Homezone #10: Mit Peti Free auf dem Out4Fame-Festival

Homezone ist ein Text-Interview-Format unseres Autors Alexander Barbian. Er trifft und begleitet aufstrebende wie etablierte Künstler aus den Gefilden des deutschen Sprechgesangs durch deren Kieze, in deren Lieblingskneipen und zu deren Stammspäties. In der zehnten Ausgabe hat er die Gunst der Stunde genutzt und die Jungs von Peti Free aus Köln beim Out4Fame-Festival abgepasst.

Es ist Samstagnachmittag auf dem Out4Fame-Festival. Zum ersten Mal seit Beginn jenes bis dato eher nassen und ungemütlichen Ruhrpotter Rap-Showdowns scheint in diesen Stunden die Sonne über dem Gelände, einer Kur-Landschaft, die wenig Ähnlichkeit hat mit der für Festivals üblichen Ackerlandschaft im gefühlten Nirgendwo. Das größte Hip-Hop-Festival des Westens feiert an diesem Wochenende zwar bereits seinen vierten Geburtstag, hat seine Gäste aber dennoch erstmals in den Revierpark Wischlingen in Dortmund bestellt.

Als ich die Jungs von Peti Free treffe, wummert im Backstage bereits ein dumpfer von der Mainstage herrührender Bass. Die Kölner haben dieselbe Bühne wenige Stunden zuvor standesgemäß zerlegt. Ich erkenne die Brüder Supah Tuxho und Helicopta, sowie ihren Backup Anderson schon von Weitem. Erstens, weil sie wie gewohnt in voller Gang-Stärke unterwegs sind und zweitens, weil sie vom Scheitel bis zur Sohle in dunklen Klamotten stecken, auf denen in Großbuchstaben die Lettern ihres Gang-Namens pranken.

Peti Free begannen ihren Weg „Vom Asylantenheim bis nach ganz oben“ schon vor mehr als zehn Jahren, begleiteten in der Zwischenzeit diverse amerikanische Rap-Größen auf ihren Deutschland-Tourneen und machten bereits 2008 beim letzten Teil der legendären „Feuer über Deutschland“-Trilogie ordentlich Welle. Seit Jahren im Einzugsgebiet des Out4Fame etabliert, in Rap-Deutschland breit connected und zumindest im Westen der Republik längst mehr als ein Geheimtipp, dürften sie den meisten Berlinern der jüngeren Jahrgänge spätestens seit dem an Savas angelehnten Juice-Exklusive „Fertig“ ein Begriff sein, das Anfang diesen Jahres für Furore sorgte.

Wir treffen uns hier auf dem Out4Fame-Festival. Für euch als aus Köln stammende Crew ist das mittlerweile bestimmt das wichtigste Rap-Event im Jahr, oder?

Helicopta: Ja, definitiv! Das Out4Fame ist wie ein riesiges Familientreffen, besonders für die Leute aus dem Westen Deutschlands.

Ihr spielt auch nicht zum ersten Mal hier, habt von Beginn an eine enge Verbindung zum Festival …

Supah Tuxho: Auf jeden Fall! Wir kennen Dako, den Organisator des Festivals, mittlerweile seit über zehn Jahren. Er hat uns schon 2006 auf dem Zettel gehabt, da hatten wir gerade angefangen, öffentlich wirksam Musik zu machen. Dako hat ja schon lange vor der ersten Auflage des Festivals Konzerte veranstaltet und Hip-Hop-Events organisiert … Und schon damals hat er uns regelmäßig gebucht und eingeladen. Dadurch hatten wir die Möglichkeit, Ami-Acts wie Onyx, Redman, Busta Rhymes oder Ice Cube als Vorgruppe bei ihren Tourstops im Ruhrgebiet zu unterstützen. Dieses Jahr findet das Festival nun zum vierten Mal statt und es ist schon längst wie ein Zuhause für uns.

Ihr habt gerade schon erwähnt, dass ihr schon ganz schön lange am Ball seid. Was unterscheidet Peti Free 2007 von Peti Free 2017?

Supah Tuxho: Heutzutage läuft alles viel durchgeplanter. Damals waren wir eher eine Gang, als eine Rap-Crew. Wir haben in einer riesigen Gruppe rumgehangen, hatten alleine zehn Leute am Start, die im weitesten Sinne gerappt haben. Das ist dann in allen möglichen Sprachen passiert, teilweise ganz schön wild. Wir waren eben alle noch ziemlich jung und eigentlich immer abgelenkt. Vor zwei oder drei Jahren haben wir dann beschlossen, die ganze Sache ein bisschen zu professionalisieren: Seitdem machen wir nur noch Deutschrap. Mit der Zeit sind auch nur noch die besten MC‘s, die auch wirklich hinterher sind, übrig geblieben … Und somit läuft 2017 alles doppelt so strukturiert ab.

Was hat euch denn an der Arbeit in großer Gruppenstärke so genervt, dass ihr euch für solch radikale Umbrüche entschieden habt?

