Interview mit Neonschwarz über „Metropolis“, politischen Rap und Kommerz

Dass politische Themen 2016 in musikalischer Form nicht nur aus der Punkrock-Ecke kommen müssen, macht die Hamburger Band Neonschwarz mehr als deutlich. Die selbsternannten Zeckenrapper veröffentlichen am 6. Mai ihr neues Album „Metropolis“ . Erst vor ein paar Wochen präsentierten sie die Videoauskopplungen „Dies Das Ananas“ und „Atmen“ und es wurde deutlich – Songs mit Inhalt müssen nicht immer todernst und belastend klingen.

Wir unterhielten uns mit Marie Curry und Johnny Mauser über die schönen und die nicht so schönen Dinge im Leben, über eine Stadt namens Metropolis und wie politische Themen im Rap funktionieren. DJ Spion Y und Captain Gips konnten leider nicht zugegen sein, da sie während des Interviews auf der Autobahn nach Berlin feststeckten. Der Rest der Band vertrat die beiden jedoch ziemlich souverän.

Euer Crew-Name ist ein Paradoxon. Ein Hinweis auf die Widersprüchlichkeit eurer Musik? 

Marie Curry: Neonschwarz hieß ja das Album, das Johnny Mauser und Captain Gips 2010 rausgebracht haben. Da war ein Track drauf, den wir zu dritt gemacht haben, „On a journey“ . Das ist sozusagen der Track, auf dem wir uns alle zusammengefunden haben und auf dessen Basis wir uns auch später zusammengeschlossen haben. Als wir dann einen Bandnamen gesucht haben, war „Neonschwarz“ einer, auf den wir uns einigen konnten, weil er auch irgendwie zu unserer Bandhistorie passt …

Johnny Mauser: … und er passt auch von der Bedeutung her. Das fiktive Wort „Neonschwarz“ beinhaltet unsere beiden Seiten. Quasi, dass wir einmal nur als politische Band wahrgenommen wurden, die ernstere Themen angesprochen hat – die aber auch ästhetisch-musikalische Dinge, die popiger, fröhlicher oder auch positiver gestimmt sind, präsentiert. Dass es eben eine neonfarbene und eine schwarz Seite gibt. Deswegen hat der Name gepasst.

Marie Curry: Es spricht also auch die Ambivalenzen an, die es in unserer Musik gibt.

Diese Ambivalenz wird ziemlich deutlich, wenn man sich die Vielfalt eurer Songs anschaut, die von euren Erfahrungen, Emotionen und eurer Einstellung leben. „Dies Das Ananas“ ist fröhlich gestimmt und zeigt die schöne Seite des Lebens. „2015“ hingegen zeigt die unverfälschte Wahrheit über Missstände, die es in unserer Gesellschaft gibt – auf sehr eindringliche und ernste Art und Weise. Wie kommt diese Mischung von Tracks zustande?

Marie Curry: Der politische Aspekt kommt einfach dadurch, dass wir uns privat sehr stark damit auseinandersetzen und uns viele Sachen aufregen. Wenn wir schon Musik machen und Texte schreiben, schreiben wir einfach darüber, was uns bewegt und deswegen wird es oft politisch. Andererseits sind wir alle sehr humorvolle Leute, die sehr gerne Spaß haben. Das findet sich natürlich auch in der Musik wieder. Wir freuen uns auch immer, dass auf unseren Konzerten eine positive Grundstimmung ist. Die arten meist in eine riesengroße Party aus. Wir wollen auf keine Seite verzichten, denn uns ist beides total wichtig: Dass wir eine gute Liveshow haben, die Spaß macht und trotzdem diese politischen Statements hat, über die alle stolpern. Da kommt man nicht drum rum, wenn man auf ein Konzert von uns geht.

Johnny Mauser: Es hat ja auch alles einen positiven Touch, weil wir uns ein gutes und gerechtes Leben für alle wünschen. In utopischen Songs stellen wir uns vor und beschreiben, wie es besser sein könnte auf der Welt. Das ist dann positiv besetzt und trotzdem politisch. Ich finde nicht, dass politische Themen eine positive Grundstimmung oder Leichtigkeit ausschließen.

Findet ihr, dass Rap ein geeigneter Kanal ist, um politische Themen anzusprechen?

Marie Curry: Natürlich ist ein Song von der Form her viel zu kurz um irgendwas richtig detailliert zu erklären oder um irgendeine politische Problematik genau anzugehen – da müsste man dann eher ein Buch schreiben oder eine lange Rede halten – deswegen ist Musik schon in der Form begrenzt, was man alles reinpacken kann. Man kann aber immer Anstöße geben oder bestimmte Emotionen ausdrücken. Das kann man mit Musik immer gut machen.

