Interview mit Swiss

Swiss ist ein Unikat, darüber lässt sich nicht streiten. Mit der am 19. September erscheinenden EP „Schwarz, Rot braun“, dem fertiggestellten Album „Große Freiheit“ und zwei anstehenden Touren, sind er und seine Band „Die Andern“ busy as fuck. Dementsprechend viel zu erzählen gab es, als wir den polarisierenden Hamburger für ein Gespräch über seine Releases, Satanismus, gute Musik und seinen Anspruch an ebendiese trafen.  Nach dem Verzehr einiger Kekse, stand ein gut gelaunter und sympathischer Swiss am rap.de-Mikrophon.

rap.de: Lass uns über das Album sprechen: hat es schon einen Titel? Wie lange habt ihr am Album gearbeitet?

Swiss: Das Album wird „Große Freiheit“ heißen. Ich würde sagen, ich schreibe jetzt seit zwei Monaten am Album und wir werden wohl noch etwa einen Monat brauchen. Also drei Monate ungefähr. Aber so macht das nicht so viel Spaß, es ist halt schon sehr eng alles. Ich hätte gerne ein bisschen mehr zeit zum schreiben gehabt.

rap.de: Woher kommt der Zeitdruck?

Swiss: Das ist immer so: sobald die Kunst kommerzialisiert wird, hat man auf einmal irgendwelche Deadlines. Dem kann ich mich natürlich auch nicht entziehen. Aber ist schon alles cool. Kennst du Joachim Witt? „Der goldene Reiter“ Der macht sein Album in einem Monat. Also möglich ist das schon, aber natürlich ist es entspannter ein Jahr am Album zu schreiben, sich Zeit zu lassen und viele Songs einfach wegwerfen zu können.

rap.de: Früher hast du dir mehr Zeit gelassen?

Swiss: Voll! Aber das kann natürlich auch scheiße sein, wenn man zu viel Zeit hat. Ich bin schon so ’n Arschtritt-Typ, ich brauch sowas wie ’ne Deadline, sonst mach ich halt irgendwas, nur nicht das was ich machen sollte. Also ’ne grobe Deadline ist schon immer ganz cool.

rap.de: Im Vergleich zur EP (Schwarz Rot Braun – Anm. d. Verf.) ist das Album ja noch etwas rockiger. Ich empfinde das fast schon als reinen Punkrock, oder wie siehst du das?

Swiss: Naja, wo fängt für dich Punkrock an und wo hört er auf? Also ich finde der große Schritt war der zur EP. Auf dem „Wixxtape“ hatte ich ja schon zwei oder drei Songs die wir live eingespielt haben – und die EP hat das fortgeführt. Ich finde nicht, dass der Sprung von der EP zum Album so groß ist. Ich würde eher sagen, dass das Album einfach einen Tick besser ist als die EP. Wir haben natürlich auch unsere Zeit gebraucht, um uns da rein zu finden. Wir haben jetzt so ’nen Kemper (Profiling amplifier – Anm. d. Verf.), dieses Gerät hebt die Gitarren einfach auf das nächste Level! Wir kommen ja auch alle vom HipHop und Sleepwalker, der meine Sachen mischt, der saß am Anfang da und wusste nicht wie ihm geschieht, als ich ihm die Aufnahmen geschickt habe. Das Album wird Soundmäßig einfach nochmal 30-40% drauflegen. Es wird einfach massiger.

rap.de: War die herangehensweise an Album und EP die gleiche?

Swiss: Ich hatte ja schon mehr Songs, als auf der EP fertig sind. Hab die halt so runtergeschrieben und hatte dann elf oder zwölf Dinger fertig. Es ist natürlich nicht so, dass ich mir die besten für das Album aufgehoben hätte. Ich hab‘ versucht eine gesunde Mischung zu finden. Beispielsweise „Finger zum MW„, der auf der EP ist – an dem werde ich immer gemessen werden. Das ist quasi ein Maßstab, halt ein Song der einfach unfassbar brettert. Ich kenne das ja schon von „Missglückt“ – es gibt einfach Songs, die einen seine ganze Karriere über verfolgen.

rap.de: Hast du dich irgendwie auf das Projekt vorbereitet, bevor du angefangen hast mit Band und gesungenen Hooklines etc. zu arbeiten? Hast du beispielsweise Gesangsunterricht genommen?

