Interview mit Audio88 & Yassin über „Normaler Samt“

Zwei Herrengedecke waren gestern. Heute ist es normaler Samt. Audio88 & Yassin füllen im Deutschrap seit jeher ihre eigene Nische. Sarkastisch bis zynisch blicken sie auf den Rest der Szene, ach was, den Rest der Welt, sehen, was scheiße läuft und sprechen es ohne Umschweife, aber gerne ironisch verpackt aus. Ein Gespräch mit den beiden Antihelden über ihr neues Album „Normaler Samt„, Kool Savas, ihre Chancen in einem Boxkampf gegen Tua, Wie-Vergleiche, Torch, Feindbilder, Handschuhe ohne Finger und MC Fitti, der, wie die beiden glaubhaft versichern, die schönsten Möbel in Berlin hat.

„Normaler Samt“ nimmt natürlich Bezug auf „Blauer“ bzw. „Grüner Samt“…

Audio88 (unterbricht): …oder auf David Lynch.

Okay, „Blue Velvet“, das wiederum Torch als Vorlage diente.

Audio88: Wer weiß.

Ihr wisst es wahrscheinlich.

Yassin: Joa, wissen wir auch nicht so richtig. Also, es ist kein Camouflage oder so.

Audio88: Unser Samt ist einfach normaler.

Yassin: Wir wussten irgendwie, wir machen einen Klassiker. Und es gibt ja nicht so viel Auswahl an Namen für Klassiker. Deswegen wussten wir, wenn wir schon Samt machen, dann sollte das der Normalste sein.

Weil ihr auch so normal seid?

Yassin: Ja, wir sind schon ziemlich normal.

Audio88: Ja.

Das ist zunächst mal auch eine Abgrenzung gegenüber der Superman-Attitüde anderer deutschen Rapper, oder?

Yassin: Naja, normal ist nur der, der normale Dinge tut. Und es gibt ja auch bei den Supermännern bestimmt Leute, die echt normale Dinge tun. Dinge, die uns dann selbst erstaunen…

…weil sie so normal sind?

Yassin: …ja. Naja, normal in unserem Sinne heißt, dass es so normal ist, dass es nicht mehr normal ist. Und da gibt es genügend Supermänner, die sehr normale Dinge tun. Aber wir waren halt immer irgendwie außen vor mit unserer Normalität.

In der HipHop-Normalität?

Yassin: Ja, aber auch menschlich.

Audio88: (lacht laut)

Das könnte eventuell daran liegen, dass ihr sehr sarkastische Rapper seid.

Audio88: Nein! (Gelächter)

Yassin: Wahrscheinlich schon. Das ist ja der Ruf, der uns anhaftet. Und der war uns bis jetzt immer nützlich. Deswegen haben wir ihn aufrecht erhalten. Das ist unser Image.

Audio88: Normales Image.

Aber nicht nur Image. Ihr seht schon gerne die Dinge, die scheiße laufen und zeigt mit dem Finger darauf, oder?

Yassin (lachend): Wir sehen sie nicht gerne, aber…

Audio88: …wir sehen sie halt. Aber nicht gerne!

Yassin: Wenn man sich hinsetzt und man hat den Drang über irgendetwas zu schreiben, dann gibt es wahrscheinlich Leute, die den Drang haben, schöne Dinge in Worte zu fassen. Das ist dann ja schöne Musik. Und dann gibt es halt Leute, die sich an Dingen stören und das los werden wollen. Und wir gehören schon eher zu den zweiten. Wir können das erste bestimmt auch hervorragend.

Audio88: Haben wir doch auch bei „Dies das“ (vom Dexter-Album „Palmen und Freunde“ – Anm. d. Verf.) gemacht. Das war doch ein positives Lied. Trotz „Flakgeschütz am Kudamm“. War trotzdem fröhlich.

Ihr habt auch auf dem Album mit „Die Welt dreht sich weiter“ ja auch ein sehr positives Lied.