Schon oft habt ihr die Frage beantwortet, ob ihr euch als Rapcrew oder Politband seht. Da habt ihr immer klar ersterem zugestimmt. Warum genau?

Johnny Mauser: In erster Linie sind wir ganz klar eine Rapcrew und machen HipHop. Da wir alle aber politisch interessiert und auch engagiert sind, ist es klar, dass sich das in unserer Mucke wiederfindet. Und gerade wenn man im Jahr 2016 HipHop macht ist es doch logisch, dass man die äußeren Umstände mit aufgreift in seiner Musik. Wenn man das ausblendet würde, wäre das vielleicht auch ein bisschen sehr ignorant.

Was haltet ihr gerade unter politischen Aspekten vom Rest der Rapszene?

Marie Curry: Also, von bestimmten Inhalten wie Rassismus, Sexismus und Homophobie grenzen wir uns klar ab, das bedeutet aber nicht automatisch, dass wir uns von der Rapszene an sich abgrenzen. In der Szene ist viel Platz für alles. Leute die sexistische Inhalte haben, sagen ja auch nicht, dass sie zum Genre „sexistischer Rap“ gehören. Wir haben uns zum Beispiel mit ganz vielen anderen Künstlern aus Berlin, Hamburg und Nürnberg zu dem Kollektiv TickTickBoom zusammengeschlossen. Sookee, Kobito, Refpolk, Pyro One, sind z.B. aus Berlin dabei. Wir machen immer Veranstaltungen, die wir Zeckenrapgalas nennen – ein bisschen provokant, um zu zeigen, um was es geht. Natürlich ist dieses Genre, wenn man es als Genre sehen würde, viel zu eng gepackt, weil wenn ich mir einen unserer poppigen Tracks anschauen würde, würde ich jetzt nicht den Track hören und denken: ‚Ah, das ist Zeckenrap‘. Von daher ist das jetzt keine komplett passende Beschreibung. Grundsätzlich reicht die allgemeine Genrebeschreibung HipHop aus, würde ich sagen.

Johnny Mauser: Zudem hat sich Rap ja auch krass ausdifferenziert. Es gibt ja quasi gewisse Unterschubladen – nicht, dass wir jetzt heiß darauf sind, in einer gewissen Schublade zu sein – aber es ist halt schon ganz cool, dass sich Rap so entwickelt hat, dass nicht alles gleich sein muss. Wie gesagt, wir hören auch andere Rapsachen. Straßenrap höre ich mir auch gerne an. Aber was ganz klar für uns ist: Wenn Homophobie oder ’schwul‘ weiterhin als Schimpfwort im Rap benutzt wird, ist das für uns eben nicht wirklich nachvollziehbar. Dann sagen wir auch, was wir davon halten.

Ihr seid alle Hamburger Jungs und Mädels. Wie ist denn euer Verhältnis zum Hamburger Rap? Sowohl zum früheren, wie Beginner, Samy Deluxe und Fettes Brot, als auch zu dem Rap von heute, wie 187 Straßenbande oder Nate57. 

Marie Curry: Ich glaube mit dem frühen Hamburger Rap sind wir alle mehr oder weniger aufgewachsen.

Johnny Mauser: Ja genau, es war schon früher so, Ende der 90er, dass wir alle Fünf Sterne Deluxe, Beginner und Dynamite Deluxe gehört haben. Es spiegelt sich vielleicht auch in unserer Musik wieder, dass wir ein paar Oldschool-Einflüsse haben – wenn man das schon Oldschool nennen kann. Ich höre mir auch gerne die neueren Sachen an, wie 187, Boz, Nate, usw. Es gibt ja in Hamburg tatsächlich gar nicht so viel Streetrap, wie in anderen Städten. Eine Zeit lang fand ich das qualitativ auch gar nicht so spannend, aber im Moment gibt es auf jeden Fall einige, die man sich anhören kann. Die liegen vielleicht nicht komplett auf unserer Linie, aber ich finde, dass viele Artists interessante Sache ansprechen. Gzuz macht zum Beispiel auch Tracks, wo er ganz klar sagt, was ihn in der Gesellschaft stört – sowas finde ich immer interessant. Oder auch Haftbefehl: Wenn er mal so einen Track macht, ist das auf jeden Fall ein Zeichen.

Immer mehr Rapper nehmen sich politischen Themen an. Sie drücken ihre Meinung jedoch oft unklar aus oder kommen mit teilweise absurden Verschwörungstheorien an. Was haltet ihr davon?

