJing zum MCing gekommen bist.

Bahamadia: Ja, eigentlich habe ich als Kind mit dem Schlagzeugspielen angefangen, das war genau zu der Zeit, in der die HipHop-Bewegung entstand und durch meine Schlagzeugerfahrung bin ich zu dem ganzen DJ-Ding gekommen. Zu der Zeit habe ich auch schon Gedichte und solche Sachen geschrieben, da war ich so zwischen 8 und 9 Jahre alt. Ich komme nämlich aus einer sehr kreativen Familie. Meine Mutter ist  Malerin, meine Schwester eine Designerin, meine Kinder sind auch sehr kreativ. Dieser Übergang vom DJ zum MC kam ganz natürlich, weil ich das Gefühl hatte, dass ich mich durch den Gebrauch von Wörtern, also über das Rappen, mehr ausdrücken kann. Ich habe schon lange nicht mehr aufgelegt, manchmal tue ich es noch wenn ich zu Hause bin, in meiner Freizeit, keine ganzen Sets, einfach meine Musik die ich persönlich sehr gerne höre. Ich habe noch ein Set in meinem Wohnzimmer, sie sind nur ein bisschen eingestaubt.

rap.de: Wie ist es denn damals zur Zusammenarbeit mit Guru gekommen?

Bahamadia:  DJ Ran von den Tech.Nition DJ’s, der damals bei der Radiostation "Power 99" gearbeitet hat,  die eine der besten Radiostationen in Philadelphia zu dieser Zeit war. Ran war gerade auf der Suche nach Sängerinnen und Rapperinnen, eine Klassenkameradin erzählte mir das damals und brachte mich mit ihm in Kontakt, daraus entstanden letztlich meine ersten professionellen Aufnahmen. So auch mein Track “Funk Vibe“ von 1993, der dann auch auf ein Mixtape kam, das Guru damals aufgenommen hat und mir dann anbot, Sachen über Ill Kid Records zu veröffentlichen. “Funk Vibe“ war meine erste regionale Plattenveröffentlichung, “Total Wreck“ war dann meine zweite, aber internationale Veröffentlichung, mit einem professionellen Produzenten, der eben Guru hieß. Danach machten wir das Video dazu und schließlich kam es zum Labeldeal mit Chrysalis/ EMI und meinem ersten Album 1996, "Kollage". Während dieser Zeit wurde ich der internationalen HipHop-Szene ein Begriff und genau da wurde EMI abgesägt und wollt mich zu einer Tochtergesellschaft vermitteln. Ich merkte aber, dass die mir wohl nicht all die Aufmerksamkeit zukommen lassen könnten wie EMI damals. Daher hat es dann etwa 4 bis 5 Jahre gedauert, bis all die vertraglichen Dinge geregelt waren, bevor ich dann wieder an die Öffentlichkeit kommen konnte. In diesen Jahren hatte ich eine Radioshow die “Bahamadias B-Sides“, die ich von 1997 bis 1999 machte. Zu der Zeit machte ich dann auch all diese Kollaborationen mit The Herbalizer, Roni Size, also mehr so die progressive Art von Musik, um auch hier in Europa auf mich aufmerksam zu machen. Da ich schon immer sehr aufgeschlossen und interessiert war an vielfältigen und offenen Künstlern  aus verschiedenen Sparten, war das auch genau mein Ding.
rap.de:
Mit welcher Musik bist du damals aufgewachsen?

Bahamadia: Von Jazz, Funk zu den frühen Disko und auch elektronischen Sachen, Breakbeatmusik, Straßenmusik, Tanzmusik, Latin. Der Schwerpunkt lag erstmal auf der Musik, Musik die deine Seele anspricht und ein wenig Substanz hat. Wir sprechen hier vom zum Abschluss gebrachten Industriezeitalter, also noch bevor wir ins Informationszeitalter kamen, damals war alles noch ein wenig anders.