Swiss: Überhaupt nicht! Das reine Rappen hat mich einfach irgendwann genervt. Ich weiß natürlich, dass ich nicht der größte Sänger unter der Sonne bin, aber bei Musik sehe ich das so: Wenn man das fühlt – wenn ich jemanden singen höre, der nicht unbedingt die beste Stimme hat, aber ich das fühle was er sagt, und dass er es meint wie er es sagt – dann ist das geil! Ich glaube für das was ich mache reicht meine Stimme volkommen. Wenn man mir jetz auftragen würde Mariah Carey nachzusingen, dann wird’s natürlich… interessant sag ich mal (lacht). Aber für das was ich mache ist es perfekt. Es kam auch noch keiner an und hat sich beschwert, dass ich so schief singe. Eher waren die Leute überrascht, so von wegen: Hä? Klingt ja gar nicht so schlecht.

rap.de: Das war ja auch in keinster Weise negativ gemeint.

Swiss: Ne klar, aber ist ja schon angebracht. Ich glaub‘ Samy hat vor seinem Album („Dis wo ich herkomm“ – Anm. d. Verfassers) damals Gesangsunterricht genommen. Aber ich hätte einfach nicht die Energie Gesangsunterricht zu nehmen und ich glaube, wenn man Unterricht nimmt, macht das auch viel von diesem Urtrieb kaputt. Die Sachen die ich singe, klingen halt sehr nach mir, wenn ich damit zum Gesangscoach gehen würde und der sagt: hier atmest du falsch, da hast du ’ne falsche Intonation, dann würden meine Sachen ganz anders klingen – ich wäre zu voreingenommen. So kommt das einfach raus und klingt so wie ich Bock hab‘. Ob das richtig ist, oder nicht, ist mir ist mir auch latte.

rap.de: Wie würdest du den Sound des Albums beschreiben?

Swiss: Teen Pop! (lacht) Nein, Spaß. Das Album geht auf jeden Fall sehr stark nach vorne, ich würde sagen, es ist ein sehr schnelles Album. Der Sound ist einfach noch krasser als die EP. Es ist schon rockig, natürlich sind auch einige Songs bei, auf denen ich rappe. Man kann aber schon sagen, dass es in Richtung Punk geht. So etwas zu betiteln ist immer schwierig, wahrscheinlich trifft es am besten, wenn man sagt, dass ich Punkrap mache. Das trifft es wahrscheinlich am besten, weil es einfach eine Fusion ist. Keine ahnung, für mich persönlich klingt das wie nichts anderes, was es im Moment gibt.

rap.de: Also würdest du sagen, du hast ein neues Subgenre kreiert?

Swiss: Naja, deswegen sage ich, es ist schwierig. Kennst du Bodycount? Die Combo von Ice-T damals? Das lässt sich noch am ehesten vergleichen. Es ist halt definitv ein Crossover! Ich glaube, dass das auch richtigen Rockern gefällt, aber es ist auf keinen Fall Mucke, die jemand der Rap mag nicht mehr geil finden kann. Das ist Musik die größer ist, als das was ich davor gemacht habe.

rap.de: Beim hören hatte ich das Gefühl, das Album ist weniger provokant als das was du früher gemacht hast. woran liegt das?

Swiss: Du musst dir vorstellen: Früher, wenn ich mit meinen alten Sachen zu Labels gegangen bin und Geld wollte, dann war’s immer so: (verstellt die Stimme) Voll geil Swiss, ich persönlich feier das, is krass, bist’n krasser Künstler! Aber können wir nich rausbringen. Als wir mit der Platte angefangen haben, hab ich den Jungs gesagt: Ich will Musik machen, die größer ist! Ich will Songs machen, die von Liebe handeln, – von Krieg, von Freundschaft! Ich wollte einfach richtige Musik machen. Ich glaube, dass ich als Person und meine Geschichte immer als derbe provokant gesehen werden. Unabhängig davon, was ich mache. Aber das war krass mit den neuen Sachen: Egal wo man damit hingestiefelt ist, alle wollten das machen. Das war so ein Gefühl, ich kannte das gar nicht. Alle so: voll toll und so. Keine Ahnung ob das jetzt schlecht ist (lacht). Ne, dass war schon ’ne Überraschung. Ich wollte Musik machen, die mehr Musik ist, weißt du? Weniger auf die Kacke gehauen und mehr Musik. Aber auf dem Album werden trotzdem zwei, drei Songs sein, bei denen alte Swissfans, falls es die gibt, sagen werden: Ja Mann, so muss das klingen! Das ist Swiss! Auf dem neuen Album – original ein Song is‘ gut Digga (lacht). Nein, also genau so wird das nicht, aber schon so in Richtung „Puppenspiel„, was halt vom Thema her eher härterer Tobak ist.

