Interview mit Sylabil Spill

Sylabil Spill veröffentlicht am 1. Mai die EPs „Okular“ und „Fress.Orgie„. Beide erscheinen ausschließlich auf Vinyl und folgen einem interessanten Konzept – Grund genug, sich mit dem Lourde-Records-Künstler darüber zu unterhalten. Nach einer aufschlussreichen Lehrstunde über die Architektur unseres Büros, dessen Fenster Spill zu faszinieren schienen, beginnen wir das Gespräch bei einer Tasse Kaffee.

Warum der Entschluss, die beiden EPs nur auf Vinyl, nicht wenigstens digital, zu releasen?

Ich wollte es einfach zu machen. Ich hatte Lust, etwas kompaktes zu machen. Sie werden nachträglich vielleicht noch zum Download erscheinen. Aber ich unterstütze diese Platten-Geschichte gerne. Irgendwer wird das doch eh digitalisieren und hochladen. Mein Hintergedanke war nur, dass ich eine Platte machen wollte, weil ich einfach eine Affinität für Vinyl habe und das unterstützen wollte. (verstellt die Stimme) Is‘ halt ’n Plattenliebhaber-Ding

Warum releast du beide EPs auf einmal? Wäre es nicht klüger, zwischen den beiden Releases ein wenig Zeit verstreichen zu lassen?

Weil die EPs ja nach einem bestimmten Motto entstanden sind: Wer nicht hören will, muss fühlen. Mir war es wichtig, dass ich es so mache. Vielleicht ist es aus marketingstrategischer Sicht nicht clever, aber schlussendlich demonstriert doch auch gerade das meine künstlerische Freiheit oder meine Entscheidungsfreiheit. Ich wollte mich auch nicht bei den Musikern einreihen, die unentwegt um die Gunst der Fans buhlen. Ich bin auch nicht so ein promofiler Typ. Eher promophob. Ich tue mich sehr schwer damit. Klar gehört das irgendwie auch dazu und ich verteufele niemanden, der das macht, aber ich bin das ganze Projekt auch überhaupt nicht promotechnisch angegangen. Ich habe nur an das Gesamtbild gedacht. Letztes Jahr habe ich ja ziemlich viel releaset, daher glaube ich, dass das zeitlich auch so passt.

Warum hast du dich dagegen entschieden, ein Album aus den beiden EPs zu machen?

Ich wollte kein Album daraus machen, weil ich wollte, dass jeder Produzent, also ich als Radira und Ghanaian Stallion in irgendeiner Form für sich selbst stehen. Neben der Empfehlung sich beide EPs als Paket zu holen war es mir wichtig, dass Ghanaian Stallions Sachen nochmal für sich selbst stehen. Vom Prinzip her sollte man natürlich beide hintereinander hören, aber du hast bei einem Album auch immer die Problematik, die Tracks aus verschiedenen Blickwinkeln zu arrangieren. Um das Ganze zu umgehen und mich auf jeweils einen Tonträger konzentrieren zu können, habe ich gesagt, ich splitte das ganz radikal und hau das dann so raus. So kommt das Konzept auch viel besser zum Ausdruck, als wenn ich das einfach panschen würde. Schon weil ich mich dann für ein Cover hätte entscheiden müssen. So ist das ganze Gesamtbild mit diesem Bruch viel griffiger.

Wenn du vom Gesamtbild sprichst, meinst du, dass die Platten zusammen gehören und einander ergänzen?

Die leben auf jeden Fall voneinander! Bei „Okular“ hast du diese Aufforderungen: Alter, denk mal nach! Guck mal ’n bisschen über den Tellerrand. Diese Aufforderung zur Wahrnehmung. Bei der „Fress.Orgie“ geht’s dann einfach rund. Da kommt dann die Konsequenz: Wer nicht hören will, muss fühlen. Natürlich im lyrischen Sinne. Nichtsdestotrotz ist das Ding einfach: Aktion – Reaktion. Wer die „Okular“ hat, braucht die „Fress.Orgie“ und andersherum. Deswegen habe ich die Cover auch beide vom Illustrator Christian Pick zeichnen lassen. Der Stil und die Bildästhetik einfach gleich sein sollten.

Die Ästhetik erinnert sehr an ältere Marvel-Comics.

Auf jeden Fall! Das war so gewollt. Ich wollte unbedingt nochmal zum Audruck bringen, dass wir uns im kreativen Bereich befinden. Ich komme ja auch aus der Marvel-Zeit.

Dich selbst inszenierst du als eine Art Hulk.

