Homezone #9: Von Nordufer bis Nettelbeckplatz mit Quame65

Allgemein verbindest du die klassische Berliner Rap-Schule mit modernen Styles, bist irgendwie Realkeeper, aber schreckst gleichzeitig nicht vor Trap zurück … Beschreibe mal, wie dieser originelle Sound zustande gekommen ist!

Ich bin natürlich eher geprägt von Oldschool-lastigen Sounds, aber über die Jahre habe ich auch ein gewisses Gefühl für die krassen Trap-Sachen entwickelt. So ist diese Mixtur entstanden. Ich kategorisiere das alles auch gar nicht so sehr … Eigentlich versuche ich nur, meine Raps authentisch auf Beats unterzubringen. Grundlegend geht es dabei um die Frage, ob der Beat knallt oder nicht. Wenn er das tut, ist sekundär, ob das jetzt ein Oldschool-Beat ist oder der neueren Schule zuzuordnen ist.

Deine druckvollen Raps und deine dominante Bühnenpräsenz passen eben auch gut zu diesen scheppernden, vollen Trap-Beats …

Auf jeden Fall. Meine Skills kommen gerade durch diese Sorte Beats noch besser zum Vorschein. Für mich ist der Live-Moment insgesamt sehr wichtig und meiner Meinung nach funktioniert Trap live insgesamt viel besser, als alles bisher Dagewesene. Gerade wenn dich keiner im Publikum kennt, kann es ein riesiger Vorteil sein, wenn der Beat rein haut …

Von welchen Trap-Heads hast du dich für deinen Sound inspirieren lassen?

Da sind definitiv keine deutschen Artists dabei, eigentlich nur Amis. Okay, ein paar französische Künstler, die mich zwar raptechnisch weniger kicken, aber deren Energie mich teilweise heftig umhaut, sind auch dabei. Mir ist wichtig, das ich die Sachen fühlen kann … Es geht im Kern immer nur um den Vibe. Ich finde zum Beispiel, dass du bekifft sein musst, um einen Kiffer-Song mit den passenden Schwingungen zu machen. Genauso verhält es sich mit einem Club-Banger: Der muss auf ganzer Linie brettern, wenn er den Laden abreißen soll.

Am 1. Juni erschien dein Debüt-Tape „65 Nightmares“. Es ist, abgesehen vom Track „Immer weiter“ ein krasser Representer und gibt ganz schön auf die Fresse, geht dafür aber weniger in die Tiefe … Ist das der Charakter deiner Musik oder Charakter des Tapes?

Das ist schon eher Charakter des Tapes. „65 Nightmares“ war ja nur der erste Teil der von mir geplanten Mixtape-Triologie und war eher zum Kennenlernen gedacht. Auf dem zweiten Tape ist dann der Anteil an Personal-Songs auf jeden Fall schon etwas höher …

… Ja, das zweite Tape steht ja schon in den Startlöchern und kommt am 1. September …

Genau, sozusagen als Fortsetzung von „65 Nightmares“. Dieses Mal haben wir das Cover rot gehalten, das bildet die Stimmung des Tapes eigentlich gut ab: Es ist dirty und ein bisschen härter, als das Erste. Es klingt vom Sound her schon ähnlich, aber Level und Niveau der Songs beinhalten eine erste deutliche Steigerung, die auch spürbar ist. Manche Feinheiten sind anders, beispielsweise sind ein paar Hooks von Sängern beigesteuert worden … Diesmal werden auch zwei klassische BoomBap-Beats berappt, der Rest ist wiederum fast noch trappiger als beim letzten Mal. Das Ziel der Tracks ist dasselbe, wie auch schon auf dem ersten Ding: Den Abschaum beschreiben, so authentisch wie möglich. Und natürlich wird es wieder mindestens ein krasses Video geben.

Und bevor dann ein Album kommt, wird quasi erstmal die Mixtape-Triologie voll gemacht?

Genau! Das dritte Tape soll dann allerdings schon richtig rund, sauber und auf dem Level eines Albums sein. Ein richtiges Album kommt dann aber wirklich erst im nächsten Jahr, bin dahin habe ich noch einige andere Sachen vor.

Auf „65 Nightmares“ hattest du keine Features am Start, um erst mal selbst Druck abzulassen. Du kündigst dort ja auch an, „die Szene im Alleingang“ zu zerreißen. Hast du für die kommenden Projekte trotzdem Features geplant?

Ich zieh‘ den Film im Großen und Ganzen weiterhin verhältnismäßig alleine durch. Auf dem neuen Tape habe ich diesmal trotzdem ein paar Features am Start: Neben Mista Meta sind mehrere Leute aus meinem musikalischen Umfeld dabei.

Wenn ich die Sache richtig einschätze, ist Wedding fester Teil deiner Identität, auch wenn du mittlerweile in einen anderen Bezirk umgesiedelt bist. Beschreib‘ man, was der Wedding für dich ist!

