Brother Ali

Das Label Rhymesayers ist seit einigen Jahren ein fester Bestandteil im Wortschatz der Independent HipHop-Heads. Das in Minneapolis, im mittleren Westen der USA, beheimatete Label ist nicht zuletzt das Zuhause von Atmosphere, deren Mitglieder Slug und Ant auch Mitbegründer des Labels sind. Seit der Gründung  1995 und dem Aufstieg von Atmosphere in die Oberliga der Independent HipHop Artists in den USA und Weltweit, gibt es diverse Künstler, die auf Rhymesayers ihre Homebase gefunden haben. Dazu gehören durchaus auch gestandene Künstler wie z.B. MF Doom, Eyedea and Abilities oder RJD2 (mit dem Soulposition Projekt, zusammen mit dem MC Blueprint, der auch Solo bei Rhymesayers gesignt ist). Dazu gibt es eine Reihe junger MCs, die ihre Freiheiten, die sie bei dem Label haben, in kreative Energie umsetzten. Eines dieser Talente ist zweifellos Brother Ali.

Mit seinem komplett selbst produzierten Debüt „Rites Of Passage“, dass er 2000 auf Kassette releast hat, wollte er zunächst einmal seine Fans zufrieden stellen, wie er im Interview noch näher ausführen wird. Mit dem 2003 erschienenen Album „Shadows Of The Sun“ und der „Champion EP“ ein Jahr später, machte er auch international auf sich aufmerksam. Die inhaltliche Tiefe seiner Reime, sein Storytelling-Talent, ist nur eine seiner Stärken, wie rap.de im Interview erfahren konnte. Außerdem berichtet Brother Ali, wie er den Weg zum moslemischen Glauben fand und wie das Rappen ihm in seiner Jugend half, Freunde zu finden.


rap.de: Brother Ali, in Deutschland bist du noch so etwas wie ein Geheimtipp. Du bist auf Rhymesayers, dem Label von Atmosphere. Kommst du auch aus Minneapolis?

Brother Ali: Nein, ich bin in Michigan aufgewachsen und dann mit 15 Jahren nach Minneapolis gezogen.

rap.de: Wann hast du Angefangen zu rappen? Schon in Michigan oder erst als du nach Minneapolis gezogen warst?

Ali: In Michigan. Im Alter von sieben Jahren habe ich mit B-Boying angefangen, das war so um 1984. Nach und nach bin ich dann immer mehr zum Rappen gekommen.

rap.de: Wie kam es dazu? Gab es einen bestimmten Auslöser?

Ali: Es gab zu dieser Zeit eine ganze Menge Leute, die ich echt verehrt habe. Whodini, UTFO, Slick Rick und noch einige andere. Die haben mich beeindruckt. Zu der Zeit als Run DMC rauskamen habe ich dann ein paar Reime geschrieben, die sich natürlich sehr ähnlich anhörten, wie der Rap von denen. Ich hatte damals einen Kumpel, der überhaupt nichts mit Rap zu tun hatte – der hörte eher Michael Jackson und so ein Zeug -, er musste bei meinen Raps immer die Doubles machen und bei den „back and forth“ Reimen den zweiten MC mimen. Ich habe ihm Schläge angedroht, wen er sich weigerte. Das war eine fiese Sache, aber damals war ich so drauf. Leider.
Ernsthaft angefangen Reime zu schreiben habe ich dann Ende der Achtziger Jahre. Und es war ganz besonders KRS One, der mich geflasht hat und zum Schreiben anregte. Wie auch Chuck D, Kool Moe D oder Rakim.

rap.de: Hattest du schon als Kind einen Faible fürs Schreiben, für Geschichten z.B., oder hast du erst mit dem Rappen auch zu schreiben angefangen.

Ali: Zunächst mal muss ich sagen, dass ich anfangs nie etwas aufgeschrieben habe. Meine Texte habe ich immer im Kopf entwickelt, weil ich dachte, dass es alle so machen würden.

rap.de: So wie Jay Z es angeblich getan hat. Von ihm wird ja auch behauptet, dass er nie einen seiner Texte aufgeschrieben hat.