Yassin: Ja, wobei das eigentlich sehr traurig ist. Es ist ja eigentlich ein Lied über Hoffnung. Und Hoffnung ist ja immer dann am Wichtigsten, wenn alles um einen herum nicht so toll läuft. Und da wollten wir einen „Kopf-hoch-Bruder“-Song machen.

Es tauchen auch wieder ein paar Rapper auf dem Album auf, die ihr nicht so feiert. Zum Beispiel Torch: Habt ihr zu ihm ein gespaltenes Verhältnis oder findet ihr ihn wirklich scheiße?

Yassin: Das Verhältnis ist nicht sonderlich gespalten und es liegt auch nicht so sehr an seiner Musik. Auf ihm rumzuhacken ist halt einfach. Das machen ja nicht nur wir. Wir hatten auch eine Begegnung mit ihm und daraus resultiert unsere Abneigung gegen Torch.

Audio88: Torch hat mal in einem Interview mit Falk Schacht gesagt, dass es ganz natürlich ist und in der Natur des Mannes liegt, sich irgendwann gegen seinen Vater aufzulehnen. Von daher wollte ich Torch dieses Kompliment zurückgeben: Ja, du bist unser aller Vater. Wir sind dir unglaublich dankbar, aber wie es halt so ist mit Vätern: Manchmal läuft die Erziehung falsch.

Und dann kommen missratene Kinder raus?

Yassin: In der Pubertät auf jeden Fall, schlecht zu handhabende. Also ja, wenn er das sagt, dann sind wir wahrscheinlich seine missratenen Söhne. Dann natürlich nicht die einzigen, aber ja, dann sind wir das wohl. Deswegen sind wir auch beide übergewichtig. Das ist genetisch bedingt.

(Gelächter)

Ein anderer Rapper, der auch etwas abbekommt, ist Prinz Porno.

Audio88: Das ist eigentlich nur die Retourkutsche dafür, dass er MC Fitti gedisst hat. Und ich bin der Meinung, MC Fitti hat mit „Roflcopter“ „Gib dem Affen Zucker“ konsequent fortgesetzt. Wir wollten die Dinge nur wieder richtig stellen. Außerdem hat MC Fitti viel schönere Möbel. Das weiß jeder in Berlin.

(Gelächter)

Überraschend, dass ihr für Fitti in die Bresche springt. Habt ihr schon mal mit ihm zu tun gehabt habt?

Yassin: Musikalisch nicht, aber privat schon.

Audio88: Ja, ich habe ihn auch schon mal gesehen. Ich habe mir Yassins Namen auf dem Arm tätowieren lassen bei einem Kollegen und da war auch Fitti, der sich tätowieren ließ.

Hat er sich auch Yassins Namen tätowieren lassen?

Audio88: Nee, ich glaube einen Vogelkäfig oder so einen Quatsch.

Yassin: Fitti und ich kennen uns, ich weiß gar nicht, warum. Ich glaube, wir haben gemeinsame Freunde. Wir haben uns ein paar Mal zufällig getroffen und gequatscht. Dann haben auch Fans von Audio88 und mir mich im Bundesvision Songcontest-Bewerbungsvideo von MC Fitti gespottet. Wir verstehen uns sehr gut. Ich kann den Kerl gut leiden. Er ist ein lustiger Typ. Das ist natürlich auch ein Image, das er so hat, aber man hat mit ihm tatsächlich immer viel Spaß.

Audio88: Spaß ist schön. (Gedankenpause) Und normal.

Was bedeutet denn Spaß für Audio88 und Yassin? In eurer Musik kommt ihr jetzt nicht wie die größten Genießertypen rüber.

Yassin: Wir sind voll die Genießertypen. Wir sind beide dick. Wir haben zwei Alben gemacht, auf denen wir die ganze Zeit nur darüber reden, dass wir trinken. Und Alkohol ist ja auch ein Genussmittel. Also wir wissen schon, wie man es sich gut gehen lässt.

