Sido

Kurz vor Veröffentlichung des langerwarteten, zweiten Albums "ICH" des Aggro Vorzeigerappers Sido, trafen wir ihn ein Stockwerk über uns im Aggro Berlin-Büro, um mit ihm über sein neues Album, sein Buch und über die Konkurrenz zu sprechen.

rap.de: Irgendwann bist du an dem Punkt angekommen, an dem du eingesehen hast, dass das Textliche eine größere Rolle als die Technik in deinen Songs spielte. Nun bemerkt man schon beim ersten Hören eine enorme Steigerung. Hast du bewusst trainiert?

Sido: Die Sache mit der Technik war mir früher überhaupt nicht wichtig. Double-Time, Triple-Time, das alles hat mich schlichtweg nicht interessiert und daher habe ich auch keinen großen Wert darauf gelegt. Ich persönlich habe die Auffassung, dass bei den Rappern, die sich damals vollkommen auf das Technische konzentrierten, das Textliche extrem darunter gelitten hat. Natürlich haben diese Leute super gerappt, aber inhaltlich konnten diese Leute mir einfach nichts sagen. Vor dem Release von „Maske“ konnte niemand einschätzen wie viele Leute meine Platte kaufen würden. Keine Person konnte damit rechnen, dass es einen solchen Hype um dieses Album und meine Person geben würde, deshalb wollte ich einfach meine Musik machen, ohne mich voll und ganz auf die Technik zu fokussieren. Heute hören mich viele Leute, gleichzeitig erwartet man also viel mehr von mir und meiner Musik. Dem war ich mir bewusst, also habe ich es nun besser gemacht, aber üben musste ich dafür keineswegs.


 

rap.de: DJ Desue und Fler galten vor einigen Monaten als das neue Dream Team. Würdest du dasselbe auch von dir und Paul NZA behaupten?

Sido: Paul NZA und ich sind das übelste Dream Team überhaupt. Bei vielen Produzenten entscheidet man sich für einen Beat von einer Beat-CD und macht dann das Beste aus dem Instrumental. Bei ihm und mir sieht die Sache völlig anders aus. Wir sitzen zusammen, ich überlege mir ein Thema, Paul baut mir umgehend den passenden Beat dazu. Sein Beats sind immer perfekt und komplett fertig, generell müssen keinerlei Feinheiten oder Kleinigkeiten geändert werden. Er gibt mir den perfekten Beat, und zwar genau so wie ich ihn brauche.

rap.de: Ist diese Art und Weise der Zusammenarbeit die Optimallösung für die Produktion deiner Musik?

Sido: Bei nachdenklichen und persönlichen Geschichten ist es auf jeden Fall die Optimallösung. Der Beat wird dem Thema angepasst, dadurch erspart man sich sehr viel Zeit. Natürlich kann es vorkommen, dass sich auf einer x-beliebigen Beat-CD das passende Instrumental befindet, dann ist das aber eher ein Zufall. Für „ICH“ habe ich mir so viele Instrumentals angehört, ich kann nicht einmal eine konkrete Anzahl nennen. Für mich persönlich ist es einfacher, wenn mir Paul NZA genau den Beat gibt, den ich in dem Moment brauche. Bei der anderen Art von Songs spielt dieses gewisse Feeling eine weniger entscheidende Rolle. Dann kommt es darauf an, welcher Beat am härtesten knallt und die perfekte Stimmung übermittelt.

rap.de: Hattest du einen konkreten Plan für dein neues Album? Ist die Platte ein Zufallsprodukt oder das Ergebnis exakt so wie du es dir vorgestellt hattest?

Sido: Ich gehe nie ins Studio ohne vorher zu wissen, was ich da genau will. Ich begebe mich nie dorthin und sauge mir irgendeine Idee aus den Fingern. Nur wenn ich einen konkreten Plan habe, dann bin ich sofort vor Ort. Die ganze Themen und Ideen für das neue Album trug ich schon eine ganze Weile mit mir herum. Das war auch Grund dafür, warum ich mit Paul NZA nach Ibiza geflogen bin, um dort 2 Wochen konzentriert zu arbeiten. Dort haben wir ein Studio gemietet und in der besagten Zeit 11 Songs aufgenommen. Keine schlechte Ausbeute, wie ich empfinde.