Ali: Ich glaube ihm, dass er die meisten seiner Songtexte im Kopf entwickelt hat. Aber bestimmt nicht alle. Es gibt einige Tracks von ihm, wo das das viel zu schwierig wäre, weil die Texte sehr komplex sind. Songs wie „Girls Girls Girls“ zum Beispiel. Dieser Song ist einfach so gut strukturiert, dass er sich zumindest Stichpunkte für das Konzept gemacht haben wird. Das wäre sonst zu kompliziert, davon bin ich überzeugt und ich habe auch viel Erfahrung darin, weil ich ja auch nur wenig aufschreibe. Aber mir haben auch Leute, die mit ihm gearbeitet haben, davon erzählt, dass er diese Reime im Kopf hat. Ich bewundere Jay Z, er ist meiner Meinung nach einer der größten MCs aller Zeiten. Ja, viele wundern sich darüber, dass ich das denke, aber diese so genannten Underground HipHop Heads sind leider oftmals ziemlich festgefahren in ihrer Meinung. Mainstream HipHop wird pauschal gehatet, weil etwas, dass viele Leute kennen und mögen, ja nicht gut sein kann. Die differenzieren nicht. Es gibt schlechte Mainstream MCs, wie auch gute und dazu noch eine ganze Menge Durchschnitt. Die meisten MCs sind durchschnittlich, sie versuchen die guten MCs zu kopieren und auf deren Zug aufzuspringen.

rap.de: Zurück zu dir. Wie ging es mit deiner Karriere weiter?

Ali: Wie gesagt, habe ich in den späten Achtzigern richtig angefangen zu schreiben und hatte MCs, die mich inspiriert hatten. Ich habe dann festgestellt, dass ich ja erst 1984 mit HipHip begonnen hatte und dadurch einige Jahre aufzuholen hatte. Also hab ich mir Musik besorgt von Leuten wie Busy Bee, Cold Crush, Fantastic Five, usw. Ich wollte alles über die Anfänge von HipHop wissen und habe von daher auch viel Inspiration für meine eigenen Sachen bekommen. Um 1992 habe ich dann auch angefangen meine eigenen Beats zu produzieren.

rap.de: Das machst du auch heute noch, oder?

Ali: Ja, das stimmt. Allerdings nicht mehr für mich selbst. Ich sehe das einfach nur als Hobby an, weil es mir Spaß macht. Die Beats, die ich mache, gebe ich dann meinen Freunden. Momentan arbeite ich auch mit Ant zusammen und er hat einfach alles was ich brauche. Die Zusammenarbeit ist einfach super.  

rap.de: Slug hat in einem früheren Interview behauptet, dass Ant vor ein paar Jahren noch jemand war, der den Mund kaum aufgekriegt hat und einfach nur in Ruhe seine Beats gebastelt hat. Inzwischen soll er aber klare Ansagen machen und auch den MCs erklären, wie er sich die Tracks vorstellt. Wie genau sieht eure Zusammenarbeit aus?

Ali: Man kann sagen, dass Ant und ich uns in einer 50/50 Situation gegenüberstehen. Gleichstand. Ich meine, ich schaue auf jeden Fall zu Ant auf. Er ist immerhin sieben Jahre älter als ich. Wenn es ums Produzieren geht, komme ich aber immer mit eigenen Ideen ins Studio. Ich weiß ziemlich genau was ich will und was nicht. Und dass weiß Ant auch, deshalb schafft er es eigentlich immer, Beats zu machen, die mich zum Schreiben animieren. Er hat einfach ein Gespür für Künstler und weiß, was er ihnen anbieten muss.
Bei Slug und Ant war es am Anfang anders, zumindest in den alten Atmosphere Tagen. Slug ist eine unheimlich starke Persönlichkeit. So war es eigentlich vorprogrammiert, dass er im Vordergrund stand und Ant einfach nicht beachtet wurde.

rap.de: Es soll ja auch immer noch Leute geben, die denken, dass Slug alleine ist. Aber wenn Atmosphere Ant auch so selten rausgegangen ist und bei keinem Konzert dabei war, dann kann das auch leicht passieren.

Ali: Das hat sich aber geändert und nicht zuletzt dadurch, dass er mit mir zusammenarbeitet. Denn viele Leute dachten auch, dass Ant nicht viel mehr ist, als Slugs kleines Hündchen. Aber als mein Album „Shadows in the Sun“ rauskam, haben die Leute plötzlich gemerkt, dass Ant viel mehr draufhat. Er steht für 50% von dem Album und bekommt dafür auch die Props, die er verdient. Er hat gezeigt, dass er auch andere Künstler pushen kann und nicht nur im Schatten von Slug steht. Auch durch unsere Zusammenarbeit hat er größere Aufmerksamkeit bekommen.  

rap.de: Wie hast du Slug und Ant überhaupt kennengelernt?