Wedding ist auf jeden Fall ganz, ganz tief in meinem Denken und Handeln verankert. Ein Beispiel? Ich versuche ernsthaft seit Jahren, ein möglichst „normaler Typ“ zu sein und das Böse in mir konsequent unten zu halten und zu ignorieren … Und trotzdem passiert es mir dann, dass ich irgendwo ein Auto sehe, dass nicht abgeschlossen ist und mein erster Gedankengang immer noch ist: „Fuck, was könnte denn da drin sein?“ Mit 32 Jahren (lacht). Das ist der Wedding in mir und das wird so schnell nicht weggehen, auch wenn ich mittlerweile an einem anderen Ort lebe. Der Wedding ist am Ende des Tages mein Zuhause. Aber auch eine kranke Hassliebe … Ich würde zum Beispiel niemals meine Kinder hier großziehen wollen, würde aber, bei vollem Bewusstsein, dass dich dieser Ort langfristig kaputt macht, irgendwann gerne hierher zurück. Naja.

Aus diesen Worten geht eindeutig hervor, dass es das Leben dieser Bezirk mit sich bringt, dass man Scheiße erlebt …

Ja. Zumindest tausend mal eher, als auf dem Ku‘damm, wo ich heutzutage wohne.

Du beschreibst Berlin an verschiedenen Stellen als „Babylon“. Wie meinst du das?

Diese Stadt ist irgendwie wie ein Gefängnis, aus dem man gefühlt einfach nicht mehr raus kommt. Nehmen wir mal die ganzen Sache mit dem Kokain: Dieses Zeug hat die ganze Stadt verseucht, unheimlich viele Menschen haben sich dadurch verändert. Sowas ist dann in Berlin viel präsenter, als an allen anderen Orten der Welt, an denen ich vorher war. Berlin kommt mir manchmal vor wie ein großes Labyrinth: Da werden die Leute rein geworfen und gezwungen, innen drin auf engstem Raum ihren Struggle auszufechten. Und dabei scheitern viele.

Wir kommen am Sparrplatz vorbei, einem kultigen, im Grünen tiefgelegter Bolzplatz mit Käfig-Atmosphäre. Quame erzählt, dass er hier früher jeden Tag Fußball gespielt hat. Ein im Selbstgespräch laut fluchender, aggressiver Mann kommt vorbei, wir weichen einem Rempler aus. „Deswegen will ich hier nicht mehr leben“, sagt Quame trocken. Wir müssen schmunzeln …

Ein Alleinstellungsmerkmal von dir ist, dass du in jedem Text und Posting das Wort „Chale“ benutzt. Was kann man sich darunter vorstellen?

„Chale“ ist ein ghanaisches Wort und ist quasi gleichbedeutend mit deutschen Ausdrücken wie „dikka“ oder „alter“. Solche Dinge sind, abgesehen vom Signatur-Charakter auch gut, weil sie Türöffner sind: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit beruhen ja meistens auf einem Misstrauen, das entsteht, weil die Leute nichts voneinander wissen. Ich werde heute zum Beispiel immer noch gefragt, ob die Leute dort, wo ich her komme noch mit Händen essen oder ob die Hosen tragen. Das ist doch der traurige Beweis dafür, dass es da viel mehr Austausch geben müsste … „Chale“ ist ein kleines Stückchen ghanaische Kultur.

Rassismus im Rap und der Umgang mit dem sogenannten „N-Wort“ waren ja gerade in letzter Zeit wieder oft Thema … Hast du die neuesten Debatten mitverfolgt?

Ja. Das Ganze ist natürlich mega komplex. Ich habe den Song von DCVDNS, über den da konkret diskutiert wurde, nicht gehört … Was ich aber sagen kann ist, dass ich es von Grund auf als ziemlich erbärmlich erachte, mit einer so billigen und vorhersehbaren Provokation Klicks zu generieren. Fernab von DCVDNS sehe ich für meinen Teil in meinem Leben überhaupt keine Hautfarben. Wenn mein Umfeld, das seitdem ich ein kleines Kind bin, maximal multikulturell ist, mir eines beigebracht hat, dann das. Mir ist wirklich nur eines wichtig: Ob du ein Wichser bist oder ob du korrekt bist. Die Hautfarbe ist dabei einfach komplett egal … Mir wird auch höchstens durch die Reaktionen anderer klar gemacht, dass ich schwarz bin. Das N-Wort verwende ich im Übrigen selber konsequent nicht. Klar ist natürlich auch, dass die Kids das Wort so lange benutzen werden, wie irgendwelche Rapper es nutzen …

Auf deiner Facebook-Seite schreibst du: „Das Schöne am Musikerleben ist, dass ich Schritt für Schritt meine Träume verwirkliche.“ Wovon träumst du?

Mein größter Traum mag sich wahnsinnig anhören, aber das wäre nun mal wirklich ein Konzert bei Rock am Ring. Das ist das höchste Level, das man als Rapper in Deutschland im Jahr 2017 überhaupt erreichen kann.