Audio88: Wir hatten auch beim Machen des Albums sehr viel Spaß. Das war zwar richtig viel nervige Arbeit, aber auch Spaß.

Yassin: Auftritte sind für uns eigentlich auch immer großer Spaß. Alles, was mit Musik verbunden ist, ist erstmal Spaß. Bis an den Punkt, an dem man Geld damit machen will. Das ist dann anstrengend. Wir sind jetzt keine Miesepeter. Auch wenn man das immer vermutet. Da sind ja auch immer sehr viele Fans enttäuscht, wenn sie uns dann treffen und sehen, dass wir lachen. Das passt denen dann nicht in ihr Bild von uns als Rapper. Wir sind eigentlich lustige Typen. Wenn wir so zu zweit sind, lachen wir besonders viel.

Audio88: Das liegt aber auch daran, dass wir dieses Ventil haben. Man kann halt diesen ganzen Hass in seiner Kunst loswerden und geht dann glücklicher durchs Leben. Also mir geht es zumindest so. Ich muss mich über den Alltag nicht so viel aufregen, wenn ich mein Kämmerlein habe, in dem ich den Hass ablassen kann. Und ich muss den Leuten nicht auf den Sack gehen, die es nicht hören möchten.

Du hast gerade eure Fans angesprochen, die manchmal enttäuscht von euch im realen Leben sind. Sind das denn dann so richtige Miesepeter?

Audio88: Ich finde es eigentlich immer viel erstaunlicher, dass Fans enttäuscht sind, wenn wir schlechte Laune haben. Du kaufst dir diese Alben. Du feierst das so: Geil, die hassen alles – die sind genauso wie ich! Aber zu mir sollen die bitte freundlich sein, weil ich ja ein übelst cooler Dude bin. Das können wir aber nicht wissen und man merkt das auch nicht auf Anhieb.

Yassin: Wahrscheinlich geht es jedem Künstler so, dass deren Fans immer etwas enttäuscht sind. Denn egal, ob du tausend Interviews von irgendjemandem gesehen und auch die Songs gehört hast. Du bekommst ja dein eigenes Bild von der Person, wie du denkst, dass sie privat ist. Und dann gibt es das ganz kurze Zeitfenster, in dem du deinem Idol zufällig begegnest. Und je nachdem, wie du dich während dieses Zeitfensters fühlst, kriegt der Fan unterschiedliche Reaktionen zurück. Mit manchen Leuten wäre man nicht so cool, wenn das Zeitfenster nicht durch Backstage-Bekanntschaften größer wäre. Man ist halt ein Mensch und hat mal einen guten und mal einen schlechten Tag, mal eine schlechte Minute, in der ich eigentlich etwas anderes machen will. Und deshalb gibt es unterschiedliche Reaktionen. Und das ist ja auch nicht immer so: Manche Fans freuen sich ja auch, uns zu sehen.

Audio88: Und wir sind dann enttäuscht.

Yassin: Ich finde übrigens, Fan sein ist eigentlich etwas Cooles. Ich persönlich bin auch gerne Fan. Ich freue mich voll, wenn ich einen Künstler oder Musik gefunden habe, bei der ich sage, ich feier’ alles, was die machen und verteidige die auch wenn ihnen kleine Fehler unterlaufen. Aber wenn Leute zu mir kommen und sagen: Ich feier’ deine Musik schon seit Ewigkeiten. Kannst du mir Mal das neue Album schicken? Ich finde es nirgendwo illegal zum runterladen, denke ich mir, dass diese Person kein Fan ist. Dieser Mensch hat nicht verstanden, wie dieses Spiel abläuft und welche Rolle er darin hat.