Ali: Durch einen Arbeitskollegen hörte ich ihre Musik zum ersten Mal. Zu dieser Zeit, das war so um 1997, war ich ziemlich angepisst von Rap. Biggie und 2Pac waren tot und es gab einfach zu viele Rapper, die versuchten diese Lücke zu schließen, aber sie waren wack. Es gab für mich kaum interessanten Rap zu dieser Zeit, weder Underground noch Mainstream. Ich hab einfach irgendwann aufgehört, mich um Rap zu kümmern und nur noch meine alten CDs gehört. Ich hab auch angefangen Funk, Soul und Blues zu hören, denn in diesem Genre gab es noch so viel für mich zu entdecken. Da war so viel alte neue Musik, die ich kennenlernen konnte, ich brauchte keinen Rap mehr.
Dieser Arbeitskollege hatte mir damals ein Tape in die Hand gedrückt, wo auf der einen Seite Gangstarrs „Moment of Truth“ Album war und auf der zweiten Seite war ein Mix aus Tracks von Atmosphere und Beyond.

rap.de: Beyond ist doch heute unter Musab bekannt oder?

Ali: Genau. Er ist auch Moslem, genau wie ich und wir hatten uns schon mal kurz in der moslemischen Gemeinde in Minneapolis getroffen. Ich hatte also das Tape gehört und ging daraufhin zu einer ihrer Shows. Ich habe mich dort länger mit Musab unterhalten und er war es schließlich auch, der mich Ant vorgestellt hat. So habe ich auch Slug getroffen. Das war so 1997 oder 98.

rap.de: Dein erstes Album, „Rites Of Passage“, hast du zuerst nur auf Tape veröffentlicht. Warum?

Ali: Wie gesagt, ich hatte Slug und Ant gerade kennengelernt. Ich habe sie dafür bewundert, wie sie sich mit Rhymesayers selbstständig gemacht haben. Das war cool und ich wollte auch alles auf dem Independent-Weg machen. Ich war bei Ant und habe ihm ein paar von meinen Beats vorgespielt und wollte welche von ihm haben. Er hat zu mir gesagt, dass wenn du schon deine eigenen Beats produzierst, rappst, alles selber machst, dann dir keiner was anhaben. Das ist das allergrößte. Das hat mir Mut gemacht und ich habe dann „Rites Of Passage“ ganz alleine releast, alles selber produziert, aufgenommen, gemischt, gemastert, einfach alles.
Eigentlich war das gar kein richtiges Album, sondern eine Ansammlung von Songs, die ich normalerweise live spielte. Die Leute fragen mich damals immer, ob ich nicht etwas auf Platte oder Tape hätte, das sie mit nach Hause nehmen konnten, aber da gab es nichts. Genau für diese Leute hab ich dann das Tape gemacht. Kein offizielles Album.

rap.de: Du erzählst oft Geschichten in deinen Reimen und viele hören sich sehr real an. Ist da viel Autobiografisches dabei oder Dings, die in deinem Umfeld passieren oder denkst du dir manche Sachen auch einfach aus?

Ali: Die meisten Sachen auf „Shadows In The Sun“ und der „Champion EP“ sind Geschichten, die mir selbst passiert sind.


rap.de:
Die „Champion EP“ ist dein letztes Release, das ist jetzt knapp zwei Jahre her. Kommt da bald was nach?

Ali: Auf jeden Fall. Ant und ich sind so gut wie fertig mit dem neuen Album. „The Undisputed Truth“ wird es heißen und wird im August erscheinen.

rap.de: Und Ant hat das Ding komplett produziert?

Ali: Ja, hat er. Zusätzlich sind noch eine Musiker drauf, denn wir haben ein paar Sachen live eingespielt.

rap.de: Gab es ein Konzept für das Album?

Ali: Es gab eine Art Konzept. Weißt du, das größte, was du im Leben erreichen kannst, ist herauszufinden, was das Besondere an Dir ist. Ich weiß zum Beispiel, dass ich nicht der beste Texteschreiber der Welt bin, aber ich bin auch nicht schlecht. Ich bin auch nicht der derbste Flower und habe die krasseste Stimme, aber ich bin ziemlich gut. Und ich bin so authentisch, wie man nur sein kann. Ich spiele keine Rolle, erzähle keine Märchen darüber wie reich ich bin und so ein Zeug. Das Album ist sehr persönlich geworden, es erzählt eine Menge über mich. Das ist quasi das Konzept. Es wird einige Tracks geben, die man wahrscheinlich als politisch bezeichnen wird, aber eigentlich spiegeln sie nur meine Meinung von gewissen Dingen wieder, so, wie ich sie auch meinen Freunden gegenüber äußern würde.


rap.de: Du hast eine Menge Power, wenn du auf der Bühne stehst und kannst eine Crowd mitreißen, wie du es hier in Berlin gezeigt hast. Woher nimmst du diese Power? Warst du schon immer jemand, der gut vor Leuten agieren konnte? Vielleicht sogar der Schulclown?

