Interview mit Liquit Walker

rap.de: Auf dem Album hast du dieses Thema auch im Song „Immer noch Berlin“ aufgegriffen.

Liquit Walker: Hier tritt Berlin, um noch einmal auf den Albumtitel zurück zu kommen, als komplettes Rudel an. Hier ist es egal wer der Alphawolf ist. Ich gebe Props an Leute die die Stadt musikalisch zu dem gemacht haben, was sie ist. Ich sehe mich selbst als das fleischgewordene Berlin. (rappt:) „Denn wir sind Eisern und Hertha, wir sind Dynamo und Adler, wir sind die Eisbären und Alba, geht und fragt eure Kader. Heimatstadt meines Vaters wie lange lebe ich hier wohl? Ich bin Berlin in Fleisch und Blut in der fünften Generation.“ Mehr Berlin geht für mich einfach nicht. Ich vereine in mir einfach alles in einem. Ich lebe in einem Bezirk, in dem ich als Berliner die Minderheit bilde. In Friedrichshain leben ca. 120.000 Menschen. Davon sind gefühlte 90% keine Berliner. Immer häufiger, wenn du etwas über Musiker, insbesondere Rapper hörst, betiteln diese sich als Wahlberliner. Leute von außerhalb nehmen Berlin auch nur noch als die Stadt wahr, in die die Künstler hinziehen, wenn sie Mucke machen wollen. 

rap.de: Was ist eigentlich mit Berlin-Rap passiert? Vor fünf Jahren war er noch das Maß aller Dinge.

Liquit Walker: Ich weiß es nicht. Entweder sind die Leute auf dem Straßenfilm hängen geblieben und erzählen nur noch wie hart alles ist. Berlin ist hart, bei Gott, definitiv. Aber das wissen die Leute bereits und man braucht es ihnen nicht immer wieder zu erzählen. Der Einzige, den ich sehe, der sowohl stilistisch als auch musikalisch noch für Berliner Rap steht, ist Silla. Ihn sehe ich als Gallionsfigur für Berliner Rap. Wobei ich Sido und Bushido nicht außen vor lassen möchte. Aber diese beiden bewegen sich in Sphären, in denen dieses Städte repräsentieren total irrelevant ist. Ich will gar nicht, dass die Leute mich für den krassen Berliner halten, sondern ich will den Leuten zeigen, dass Berlin immer noch krass ist. Ich denke es gab einen Overkill, der Fokus hat sich verlagert und die Leute haben nicht aufgehört, immer wieder das gleiche zu machen. Ich hingegen komme mit einem Album um die Ecke, auf dem Rap drauf ist, der von der Wortwahl, den Texten und vom Feeling aus keiner anderen Stadt dieser Welt kommen könnte. Beim Hören merkt man das sofort. Trotzdem bringt dieses Album ein Berlin zurück auf die Karte, das so noch nicht da war. Für mich ist es wichtig, dass die Leute verstehen, dass diese Stadt sich verändert hat, aber der ursprüngliche Geist nicht tot ist. Wir mussten uns einfach erst einmal neu sammeln und die ganzen Veränderungen annehmen.

rap.de: Wohin denkst du führen die Veränderungen, die Berlin gerade durchmacht?

Liquit Walker: Politisch ist Berlin gerade sehr schwierig. Wir werden definitiv Pariserverhältnisse haben, wenn es hier so weiter geht. Da bedeutet, dass sich die Ghettos an den Stadtrand verlagern. Für mich hat das nichts mit Urbanisierung zu tun. Das ist auch ein Punkt. Es gibt den Atzen in mir, der besoffene Schwaben durch die M10 schubst. Es gibt aber auch den Typen in mir, der nachdenkt, die Politik und die Wirtschaft dahinter sieht und versteht, was es mit der Gentrifizierung auf sich hat. Trotzdem kann ich es nicht ändern. Ich versuche, ein gesundes Mittelmaß zu finden in meiner Attitude. Aber es ist schwierig für mich diese Machtlosigkeit zu spüren. Wenn ich sehe, dass meine Mutter in der Wohnung, in der sie wohnt, in vier Jahren das dritte Mal zum Anwalt gehen muss, weil der Typ sie dort krass herauszuekeln versucht, indem er ihr Nebenkostenabrechnungen in Höhe von 5.000€ schickt… Was einfach geisteskrank ist! Meine Mutter ist der Pate von Friedrichshain, weil sie seit 1990 ihren Ostmietvertrag verteidigt. Der Typ hat ihre eine fünfstellige Summe geboten, damit sie aus der Wohnung auszieht. Meine Mutter hat sich, wie es sich für meine Familie gehört, dazu entschieden, in den Krieg zu ziehen und ihren Ostmietvertrag zu verteidigen. Meine Mutter ist definitiv ein Alphawolf. Jedenfalls, viiele Schaben denken immer, dass ich sie hasse. Aber im Gegenteil! Ich finde die schwäbische Küche zum Beispiel voll geil. Ich hab Freunde, die Schwaben sind. KD-Beatz kommt aus Wellingen-Schwellingen oder wie das heißt (vermutlich meint Liquit Villlingen-Schwennigen – Anm. d. Red.). Der war hier auch mal zu Besuch mit ein paar Jungs. Die waren richtig cool. Die hatten zwar diesen komischen schwäbischen Dialekt und es war witzig. Darum geht es gar nicht. Ich habe ideologische Differenzen. Es ist ein ganz hartes Problem, wenn die Leute hier her ziehen aus ihrem kleinen Dorf, hier zwei Wochen leben und mit ihrem schwäbischen Akzent behaupten, dass sie Berliner seien. Hintenrum sagen diese Menschen dann, dass die Berliner alle asozial sind und nicht arbeiten gehen. Die Berliner verdienen alle kein Geld und können ihre Mieten nicht zahlen, die Berliner sind faul. Seid mal froh, dass wir unser Geld hierher bringen. Wollt ihr mich verarschen? Was für Geld? Wo ist das Geld? Ich hab von dir keinen Fuffi in meiner Tasche. Dein Geld geht in deine Miete. Wenn ihr euer Geld schon nach Berlin tragen wollt, dann geht im Burgeramt essen. Da ist das Geld auf jeden Fall gut aufgehoben. Liebe Grüße an dieser Stelle.