Helicopta: Wir haben immer wieder festgestellt, dass sich eine Crew in dieser Größe schneller dazu hinreißen lässt, ihre Zielstrebigkeit zu verlieren. Hinzu kommt, dass es einem mit der Zeit fürchterlich auf die Nerven geht, dass sich selbst die kleinsten Dinge so unheimlich in die Länge ziehen. Das sind einfach keine guten Bedingungen, um Musik zu machen.

Ihr sagt, dass mit euch diejenigen MC‘s übrig geblieben sind, die „wirklich hinterher“ sind. Worin zeichnet sich dieses ‚Hinterhersein‘ aus?

Supah Tuxho: Ich finde, das ist ein bisschen wie beim Fußball. Nehmen wir den FC Barcelona: Da gibt es einen Messi und einen Suarez und einen Rest, der da ein gutes Stückchen hinterher hinkt. Da geht es am Ende vor allem um Feinheiten in Sachen Fleiß und Ehrgeiz … Aber die haben dann große Auswirkungen. Bei uns war das im Laufe der Jahre tatsächlich so ähnlich: Da sind eben einige wenige immer stark herausgestochen, die ohne Kompromisse durchgezogen haben. Also: 24 Stunden Rap, mit allem was das mit sich bringt. In meinen Augen ist Rap harte Arbeit, für die man was tun muss und auf die in letzter Konsequenz nur die wenigsten so richtig Bock haben. Das ist ja auch nicht schlimm, aber das ist zumindest der Grund, warum bei uns heutzutage weniger Leute das Mic in die Hand nehmen …

… Trotzdem seid ihr ja nach wie vor eine große, auffallend eingeschworene Crew. Es ist schön zu sehen, dass ihr es geschafft zu haben scheint, dass jeder im Bunde irgendwie das macht, was er am besten kann …

Supah Tuxho: Das das so ist, verdanken wir unserem Homie Mr. Fuggs. Er ist derjenige, der den Rest kontinuierlich drillt und immer wieder sagt: „Kommt Jungs, was wir machen hat Sinn, lasst uns am Ball bleiben!“ Er wird darin nicht müde und hat parallel dazu immer ein Auge für die Talente aller Jungs in unserem Umfeld. Durch seine gute Menschenkenntnis findet er immer schnell heraus, welche Aufgabe innerhalb der Crew von wem übernommen werden kann und verteilt dann ehrliche Ratschläge. Die sind sehr wertvoll. Am Ende ist es dann eben so, dass einer, der dafür ein gutes Auge hat die Fotos macht und der andere, der eher geeignet für die Bühne ist, auf der Bühne rumturnt. Und so weiter. Alle sind sehr zufrieden und jeder ist gleich wichtig.

Erklärt mir mal, wie ihr euch untereinander koordiniert, wenn ihr beispielsweise einen neuen Track macht!

Supah Tuxho: Unsere Arbeitsweisen sind ja eigentlich Staatsgeheimnisse … Aber dir können wir sie ruhig anvertrauen (lacht). Zuerst steht ein Beat, den baue ich in den allermeisten Fällen. Helicopta, quasi unser Front-MC, rappt dann meistens zuerst darauf und gibt eine gewisse Richtung an. Und manchmal, wenn die Jungs sagen, dass sie den Beat extrem feiern, bringe ich auch mal einen Part ein.

… Das erklärt wiederum das ungleiche Part-Verhältnis, das es bei vielen eurer Songs gibt …

Helicopta: Ja, ganz genau! Dass bei unseren Sachen meistens einer längere Passsagen hat, als die anderen, liegt vor allem daran, dass es uns beim Musik machen rein ums Gefühl geht. Wenn einer sagt: „Ich habe einen 12‘er geschrieben …“, dann wird der ohne Widerrede so eingearbeitet. Der nächste hat dann 32 Bars am Start … Das ist uns wirklich scheißegal.
Supah Tuxho: Das ist ein grundlegendes Missverständnis im deutschen Rap. Viele machen sehr mathematische Musik, zwingen sich zum Beispiel dazu, in jedem Fall einen 16‘er auf Tracks beizusteuern. Darunter leider die Kreativität extrem. In meinen Augen ist Musik pure Energie und einfach nicht planbar: Du weißt ja auch nicht, was du übermorgen anziehst. Und du solltest dir darüber auch erst Gedanken machen, wenn du übermorgen aufstehst. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass Musik das genaue Gegenteil von Planen ist.

Dass ihr eure Beats mittlerweile selber baut, habt ihr gerade schon angesprochen. Hat das eher musikalische oder organisatorische Gründe?