Ali: So ein bisschen war ich auch Schulclown (lacht). Aber ich habe wirklich schon ziemlich früh lernen müssen, dass ich einfach ein wenig anders bin. Ich sehe anders aus, bin ein Albino, und meine Familie ist andauernd umgezogen. Ich kam fast jedes Jahr auf eine neue Schule, in einer neuen Stadt und musste mich immer wieder neu orientieren. Immerhin habe ich viel gesehen. Allerdings ist es als Kind ja so, dass du irgendetwas haben musst, damit andere dich mögen, denn Kids mögen jemanden nicht einfach so. Irgendetwas MUSST du haben. Entweder bist du reich, besonders niedlich, ein toller Sportler oder sonst was.

All das hatte ich nicht. Das einzige, was ich für mich fand, war das rappen. Als ich merkte, dass ich darin nicht schlecht war und damit andere für mich gewinnen konnte, wurde vieles leichter. Immer wenn ich an eine neue Schule kam, hab ich mir die Rapper rausgesucht, bin hingegangen und habe mit ihnen gerappt, gebattlet oder eine Crew gegründet. Solche Dinge halt. Später hab ich dann auch Beats gemacht. Die Leute konnten mir so gesehen nicht mehr viel anhaben. Auch wenn es Typen gab, die mich nicht mochten, ich fand immer andere, mit denen ich rappen und abhängen konnte.

So ähnlich es noch heute, um auf die Frage zurückzukommen. Ich komme an Orte, die ich nicht kenne, so wie hier in Berlin z.B., und versuche den Leuten zu zeigen, was das Besondere an mir ist, warum sie mir zuhören sollen. Wenn es das erste Mal ist, so wie hier, dann gebe ich natürlich Vollgas und konzentriere mich mehr auf den Partyfaktor. Wenn mich die Leute erst mal kennen, wenn ich also wiederkomme, dann wird mein Programm länger sein und sich auch ein wenig mehr auf inhaltliche Tiefe konzentrieren. Heute Abend hatte ich auf jeden Fall Spaß.

rap.de: Du bist Muslime, wie du bereits erwähnt hast. Bist du mit dem moslemischen Glauben aufgewachsen?

Ali: Nein, ich bin erst im Alter von 15 Jahren zum moslemischen Glauben gekommen. Gleich nachdem ich nach Minneapolis gezogen bin. Bei meiner Familie war der christliche Glaube zwar nicht besonders stark ausgeprägt, trotzdem wurde ich so erzogen, dass ich regelmäßig die Kirche besuchte. Ich war schon immer ein sehr spiritueller Mensch, konnte mich aber nie richtig am christlichen Glauben orientieren. An Gott glaubte ich, aber es gab einige Dinge in der christlichen Religionslehre, die ich nicht in Ordnung fand.
Als ich so 14, 15 Jahre alt war, begann ich viel über Religion zu lesen. Zu dieser Zeit war KRS One an verschiedene Colleges unterwegs, um Vorträge zu halten. Er kam auch an die Michigan State, wo ich seine Lesung besucht habe, auf denen er über Plato, Nostradamos, der Bibel und solchen Dingen sprach. Danach wurde mir bewusst, dass ich noch mehr über Religion wissen wollte und besorgte mir Bücher. Ich las alles, was ich in die Finger bekommen konnte, auch ein Buch über Malcom X, weil KRS von ihm erzählt hatte. Wegen dieses Buches las ich auch etwas über den Islam. Und eine Menge Sachen, die im Koran standen, stimmten mit dem überein, was ich glaubte.
Ich glaube zu 100% an den Islam, aber ich glaube nicht an alles was Muslime tun. Viele Dinge werden meiner Ansicht falsch interpretiert und münden in kulturellen Bewegungen, die eigentlich nichts mit dem moslemischen Glauben zu tun haben.

rap.de: Hat sich damit etwas in den USA für dich verändert?
 

Ali: Nein, für mich hat sich nichts geändert. Aber arabische Muslime, die haben schon Probleme in den USA, wie man sich vorstellen kann. Viele Amerikaner machen da Unterschiede und sehen amerikanische Muslime als nicht bedrohlich an, im Gegensatz zu arabischen Muslime. Diese Unterscheidung ist natürlich großer Mist, wir Muslime sind Brüder im Geiste, auch wenn wir nicht immer die gleiche Meinung und die gleiche Sichtweise von bestimmten Dingen haben. Am Ende sind wir Brüder.