Rap und Islam #2: Tim Pickartz über die Nation of Islam, Antizionismus u.a.

Spätestens seitdem Denis Cuspert aka Deso Dogg das Rappen aufgab und sich dem IS in Syrien anschloss, wurde das Thema „Rap und Islam“ breit medial diskutiert. Häufig wurde dabei suggeriert, es gäbe einen kausalen Zusammenhang zwischen Rapmusik und Islamismus. Wer in der Debatte meistens nicht zu Wort kam, war die Szene selbst. Äußert sich doch mal jemand, wünscht man sich meist, er hätte es lieber gelassen. Greifen Rapmedien die Thematik auf, kommen Salafisten, Graue Wölfe und DITIB-Mitglieder unwidersprochen zu Wort. Unsere Interviewreihe „Rap und Islam“ will sich dem Thema differenzierter nähern: Verschiedene Gesprächspartner mit unterschiedlichen Zugängen zu beiden Themen kommen zu Wort. Dabei sind Dr. Abdel-Hakim Ourghi, Marcus Staiger, Lady Scar, Tim Pickartz, Ralf Fischer und B-Lash.

Heute: Tim Pickartz, früher selbst Rapper, heute Betreuer des Jugendclubs „Courage“ und Mitglied der Linksjugend [’solid] Oberhausen.

Die HipHop-Kultur und der Islam weisen von Beginn an Koinzidenzen auf. Welche Rolle spielte der Islam in den 80er/90er Jahren im US-amerikanischen HipHop?

Vorab: Wir müssen einige Begriffe klären, das wäre mir schon sehr wichtig. Es gibt nicht „DEN“ Islam. Es gibt sehr viele verschiedene Islamverständnisse und Auslegungen. Ob es nun Sunniten, Shiiten, Ahmadiyya oder eben eine Nation of Islam in den USA ist, die Unterschiede sind teilweise gravierend.

Welche Auslegung des Islams war denn in den USA zu der Zeit dominant?

Die Nation of Islam. Ihre Ideologie gab vielen farbigen Rappern in den USA die Möglichkeit ihrer alltäglichen rassistischen Diskriminierung ein sogenanntes gottgewolltes Programm entgegenzusetzen. Rassismus und die schwarze Gegenbewegung konnten so als eine Art apokalyptischer Kampf begriffen werden, der einem Plan folgt. Dieser Plan mag auf den ersten Blick erstmal unbedeutend für Außenstehende sein, doch wie in Deutschland in der salafistischen Szene, gibt es natürlich auch in den USA Menschen, die „sinnsuchend“ sind und die nicht alles als Zufall hinnehmen wollen – schon gar nicht die systematische, jahrhundertelange Unterdrückung einer Volksgruppe. Der Übertritt zum islamischen Glauben wird zu einer politischen Botschaft und Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins entrechteter Menschen. Ein Zeichen gegen soziale Ausgrenzung.

Und wie sieht die Programmatik der Nation of Islam aus?

An sich könnte man die Nation of Islam dem sunnitischen Glauben zuordnen. Nach 1930 entwickelte sich dort in Kernfragen auch ein orthodoxes und dogmengebundenes Islamverständnis. Trotzdem muss man sagen: Wenn man Muslime aus Europa mit den Inhalten der Nation konfrontiert, stoßen diese eher auf Ablehnung und werden als sektenähnlich empfunden. So muss man klar feststellen, dass die Nation of Islam einem rassistischen Kernprinzip folgt: Der weiße Mensch sei das Ergebnis eines „bösen“ farbigen Wissenschaftlers namens Yacub, der auf einer griechischen Insel in einem Experiment verschiedene Rassen erzeugt hat. Dabei wird der weißen Rasse das Attribut „von Natur aus schlecht“ zugeschrieben. Wenn man sich solche Theorien anguckt, muss man schon zu der Erkentnis kommen, dass die Nation of Islam Rassismus mit Rassismus bekämpfen wollte.

Die Situation in den USA war und ist also nicht mit der europäischen oder deutschen Situation vergleichbar. Welche Rolle spielen denn die verschiedenen Islamverständnisse in der deutschen Rapszene?

Glücklicherweise kann man in Deutschland im sogenannten „Mainstream-Islamverständnis“ oftmals beobachten, dass Muslime so genau die Unterschiede zwischen Sunna, Shia und anderen Islamverständnissen oder Strömungen gar nicht kennen. Glücklicherweise sage ich deshalb, da sich viele Muslime daher erstmal „nur“ als Muslim sehen und hier keine Trennung vornehmen. Entscheidend ist, dass sich in der muslimischen Community in den letzten Jahrzehnten ein konservatives, teils orthodoxes, dogmengebundenes Islamverständnis bei vielen durchgesetzt hat, das besonders durch die islamischen Dachverbände und die dazugehörigen „Kultur-Cafes“ und Gemeinden gefördert wird. Ein Islamverständnis, das patriarchal, hierarchisch, teils anti freiheitlich-liberal und leider auch stark politisch, also islamistisch, fundiert ist.