Ja, die Rap-Figur. Die wird dann halt Hulk-mäßig, im Sinne von einer Figur, die nach Ausbruch strebt. Die nach Raum strebt und schaut, dass sie in irgendeiner Form Platz bekommt und auch Gewaltszenarien verwendet.

Wobei der Hulk ja keinen konkreten Beweggrund, kein Streben, hat.

Das weiß man doch gar nicht. Hulk kommt ja immer zum Vorschein, wenn Bruce in die Enge getrieben wird oder man ihn erzürnt. Dann ist das quasi die letzte Instanz.

Stellt das dieselbe Figur wie auf dem Cover von „Roh.Kalt“ mit Morlockk Dilemma dar?

Nein. Das ist nicht die selbe Figur, die „Roh.Kalt„-Figur wurde von einem anderen Illustrator beigesteuert. Die jetzige Figur ist noch expliziter, die sticht noch mehr hervor und bringt noch mehr zum Vorschein. Man sieht ja den Schraubenzieher und die verneinende Haltung. Bei „Roh.Kalt“ sind wir einfach so aufgetreten und hatten etwas vor. Was, war aber auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Bei der „Fress.Orgie“ ist es das.

Die Herangehensweise an „Okular“ ist ja trotz der Inhalte noch immer battlelastig. War das eine bewusste Entscheidung oder kannst du einfach nicht anders und musst immer wieder Fressen polieren?

Klar war das bewusst, aber ich wollte das so. Wenn man sich zum Beispiel „Langer Punkt“ eins und zwei anhört, dann hört man ja, dass ich anders kann. Aber ich habe diesen Weg bewusst gewählt. Ich kritisiere ja etwas und ich behaupte, dass eigentlich fast alles Battle ist. Wenn ich gesellschaftskritisch werde, disse ich ja auch etwas. Dann disse ich das System. Also erfülle ich in einer Form meinen Teil des Dualismus – des Duells. Meines Erachtens nach gehört das dazu, dass ich das auf diese Art und Weise vortrage. Sonst rutscht das schnell in diese Jammer-Atmosphäre ab. Da hab‘ ich überhaupt keinen Bock drauf. Das machen andere Rapper ganz toll. Damit muss ich mich nicht beschäftigen. Es zieht doch auch viel mehr mit, wenn man eine bestimmte Atmosphäre erzeugt. Klar kommt es auch darauf an, wer die Mucke hört, aber eigentlich kann doch jeder Fan von jedem werden.

Wenn andere Rapper sozialkritische Texte schreiben, sprechen sie oft konkrete Ereignisse und Gegebenheiten an. Du tust das nicht – und setzt trotzdem klare Statements.

Konkrete Ereignisse zu erwähnen erachte ich als zeitliche Gefangenschaft der Kunstwerke. Wenn ich jetzt etwas aufgreife und das in zehn Jahren nochmal gehört wird, dann verliert das an künstlerischem Wert. Egal, wie ich es vorgetragen habe. Eine gewisse Zeitlosigkeit in der Erwähnung ist gut, glaube ich. Ich gehe ja schon ins Mikro – und betrachte es nicht einfach als Makro. Nichtsdestotrotz halte ich aktuelle Beispiele für überflüssig. Ich nehm‘ das Thema und gehe weiter. Dadurch wird es relevanter, ohne dass ich Beispiele nennen muss. Dadurch wird es auch über die Jahre hinweg interessanter. Ich bin ein Künstler und will, dass die Leute in den nächsten Jahren etwas aus meinen Projekten schöpfen können.

Du gehst ja sogar so tief, dass du vieles auf die menschliche Natur und die Urinstinkte beziehst. Befasst du dich mit philosophischen oder anthropologischen Theorien?

Wenn ich das mache, kann ich das natürlich verneinen. Aber irgendwie ist das im Grunde ja schon anthropologisch. Teils auch irgendwo philosophisch. Aber ich mache das, weil ich ja von meinem eigenen Wissen zehre. Das, was ich weiß, versuche ich weiter zu geben. Mir ist es wichtig, dass die Leute meine Ansicht überhaupt verstehen. Dazu sollte ich mein Wissen ausdrücken. Das, was ich habe. Das, was ich kenne. Und das geschieht, indem ich es ausschöpfe. Sowas ist wichtiger als aktuelle Geschehnisse zu erwähnen. Pure Wissenskraft. Für den Markt ist das natürlich schwierig, weil das ja irgendwie puristisch ist. Aber über die Jahre übersteht man diese Filter. Für mich ist jedes Jahr wie ein Filter.

Basiert dein Wissen denn nur auf Erfahrungen oder hast du dich auch mit Denkern wie Rousseau, Hobbes oder Kant beschäftigt?

