Heute vor 12 Jahren: „Vom Bordstein bis zu Skyline“ verändert Deutschrap

Ich weiß noch gut, wann und wo ich „Vom Bordstein bis zur Skyline“ zum ersten Mal gehört habe. Es war Juli 2003. Ein heißer Tag. Ich saß bei einem Kumpel im Auto, wir fuhren raus zum Wannsee. In der Badetasche steckte neben Badehose, Matte und Handtuch eine CD mit einem in schwarz-grün gehaltenen Cover, die am Morgen in meinem Briefkasten gelegen hatte. Aggro Berlin war so freundlich gewesen, mir das erste richtige Album von Bushido zuzusenden. Ich hatte den Berliner ein paar Tage zuvor auch zum Interview getroffen, seinerzeit für die Backspin. Schon da war mir aufgefallen, dass er sich von seinen Kollegen unterschied. Statt einem freundlich-verplanten Kiffer saß da ein Typ, der sehr genau wusste, was er sagen wollte und mit welchen Aussagen er welche Wirkung erzielen konnte.

Jedenfalls schob ich die CD nun in den Player. Meine Erwartungen waren gar nicht so groß, wie man das aus heutiger Sicht vielleicht denken könnte. Zwar hatten sowohl Bushido als auch sein damaliges Label bereits einen gewissen Hype. Verglichen mit dem, was noch kommen würde, war das aber recht überschaubar. Ich drückte auf Play. „Electrofaust“ ertönte. Was da aus nun aus den Boxen drang, war hart. Roh. Düster. Gut, Berlin war auch davor schon härter als der Rest von Deutschrap gewesen. Aber es war nicht die Härte, die ein Savas oder die Sekte damals auch in ihren Texten hatten, nicht diese im Grunde fiktive Battle-Härte, sondern etwas anderes, etwas ernstgemeinteres.

Überhaupt ernst – zu lachen gab es bei „VBBZS“ eher wenig. Verrückte, überdrehte Punchlines suchte man vergeblich. Bushido rappte langsam und mit bedrohlicher Stimme. Und er rappte aus einer Sicht, die es bis dato im Deutschrap nicht gegeben hatte: Die Perspektive eines kriminellen Ausländers. Bzw. eines jungen Deutschen, der aufgrund seiner Haarfarbe und seines Teints als Ausländer angesehen wird. Der von der Gesellschaft in eine Schublade gesteckt wird, sich darüber aber nicht politisch korrekt empört, sondern zum Gegenangriff übergeht. Ja, ich bin gefährlich. Ja, ich bin kriminell. Ja, ich komme mit 20 Kumpels auf deine Party und wenn du nicht aufpasst, klauen wir dein Handy, deinen Fernseher und knallen deine Freundin.

So etwas hatte es bisher nicht gegeben. Wenn Migranten oder Postmigranten im deutschen Rap zu Wort gekommen waren, hatten sie sich entweder über Rassismus beschwert oder aber ihre Rolle in der Gesellschaft gar nicht erst erwähnt. Im HipHop gab es ja (angeblich) keinen Rassismus. Es gab also die Rollenmodelle Opfer oder angepasst. Damit war nun Schluss. Bushido setzte an die Stelle von empörter Kritik oder braver Anpassung die Provokation, das Spiel mit den Vorurteilen der bürgerlichen deutschen Gesellschaft.

Das scheinbar Widersprüchliche daran: Mit dieser bewussten Abgrenzung, der Verabschiedung vom One-Love-Wir-sind-doch-eine-Community-Gedanken trug Bushido erheblich zur Integration bei. Zunächst im Deutschrap, wo es für alle Jugendlichen mit dunklen Haaren, für alle Murats, Hassans und Alis plötzlich ein Rolemodel gab, mit dem sie sich identifizieren konnten, der ihre Sprache sprach, der keinen Hehl daraus machte, eine Kanake zu sein, sondern das sogar stolz und selbstbewusst propagierte. Davor hatte Deutschrap diese Gruppe  kaum interessiert. Wenn sie Rap hörten, dann eher amerikanischen oder französischen – letzterer hatte einen nicht unerheblichen Einfluss auf Bushidos größtenteils selbstproduzierte Beats.

Das führte dazu, dass Deutschrap sich veränderte. Mit Bushidos Erfolg sahen eben auch die Jungs von der Straße oder, wie das immer gern politisch korrekt umschrieben wird, die Jungs mit Migrationshintergrund, dass Rap auf Deutsch etwas für sie sein könnte. Die Folgen sind heute hinlänglich bekannt. Ein Kurdo, ein Haftbefehl, ein Farid Bang, ein Massiv – sie alle wären nicht denkbar gewesen ohne die Vorarbeit Bushidos. Bushido brachte also vereinfacht gesagt mehr Farbe in das Bild, mehr Würze in die Suppe. Deutscher Straßenrap, der heute neben den bereits genannten mit Künstlern wie Olexesh, 187 Strassenbande, Celo & Abdi, KC Rebell, Xatar, Schwesta Ewa oder Hanybal stark und vor allem variabel besetzt ist, ist eine wichtige Säule der neuen Vielfalt.

Nochmal zurück zum Sommertag 2003 im Auto: Habe ich damals schon gewusst, dass das Album, das da aus den Boxen dröhnte, so weitreichende Folgen haben würde? Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mehr so genau erinnern. Jetzt im Nachhinein, wo man weiß, wie es gelaufen ist, dass „Vom Bordstein bis zur Skyline“ die Blaupause der kommenden Jahre sein würde, kann man leicht sagen „Ich habe es schon damals gewusst„. Ich weiß nur, dass ich seinerzeit fasziniert war. Ahnen aber konnte man es schon. Ich glaube, es war damals der Kollege Selcuk Erdogan, der in diesem Zusammenhang in der Juice schrieb, die Zukunft von Deutschrap trage eine Lederjacke. Er sollte recht behalten.