Homezone #5: Mit AOB unterwegs auf der Sonnenallee

Homezone ist ein Text-Interview-Format unseres Autors Alexander Barbian. Er trifft und begleitet aufstrebende wie etablierte Künstler aus den Gefilden des deutschen Sprechgesangs durch deren Kieze, in deren Lieblingskneipen und zu deren Stammspäties. In der fünften Ausgabe hat er die Army of Brothers im Süden Neuköllns besucht.

Nach den Untergrund-Mixtapes „Schall & Rauch“ von Bangs und Tarit und „Neukölln Unzensiert“ von Abiad erschien Ende Mai diesen Jahres endlich der erste gemeinsame Sampler der insgesamt sechsköpfigen Südberliner Gang AOB, zu der unter Anderem jene drei Rapper gehören. Spätestens durch die in diesem Rahmen erschienenen Videoauskopplungen „Gib mir das Geld“, „Wa Ok“, „Bangs“ und „Sonnenallee“ sorgten die Jungs in den letzten Monaten berechtigterweise für Aufsehen in Rap-Deutschland. Tatkräftig unterstützt vom für den Hauptstadt-Sound nicht mehr wegzudenkenden Urgestein Said bringt die Army of Brothers den von vielen schmerzlich vermissten Oldschool-orientierten und gechillten Straßenflavour zurück in den Ring.

Bangs, Haki, Tarit, Abiad, Almani und Chapo berichten authentisch vom echten Leben und nicht immer leichten Hustle auf den Straßen Neuköllns. Um sie in der Ecke anzutreffen, in der sie ihre Zeit totschlagen gilt es, sich ein bisschen raus zu bewegen aus der Komfortzone der angesagten Straßenzüge des In-Bezirkes: Hier, im hinteren Abschnitt der Sonnenallee, sind statt der Hipster-Ateliers mit großen Schaufenstern, in denen neureiche Modeblogger gerade mit einem glutenfreien Chai auf ihre anlaufende Analog-Vernissage anstoßen, eher blinkende Novoline-Automaten, sich zügig drehende Dönerspieße und Kindl vom Fass für einen schmalen Taler an der Tagesordnung.

Die Jungs haben mich in ihre Gegend eingeladen, genauer ins Mehana Paradies, ein sehr gemütliches Restaurant in der Herzbergstraße, das einem guten Freund der Familie gehört. Hier wird uns sogar ein eigener Raum zur Verfügung gestellt, in dem wir uns ruhig unterhalten können. Naja, zumindest so ruhig, wie ein wilder Haufen voller Spaßvögel eben so sein kann. Nachdem die ganze Bande eingetrudelt ist kann‘s endlich losgehen …

Auf den ersten Blick wirkt ihr wie eine ziemlich große Rapcrew, doch wenn man eure Musik pumpt oder euch wie jetzt privat erlebt, wird deutlich, dass die ganze Sache ein bisschen größer ist. Ihr beschreibt euch als Familie, als Bruderschaft …

Haki: Zuallererst sind wir wirklich so etwas wie eine Familie, ganz genau! Alle hier am Tisch sind einfach in erster Linie meine Brüder und nebenbei irgendwie Bandkollegen. Die Army of Brothers gibt es seit mindestens 11 Jahren, war also schon lange bevor Tarit und Bangs irgendwann angefangen haben, Musik zu machen am Start.

Ihr seid also wirklich alle miteinander aufgewachsen?

Chapo: Auf jeden Fall, wir sind wirklich quer durch die Bank Neuköllner Jungs. Die meisten von uns waren sogar gemeinsam auf der selben Oberschule …

Man kann euren Texten entnehmen, dass eure Basis das südliche Neukölln ist …

Haki: Ja, wir alle wohnen irgendwo verteilt zwischen Zwickauer Damm und Grenzallee.

Empfindet ihr Neukölln als Rap-Bezirk?

Bangs: Ich hatte immer eher das Gefühl, dass Kreuzberg der eigentliche Rap-Bezirk ist, in dem sich alle Crews miteinander vernetzten, in denen Konzerte veranstaltet werden und getanzt wird. In Neukölln herrschte immer ein etwas raueres Klima, hier waren halt Ellenbogensesselschaft und Straße angesagt. Natürlich ist hier auch immer wieder guter HipHop entstanden, aber dass sich Künstler aus Neukölln auch untereinander connecten ist neu. Jetzt, wo Leute wie wir, Hassan K oder Gringo an Bord sind, ist Neukölln erst so richtig am Start (lacht)
Tarit: Im Gegensatz zu vielen Kreuzbergern waren wir auch nie Clubgänger oder so: Wir haben immer im kleinen Kreis rumgehangen, haben uns alles selbst beigebracht: Da gab es keinen Sozialarbeiter, der uns beim Aufnehmen supportet hat oder sowas …

Auf dem Sampler wird das sehr ambivalente Verhältnis zu eurem Kiez deutlich: Einerseits seid ihr patriotische 44er, andererseits betont ihr immer wieder, dass ihr euch von hier verpissen würdet, sobald sich die Gelegenheit ergeben würde … Die Hook „Ich wollte umzieh‘n, raus aus der Gegend, doch jetzt woh‘n ich ein Haus daneben“ vom Sampler bringt das ganz gut auf den Punkt, finde ich …

Almani: Ja, du hast schon Recht: Wir und Neukölln, das ist echt eine Hassliebe. Eine richtige Lösung für dieses Problem gibt es auch nicht … Höchstens dass man vielleicht versuchen sollte, öfter zu verreisen, um öfter mal Abwechslung von dieser elenden Insel zu haben (lacht).

Eure Hood fällt nicht unbedingt in die Kategorie des gemeinhin als „hip“ bezeichneten Teils von Neukölln. Merkt ihr dort in den letzten Jahren trotzdem Veränderungen zu früher?

Almani: Ja, definitiv. Berlin hat sich insgesamt extrem verändert … Man merkt, dass die ärmeren Leute zunehmend an den Stadtrand gedrückt werden, weißt du? Am Hermannplatz, wo früher echt krasse Leute rumgelaufen sind, sind dafür heute fast nur noch Hipster unterwegs. In ein paar Jahren ist das in Rudow dann bestimmt auch so … Ich merke das an uns selbst: Auch wir haben uns im Laufe der Jahre immer mehr in die hinteren Ecken vom Kiez zurückgezogen.
Chapo: Auf den Straßen, auf denen unsereins vor 10 Jahren aufgewachsen ist, haben die großen Abis damals für Ordnung gesorgt. Heutzutage laufen dort tausende Hipster rum und die 16-Jährigen fucken sich gegenseitig ab. Da hat sich einiges verschoben …
Tarit: Ja, das stimmt. Gerade die Jugend hat sich enorm verändert. Die haben ein komplett anderes Verhältnis zu Drogen, als wir damals. Das ist schlimm, weil heutzutage gefühlt einfach jeder tickt und ballert. Dafür hat Nationalität zum Beispiel einen geringeren Stellenwert, das ist gut und war bei AOB ja sowieso schon immer so.