rap.de: Wenn du da hinterstehst und es geschäftlich besser läuft ist das doch super!

Swiss: Ja, die Sache ist doch auch: ich muss niemandem mehr beweisen, dass ich harte Musik mach‘. Schau mal, ich hab n‘ Cover gemacht, auf dem ich mich anspritzen lasse! Dicka! Wieviel härter kann es werden? Weißt du was ich mein‘? Das wird keiner machen. Ich muss den Leuten nichts beweisen. Und genau das meine ich: Ich hab meine Historie. Leute, die mich schon ein Paar Jährchen verfolgen, wissen was ich gemacht habe – was für Schlachten ich auszutragen hatte. Deswegen glaub‘ ich, dass ich mich so auch ein bisschen davon frei mache. Ich bin mehr als nur das. Ich glaube den Leuten werden die neuen Sachen gefallen, aber sie werden sich dafür vor sich selbst ekeln. (Verstellt die Stimme) Ich hab’n Song von Swiss gehört und der gefiel mir… WIE BITTE? – Das is wie ein Til Schweiger Film (lacht).

rap.de: Gibt es einen bestimmten Grund dass du früher so gerne provoziert hast? Insbesondere mit satanistschen Symbolen?

Swiss: Dieses ganze 666-Ding: Das sollen die Leute nicht falsch verstehen und denken, dass ich irgendeine Religion nicht respektiere. So ist es überhaupt nicht – wenn du religiös bist und das gibt dir Kraft, dann finde ich das super. Aber für mich persönlich ist das halt nichts. Für mich gibt es nur eine Sache, an die ich glaube und die sicher passieren wird – und das ist der Tod. Gerade was die satanistische Bibel angeht: Das waren anfangs eigentlich Intellektuelle, die das geschrieben haben. Das waren Freidenker. Du weißt ja, wie die Kirche damals mit Gewalt versucht hat die Menschen zu missionieren. Und darum geht es, dieses 666-Ding bedeutet eher: ey Leute, glaubt woran ihr Bock habt! Darum geht es. Wenn dir etwas Kraft gibt, dann glaub daran! Es geht nicht darum, dass ich etwas gegen Christen hätte – meine Familie in der Schweiz ist streng katholisch. Jeder soll an das glauben, was er möchte – aber das auch bei anderen Menschen akzeptieren. Was die Provokation angeht, finde ich, dass Kunst provozieren muss. Wenn Kunst nicht den Status Quo unserer Gesellschaft hinterfragt, ist sie für mich nichts wert. Sie muss irgendetwas wollen und sich an dem, was gerade ist stoßen. Deswegen habe ich das immer gemacht. Wenn ich in dem Song „Letzter Schultag“ in die Rolle eines Amokläufer schlüpfe, eine Woche später in der Zeitung stehe und alle sagen „der ist gefährlich für unsere Kinder„, dann denk ich mir: ihr hab gar nicht zugehört! Es geht darum zu hinterfragen: Warum geht jemand in die Schule und ballert alle weg? Wenn man sich ernsthaft damit beschäftigt, kann der Schluss nur sein: weil ihr ihn jeden Tag dazu gemacht habt. Und zwar alle! Darum geht es! Deswegen habe ich diese Kunst immer gemacht. Dieser Schuh- und Hipsterhype, der gerade im Deutschrap so präsent ist – damit kann ich nichts anfangen. Wenn ich so einen Cro höre: yeah wir jetten um die Erde und blablub. Das gibt mir nichts! Ich seh’s schon bei Rapupdate: Swiss disst Cro (lacht).

rap.de: Wenn man deine Arbeiten von 2009 mit deiner aktuellen Musik vergleicht, lässt sich eine massive Veränderung feststellen. Wie kommt das?