Audio88: Ich bin natürlich auch Fan, aber ich bin Fan von Musik und nicht Fan von Personen oder – vor allem eher – von einem Bild einer Person, das ich mir in meinem Kinderzimmer kreiert habe. Wir hatten ja auch durch unsere langjährige Musikkarriere und Festival-Auftritten Musiker kennenzulernen, von denen wir Fans sind, wo wir uns anschließend dachten: Oh Gott, was ist denn das für ein Spast? Das mag mit uns auch so sein, aber diesen Personenkult finde ich generell richtig unangenehm.

Yassin: Ich sehe das ein wenig anders. Ich finde, dass der Personenkult manchmal auch positive Aspekte mit sich bringt. Manchmal freut man sich ja auch, zu erkennen, dass die Person wirklich so ist, wie man sie sich vorgestellt hat.

Hast du diese Erfahrung selbst schon gemacht?

Yassin: Es gibt ja auch die Leute, die in ihrer Musik viel von sich preisgeben. Ich fand das zum Beispiel bei Tua krass, den ich zwar spät entdeckt habe, dann aber sehr gefeiert habe. Ich hatte dann auch so ein Vierteljahr, in dem ich das „Grau“-Album von ihm rauf und runter gehört habe. Zufälligerweise haben wir dann kurze Zeit später mit den Orsons gemeinsam gespielt. So haben Tua und ich sich das erste Mal getroffen. Ich war dann froh und fand es cool, dass er tatsächlich als Person so ist, dass ich die Musik nach dem Kennenlernen nicht unglaubwürdig finde. Danach erkennt man noch mehr Glaubwürdigkeit in der Musik und du kannst sie guten Gewissens hören. Manchmal passiert es ja auch, dass man sich beim Interview denkt: Mann, wieso muss der Depp das sagen? Ich mochte deine Musik echt gerne. Warum verkackst du es jetzt so? So gesehen: Es ist halt immer eine Person hinter der Musik. Ob man die glorifizieren muss und sich Poster aufhängen muss, das ist eine andere Frage.

Wo du gerade Tua ansprichst: Habt ihr seine Wutrede auf allgood.de gelesen? Ist die nicht eigentlich die Quintessenz dessen, was euer Album auch aussagt?

Audio88: Mit weniger musikalischem Anspruch, ja. (grinst)

Yassin: Er hat natürlich viel mehr Recht, das zu sagen als wir.

Audio88: Tua ist halt Musiker.

Yassin: Wenn er sich beschwert, dass Leute zu wenig Mühe in ihre Musik stecken, und zu wenig Liebe für das haben, was sie am Ende verkaufen und von dem sie den Leuten erzählen, dass es ihr kreatives Schaffen wäre, verstehe ich seine Wut. Er ist einer der wenigen in Deutschland oder im deutschen Rap, der diese Kritik äußern kann. Bei uns ist das nur ein Aspekt. Wir sind recht oberflächlich im Vergleich zu dem, was Tua in diesem Interview sagt. Wir beurteilen nur das Endprodukt und Tua beurteilt auch schon den Entstehungsprozess.

Wäre ein Tua-Feature auf dem nächsten Album denkbar?

Yassin: Undenkbar ist es nicht. Wir wollen natürlich auch keine falschen Hoffnungen machen, aber wenn wir uns nicht irgendwann betrunken mit ihm schlagen, dann wahrscheinlich irgendwann auf jeden Fall.

Audio88: Du meinst, wenn er nicht uns betrunken schlägt?

Hättet ihr keine Chance gegen Tua zu zweit?

Audio88: Doch, auf jeden Fall, auf jeden Fall. Wobei, der ist schon ein drahtiger Dude.

Yassin: Ja, er ist ein drahtiger Dude und er hat…

Audio88: …längere Arme…

Yassin: …ja, und mit Leuten rumgehangen – zumindest, wenn man seiner Musik Glauben schenken darf –, die ihm beigebracht haben, wie man sich dreckig prügelt.