Kurzum: Islam fungiert hier also weniger als Religion denn als Ideologie?

Wie gesagt: Es gibt nicht „DEN“ Islam. Leute, die von sich behaupten „den wahren“ Islam zu kennen, sind in der Regel die, die oftmals zu Extremisten werden, weil sie zwangsläufig ja die bekämpfen, die „den“ Islam nicht nach ihren Vorstellungen leben. Aber man kann sagen, dass ein konservatives Islamverständnis in Teilen der islamischen Community als „DER“ eine Islam verstanden wird. Und dieses konservative Islamverständnis ist leider eng verknüpft mit einer politischen Ideologie.

Lässt sich so auch erklären, dass sich diverse Rapper während des Gaza-Konfliktes im Sommer 2014 dazu berufen sahen, antisemitische Kommentare und Tweets loszulassen?

Es ist eine Erklärung von vielen. Das Problem des Islamismus, aber auch des Antisemitismus innerhalb großer Teile der islamischen Community, hat verschiedene Quellen und sollte niemals unabhängig von sozialen Fragen und der individuellen Biografie einer Person losgelöst gesehen werden. Aber wenn man Facebook-Seiten diverser Rapper mit muslimischen Background beobachtet, so stellt man nicht selten fest, dass eine antiisraelische Grundhaltung besteht, oftmals losgelöst von historischem Wissen rund um den Nahost Konflikt. Israel wird als Fremdkörper in einem islamischen Umfeld wahrgenommen, als Teil einer Verschwörung des Westens gegen die islamische Welt. Dabei taucht dann auch immer wieder die Begründung auf, dass man ja angeblich gegen Juden gar nichts habe, sondern nur den Zionismus verabscheue. Schaut man sich aber dann mal die Kommentare unter den Postings dieser Rapper an, wird ganz schnell klar, dass dort klassische antisemitische Stereotype vertreten werden. So kontrollieren Juden angeblich die Finanz- und Medienwelt. Gerade dieses Vorurteil kennt man ja aus Hitler-Deutschland. Und auch das sogenannte antizionistische Argument vieler Rapper hinkt so stark, da sie nicht selten auch Israel das Existenzrecht absprechen und auch nicht davor zurückschrecken, über eine Beseitigung des israelischen Staates zu Gunsten eines muslimisch-palästinensischen zu philosophieren. Dass hier der Übergang vom Antizionismus zum Antisemitismus fließend ist, ist einigen gar nicht bewusst, andere nehmen es wissentlich hin. Denn was passiert, wenn der Israel Staat aufgelöst werden würde? Dann wären sieben Millionen Juden in diesem Gebiet praktisch vogelfrei. Und denken diese Rapper wirklich, dass Hamas oder Hizbullah sich mit sieben Millionen Juden an einen Tisch setzen, um über einen humanitären Verbleib der Juden in Nahost zu verhandeln? Das ist schon arg blauäugig und weitergedacht auch gefährlich.

Auch um Haftbefehl gab es breite Debatten ob seiner „Rothschildtheorien“ und seiner Zeile „Ich vertick das Koks an die Juden von der Börse“. Ist der Antizionismus oder Antisemitismus das verbindende Element, das auch die verschiedenen Islaminterpretationen wieder auf einen Nenner bringt?

Es ist ein wichtiges Element in einem politischen Islamverständnis, das alle Auslegungen zu verbinden scheint. Wichtig ist hier anzumerken, dass der Nahost-Konflikt dem Islamismus die Möglichkeit gab, die radikalsten sunnitischen und shiitischen Gruppen zusammenzuführen. Nachdem sich die ägyptische Muslimbruderschaft (die Mutter-Organisation vieler moderner islamistischer Gruppierungen weltweit) im ersten arabisch-israelischen Krieg (1947-1949) beteiligt hat, gründete sie 1953 einen islamischen Kongress in Jerusalem, in dem alle Strömungen des Islam vertreten sind, die gegen Israel agieren wollten. Ladan Boroumand (Historikerin & Forschungsdirektorin am Abdorrahman Boroumand Stiftung zur Förderung der Menschenrechte und Demokratie im Iran) ist davon überzeugt, dass die Muslimbruderschaft Navvab Safavi (den Gründer der islamistischen Terrororganisation Fedāʾiyān-e Eslām) zu diesem Kongress einlud, welcher vor den islamischen Kongress in Jerusalem trat und gezielt die Fakten des Nahost Konfliktes verdrehte. Safavi beschreibt den palästinensischen Konflikt nicht nur als Konflikt der arabischen Länder, sondern vielmehr als globalen islamischen Konflikt, was sich nun auf die gesamte muslimische Gemeinschaft auswirkt. Seit dem geht es in diesem Konflikt nicht mehr nur um die schlechten Beziehungen der Nachbarstaaten in Nahost untereinander, sondern auch um Gotteslästerung. Denn wenn das Umfeld als islamisches Territorium angesehen wird, muss der Staat Israel als Fremdkörper bezeichnet werden. Dieser Fremdkörper stellte somit ein erhebliches Hindernis für die Muslimbruderschaft dar, die das Kalifat neu erschaffen wollten.

