Interview mit Phase von Team Avantgarde über „Erwartungen“

Fotos: Bennie Julian Gay (benniejuliangay.com)

Team Avantgarde kamen schon immer bisschen von Abseits. Zenits melancholische Beats trafen auf Phases verraucht klingendes Organ und kreierten eine manchmal eigenartige, meist einzigartige Mischung. Das neue Album „Erwartungen“ macht trotz langjähriger Releasepause genau da weiter. Wir sprachen mit Rapper Phase über das Leitmotiv des neuen Albums, die titelgebenden Erwartungen. 

„Erwartungen“ ist das erste Album in neuer Konstellation mit DJ s.R.. Warum die Trennung von Zenit?

Es gibt keine Trennung, Zenit ist immer noch bei Team Avantgarde. Der ist nur ins Schmuckgeschäft eingestiegen (Gelächter) Das hört sich lustig an, aber ist er wirklich. Er ist da auch relativ erfolgreich und hat wieder richtig Bock auf Musik. In dem Zeitraum, als wir das Album gemacht haben, konnte er nicht. Er hat aber über alle Sachen drübergeschaut und Tipps gegeben. s.R. war ja schon seit 2012 oder 2013 Teil der Band – obwohl wir gar kein Album gemacht haben, wir haben uns einfach menschlich gut verstanden.

Also eine Erweiterung, kein Besetzungswechsel?

Genau. Als wir mit dem Album angefangen haben, dachten wir, Zenit und s.R. machen jeweils die Hälfte, aber hat er zeitlich dann nicht geschafft.

Hat Zenit auch darauf geachtet, dass das Soundbild das gleiche bleibt? Gibt ja eigentlich keinen Bruch im Klangbild.

Wir wollten schon beim Sound bleiben, wobei s.R. mehr komponiert, wo Zenit früher gesamplet hat. Wir sind uns relativ treu geblieben. War aber nicht so, dass Zenit dogmatisch gesagt hat, das muss so bleiben. Wir haben ihm die Songs gezeigt und er meinte dann super oder da könnte man das und das noch machen.

Auch die Grundstimmung ist noch dieselbe: Du hast immer noch diesen melancholischen Touch in der Stimme.

Das nehme ich selber so gar nicht wahr. Ist ja meine Stimme, die klingt eben so, klang sie schon immer. Bis auf „Nele„, den Song, der von meiner Freundin handelt, die sich erhängt hat, ist keins richtig traurig, finde ich. Von daher…

Melancholie ist ja auch nicht Trauer. Eher die Lust am Vergänglichen…

Kann sein, dass das unterbewusst mitschwingt. Ist auf jeden Fall nicht bewusst. Ich möchte nicht melancholisch schreiben oder dass meine Stimme sich melancholisch anhört. Ich hab auch immer zu Zenit gesagt, gib mir mal was in Dur. Ich wurde von ihm da ein bisschen festgenagelt und von s.R. jetzt auch wieder. (Gelächter) Nach diesem Album werde ich auf jeden Fall was machen, was davon weggeht. Ich will alle Themen abdecken, und dazu gehört es auch, euphorische Lieder zu machen. Ich will mich da gar nicht in so eine Ecke drängen lassen, ich höre die ganze Zeit auch lustige Sachen wie Fatoni.

Interessant – zwischen euch gibt es ja durchaus Parallelen.

Das schon, aber er hat mehr Humor.

Aber er kommt trotzdem auch melancholisch rüber.

Das stimmt, und auch wütend. Obwohl er das nicht so nach außen trägt. Es ist mehr so eine versteckte Wut auf die Welt.

Das Grundthema deiner Texte ist dagegen die Erwartung.

Ja, ich habe das eigentlich auf allen Songs durchgezogen, bei „Nele„, wo es um die Erwartungen geht, die sie in den Tod getrieben haben, bei „Raum 361„, wo es um sexuelle Erwartungen geht.

„Utopie“ natürlich…

Genau, oder bei „Wer bin ich„, ganz stark.

Wie ist es bei dem Song mit Gris, wo ihr sehr intime Anekdoten aus austauscht, die für Außenstehende gar nicht unbedingt nachvollziehbar sind?

Da geht es um freundschaftliche Verhältnisse, also zum einen oberflächliche, wie man sie aus der Szene kennt, wo jeder nur von profitieren will, und dann eben richtige Freundschaften. Gris und ich kennen uns seit 20 Jahren. Davon handelt der Song, dass wir eine gemeinsame Geschichte haben. Also geht es auch um die Erwartungen, die man eine Freundschaft hat.

Was genau war denn der Anlass, gerade Erwartungen als Leitmotiv des Albums zu wählen?

Es war einfach so: Ich hatte in mein eigenes Leben so hohe Erwartungen, dass ich einfach nicht glücklich war. Bestimmt fünf, zehn Jahre meines Lebens.

Erwartungen welcher Art?