Da ihr ja vieles ironisch verpackt, ist es nicht so einfach zu erkennen, wie ihr zu den derzeitigen HipHop-Geschehnissen so steht. Sitzt ihr jeden Tag vor dem Rechner und ärgert euch über Amazon-Boxen?

Audio88: Wenn man soziale Medien nutzt, ist es mittlerweile fast unmöglich an dem Ramsch vorbei zukommen. Man könnte sich dem irgendwie sicherlich entziehen, aber wir hassen ja auch gerne. Also ich habe ja sonst auch keinen Grund, mir von Künstler XY, von dem ich bisher alles weak fand, das neue Video anzugucken. Ich gehe nicht davon aus, dass er mich mit seinem neuen Song überzeugen wird und dass ich es das erste Mal geil finde. Es ist vergleichbar mit dem verrückten Andreas von „Frauentausch“ auf YouTube, den man sich auch nur ansieht, um sich darüber lustig zu machen. Genau mit der gleichen Motivation kann man sich Rap-Videos angucken.

Yassin: Und es gibt die Sachen, die man als Trash ignoriert und Sachen, die man als Trash feiert. Und dann gibt es Sachen, die als Trash in irgendeiner Art und Weise berühren, so dass man sich wirklich darüber ärgert.

Und dieses Ärgernis verarbeitet ihr dann in Tracks.

Yassin: Ja, genau. Man setzt sich ja nicht hin und sagt, komm, jetzt kriegen die alle Mal einen auf den Deckel. Sondern man schreibt irgendwas und irgendwann merkt dann: Damit meine ich ja eigentlich den. Und dann kann man sich überlegen, ob man den nennt oder nicht. Manchmal macht man’s, manchmal nicht.

Einige Rapfans, die mit eurem früheren Schaffen nicht vertraut sind, könnten auch glauben, ihr disst – wie viele andere – einfach zu Promozwecken.

Audio88: Wir haben ja auf allen unseren Alben Namen genannt. Der Unterschied ist aber, dass damals die Deutschrap-Presse nicht so hinterher war, diese Fragen zu stellen, damit man die Überschriften im Stil von So denkt Rapper XY über Rapper XX machen kann. Ich habe schon gemerkt, dass das jetzt schon mehr Thema in den Interviews wird. Aber wenn man sich unser letztes oder vorletztes Album anhört, dann merkt man, dass dort genauso viele Namen oder sogar dieselben genannt werden. Wir sind da nicht sehr kreativ, was Feindbildbildung angeht.

Yassin: Wenn wir es für die Promo hätten machen wollen, hätten wir andere Namen genannt, als die, die auf dem Album auftauchen. Wenn wir jemanden dissen, dann weil er etwas verkörpert, das wir nicht mögen. Es geht also weniger um den Namen an sich. Es gibt Worte, die fassen komplexe Sachverhalte sehr gut zusammen. Und in dem Fall sind es Namen.

Audio88: Genauso wie Katrin Bauernfeind-Fans für irgendetwas stehen, stehen die Moqui Marbles für irgendetwas.

Yassin: Das Dissen sehe ich als kreatives Werkzeug, nicht als Zahnrädchen in der Promophase eines Albums – so wie es heute öfters der Fall ist.

Audio88: Es ist ja an sich eine große Ehre, wenn man es soweit geschafft hat, dass man stellvertretend für etwas steht, das andere hassen. Und da nehmen wir uns auch nicht aus. Ich meine, auch bei uns als Rapper gibt es sehr viele Gründe, uns richtig behindert und auch unsere Musik scheiße zu finden. Das ist auch völlig legitim.