 

rap.de: Bei deinen ganzen Kollabos, die ja doch recht viele an der Zahl sind, welche Zusammenarbeit hat dich nachträglich am meisten beeindruckt, oder dich vielleicht sogar inspiriert?

Bahamadia: Ich habe tatsächlich jede Zusammenarbeit als einen Segen empfunden, der nicht selbstverständlich ist. Glücklicherweise waren die Leute von meiner Fähigkeit zu schreiben, aufzunehmen  und meine Erfahrungen  in Worte zu fassen angezogen. Bei allen Menschen mit denen ich zusammengearbeitet habe herrschte gegenseitiger Respekt, auch war ich immer Fan ihrer Musik. Jemand der aber wirklich auch meine Betrachtungsweise auf Musik verändert hat, war King Britt. Und das nur wegen seiner Vielseitigkeit und seiner aufgeschlossenen Art zu experimentieren und unterschiedliche Genres zusammenzuführen. Manche Leute arbeiten nur mit Leuten zusammen aus marketingstrategischen Gründen, weil es wirtschaftlich Sinn für sie macht, sich mit anderen Musikrichtungen zu kreuzen. Es sollte jedoch eine natürliche Synergie sein, ich würde auch nie etwas tun wollen das erzwungen oder protzig wirkt, weil ich dir meine Erfahrung durch die Musik mitteile. Es kommt alles von Herzen, das ist die ehrlichste Interpretation du die jemandem geben kannst, davon möchte ich keine synthetische Version sein. Es war also sowohl auf geschäftlicher, als auch auf künstlerischer Basis sehr inspirativ.
rap.de: Es macht den Anschein, dass du durchgehend von jedem Respekt kriegst, von den weiblichen als auch von den männlichen HipHop Fans. Was meinst du wodurch kommt das?

Bahamadia: Ich denke das liegt auch daran, dass ich dir die wahre weibliche Sichtweise gebe, meine Lebenserfahrung geht über die Musik. Ich glaube auch, dass sich durch die Transparenz in meiner Musik die Leute damit identifizieren können, da es meine menschliche Seite hervorhebt.Ob sie sich nun mit dem Inhalt des Textes identifizieren können oder nicht. Die Menschen in meinem Leben, die mich immer direkt beeinflusst haben, wie meine Familie oder meine Lehrer damals, alle haben die Macht der Individualität gekannt, das waren die Menschen, die meine Denkweise geformt haben, das ist es wohl was mich ausmacht, zumindest glaube ich das. Ich bin eine sehr gläubige Person, ich verstehe, dass das Geschenk das ich bekam, nicht selbstverständlich ist, dass ich das machen kann was ich tue und tun möchte. Und es kommt ja auch nicht von mir, der liebe Gott hat es mir gegeben, daran glaube ich ganz fest.
rap.de: Ist das Problem vieler weiblichen MC’s vielleicht, dass sie etwas sein möchten was sie nicht sind?

Bahamadia: Ich glaube nicht, dass es unbedingt ein Problem ist. Ihnen sollte vielleicht nur mehr bewusst sein, dass wir alle sehr unterschiedlich sind, auch die Geschlechter. Wir existieren überall, Frauen existieren in sämtlichen verschiedenen Gebieten dieser Erde. Journalisten, Künstler, Ingenieure, heute sind dort überall auch Frauen. Also gibt es auch für alle verschiedenen Sichtweisen und Perspektiven des Lebens weibliche Vertreter der unterschiedlichsten Erfahrungen. Es kann sich ja auch alles ändern, je nachdem welchen Einflüssen ich gerade auch ausgesetzt bin. Aber warte! Meintest du das eher auf das geschäftliche bezogen?
rap.de: Ja, eigentlich schon.