In der Schule hat man sich ja zwangsläufig damit befasst, aber ich habe es gehasst! Das hat man sich dann in den Kopf rein geprügelt und mehr oder weniger reproduktiv wieder ausgekotzt. Teils auch einfach vergessen. Aber die Sachen, die hängen bleiben, sind die, die wichtig sind. Wenn man die versteht und die Zusammenhänge zur realen Welt herstellen kann, dann sitzt das. Klar habe ich mich mit Hobbes und was weiß ich, dem Utilitarismus befasst und dem ganzen Kram befasst. Aber ich will ja nicht auftauchen und klugscheißen. Ich will den Leuten ja nicht irgendeine Scheiße aus meiner Schulzeit erzählen, sondern das, was Relevanz für mich hat und für die auch haben könnte, wenn sie das Ganze mal aus einem anderen Blickwinkel betrachten.

Also hast du dir diese, ich nenne es mal Thesen, selbst angeeignet und erschlossen?

Naja selbst angeeignet ist es ja nicht. Ich zehre ja von dem was ich gelernt habe. Da spinnt man sich dann etwas zusammen und kommt zu einem, für sich selbst schlüssigen, Ergebnis. Also teils, teils eigentlich.

Du hast der Angst einen Song gewidmet. Dich selbst stellst du da ja ziemlich furchtlos dar. Meinst du, wenn du schwächer und dümmer wärst, hättest du mehr Angst?

Im Song geht es ja darum, dass ich sage: Zu viel Angst bringt dich um. Dabei geht es mir darum, dass ich darauf aufmerksam machen will, dass Angst geschürt wird. Meines Erachtens nach dient das nur der Kontrolle der Allgemeinheit. Da wird einem beigebracht: Du bist ein Teil der Norm. Habe jetzt Scham. Davon sollte man sich frei machen. Die Angst ist künstlich. Die entspricht nicht den Tatsachen, die wird geschürt um alle bei der Stange zu halten. Ich als Person habe natürlich auch hier und da Angst, aber es geht darum, dass ich diese Angst eher als Respekt sehe. Ich kann ja nicht einfach sagen: Ey, ich hab keine Angst, ich lauf jetzt über die Straße – fick das Auto! Es geht um diese künstlich erzeugte Form von Angst. Von der sollte man sich frei machen, beziehungsweise man sollte im Kopf so weit gehen, drüber zu stehen, nach was man sich richten soll. Man merkt bei vielem, dass es Bullshit ist, aber macht trotzdem mit, weil man in einem bestimmten System, einem bestimmten Raster geboren ist. Zweifelsohne bin ich da auch ein Teil von, aber ich will sensibilisieren. Man wird dadurch zwar keine Revolution starten, aber vielleicht den Mut schöpfen, hier und da zu sagen: Fuck off!

Aber geboren bist du in einem anderen Raster. Du bist ja im Kongo geboren.

Ey Mann, ich bin in der Zeit unter Mobutu geboren, also Hardcore Diktatur. Aber es war okay. Natürlich wurden da Leute verschleppt, die politisch anderer Meinung waren. Aber wenn man sich die Lage jetzt reinzieht, war es da richtig geil. Es war Ordnung da, es gab Strukturen, die einen veranlasst haben, in Sicherheit zu leben. Der Kongo war kein Schlachtfeld für irgendwelche Stämme. Und da bin ich geboren. Die einen sind in der DDR oder in Kuba während des Sozialismus geboren und ich halt im Kongo. Das war ein Kontrollstaat.

Wurde da auch künstliche Angst geschürt?

Auf jeden Fall! Im Nachhinein hört man viele Storys. Wer gegen Mobutu irgendetwas gesagt hat, der ist verschwunden.

Dann war das aber doch berechtigte Angst, oder?

Ja aber teils ist es eben auch nicht passiert. Manchmal ist man auch nicht verschwunden, aber die Leute wurden dadurch bei der Stange gehalten. Ich habe im Nachhinein erfahren, dass mein Onkel, der auf einmal anfing zu humpeln, gegen Mobutu oder einen Minister etwas gesagt hat. Der wurde dann gefoltert und sein Wadenfleisch wurde heraus geschnitten. Quasi als Warnung. Klar gab es so etwas. Aber größtenteils war das einfach der große Hammer, den es hier ja auch gibt. Wer viel redet, der kriegt ihn auf den Kopf. Da greifen ja unzählige Abwehrmechanismen, um die Leute mundtot zu machen oder abzukühlen.

Verstehe ich dich da richtig? Du findest du die Zustände hier und dort vergleichbar?