Yassin: Das passiert ja immer wieder in Artikeln oder in Foren. Wenn jemand schreibt: Das ist so ein Müll dieses ganze Zeckenrap-Ding, Yassin, Audio88, Antilopengang, dann denkt man sich: Naja, ich will vielleicht nicht genau in die Ecke…

Zeckenrap ist schon eine interessante Einteilung…

Yassin: … aber auch, wenn das einen aufregt, ist das in dem Moment schöner erwähnt zu werden, als nicht erwähnt zu werden. Das zeigt ja, dass man irgendetwas geschafft hat. Das ist genau so wie mit Kindern, die von ihren Eltern keine Aufmerksamkeit bekommen, die Scheiße bauen, um diese Aufmerksamkeit zu erhalten. Das wird dann keine positive Aufmerksamkeit sein, aber die Kinder kriegen sie wenigstens dann. Aufmerksamkeit schmeichelt ja erstmal jedem. Am Anfang mussten wir damit umzugehen lernen, aber das ging relativ schnell. Wir haben ja beide vorher schon Rap gemacht, auch außerhalb von Berlin und Internet. Da gibt es auch diese Reibereien. Ich würde sie Provinzstreitigkeiten nennen. In Darmstadt, die Stadt, aus der ich komme, gab es sehr viele Rapcrews. Und da konnte man sich untereinander auch nicht leiden. Für mich war das also nichts Neues, als ich mich mit Internet-Hate konfrontiert sah.

Das Internet ist also wie Darmstadt?

Yassin: Darmstadt ist schon etwas normaler, würde ich sagen.

Audio88 (lacht): Weniger Katzenbilder.

Welche Kriterien muss man erfüllen, um in euer Visier zu geraten, um euer Feindbild zu sein?

Audio88: Das ist eigentlich richtig leicht. (Gelächter)

Yassin: Anders sein als wir.

Audio88: Nee, das ist Quatsch.

Yassin: Ich glaube, das ist ein guter Punsch aus mangelndem Können, moralischen Schwächen und vielleicht noch dem falschen Aussehen.

Audio88: Quatsch! Gerade wir sollten niemanden wegen des Aussehens beleidigen.

Yassin: Nee, ich meine nicht das Aussehen, dass einem angeboren wird, sondern das Aussehen, was man sich selber verpasst. Das Auftreten, meine ich; nicht das Aussehen.

Audio88: Wenn ich im Club Handschuhe ohne Finger trage zum Beispiel.

Yassin: Oder wenn ich in der Sauna Wollmütze. Einfach Sachen, die jeden zumindest etwas stören.

Bis auf den, der es macht, wahrscheinlich.

Audio88: Ja, aber der hat wiederum auch Dinge, die für den anderen nicht so nachvollziehbar sind. Der wird sich wahrscheinlich denken: Wie kannst du mit so einer ausgewaschenen Jeans herumlaufen?

So ausgewaschen sehen deine Jeans gar nicht aus.

Audio88: Nee, ich meinte ja auch deine Jeans.

(Gelächter)

Yassin: Ich glaube, dass das auch von der Laune abhängt: Manchmal findet man Sachen kacke, und drei Tage später ändert man seine Meinung.

Audio88: Nee, nicht bei mir. Ich bleibe da konsequent. Das heißt: Es wird ein Leben lang gehasst.

Ihr habt ja Punchlines, bei denen einem, wie man so schön sagt, das Lachen im Halse stecken bleibt. Feiert ihr trotzdem auch diese Wie-Vergleiche oder die um die Ecke gedachten Punchlines?

Yassin: Das ist halt echt eine hohe Kunst. Wenn man das schlecht macht, dann ist es meistens richtig schlecht.

Audio88: Die meisten Wie-Vergleiche sind schlecht. Ich finde es aber gut, wenn diese Vergleiche im Battlerap vorkommen. Wenn das Morlockk zum Beispiel macht, finde ich das richtig geil. Seine Wie-Vergleiche sind auf einem sehr hohen Niveau. Wenn ich aber zum Beispiel in einem in einem Liebessong Vergleiche im Stile von „Unsere Liebe ist gestorben wie die Saurier“ bringe, dann, ich weiß nicht. Und diese Zeile gibt es wirklich.

Yassin: Aber der Song ist geil.