Swiss: Ich bin grundsätzlich ein Mensch der sehr schnell gelangweilt ist. Was ich gestern gemacht habe, kann mich heute schon tierisch langweilen. Ich versuche auch immer noch krasser zu werden und etwas Anderes auszuprobieren. Ich experimentiere einfach gerne herum. Letztendlich hat mich mein Weg dahin geführt wo ich jetzt bin. Rückblickend machen diese ganzen Stationen auch Sinn, aber geplant war das nicht. Das ist wie eine Metamorphose passiert – und aufeinmal bin ich hier. Ich kann nicht sagen, dass ich damals geahnt hätte, dass ich jetzt diese Musik mache.

rap.de: Du bist ja unter Punks aufgewachsen. Wie es hat sich ergeben, dass du zum HipHop kamst und mit dem Rappen angefangen hast?

Swiss: Bei uns in der Schanze war immer alles auf einem Haufen. Da waren viele Zekkn unterwegs, aber auch die ganzen Jungs aus der Gegend. Daher bin ich natürlich auch mit HipHop groß geworden und bin immer auf den HipHop-Veranstaltungen bei uns im Haus der Jugend gewesen. Eigentlich bin ich erst durch HipHop selbst dazu gekommen, selbst Musik zu machen. Ich hab‘ Eminem gehört – und dann war für mich klar: Digger, das willst du auch machen! Ich komme wirklich aus beiden Welten und kann auch mit beiden Welten unglaublich viel anfangen. Ich finde HipHop und Punk sind einander sehr ähnlich. Das sind beides Subkulturen, die gegen das Establishment schießen und einen Fick geben. Darum geht es beim Punk und beim HipHop, aber HipHop hat das neuerdings ein bisschen vergessen. Auf einmal geht es um Geld machen und dicke Autos. Punk hat seine Wurzeln nicht so vergessen, weißt du? Vielleicht kommt deswegen  jetzt der Punk wieder mehr bei mir durch.

rap.de: Also geht es dir darum, dieses subversive für dich zu erhalten?

Swiss: Natürlich! Digger, Kunst muss krass sein! Ohne scheiß, das klingt so Hippiemäßig aber: Ich bin für jedes Jahr, in dem ich Musik machen kann dankbar. Ob ich damit reich werde oder nicht ist mir wirklich nicht wichtig. Ich will irgendwann von diesem Planeten gehen und ein paar Sachen hinterlassen, von denen die Leute noch in 100 Jahren sagen: Das ist mein Anspruch! Etwas, das die Leute in 100 jahren noch rauskramen und sagen: Schau mal, wie krass! Ich weiß nicht, ob ich diesen Zustand erreichen kann – aber da will ich hin! Ich muss am Ende meiner Karriere nicht ausgesorgt haben und ein dickes Auto fahren. Darauf is‘ geschissen!

rap.de: Hörst du denn momentan überhaupt noch rap?

Swiss: Die neuen Sachen gehen voll an mir vorbei, vor Allem Ami-Rap. Ich kann damit nicht mehr so viel anfangen. „Chabos wissen wer der Babo“ ist war für mich der letzte richtig krasse Straßenhit. Das kann ich immer noch feiern! Wenn ich solche Songs höre, dann drehe ich durch! So muss das klingen. Das ist auch so wütend, so DRAUF GESCHISSEN – so nach vorne. Aber mit anderen Sachen, die gerade so unterwegs sind kann ich nichts anfangen. Rapper werden immer mehr zu BWL’ern: Was verkauft sich? Was funktioniert? – mag ich nicht.

rap.de: Was hörst du sonst gerne?

Swiss: Ich hör‘ total gerne Rio Reiser und „Dreigroschenoper“ von Kurt Weill. Ganz krass war „Born To Die“ von Lana Del Rey – von Amy WinehouseBack to Black„: Überragendes Album! Aber es gibt halt auch immer einzelne Songs. Ich fand „Animals“ von Martin Garixx krass! Ich bin da nicht auf eine Musikrichtung fixiert. Was eine geile Energie hat gefällt mir, egal was für Musik das ist. Gute Musik ist gute Musik.

rap.de: Gut gesagt! Vielen Dank für das Interview.

Swiss: Hey, ich danke dir!

 

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