Bahamadia: Okay. Von dem Standpunkt aus würde ich sagen, dass es darum geht sich weiterzubilden, allerdings sehe ich das nicht nur bei den Frauen so. Es ist eine von Männern dominierte Industrie. Ich treffe aber auch viele Männer die sich Ratschläge von mir holen oder glauben, dass ich kultivierter bin im Bezug auf das Geschäftliche. Die HipHop Kultur ist heute eine Multimillionen Dollar Industrie, dessen muss man sich erstmal bewusst werden um dann vielleicht sogar irgendwann davon profitieren zu können. Dem Künstler muss klar sein, dass er Disziplin braucht um als Geschäftsmann gesehen zu werden, dieser Aspekt fehlt nämlich sehr oft. Wenn ich Musik nur so als Hobby mache ist es etwas anderes, sobald du dann aber anfängst zu touren, Verträge abschließt oder Platten veröffentlichst und für deine Kunst bezahlt wirst, musst du natürlich Bescheid wissen was du genau tust und tun musst wenn du von einem Amateurlevel zu einem Profilevel kommen möchtest, und dass du davon profitieren kannst. Ich möchte natürlich auch berühmt sein, aber ich möchte meine Integrität nicht aufs Spiel setzen, um in einem vom Geld gelenkten Geschäft Erfolg zu haben, und das ist eben der Unterschied.

 

rap.de: Dein aktuellstes Album derzeit “Good Rap Music“, der Titel des Albums als auch der Titeltrack selbst sind jetzt gute zwei Jahre alt, die Thematik jedoch heute wie damals aktuell. Glaubst du, dass es in naher Zukunft vielleicht einen Umschwung innerhalb der Szene geben wird, dass Oberflächliches, Gangsterklischees und all diese Sachen nicht mehr so wichtig sein werden?

Bahamadia: Ich denke, dass alles seine Berechtigung zu einer bestimmten Zeit hat. Andere sagen, dass es ein Fluch ist eine andere Denkweise zu haben, oder zumindest eine alternative zu haben von dem das ausgebeutet wird. Ich denke aber schon, dass die Tatsache, dass alles digitalisiert ist und es all diese Plattformen wie MySpace, Facebook etc. gibt, haben auch die weniger bekannten Künstler die Chance, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, effektiver auf jeden Fall als vorher. Somit kann der wirkliche HipHop Fan eher an die Quelle von der Musik kommen die er eben lieber hören möchte als das, was ihm die Industrie vor die Nase hält. Leute googeln mal, oder gehen zu YouTube und finde da Sachen die sie vorher eben gar nicht, oder eben nur durch einen höheren Aufwand gefunden hätten. Es ist natürlich auch eine Zwickmühle mit der ganzen Bootleggerei. Wenn du independent bist, dann geht es wirklich darum wo deine Promotionkohle hingeht, weil die Leute deine Sachen nicht illegal downloaden oder deine CD brennen werden wenn du nicht heiß bis, oder ihre Begeisterung weckst. Ich möchte die Leute nicht zur Piraterie umerziehen, versteh mich nicht falsch, aber wenn es eine Nachfrage gibt, dann glaube ich dass es daher kommt, weil es gebraucht wird, die Leute fragen nach dem was es nicht gibt, es sich aber wünschen.
rap.de: Ich habe auch gelesen, dass du Mutter bist.

Bahamadia: Ja, ich habe zwei Söhne.
rap.de: Wie alt sind sie?

Bahamadia: Sie sind bereits erwachsen, da ich sie gekriegt habe als ich noch jung war, uuuund, ich habe sie gekriegt als ich jung war (lacht). Ich rede nicht so gerne über meine Familie weil ich glaube, dass ich genug Transparenz in meiner Musik zulasse.
rap.de: Ich frage mich nur, wie man das alles unter einen Hut kriegen kann, Touren und Kinder großziehen?