Audio88: Ja, das stimmt, der Song ist geil. Generell: Ich finde, der Einsatz von Vergleichen muss angemessen sein. Wenn es im Battlerap passiert und da es ein Zeichen der Fertigkeiten ist, dann kann ich das feiern. Und die müssen dann gar nicht so spitzfindig sein. Bei M.O.R. habe ich letztens übelst stumpfe Wie-Vergleiche gehört und das feiere ich dann auch. Wenn es aber darüber hinaus geht, zum Beispiel im sozialkritischen Rap, und ich der Meinung bin, dass ich noch mal mein Rapper-Ego rauslassen muss im Sinne von: Das Wort bedeutet auch das Wort – das möchte ich euch jetzt zeigen! Passt zwar gerade überhaupt nicht rein, aber ich selber find es voll geil. Dann hol dir doch lieber einen runter und mach einen vernünftigen Song.

Yassin: Dadurch, dass Wie-Vergleiche so einen Namen haben, man sie also sofort erkennen kann, ist es umso wichtiger, dass man sie organisch in einem Song einbaut. Dass es sich nicht anhört wie da hat ihm noch eine Zeile gefehlt oder du konntest kein Superlativ für diese Beleidigung finden, außer es an irgendetwas anderem zu messen. Das hört man immer relativ schnell raus.

Du hast gerade M.O.R erwähnt. Das ist ja ein klarer Bezugspunkt für euch, diese Battlerap-Zeit.

Yassin: Voll.

Wie gefällt euch das, was Kool Savas heute macht? Ihr habt ihn ja auch schon öfters ironisch in euren Texten erwähnt.

Audio88: Aber auch sehr wohlwollend. Bei Savas sehe ich eher den Vater als bei Torch. Ich meine nicht, dass er unser Vater ist, sondern für die Art von Rap, den er in die Wege geleitet hat. Außerdem kann man es nicht leugnen, dass wir ihn in unserer Jugend sehr viel gehört haben.

Yassin: Mittlerweile ist es bei mir eine musikalische Geschmackssache, dass ich manche Sachen nicht mag. Aber der Typ rappt halt immer noch übertrieben. Wenn man nach seinen Maßstäben, die er vor 20 Jahren gesetzt, rappen will, dann kann das immer noch keiner besser als er. Und das ist wirklich krass, wenn jemand nach so langer Zeit immer noch eine Schippe drauf legt. Es ist beachtlich, was er macht, auch wenn mir einzelne Songs nicht gefallen. Außerdem hat der Typ eine Pferdelunge und reißt jedes Mal die Hütte ab. Du kannst eigentlich nichts gegen Savas als Rapper sagen. Über Torch kann man das zum Beispiel nicht sagen.

Ihr hattet ja vor kurzem eine kleine Konversation mit Savas über seine Zeile „Krebserregend wie Shrimps“ auf Twitter. Wie kam es dazu? Wart ihr besoffen in einer Kneipe und wolltet euch einen Scherz erlauben?

Yassin: Nein, überhaupt nicht.

Audio88: Das war im Studio von K.I.Z..

Yassin: Tarek von K.I.Z. hat sich Rühreier gemacht. Wir haben über Rap geredet und kamen auf den Savas-Song, von dem diese Zeile ist, zu sprechen (Matrix“ – Anm. d. Verf.). Wir haben uns gefragt, was er mit dieser Zeile eigentlich meint. Tarek meinte dann zum Spaß, dass ich ihn auf Twitter fragen soll. Das hab ich dann gemacht und Savas hat geantwortet. Seine Erklärung fand ich auch lustig. Noch lustiger ist ja, dass er noch von Visa Vie in einem Interview auf unsere Twitter-Konversation angesprochen wurde. Savas nahm es mit Humor. Wir haben ihn auch nicht verarscht; uns hat wirklich interessiert, wie er diese Zeile meinte.

Audio88: Wieso auf rapgenius gucken, wenn du den King persönlich fragen kannst?