Johnny Mauser: So schön es auch ist, dass sich viele Leute jetzt um politische Themen drehen, ist es manchmal auch ärgerlich, wenn manche Rapper sich extrem verkürzt äußern, wie „Die da oben sind schuld, dass es uns hier so schlecht geht“ Das sind sehr vereinfachte Denkweisen. Dann ist es natürlich auch ein bisschen gefährlich, wenn diese Aussagen auch noch durch martialische Videos untermalt werden. Natürlich kann es dann sein, dass es in die falsche Kerbe reinschlägt. Es ist natürlich immer ein sehr schmaler Grat, wenn man sich um die Politik dreht. Da kann man auch schnell, wenn man sich nicht so viel damit beschäftigt hat, in eine falsche Richtung gehen.

Gibt es Dinge, die euch an der Szene richtig stören?

Johnny Mauser: Wenn einzelne Artists sich in ihrem Ego pushen und gegenseitig Fake-Beef anzetteln – was man ja auf diversen Seiten und Magazinen liest – und diesen auch als Inhalt ihrer Lieder benutzen, interessiert mich das nicht. Ich fände es für HipHop nur cooler, wenn das nicht so ein präsentes Thema wäre und es wieder mehr um Skills geht, anstatt um ein hartes Image oder um die krassen Leute, die man im Rücken hat. Das passiert meist auch noch auf ziemlich diskriminierende, unangenehme Art und Weise. Ansonsten ist es auch schade, dass es wenige Frauen im Rap gibt, die wirklich präsent sind.

Um auf eurer neues Album „Metropolis“ zu kommen: Uns ist beim Durchhören aufgefallen, dass es raplastiger ist als die alten Alben. Woran liegt das?

Marie Curry: Wir wollten auf jeden Fall ein raplastigeres Album machen und sind auch der Meinung, dass uns das gelungen ist. Schön, dass ihr das auch so seht. Wir haben diesmal auch mit Produzenten zusammengearbeitet, die im HipHop-Kontext schon bekannt sind. Ein paar Beats sind von Monroe, bei dem haben wir auch aufgenommen und er hat das auch gemischt. Dann haben wir einen Beat von Farhot, den sicherlich auch einige kennen und viele Beats von Ulliversal, mit denen wir früher schon zusammengearbeitet haben.

Johnny Mauser: Es ist halt schon so, dass wir erst wahrgenommen wurden als eine Band, die eher auf Punktfestivals gespielt hat und irgendwie von so einer linken Hausbesetzter-Szene kam. Wir haben aber eigentlich schon die ganze Zeit HipHop gehört und uns für die ganzen anderen Rapsachen interessiert. Vielleicht ist es bei diesem Album schon so, dass wir bewusst sagen, dass es ein HipHop Album wird. Es findet in dieser fiktiven Stadt Metropolis statt, es ist alles ein bisschen kantiger, ein bisschen eckiger und deswegen tauchen mehr klare HipHop Referenzen auf. Deswegen freut es mich auf jeden Fall, dass ihr sagt, dass es sich mehr nach HipHop anhört, als das Ding davor.

Dazu passt, dass ihr auf eurem Album ziemlich viele Samples benutzt habt. 

Johnny Mauser: Das DJing spielt bei uns auf jeden Fall eine Rolle. Man muss diese vier Elemente von Hip Hop nicht so hoch halten, aber sie sind bei uns schon präsent. DJ Spion Y ist immer sehr genau am diggen und guckt sich unserer Samples raus und hat sehr viel Spaß daran, mit Sachen zu cuten, die ihm auch gefallen. Das ist auch ein wichtiger Bestandteil unserer Tracks, da dann wirklich so Sprach-Samples und deutschsprachige Vocal-Cuts drin sind. Das rundet Songs immer sehr gut ab.

Was hat es mit den vielen englischen Parts auf sich?

Marie Curry: Der Klang von Englisch ist besser zum Singen geeignet und macht manchmal mehr Spaß. Ich habe auch bei früheren Tracks oft einen Refrain auf Englisch geschrieben, weil mir die Melodie kam und ich dann immer gleich einen englischen Text im Kopf hatte. Deutsch klingt immer so ruckelig und nicht so charmant bei manchen Sachen. Einen ganzen Part auf Englisch gibt es auf Metropolis aber nicht mehr.

Zum Albumtitel „Metropolis“: War der Stummfilm „Metropolis“ aus den 70ern, in der eine futuristische Großstadt mit ausgeprägter Zweiklassengesellschaft gezeigt wird, eure Inspiration?

Marie Curry: Grundsätzlich wollten wir ein Album schreiben, das ein bisschen urbaner klingt und mehr in der Stadt stattfindet, aber kein Konzeptalbum ist. Im Gegensatz zu dem Album vorher („Fliegende Fische“), wo es mehr um Utopien und „mit dem Floß abhauen“ ging. Diesmal wollten wir mehr in die urbanere Richtung gehen. Trotzdem haben wir immer utopische Elemente dabei, wie z.B. die Überlegung: ‚Was wollen wir überhaupt für eine Stadt haben?‘ . Weil wir eben nicht über eine konkrete Stadt geschrieben haben, sondern eher über die Stadt an sich, war „Metropolis“ ein Titel, der das ganz gut aufgreift und ein bisschen was utopisches und unspezifisches hat. Man weiß, dass es eine Stadt ist, aber man weiß nicht, was es für eine Stadt ist.