Bahamadia: Das habe ich deswegen so gut hingekriegt, weil ich sehr große und solide Unterstützung von zu Hause erfahren habe. Und als sie kleiner waren habe ich natürlich an den freien Tagen zu Hause mit ihnen gespielt, oder ihnen bei Schulsachen geholfen. Sicherlich gab es auch manche Opfer zu bringen, weil ich manchmal einfach gehen musste. Aber meistens habe ich es schon geschafft meinen Zeitplan nach ihnen zu richten. Besonders als ich realisiert habe, dass ich diese Freiheit habe. Als ich anfangs in die Musikindustrie rein geraten bin, hatte ich von all dem ja gar keine Ahnung, mit der Zeit habe ich dann aber gelernt mich durchzusetzen. Ich wollte natürlich nicht die Abschlussfeier meiner Söhne missen, eben all diese Sachen die eine Mutter nicht verpassen sollte, die hatten dann natürlich Priorität.
rap.de: Hast du dich jemals in der Situation befunden deinen Kindern erklären zu müssen, dass das was du machst, sich völlig von dem was 50 Cent und Konsorten so tun, unterscheidet?

Bahamadia: Naja, ich bin ein Realist und meine Söhne haben immer über das was ich mache Bescheid gewusst. Bereits als sie geboren wurden war ich schon in diese HipHop Industrie involviert. Als sie noch ganz klein waren habe ich sie immer schon mit ins Studio genommen, sie haben mich Beats picken sehen, aufnehmen sehen, sie sind mit all dem aufgewachsen, ich habe sie also nie von all dem ausgeschlossen. Auf Tour wollte ich sie allerdings nicht mitnehmen, weil ich es als unfair empfand sie vom einen Flugzeug ins Nächste zu zerren und ihnen etwas von ihrer Kindheit zu nehmen. Sie sollten in die Schule gehen und ihre Kindheit genießen können. Und natürlich haben sie auch meine Shows gesehen, was mich unter anderem auch dazu bewegt hat verantwortungsvoll mit dem Inhalt meiner Texte umzugehen. Ich habe mich natürlich auch als Vorbild für einige Menschen gesehen, in erster Linie aber war ich eine Mutter, und nur um des Geldes willen wollte ich bestimmt nicht meine Vorbildrolle als Mutter aufs Spiel setzen.

 

rap.de: Was für Musik hörst du derzeit selbst?

Bahamadia:
Ich höre derzeit vieles, dass aus meiner Gegend kommt, Künstler aus Philadelphia also. State Property zum Beispiel, weil ich sie inspirierend finde im Gegensatz zu dem meisten Rap, den ich als sehr stagnierend empfinde. Leider kriegen wir in den Staaten sehr wenig nichtamerikanische Musik zu hören, nicht so wie hier in Deutschland. Wir kommen zu euch und ihr nehmt uns sehr herzlich auf. In Amerika ist es aber eher selten, dass ein Künstler aus Deutschland, Afrika oder woher auch immer, für seinen Musikstil respektiert wird. Ich weiß nicht warum das so ist und bin auf jeden Fall für einen Wandel, denn ich glaube, dass wir jetzt dazu bereit sind. Die letzten Jahre war ich auch nicht allzu oft auf Tour, deswegen bin ich in der letzten Zeit nicht oft mit anderer Musik außer der aus Philadelphia in Berührung gekommen. Ansonsten höre ich aber auch sehr gerne Jazz, Broken Beats, Four Hero, die mag ich immer noch sehr gerne. Ty, Freeway, solche Sachen.

rap.de: Wann kriegen wir Neues von dir zu hören?

Bahamadia: Tatsächlich arbeite ich gerade an neuer Musik. Ich habe mein eigenes Label B Girl Records. Die Vetriebe haben mich vetraglich nicht wirklich fair behandelt, deswegen war und ist “Good Rap Music“ auch so schwer zu kriegen, ich möchte bloß keine Kompromisse über mein Gedankengut eingehen, nur um Musik zu veröffentlichen. Glücklicherweise habe ich auf der ganzen Welt Leute an die ich mich wenden kann, die mir helfen, so dass ich wenigstens noch für mein Livepublikum spielen kann. Ich würde sehr gerne mein Geschäft ausweiten, aber eben nicht um jeden Preis.