Und der Konflikt hat bis heute genug Symbolwirkung, als dass es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt – und das mitnichten nur in Israel. Vor dem Hintergrund der Kommentare und Tweets diverser Rapper warf der Österreicher Nazar ihnen vor, lediglich „Alibi-Moslems“ zu sein und ihren Glauben als Karriereschub zu nutzen. Handelt es sich wirklich nur um Facebookglauben oder doch manchmal schon um handfeste Wahnvorstellungen?

Ich denke, da kommt alles zusammen. Ich kann es verstehen, dass sich Menschen in unserem System von gewissen Werten verabschieden, wenn sie ihr Leben lang diskriminiert oder benachteiligt wurden. Auch die Heuchelei von Teilen der deutschen Politik ist schwer übersehbar, wenn man sich die guten wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik zum Terrorstaat Saudi-Arabien anschaut. Unser Bildungssystem ist mangelhaft und es herrscht bis tief in die Mitte der Gesellschaft ein Rassimus gerade gegenüber Menschen aus türkischen, kurdischen, arabischen, persischen oder afrikanischen Gebieten und Ländern. Da ist es nicht verwunderlich, wenn sich Menschen von radikalen Rattenfängern fangen lassen und ein antifreiheitlich-liberales und antiwestliches Denkmuster übernehmen. Das sind leider keine Einzelfälle. Und ja, unter diesen Menschen gibt es auch einige, die die Komponente „Islam“ als Verkaufsstrategie einsetzen.

Wobei islamistische Ideologie auch bedeutet, seine eigenen Freiheiten aufzugeben, zu denen in letzter Instanz auch die Rapmusik gehört. Wie geht das zusammen?

Da gibt es auch wieder verschiedene Auslegungen, von eher gemäßigten bis zu radikalen, die dann z.B. die Rapmusik verbieten. Widersprüche gehören da zum guten Ton. Ich denke aber, dass wir unser Augenmerk auch mehr auf den sogenannten „Mainstream“ legen sollten, statt nur auf Salafisten, bei denen so ziemlich jedem bekannt sein dürfte, dass wir es mit Extremisten zu tun haben, die in letzter Konsequenz auch vor Mord, Folter, Verstümmelung und Unterdrückung nicht zurückschrecken. Doch die Gefahr lauert noch ganz woanders. So sehen wir immer häufiger, dass einige Rapper mit muslimischen Background, inzwischen auch öffentlich und von Teilen der Rapmedien kritiklos hingenommen, Attentate und klar antifreiheitlich-liberale Denkmuster verteidigen oder relativieren. So konnte der Rapper Milonair noch vor kurzem in einem ausführlichen Backspin-Interview behaupten, dass die Charlie Hebdo Journalisten selber daran schuld gewesen seien, dass sie von islamistischen Fundamentalisten abgeschlachtet wurden. Frei nach dem Motto: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“. Das muss man sich mal vorstellen. Da setzt sich ein Rapper mit einem angesehenen HipHop-Magazin zusammen und rechtfertigt den Terroranschlag auf Menschen und der Interviewer widerspricht ihm mit keiner Silbe, ganz im Gegenteil, er nickt derartige Thesen noch ab. Das ist ein Skandal. Völlig unabhängig von der Bewertung dieser Karikaturen: Hier wird der terroristische Angriff auf zentrale Säulen der Demokratie und Menschenrechte, auf die Presse- und Meinungsfreiheit, als ganz normale Reaktion abgetan. Welche Signale sendet man damit an das Publikum?

Verweigert sich die Szene einer eigentlich notwendigen und längst überfälligen Diskussion?

Teilweise schon. Definitiv. Sie verweigert sich genauso wie große Teile der deutschen Politik einer notwendigen Diskussion. Wir behandeln Muslime wie Kuscheltiere, die man nicht kritisieren darf. Das ist umgedrehter Rassismus, wenn man viele Muslime als Menschen versteht, die ihren Background in der meist türkischen, kurdischen, arabischen oder persischen Welt haben.