 

rap.de: Nur ganz wenige Personen haben die Entstehung der Platte mitverfolgen können. Wie hat dein Label und dein Umfeld auf die Lieder nach dem ersten Hören reagiert?

Sido: Die einzige Person, die von Aggro Berlin immer auf dem neuesten Stand war, sogar die Studiosession auf Ibiza hautnah mitverfolgen konnte, war Specter. Er gibt mir auch sehr viel Inspiration für meine Musik. Wir machten zusammen ein Brainstorming und diskutierten über alle Dinge, die noch gesagt werden mussten. So entstehen dann auch neue Ideen und Themen für meine Songs, dafür bin ich Specter als Ratgeber sehr dankbar. Abgesehen von ihm wusste niemand von Aggro über die Entstehung und Entwicklung von „ICH“ bescheid. Alpa war immer auf dem Laufenden, da ich während der Produktionsphase andauernd meine Musik im Auto höre. Massiv, Bass Sultan Hengzt, Harri und auch Olli Banjo kannten ein paar Songs. Alle waren wirklich begeistert, sogar Olli Banjo hat mich für den Flow und Technik gelobt. Wenn Olli so etwas sagt, dann hat das schon was zu bedeuten (lacht).

rap.de: Auf deiner Platte befinden sich nachdenkliche Songs wie zum Beispiel „Ein Teil Von Mir“. War dies ein bewusster Schritt, um die Medien- und Rapszene von deiner Vielseitigkeit zu überzeugen?

Sido: Ich will an dieser Stelle nochmals eine Sache betonen. Ich mache nichts aus Berechung! Zumindest nicht was die Musik angeht, Business ist eine andere Sache. Bei der Musik höre ich einzig und allein auf mein Herz. „Straßenjunge“ ist ganz von allein entstanden, für mich war das ein ganz normaler Song. Erst Aggro Berlin hat daraus die erste Single gemacht, da sie perfekt zum Marketing und den sonstigen Begebenheiten passt. Musik ist meine Sache, das Business machen Specter und Aggro. Die Musik mache ich, einfach weil sie vom Herzen kommt.

rap.de: In den nächsten Wochen wird es dich bestimmt wieder bei TV Total oder Wetten Dass… zu sehen geben. Hältst du es für möglich, dass du nun auf Grund von diversen Songs anders wahrgenommen wirst und es zu ernsthaften Gesprächen kommen wird?

Sido: TV Total ist eine lustige Sendung, da redet man über amüsante und lustige Dinge. Wenn ich bei Stefan Raab sitze, dann werde ich mich sicher nicht über depressive Themen unterhalten. Wäre ich bei Sandra Maischberger eingeladen, könnten die nachdenklichen Themen zum Thema werden. Inzwischen bin ich einfach schon so professionell, dass ich genau weiß, was ich wann und so sagen kann bzw. muss.

rap.de: In dem Song „Goldjunge“ schießt du eindeutig in Richtung Bozz Music, speziell gegen Azad. Warum der erneute Diss?

Sido: Ich habe Azad noch nie wirklich gedisst, lediglich einmal erwähnt. Er hingegen redet sie ganze Zeit von mir und lässt irgendwelche Sprüche ab. Jetzt habe auch mich geäußert, allerdings ist das in meinen Augen kein richtiger Diss…

rap.de: …„jetzt ist er Game Over, er hat es eingesehen, wenn man nichts kann, sollte man nicht am Zeiger drehen!“

Sido: Ok, das ist aber kein Diss, das ist die Wahrheit (lacht). Ich musste das einfach sagen, aber das ist auch nur kurz & bündig, keine ernste Sache. Deswegen soll jetzt auch kein Beef vom Zaun brechen, es hat mich einfach in den Fingern gekitzelt, diesen Satz zu schreiben. Aber wer sich das Album genau anhört, der wird bemerken, dass ich jede Person erwähne, die in der Vergangenheit über mich geredet hat.

 

rap.de: Auf deinem Album befindet sich ein sehr interessantes Feature. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Smiff-N-Wessun?