Johnny Mauser: Ja, wir wollten einen Titel, der positiv und negativ besetzt ist. In manchen Songs wird die Stadt eher glorifiziert und wir wünschen uns genau diese Stadt und in anderen Tracks ist die Stadt eher stressig, aus der wir lieber abhauen wollen. Direkte Bezüge zu dem Film aus den 20ern gibt es aber nicht. Es ist auf jeden Fall ein spannender Film und gut für diese Zeit gemacht aber so viele Parallelen gibt es dazu nicht. Wir achten also darauf, dass wir nicht den Soundtrack zu dem Film machen.

Auf „Kinder aus Asbest“ sagt ihr: „Ihr brachtet Asbest nach Metropolis, seht was ihr davon habt“. Reflektiert ihr das auf etwas Bestimmtes?

Johnny Mauser: Naja, der Song ist auf jeden Fall offen gehalten. Wir hatten Lust darauf Geschichten zu schreiben, die nicht so klar greifbar sind, deswegen gibt es auch keine klare Bedeutung wer diese Kids sind und welche Rolle sie in dieser Stadt spielen. Aber natürlich ist die Stadt durch sowas wie Asbest, Anonymität, Kälte und große Gebäude geprägt – deswegen die ganzen Bilder dazu. Auf der anderen Seite kann man am Cover jedoch erkennen, dass die Stadt ganz bunt gezeichnet ist.

Also greift ihr dort wieder die Ambivalenz und die Kontraste auf, die in eurem Bandnamen und euren Liedern auftauchen?

Johnny Mauser: Ja genau. Das kommt in einer Stadt viel geballter rüber, als wenn man sich woanders befindet. In einer Stadt passiert auf engem Raum sehr viel und bietet genug Platz für eine Platte.

Also habt ihr sowas wie ein „konzeptloses Konzept“?  Kann man das so beschreiben?

Johnny Mauser: Ja. Es stand auf jeden Fall relativ früh der Titel fest. Beim Schreiben finde ich es immer ganz cool, wenn man etwas an der Hand hat, woran man sich orientieren kann. Es wäre auch zu langweilig in jeden Song den Titel reinzuquetschen. Wenn wir über Jogginghosen schreiben wäre es krampfhaft zu sagen, dass man mit der Jogginghose durch die City läuft …

Marie Curry: … nur damit es dann ein „Stadtsong“ ist. Du kannst ja auch mit der Jogginghose in einer Stadtwohnung sitzen … (lacht) Wir haben jetzt nicht gedacht „Ok, das Konzept ist ‚Stadt‘ und wir schreiben jetzt 17 Songs zum Thema ‚Stadt‘.  Aber bei vielen Tracks zieht sich das Thema schon durch, weil wir wie gesagt den Albumtitel auch im Hinterkopf hatten als wir die Songs geschrieben haben. Es hat sich einfach so ergeben.

Zum Abschluss noch eine Frage: Wie steht ihr als selbsternannte „Zeckenrapper“ eigentlich zum Thema Kommerz?

Johnny Mauser: Das spiegelt sich ja teilweise in den Songs wieder. Man befindet sich natürlich in einem Zwiespalt. Wir wollen unsere CD verkaufen und ein bisschen Geld damit verdienen, weil wir viel Arbeit reinstecken. Dann sind wir auf dem Musikmarkt, der genauso ist, wie jeder andere Markt auch, obwohl wir das eigentlich kritisieren und den Kampitalismus ablehnen. Aber wenn man genau das thematisiert und darüber spricht, ist das erst mal ok. Es ist aber auch nicht so eindeutig, dass wir sagen, wir sind komplett gegen Kommerz und wir wissen genau wie es irgendwie anders geht. Klar ist es cool, wenn jemand voll auf seiner eigenen DIY- Schiene seine Platten macht und die dann auf der Straße vertickt, aber das ist auch sehr schwer durchzusetzten.

Die Miete zahlt man ja auch nicht mit Applaus.

Marie Curry: Genau, das ist eben die Sache. Geld verdienen muss man ja sowieso, ob man das jetzt mit Musik macht oder mit irgendeinem anderen Job – du kommst aus dem System eh nicht raus.

Johnny Mauser: Unser Label Audiolith hat ja auch eher Bands unter Vertrag, die die Musikindustrie auch ein bisschen kritisch sehen und wissen, dass das Ganze ein zweischneidiges Schwert ist.