Existenzielle, zwischenmenschliche, partnerschaftliche, was mit Kindern zu tun hat.

Du hattest dieses konventionelle Modell im Kopf, dass du viel verdienen musst, um eine Familie zu gründen?

Ich weiß gar nicht, ob das so konventionell war. Es waren ganz viele Dinge, die ich mir im Lauf meines Lebens anhand von Bildern, die mir suggeriert wurden, aufgebaut hatte. Wie ich zu sein habe. Mitte dreißig hatte ich dann ein krasses Erlebnis, als ich richtig zusammengebrochen bin und ab dem Moment hab ich gesagt, jetzt ist anders. Dann habe ich bei Null angefangen. Der Begriff Demut spielt da eine große Rolle, Demut gegenüber dem Leben, im Kontrast zu den Riesenerwartungen, die ich gegenüber dem Leben aufgebaut hatte.

Geht es nur um deine eigenen Erwartungen oder lässt sich das auch auf andere übertragen?

Nein, auch um die Erwartungen der Menschen um mich herum, zum Beispiel der Frauen in meinem Leben, die komplett festgefahrene Erwartungen daran haben, wie das Leben zu sein hat und mit 35 dann den Schock kriegen, weil sie noch keine Kinder haben.

Also geht es schon auch um gesellschaftliche Erwartungen?

Ich glaube, Erwartungen haben unsere Gesellschaft im Griff. Viele sehen das gar nicht, weil es so subtil abläuft. Das bezieht sich auf viele Aspekte, zum Beispiel Liebe. Was ist Liebe? Die erste Vorstellung davon hat mir der Teeniefilm „La Boum“ vermittelt. Und dann wurde aus Liebe, was ja eigentlich was recht praktisches ist, etwas immer sentimentaleres, immer größeres – und irgendwann kann man gar nicht mehr lieben, weil die Erwartungen viel zu groß geworden sind. Und so ist es mit ganz vielen Dingen.

Etwas erwarten und nicht bekommen – scheiße. Etwas erwarten und bekommen – okay. Etwas nicht erwarten und nicht bekommen – scheißegal. Aber etwas nicht erwarten und bekommen – unglaublich.

Und während man sich von diesen Erwartungen steuern lässt, verpasst man alles, was sich einem tatsächlich an Möglichkeiten bietet.

Das hört ja auch nicht auf! Du erwartest etwas, und wenn du es hast, kommt sofort die nächste Erwartung, immer schneller, immer größer. Das hat nichts mit Demut zu tun. Demut heißt, man erfreut sich an einer Sache richtig lange. Man lebt sie richtig aus und giert nicht schon auf die nächste. Das hat auch was mit Ruhe zu tun. Um es in ein Bild zu packen: Etwas erwarten und nicht bekommen – scheiße. Etwas erwarten und bekommen – okay. Etwas nicht erwarten und nicht bekommen – scheißegal. Aber etwas nicht erwarten und bekommen – unglaublich.

Werden diese ganzen Erwartungen deiner Meinung nach von jemand gesteuert? Oder passiert das einfach so?

Es ist natürlich auch eine Masche, um was zu verkaufen. Ob das jetzt jemand bewusst lenkt – es ist einfach ein Prinzip, große Bilder zu erschaffen. Wie viele Frauen sind unzufrieden mit sich selbst, weil sie nicht so aussehen wie das Ideal. Und dann kommt noch die Verteilung der Bilder dazu, die die Wirkung nochmal verstärkt, Instagram, Facebook – guck mal, wie glücklich ich bin! Und alle anderen sehen es dann und fühlen sich schlecht, machen auch Bilder, auf denen sie glücklich aussehen. So verteilen sich diese Bilder.

Fazit: Erwartungen machen unglücklich.

Ja, weil alles, was dir passiert, nicht ausreicht für dieses Bild, das du von deinem Leben hast. Und so ging’s mir. Ich hatte sehr viele unzufriedene Jahre. Obwohl ich eigentlich voll viel erreicht hatte.

Hilft da nur eine Katastrophe, eine Krise?

Ich glaube, dass es für den Neuanfang tatsächlich hilft. Dass man so einen Moment hat, wo man denkt, verdammte Scheiße, jetzt ist alles zusammengebrochen, ich muss mein Leben wieder neu anfangen. Ich hatte einen Nervenzusammenbruch und dann ging es mir längere Zeit ganz schlecht. Danach musste es ja irgendwie weitergehen. Und ich wusste, mit dem Ballast, den ich mit mir rumtrage, geht es nicht. Und dann kamen die Dinge von alleine zu mir und waren schöner, als ich sie mir je vorgestellt habe. Total anders, meine Partnerin ist total anders, als ich sie mir vorgestellt hatte, mein Kind ist total anders, meine Arbeit – alles total anders, als ich es erwartet hatte. Aber alles besser. Ich bin ein sehr glücklicher Mensch geworden.

Ist ein tolles Schlusswort. Danke dir.

Ja, hat Spaß gemacht.