Sido: Smiff-N-Wessun war mein absolutes Traum-Feature und das nicht aus dem Grund, weil ich ein Ami-Feature auf dem Album haben wollte, denn das Feature gibt es auch nur auf der Premium-Edition zu hören. Ich wollte mir selbst einen Kindheitswunsch erfüllen. B-Tight und ich hören Duck Down schon seit unserer Jugend. Schön einen kiffen und dann Duck Down hören, egal welcher Künstler und egal welches Lied. Eigentlich stehe ich ein bisschen eher auf Buckshot, aber Smiff-N-Wessun sind der Shit. Ich denke auch, dass dieses Feature für jede Menge Gesprächsstoff sorgen wird. Viele werden sich über den Song freuen, andere werden sich ärgern und sich fragen „Warum gerade er?“. Auch wenn es nicht teuer war, die beiden sind einfach Legenden. Einen Tag vorm Splash haben wir die Jungs einfliegen lassen, den Song haben wir dann bei uns im Studio geschrieben und aufgenommen.

rap.de: Wolltest du mit diesem Feature ein Zeichen setzen?

Sido: Nein, absolut nicht. Ich mache keine Musik, damit andere Leute irgendetwas davon halten. Ich wollte Smiff-N-Wessun auf meinem Album haben, ich wollte Smiff-N-Wessun bei mir im Studio haben, genau darum haben wir das Feature gemacht.

rap.de: Wäre eine Zusammenarbeit mit Buckshot auch möglich gewesen?

Sido: Smiff-N-Wessun waren so oder so in Deutschland, darum haben wir die gleich abgegriffen und die Zusammenarbeit unter Dach und Fach gebracht. Buckshot wäre sicher auch möglich gewesen. Teuer sind die ganzen Leute auch nicht mehr.

rap.de: Harri ist nicht auf der Platte vertreten. Kannst du uns etwas über die Gründe erzählen?

Sido: Harri ist auf der Platte, allerdings auch nur auf der Premium-Edition. Wir haben sogar zwei Songs zusammen gemacht, allerdings hat es nur ein Song auf die Premium-Edition geschafft. Für das eigentliche Album waren die Songs zu schwach, da gab es einfach heißere Joints.

rap.de: Wie viele Lieder hat du denn insgesamt für das Album gemacht?

Sido: Ungefähr 50 Stück. Wir hatten also eine größere Auswahl.

rap.de: Am 24.11 erschien deine erste Single „Straßenjunge“. Bist du mit der Wahl der Single zufrieden? Wie ist die bisherige Resonanz auf die Single und das Video?

Sido: Die Leute feiern das und betrachten den Song als eine legitime Fortsetzung von „Mein Block“. Man sieht wieder die Häuser und die gleiche Stimmung wird in gewisser Weise aufs Neue übermittelt. Manche Leute denken zwar noch, dass wir noch Material vom „Mein Block“-Video mit in die Produktion haben einfließen lassen, doch es wurde tatsächlich alles neu gedreht. Allgemein bin ich mit der Resonanz sehr zufrieden. Auch was ich von der Straße mitbekomme, macht mich sehr stolz, weil ich mich in deren Augen so gebe, wie ich bin, und keinen auf Gangster mache. Wie gesagt, Sido ist ein Straßenjunge, das finden die gut.

 

rap.de: Kannst du schon etwas zur zweiten Single sagen?

Sido: Es gibt ein paar heiße Kandidaten, aber eine Entscheidung haben wir noch nicht getroffen.

rap.de: Am 1.12.06 wird dein Album veröffentlicht. Die Konkurrenz ist zu diesem Zeitpunkt sehr groß. In welcher Position siehst du dich?

Sido: Den neuen Labelsampler von Ersguterjunge betrachte ich weniger als Konkurrenz. US 5, Juli, Silbermond, Xavier Naidoo,Take That sind die wirkliche Konkurrenz. Egal ob diese Künstler am selben Tag erscheinen, manche Leute sind nur schwer aus den Top Ten zu verdrängen. Nickelback, Eminem, diese Leute haben ihren Platz in den oberen Regionen sicher. Ich persönlich bin nicht traurig, falls es nicht direkt in die Top Ten gehen sollte. Ich weiß, dass wir viele Platten verkaufen werden, insgesamt gibt es schon knapp 100.000 Vorbestellungen und das Weihnachtsgeschäft steht vor der Tür. Ich sehe das Ganze also sehr optimistisch. Vielleicht knacken wir dieses Mal die 200000, aber ich will nicht allzu große Töne spucken.

rap.de: 100.000 Vorbestellungen, dann seid ihr praktisch vor Release schon Gold gegangen?