Yassin: Ich fand das auch richtig geil, dass er ohne Umschweife geantwortet hat. Und ganz ehrlich, wir drei, also Tarek, Audio und ich haben uns wie kleine Kinder gefreut, als wir sahen, dass der King uns geantwortet hat.

Verfolgt ihr dieses ganze Movement um Moneyboy?

Yassin und Audio88: Ja.

Yassin: Ich muss auch gestehen, dass ich mir mittlerweile auch von seinen Jungs die Mixtapes anhöre.

Hustensaft-Jüngling und so weiter?

Yassin: Ja, L-Goony fand ich auch geil, aber ich kann nicht genau sagen, wieso. Er hat diesen einen Song „Ich hab Geld“ glaube ich heißt der: ein fieser Ohrwurm. Und ich hab auch irgendwo Neidgefühle. Denn es muss so Spaß machen, wenn du dich einfach hinsetzt, was aufnimmst und sagst: Ja, ist fertig. Ich drehe dazu ein Video mit meinem Handy und ich stelle es online. Dann geht das raus und Leute feiern es. Das ist schon beneidenswert. Jeder der behauptet, die können nichts, hat Unrecht. Denn es würde niemandem gefallen, wenn sie nichts könnten.

Bösartige Menschen (zu denen ich nicht gehöre), könnten jetzt einwenden, es sei wie bei einem Unfall, wo man trotzdem hinguckt.

Audio88: Aber guck dir an, wie viele weake Rapvideos es gibt, die vier Jahre online sind und 500 Klicks haben. Das hat einen Grund: Die sind uninteressant weak.

Yassin: Ich war auf dem Moneyboy-Konzert und es ist nicht der „Unfall“. Leute feiern das richtig hart. Er bietet ja auch einen kompletten Lifestyle an. Als Teenager ist man anfällig für solche Sachen, bei denen einem ein Komplettbild hingelegt wird. Und fügst du dich rein, funktioniert das alles hervorragend. Also von mangelndem Können, kann da nicht die Rede sein. Der Typ hat es auf jeden Fall drauf, sonst würde er nicht in Berlin ein Konzert ausverkaufen. Seinen Merch hat er auch nach einer halben Stunde zugemacht, weil er alles verkauft hatte. An diesen Punkt sind wir nicht.

Mich fasziniert die Begeisterung, die diese Jungs in ihre Musik stecken. Das ist ansteckend, macht gute Laune. Das höre ich mir lieber an, als einen Rapper, der sich freudlos durch seine Silben quält.

Yassin: Die kacken halt auf alle Konventionen. So etwas ist natürlich viel cooler, weil es mehr Überraschungen birgt. Es ist – warum auch immer – verpönt ist, schwulen Rap zu machen und Moneyboy macht jetzt seine schwulen Wochen, in denen er drei oder vier Songs über Homosexualität macht. Jetzt hat er auch einen Typ in seiner Crew, der Juicy Gay heißt. Die machen einfach Songs darüber, dass sie sich gegenseitig Schwänze lutschen und ins Gesicht spritzen. Das hat ein politisches Gewicht und reinigt diese Szene ein Stück weit. Es ist wesentlich aufregender, wenn jemand jede Woche mit einem neuen Tabubruch oder neuen dummen Einfall um die Ecke kommt, als wenn Leute das fünfte Album darüber machen, dass sie Koks verkaufen. Eigentlich sollten sich die Leute, die ihn die ganze Zeit haten, schämen.

Letzte Frage: Habt ihr noch Jobs neben Rap?

Yassin und Audio88: Nein.

Audio88: Bei uns läuft.

Yassin: Also, wir hatten ja auch mal Jobs nebenbei,

Audio88: Zum Glück nicht mehr.

Yassin: Wir sind vor allem Zeckenrapper. Und Zeckenrapper gehen nicht arbeiten.

Audio88: Wir gehen doch arbeiten, wir sind doch gerade hier. (Gelächter)

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