Supah Tuxho: Das war eine sehr bewusste Entscheidung, bei der es hauptsächlich um die organisatorische Komponente ging. Es ist ja so: Wenn du Musik machst, bist du immer anhängig von tausenden Leuten. Oft ziehen sich einfache Prozesse dadurch so elend lange hin, dass man am Ende nur noch abgenervt und in seiner Kreativität eingeschränkt ist. Weil uns diese Art zu arbeiten so unflexibel gemacht hat, haben wir irgendwann gesagt: „Fuck it, das geht so nicht!“ Und seitdem machen wir alles selbst … Unter anderem die Beats. Es ist ja auch ein gutes Gefühl, wenn da „Tuxho Beats“ steht (lacht).

Interessanterweise sind auf euren traditionellen Boom-Bap-Beats stellenweise moderne Styles versteckt. Wenn auch eher unterschwellig, verbergen sich zwischen den Kicks hier und da auch mal ein paar Adlips …

Supah Tuxho: Für uns gibt es da keine Abgrenzung. Wir sind recht gut darin, verschiedene Stile zu verbinden. Wenn du mir heute einen Boom-Bap-Beat gibst, werde ich ihn ballern. Trotzdem kannst du mir morgen einen Trap-Beat vorlegen … Den baller‘ ich dann auch! Dabei wirst du keinen Unterschied erkennen: Wenn der Beat die nötige Energie ausstrahlt, dann wird er zerflext. So einfach ist das (schmunzelt).

Klassischen Trap-Rap macht ihr aber trotzdem nicht, vom Spitting her ist die Prägung der alten Schule da schon sehr spürbar …

Helicopta: Ja, das versuchen wir uns auch zu behalten. Wir haben ja auch einfach zu viel Technik, um im Niveau so weit runter zu gehen und nur noch „Skir Skir Skir“ zu machen (lacht). Ich meine das gar nicht böse oder arrogant, aber im Trap kann man seine Technik, an der wir seit Jahren feilen, wirklich nicht ausreichend nutzen. Wir kommen einfach aus einer anderen Zeit … Das bedeutet, dass wir, wenn wir mal eine 808 samplen, sie trotzdem in ihrer BPM-Geschwindigkeit pitchen.
Supah Tuxho: … Das Problem ist ja, dass die Leute sich immer so festlegen müssen. Zur Zeit fangen alle an, Afro-Trap zu machen … Und machen auf einmal nichts anderes mehr. Nicht mal eine Mischform. Da hört man finde ich schon oft raus, dass das alles ein bisschen aufgezwungen entstanden ist. Ich meine damit nicht, dass ich es schlimm finde, wenn ein bisschen gebytet wird. Aber Herz muss allemal dabei sein.

Auch wenn ihr auf den Hintergrund eures Namens schon in anderen Interviews eingegangen seid: Führt doch bitte nochmal aus, was es mit dem Namen auf sich hat!

Supah Tuxho: „Peti Free“ ist aus dem Französischen abgeleitet. Da gibt es den stehenden Begriff „petit frere“. Unsere Gründung fällt ja noch in eine Zeit, in der wir im Asylbewerberheim gelebt haben … Und auf den Namen kamen wir, weil man bei dort immer den jeweils Jüngeren „kleinen Bruder“ rief. Wir haben vordergründig kongolesische und angolanische Wurzeln und bei uns allen war das eh eine Redewendung im täglichen Sprachgebrauch. Das ist bis heute so: Wenn mein Onkel, der auch hier auf dem Festival arbeitet, uns von Weitem zuruft, dann mit: „Ey! Petit frere!“, auch unabhängig vom Crew-Namen.

Euer Name steht an diesem Wochenende zwischen vielen deutschen Rap-Legenden und internationalen Größen. Wo kann man euch im Laufe der nächsten Stunden noch so im Zuschauerraum antreffen?

Helicopta: Auf jeden Fall werden wir uns Azad, Savas und Busta Rhymes anschauen. Vor allem von Letzteren können wir in Sachen Energie vermutlich alle noch etwas lernen (lacht)

Haben die eben aufgezählten euren musikalischen Stil mitgeprägt?

Ja, definitiv. Aber nicht federführend. Der für meine Musik prägendste Moment war der, als mir mein Cousin irgendwann ODB vorgespielt hat. Das hat mich völlig geflasht. Erst darüber sind wir zum Wu-Tang Clan gekommen und der ist bis heute eigentlich unsere Hauptinspiration geblieben.

Was sind denn gerade so eure Projekte? Auf was kann sich die Rap-Welt gefasst machen?

Helicopta: Einiges! Wir sind ja bekanntlich straighte Macher: Sowohl ein Mixtape, als auch verschiedene Videos sind in Planung. Dafür stehen wir gerade in engem Kontakt mit Produzenten aus Berlin, aber da wollen wir noch keine Namen droppen. Und nebenbei haben wir in letzter Zeit ziemlich viele krasse Feature-Tracks für Freunde von uns aufgenommen, sind zum Beispiel auf der neuen Platte von Mister Mex zu hören. Durch unser Movement haben wir in letzter Zeit viele gute Leute kennengelernt. Wir wollen den Tag nicht vor dem Abend loben, aber Fakt ist, dass zur Zeit viel Attitüde und Power für neue Projekte am Start sind …