(empört) Auf keinen Fall! Auf gar keinen Fall! Um Gottes Willen! Nein Mann! Also (überlegt) auf der Metaebene gesehen, kann man sagen: Eine staatliche Institution erfüllt ihren Zweck, indem sie die Leute durch gesetzliche Verpflichtungen in Atem hält und kontrolliert. Aber wenn man sich das näher anschaut und die Bevölkerung und Strukturen betrachtet – wWir haben hier so viele Freiheiten, wir können teilweise einfach machen, was wir wollen. Im Kongo war das nicht so. Hat man da zu weit nach links oder rechts geguckt, kam von links oder rechts eine Backpfeife und es hieß: In die Richtung guckst du nicht mehr! Das war’s dann. Als ich hierhin gekommen bin war das wie ein Traum. Da war alles so frei. Ich meine ich war damals ein Kind, ich war klein – aber habe das trotzdem schon mitbekommen. Was man halt darf, also als Allgemeinheit, und was nicht. Hier war das überwältigend.

Du äußerst dich auch dem Materialismus und seinen Anhängern gegenüber sehr kritisch. Kommt das daher?

Es geht mir einfach darum, dass die Leute sich nicht nur über Materialismus definieren sollten. Hier erlangt man sehr schnell Respekt, wenn man sein äußeres Erscheinungsbild zur Schau stellt. Die Menschen in Industrienationen messen sich oft damit. Wer bist du, was fährst du, was hast du gelernt? Das wird dann einfach darauf heruntergebrochen. Das ist ja irgendwie auch okay, aber es sollte in gesundem Maße geschehen. Was das ist, erfährt jeder, wenn er sich mal kritisch mit Materialismus auseinander setzt. Klar kannst du niemanden, der frisch aus dem Knast kommt, auffordern, darauf zu verzichten. Aber allgemein sollte ein Mensch sich einfach nicht durch Materialismus definieren. Er wird dadurch ja nicht wertvoller sondern wertloser. „Fashion kills Personality„, um Olek von der Cool Clique zu zitieren.

Die Quintessenz des Ganzen ist, sich gesellschaftlicher Zwänge zu entledigen. Inwiefern machst du das denn selbst?

Indem ich Fragen wie „Wann bist du fertig mit der Uni?“ mit der Antwort „Dann, wenn ich fertig bin“ versehe. Da nehme ich diesen subtil erzeugten Druck erstmal von mir und mache mich frei. Oder indem ich einfach keinen Trends folge und Klischees nicht erfülle. Ich kann als Rapper auch mal im Hemd entspannt auf die Bühne gehen und meine Lines kicken. Ich kann als Rapper auch ein Bild haben, auf dem ich lache. Ich kann als Afrikaner einfach entspannt auftreten und nicht den Ami markieren und mich darstellen wie im Zirkuszelt. Da sind Klischees und Erwartungen von Menschen, mit denen ich breche. Ich versuche oft bewusst gegen sowas zu arbeiten. Die erwarten etwas und ich erfülle das nicht. Was lernen die daraus? Okay, da ist einer, der macht das nicht. Das ist auch für mich wichtig. So stärke ich meine Psyche. Ich bin zwar in einer bestimmten Zeit geboren, aber ich muss nicht zwangsläufig alles mitmachen.

Wirst du in deiner Rolle als subversives Element nicht trotzdem zu einem Rädchen im Gefüge?

Ich werde gar keinen Erwartungen gerecht. Ich werde dadurch unberechenbar. Antizyklisch. Ich werde nichts gerecht, ich mache worauf ich Bock habe und verhalte mich entsprechend dessen, was mir gegeben wurde. Ich darf ja eigentlich machen, was ich will. Nur weil ich bestimmte Freiheiten nicht ausleben darf, weil sie eventuell andere einschränken, heißt das nicht, dass ich die Freiheit, mich auf eine bestimmte Art zu kleiden oder auszudrücken, nicht besitze. Wenn ich ein Rädchen wäre, dann wäre ich quasi das Rädchen, dass das Schweizer Uhrwerk daran hindert, ordentlich zu arbeiten.

Das ist doch ein gutes Fazit! Hast du noch irgendetwas hinzuzufügen?

Ich möchte noch sagen: Zieht euch die Platten rein und vor allem fänd ich es super, wenn ein paar Rapper, die ihren Weg bis hier gegangen sind, aber momentan nichts mehr machen, mal wieder an den Start kommen. Neben den Stieber Twins auf jeden Fall Kalusha, den ich sehr dope finde. Das ist ein echtes Original und so etwas muss es geben. Das ist ein super Gegengewicht, da würde ich mich sehr freuen, wenn es wieder Rapper gäbe, die sein Format haben.