Sido: Tendenziell ist dieser Fall sehr realistisch. Wir werden sehen, was sich in den nächsten Tagen noch ändern wird, spätestens in 2 Wochen wissen wir dann in jedem Falle bescheid.

rap.de: Vor zwei Wochen wurde im Aggro Berlin Büro eingebrochen. Verdächtigst du irgendwelche Künstler aus der Szene, die etwas mit dem Vorfall zu tun haben könnten?

Sido: Natürlich haben wir einen Verdacht, allerdings keinen Spezifischen. Ich verdächtige die Konkurrenz, eine Crew oder einen Rapper, genauer genommen aus Berlin. Die Angelegenheit wird sich aber nur schwer aufklären lassen. Jedenfalls ist vieles unklar und sehr kompliziert. Natürlich wollten die Leute an die CD oder das Master kommen, aber warum wurde nicht wirklich randaliert oder uns aus den Tisch gekackt? Wir wissen es nicht, das ist eine heikle Geschichte.

rap.de: Durch diesen Vorfall bekamst du durch die Medien sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt. Glaubst du, dass der Einbruch in gewisser Weise etwas zur Promo von „ICH“ beigetragen hat?

Sido: Dieser Einbruch war der Jackpot für mich. Dieser Opfer haben sich doch ins eigene Fleisch geschnitten. Sie haben nicht, was sie wollten, uns hat es nicht geschadet und dazu habe ich noch diese ultimative Promo. Die Medien sind aufmerksam auf den Vorfall geworden, ich konnte vor laufenden Kameras Promo für mein Album machen, besser geht es nicht. Nicht mal einen Cent hat uns diese Promo gekostet, das war natürlich ein absoluter Glücksgriff. Auf der anderen Seite wurde uns vorgeworfen, alles sei von uns inszeniert. Dazu kann ich nur eines sagen. Hätten wir das alles inszeniert, dann hätten wir das eine Woche vor dem Releasedatum gemacht, dann wäre die Werbung noch effektiver gewesen.

rap.de: Warum wirst du dein Buch „Ich Will Mein Lied Zurück“ auf den Markt bringen, obwohl es dort nach deiner Aussage nichts „Spektakuläres“ zu lesen gibt?

Sido: Da der Leser trotzdem etwas über meine Person erfahren wird. Das Buch handelt von meiner Kindheit, der Entstehung von Aggro Berlin, sogar ein Interview mit Staiger von Royal Bunker gibt es zu lesen. Es hat einen leichten biographischen Ansatz, allerdings ist es keine richtige Biographie. Die Leute können sich schon auf das Buch freuen, allerdings werden sie nicht erfahren, was ich über Verona Feldbusch’s Schamhaare denke (lacht). Es gibt Kinderfotos von mir, Backstage-Reporte von der Bravo Super Show, meine Mutter hat über mich geredet und es enthält Berichte über das Gerichtsurteil, welches zum Verbot von „Endlich Wochenende“ führte. Darum heißt das Buch auch, „Ich Will Mein Lied Zurück“.

 

rap.de: Welches Ziel verfolgst du mit der Veröffentlichung des Buches?

Sido: Bücher verkaufen (lacht). Mit dem Verkauf von CDs kann man das nicht vergleichen. In Deutschland bist du mit 5000 verkauften Büchern in der Spiegel Topsellerliste in den Top 5. Ich rechne schon mit mehr als 5000 Büchern, wir verkaufen auch mehr als 5000 T-Shirts. In meinen Augen ist dieses Buch ein besonderer Merchandise-Artikel. Für einen echten Fan ein absolutes Muss.

rap.de: Weltweit geht die Anzahl der Leser von Büchern stetig zurück. Glaubst du deine jungen Fans bevorzugen eher den Fernseher, um sich von Informationen über deine Person berieseln zu lassen, oder werden sie sich das Buch kaufen und sich Mühe geben es zu lesen?

Sido: Viele werden sich die Bilder anschauen und ein paar Zeilen lesen. Ich denke auch, dass viele Fans ihre Sammlung erweitern wollen und daher nicht auf das Buch verzichten können. Auf jeden Fall wird der Fall eintreten, dass manche Menschen ihre Meinung über mich ändern wenn sie bestimmte Dinge über mich und meine Person erfahren. Garantiert wird sich ein geringer Prozentsatz mein Buch kaufen, weil sie es fälschlicherweise mit meiner Biographie, die ich irgendwann veröffentlichen will, verwechseln. 

rap.de: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für das Album und die Zukunft!